Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG NR. 18/99 bis

18. März 1999

Jahresbericht des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften

PRÄSENTATION DER WICHTIGSTEN RECHTSSACHEN, DIE DER GERICHTSHOF UND DAS GERICHT IM JAHR 1998 ERLEDIGT HABEN


Die Betrachtung der von den beiden Gerichten im Jahr 1998 abgeschlossenen Rechtssachen (768) verdeutlicht die gesamte Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofes. Man kann die Urteile rein schematisch nach großen Themenbereichen aufteilen, um die bedeutsamsten Entwicklungen, etwaige Änderungen oder unerläßliche Klarstellungen zu veranschaulichen.

Freizügigkeit:

- Der Gerichtshof hatte sich erstmals mit der Unionsbürgerschaft auseinanderzusetzen als er entschied, daß sich eine Angehörige eines Mitgliedstaats, die sich rechtmäßig im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, auf den durch den Vertrag über die Europäische Union eingefügten Artikel über die Unionsbürgerschaft berufen könne (Martínez Sala).

- Außerdem bezog sich der Gerichtshof auf diesen Artikel, als er die Anwendung nationaler Rechtsvorschriften, die den Schutz einer Sprachenminderheit bezwecken, auf Gemeinschaftsangehörige ausdehnte, die dieselbe wie die geschützte Sprache sprechen und sich in dem betreffenden Gebiet bewegen und aufhalten, (Bickel und Franz).

- Der Gerichtshof war der Auffassung, daß eine tarifvertragliche Bestimmung, in der die Bedingungen für den Zeitaufstieg der Bediensteten des öffentlichen Dienstes festgelegt sind und die Beschäftigungszeiten außer Betracht läßt, die in einem vergleichbaren Betätigungsfeld im öffentlichen Dienst eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt worden sind, das Diskriminierungsverbot verletze (Schöning-Kougebetopoulou).

- Dagegen sah der Gerichtshof in Unterscheidungen bei der steuerlichen Behandlung der in einem Mitgliedstaat wohnenden, aber in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmern, die sich aus der Aufteilung der Steuerhoheit zwischen zwei Mitgliedstaaten ergeben, keine Diskriminierung begründet (Gilly).

- Schließlich stellte der Gerichtshof fest, daß die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen verstoßen habe, daß sie die in Belgien wohnenden Grenzgänger von der Gewährung von Punkten für die zusätzliche Altersrente nach Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand ausgeschlossen hat (Kommission/Frankreich).

Freier Warenverkehr, Niederlassungsfreiheit und freier Dienstleistungsverkehr

- In den Rechtssachen Decker und Kohll prüfte der Gerichtshof, ob eine nationale Regelung, die die Erstattung von Kosten für in einem anderen Mitgliedstaat gekaufte Brillen oder für nicht im Krankenhaus erbrachte ärztliche Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat nach den Tarifen des Versicherungsstaats von einer besonderen vorherigen Genehmigung abhängig macht, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

Er gelangte zu dem Ergebnis, daß die fragliche nationale Regelung ein Hindernis für den freien Warenverkehr und für den freien Dienstleistungsverkehr darstelle, und entschied, daß diese Hindernisse nicht gerechtfertigt seien.

- Bezüglich technischer Vorschriften führte der Gerichtshof aus, daß die unterbliebene Mitteilung technischer Vorschriften deren Unanwendbarkeit bewirke, ohne daß dies zur Folge hätte, daß die Verwendung eines Produkts rechtswidrig sei, das mit den nicht mitgeteilten Vorschriften konform ist (Lemmens).

- Auf dem pharmazeutischen Gebiet präzisierte der Gerichtshof bezüglich der Voraussetzungen, die ein Antragsteller für das abgekürzte Zulassungsverfahren erfüllen muß, die Kriterien der Definition der Erzeugnisse, für die diese abgekürzten Anträge gestellt werden können (Generics [UK]).

- Der Gerichtshof wies darauf hin, daß die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit es insbesondere verbieten, daß der Herkunftsstaat die Niederlassung seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat behindert. Eine solche Behinderung könne sich aus einer unterschiedlichen steuerlichen Behandlung ergeben (ICI).

- Der Gerichtshof war der Auffassung, daß die schwedischen Rechtsvorschriften über die Besteuerung des Sparens in Form von Kapitallebensversicherungen, wonach für in Schweden niedergelassene und dort nicht niedergelassene Gesellschaften eine unterschiedliche Regelung galt, mit dem Grundsatz der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs unvereinbar seien (Safir).

Gleichbehandlung von Männern und Frauen:

- In der Rechtssache Grant qualifizierte der Gerichtshof die Weigerung eines Arbeitgebers, eine Fahrtvergünstigung für eine Person des gleichen Geschlechts, mit der ein Arbeitnehmer eine feste Beziehung unterhielt, zu gewähren, nicht als Diskriminierung. Er stellte fest, daß die Weigerung unabhängig vom Geschlecht des betreffenden Arbeitnehmers gelte, und prüfte unter Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechts, des Rechts der Mitgliedstaaten und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, ob eine feste Beziehung zwischen Personen des gleichen Geschlechts der Ehe oder einer festen Beziehung zwischen Personen verschiedenen Geschlechts gleichgestellt werden müsse. Er gelangte zu dem Ergebnis, daß es keine derartige Gleichstellung gebe, da nur der Gemeinschaftsgesetzgeber die Lage in diesem Bereich ändern könne.

- Bezüglich des Schutzes von Schwangeren führte der Gerichtshof aus, daß das Diskriminierungsverbot einen entsprechenden Schutz während der gesamten Dauer der Schwangerschaft gebiete, insbesondere wenn die Entlassung aufgrund von Fehlzeiten infolge einer durch die Schwangerschaft verursachten Arbeitsunfähigkeit erfolge (Brown); außerdem entschied er über bestimmte Aspekte der finanziellen Regelung und die Rechte, die Frauen während des Mutterschaftsurlaubs geltend machen können (Boyle).

- Die Effektivität der Rechte der einzelnen konkretisierte sich insbesondere darin, daß sich ein Arbeitgeber gegenüber einer Arbeitnehmerin nicht auf eine Ausschlußfrist von zwei Jahren berufen kann, wenn die Verspätung der Klage der Arbeitnehmerin auf Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts auf eine Täuschung durch den Arbeitgeber zurückzuführen war (Levez).

Wettbewerbsrecht:

- Vom Gerichtshof wurden zahlreiche Urteile zum Bereich des Verbotes von Kartellen, der mißbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung oder zur Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen erlassen (Theorie der zahlungsunfähigen Gesellschaft, aufgrund deren der Gerichtshof weitgehend die Auffassung der Kommission billigte, die dazu führte, die Voraussetzungen so zu definieren, daß ein Zusammenschluß als nicht zur Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung angesehen werden konnte - Frankreich u. a./Kommission).

- Der Gerichtshof konnte die Verpflichtungen der Kommission bezüglich der Prüfung einer Beschwerde und der Begründung der Zurückweisung der Beschwerde auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen genauer festlegen (so kann die Entscheidung, mit der dem Mitgliedstaat der Standpunkt der Kommission mitgeteilt wird, von einem Beschwerdeführer mit der Nichtigkeitsklage angefochten werden, und nicht das an diesen gerichtete Schreiben, in dem er über diese Entscheidung unterrichtet wird; es gibt keine Rechtsgrundlage, um der Kommission eine streitige Verhandlung mit dem Beschwerdeführer vorzuschreiben; die Kommission ist verpflichtet, dem Beschwerdeführer hinreichend die Gründe darzulegen, aus denen die in der Beschwerdeschrift geltend gemachten tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten nicht ausreichten, um die staatliche Beihilfe darzutun (Kommission/Sytraval und Brink's France).

- Das Gericht erließ zahlreiche Urteile im Bereich des Wettbewerbsrechts, insbesondere in den "Karton"-Rechtssachen. Dabei legte es klar die Voraussetzungen fest, unter denen ein Unternehmen für ein Gesamtkartell verantwortlich gemacht werden kann. Außerdem war es der Auffassung, daß die Herabsetzung des Betrages der von der Kommission festgesetzten Geldbußen nur gerechtfertigt sei, wenn das Verhalten des Unternehmens es der Kommission ermöglicht habe, eine Zuwiderhandlung mit weniger Schwierigkeiten festzustellen und sie gegebenenfalls abzustellen.

- Das Gericht stellte erstmals die Untätigkeit der Kommission im Bereich der staatlichen Beihilfen fest. Die Kommission hatte zu zwei Beschwerden über audiovisuelle Unternehmen nicht Stellung genommen (Gestevisión Telecinco/Kommission).

- Im Bereich der staatlichen Beihilfen untersuchte das Gericht die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage einer Region. Es wies darauf hin, daß sich die Entscheidung der Kommission über Beihilfen der Flämischen Region an ein Luftfahrtunternehmen unmittelbar und individuell die Rechtsstellung dieser Region auswirkte, indem sie sie daran hinderte, ihre eigenen Befugnisse in der von ihr gewünschten Weise auszuüben, d. h. indem sie an der Gewährung einer Beihilfe gehindert und gezwungen wurde, einen mit einem Unternehmen geschlossenen Darlehensvertrag zu ändern (Vlaams Gewest/Kommission). Dagegen wurde eine Gewerkschaft vom Gericht nicht als von einer Entscheidung unmittelbar und individuell betroffen anerkannt, in der die Kommission eine Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt hatte (Comité d'entreprises de la Société française de production u. a./Kommission). Auch eine spanische Gebietskörperschaft (comunidad autónoma) wurde nicht als von einer Verordnung des Rates über Beihilfen für bestimmte Werften unmittelbar und individuell betroffen angesehen, trotz des allgemeinen Interesses, das sie an der Entwicklung der wirtschaftlichen Tätigkeit und des Beschäftigungsniveaus haben konnte.

- Das Gericht erklärte wegen Formfehlers die Entscheidung der Kommission, mit der es den französischen Behörden gestattet wurde, Air France eine Beihilfe in Form einer Kapitalerhöhung zu gewähren, mit der Begründung für nichtig, daß diese Entscheidung insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen der Beihilfe auf die konkurrierenden Gesellschaften unzureichend begründet sei.

Öffentliche Aufträge:

- Die Zahl der vom Gerichtshof in diesem Bereich erlassenen Urteile nimmt zu, insbesondere aufgrund von Vorlagefragen nationaler Gerichte, die insbesondere die Definition der "Einrichtung des öffentlichen Rechts" im Begriff des öffentlichen Auftraggebers betreffen; dieser Begriff ist für die Definition des gemeinschaftlichen Vergabewesens von Bedeutung. Der Gerichtshof sah als eine Einrichtung des öffentlichen Rechts eine Einrichtung an, die gegründet worden war, um die Herstellung von amtlichen Dokumenten ausschließlich wahrzunehmen (Mannesmann); ferner sah er im Abholen und in der Behandlung von Haushaltsabfällen eine "im Allgemeininteresse liegende Aufgabe" (BFI Holding), wobei der Begriff des Allgemeininteresses zu den Kriterien des Gemeinschaftsrechts für die Bestimmung der Kategorie der Einrichtungen des öffentlichen Rechts gehört. Der Gerichtshof war in diesem Zusammenhang der Auffassung , daß im Allgemeininteresse liegende Aufgaben von dafür gegründeten privaten Einrichtungen erfüllt werden könnten, wobei es diesen Einrichtungen nicht verwehrt sei, - sogar überwiegend - andere Tätigkeiten mit einer anderen Zielsetzung auszuüben.

Geistiges Eigentum:

- Die ersten Rechtssachen im Bereich der Gemeinschaftsmarke wurden beim Gericht gegen die Entscheidung einer der Beschwerdekammern des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt anhängig gemacht.

- Was das Markenrecht angeht, so präzisierte der Gerichtshof die für das Publikum bestehende Verwechslungsgefahr in bezug auf mit zwei Marken bezeichneten Waren oder Dienstleistungen; für den zu gewährenden Schutz der Marke war dabei die Kennzeichnungskraft der älteren Marke und ihr Bekanntheitsgrad zu berücksichtigen (Canon). Die gemeinschaftsweite Erschöpfung, aufgrund deren der Inhaber einer Marke nicht mehr befugt ist, deren Benutzung zu verbieten, wenn die Waren mit seiner Zustimmung im EWR in den Verkehr gebracht worden sind, sei streng zu prüfen, da der Inhaber der Marke befugt sei, ein Verbot der Benutzung der Marke durch Dritte außerhalb des EWR zu erwirken (Silhouette).

- Der Gerichtshof wies auch darauf hin, daß Werke der Literatur und Kunst in anderer Weise gewerblich verwertet werden könnten als durch den Verkauf von Bild- und Tonträgern und daß ein besonderer Schutz des Rechts zur Vermietung aus Gründen des Schutzes des gewerblichen und kommerziellen Eigentums als gerechtfertigt anzusehen sein könne (Metronome Musik).

- Ein Inhaber eines ausschließlichen Vermietrechts könne in einem Mitgliedstaat die Vermietung von Vervielfältigungsstücken eines Filmwerks verbietet, obwohl der Vermietung dieser Vervielfältigungsstücke in einem anderen Mitgliedstaat zugestimmt wurde (FDV).

Landwirtschaft:

- Der Gerichtshof hatte über die Gültigkeit des Rahmenabkommens über Bananen mit vier Ländern Zentral- und Südamerikas zu entscheiden, das im Anschluß an die Verurteilung der gemeinschaftlichen Einfuhrregelung im Rahmen des GATT geschlossen worden war. Der Gerichtshof prüfte für jeden Einzelfall die Unterschiede bei der Behandlung der Marktbeteiligten und befand bestimmte Unterschiede für annehmbar, wenn sie die zwangsläufige Folge der unterschiedlichen Behandlung von Drittländern waren, lehnte andere, insbesondere im Bereich der Befreiung von Marktbeteiligten vom Ausfuhrlizenzsystem, dagegen ab (Deutschland/Rat).

- Der Gerichtshof hatte sich mit der Ausübung gesundheitspolizeilicher Befugnisse durch die Kommission und mit deren Ausgleich mit den Erfordernissen des Gemeinsamen Marktes auseinanderzusetzen. In Rechtssachen, die die Krankheit des sogenannten "Rinderwahnsinns" betrafen, stellte der Gerichtshof fest, daß, wenn das Vorliegen und der Umfang von Gefahren für die menschliche Gesundheit ungewiß sei, die Gemeinschaftsorgane Schutzmaßnahmen treffen könnten, ohne abwarten zu müssen, daß das Vorliegen und die Größe dieser Gefahren klar dargelegt seien (National Farmers' Union; Vereinigtes Königreich/Kommission)

Umwelt:

- Der Gerichtshof wies auf die Verpflichtungen hin, die sich aus der Richtlinie über den Schutz der wildlebenden Vogelarten auf dem Gebiet der Ausweisung besonderer Schutzgebiete ergeben; die Mitgliedstaaten seien verpflichtet, diese Ausweisung unter Beachtung bestimmter ornithologischer Kriterien vorzunehmen (Kommission/Niederlande).

- In einer Rechtssache, die die je nach der Art der Erzeugung unterschiedliche Besteuerung von Elektrizität inländischen Ursprungs betraf, stellte der Gerichtshof umweltpolitische Erwägungen an, um die grundsätzlich andere Besteuerung von eingeführtem Strom als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar anzuerkennen, sofern jedoch die unterschiedlichen Besteuerungsregelungen nicht zu einer höheren Belastung des entsprechenden eingeführten Erzeugnisses führten (Outokumpu).

Verfahrensvorschriften vor dem Gerichtshof und vor dem Gericht:

- Der Gerichtshof konkretisierte die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Nichtigkeitsklage einer Vereinigung, die Umweltschutzziele verfolgt (Greenpeace Council u. a./Kommission), und der Gesellschaften gegen Entscheidungen der Kommission, wobei er auf das Kriterium der unmittelbaren Auswirkung oder des unmittelbaren und individuellen Interesses der Entscheidung für die geltend gemachten Rechte abstellte (Dreyfus u. a.)

- Bezüglich der Modalitäten des Vorabentscheidungsverfahrens bekräftigte der Gerichtshof, daß zur Vorlage von Fragen zur Vorabentscheidung nur Einrichtungen befugt seien, die eine Rechtsprechungstätigkeit ausüben (Victoria Film).

Außerdem hat der Gerichtshof klargestellt, daß er durch mit Gründen versehenen Beschluß entscheiden könne, wenn die vorgelegte Frage offensichtlich mit einer Frage übereinstimmt, über die er bereits entschieden habe (Béton Express; Conata und Agrindustria).

- Der Gerichtshof hob ein Urteil des Gerichts erster Instanz wegen der überlangen Dauer des gerichtlichen Verfahrens teilweise auf. Er hat sich insoweit auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bezogen, um die Angemessenheit der Dauer und die Interessen, die in dem Rechtsstreit auf dem Spiel standen, zu beurteilen. Danach könne für den Zeitablauf vom Ende der mündlichen Verhandlung bis zur Verkündung des Urteils keine Frist vorgeschrieben werden. Es gebe auch kein Recht auf Zugang zu den "Gerichtsakten" (Baustahlgewebe/Kommission).

- Schließlich könne die für eine Aussetzung des Vollzugs erforderliche Dringlichkeit nicht wegen des Ermessens der Behörde, deren Entscheidung angegriffen ist, vermutet werden (Emesa Sugar/Rat und Emesa Sugar/Kommission).

Konkretisierung allgemeiner Grundsätze des Gemeinschaftsrechts:

- Der Gerichtshof weist darauf hin, daß die Mitgliedstaaten in ihrer Rechtsordnung die Ausgestaltung von gerichtlichen Verfahren zu bestimmen haben, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Nach dem Äquivalenzgrundsatz dürften diese Verfahren nicht weniger günstig gestaltet werden als bei entsprechenden Klagen, die innerstaatliches Recht betreffen, und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nach dem Effektivitätsgrundsatz nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.

- Der Gerichtshof hatte außerdem Gelegenheit, die Tragweite seines Urteils Simmenthal zu konkretisieren, in dem er festgestellt hatte, daß ein wirksames Zustandekommen neuer staatlicher Gesetzgebungsakte insoweit verhindert werde, als diese mit Gemeinschaftsnormen unvereinbar wären. Jedes nationale Gericht sei verpflichtet, das Gemeinschaftsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es den einzelnen verleiht, zu schützen, indem es jede möglicherweise zuwiderlaufende Bestimmung des nationalen Rechts, gleichgültig, ob sie früher oder später als die Gemeinschaftsnorm ergangen ist, unangewendet läßt (IN.CO.GE 390).

- Unter Bekräftigung seiner bisherigen Rechtsprechung hält es der Gerichtshof nicht für unzulässig, daß die nationalen Gerichte eine Bestimmung des innerstaatlichen Rechts anwenden, um zu prüfen, ob ein sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebendes Recht mißbräuchlich ausgeübt worden ist, vorausgesetzt jedoch, daß sie bei der Beurteilung der Ausübung dieses Rechts nicht die Tragweite dieser Gemeinschaftsbestimmung verändern oder die mit ihr verfolgten Zwecke vereiteln (Kefalas).

Institutionelle Fragen:

- Im Urteil Interporc/Kommission erklärte das Gericht eine Weigerung der Kommission, Zugang zu bestimmten Dokumenten zu gewähren, für nichtig, da sie keine Erklärung gegeben hatte, um den Zusammenhang zwischen den Dokumenten und einer Entscheidung, deren Nichtigerklärung beantragt war, darzulegen; mit diesem Zusammenhang könne eine Verweigerung der Übermittlung begründet werden. Dagegen wurde eine Klage auf Nichtigerklärung einer Entscheidung der Kommission, den Zugang zu Schreiben der Generaldirektion Wettbewerb an nationale Gerichte zu verweigern, abgewiesen (Van der Wal/Kommission). Schließlich sah sich das Gericht aufgrund dessen, daß es nicht befugt sei, die Rechtmäßigkeit von Handlungen zu beurteilen, die in die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres fallen, nicht in der Lage, zu beurteilen, ob die Europol betreffenden Dokumente, deren Übermittlung an schwedische Journalisten der Rat verweigert hatte, unter die geltend gemachten Ausnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und der Geheimhaltung der Beratungen fielen (Svenska Journalistförbundet/Rat).

- Die traditionellen Fragen, die sich aus der Wahl der Rechtsgrundlage der Rechtsakte der Gemeinschaft ergeben, veranlaßten den Gerichtshof, darauf hinzuweisen, daß der Rückgriff auf Artikel 235 EG-Vertrag nur gerechtfertigt sei, wenn keine andere Vertragsbestimmung den Gemeinschaftsorganen die zum Erlaß dieses Rechtsakts erforderliche Befugnis verleiht (Nichtigerklärung eines Beschlusses des Rates zu den transeuropäischen Netzen auf Antrag des Europäischen Parlaments).

- Der Gerichtshof hält sich für zuständig, eine inhaltliche Prüfung einer gemeinsamen Handlung des Rates im Rahmen des dritten Pfeilers des Vertrages über die Europäische Union (Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres) vorzunehmen, deren Nichtigerklärung die Kommission beantragt hatte. Der Gerichtshof folgte in diesem Fall nicht dem Vorbringen der Kommission zum Transit auf Flughäfen und war nicht der Auffassung, daß der Rat in die Zuständigkeiten der Gemeinschaft übergegriffen habe.

- Der Gerichtshof führte im Urteil Kommission/Deutschland aus, daß Entscheidungen, die zur Durchsetzung der Wettbewerbsregeln erlassen werden, vom Kollegium erlassen werden müßten und keine Maßnahme der Geschäftsführung oder Verwaltung darstellten.

- Nachdem die Kommission Subventionen für Projekte zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung gewährt hatte, bemerkte der Gerichtshof, daß ein Basisrechtsakt, d. h. ein Akt des abgeleiteten Rechts außer bei nicht bedeutenden Gemeinschaftsaktionen erforderlich sei und daß die Kommission den Beweis zu erbringen habe, daß die geplante Maßnahme nicht bedeutend sei (Vereinigtes Königreich/Kommission).

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet . Dieses Dokument ist in allen Amtssprachen verfügbar.

Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Dr. Ulrike Städtler, Tel.: (0 03 52) 43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34.