Weil Frankreich der Gemeinschaftsrichtlinie über den Schutz wildlebender Vogelarten bis zum 3. September 1995 nicht nachgekommen ist, wird es vom Gerichtshof wegen Vertragsverletzung verurteilt
Nachdem bei der Kommission im August 1991 zwei Beschwerden über die Errichtung einer Anlage zur Behandlung und Lagerung von titanhaltigem Gips im Mündungsgebiet der Seine eingegangen waren, kam es zu einem Schriftwechsel zwischen ihr und den französischen Behörden, die sie aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um der europäischen Richtlinie über den Schutz der wildlebenden Vogelarten nachzukommen. Am 3. Juli 1995 richtete die Kommission an Frankreich eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie Frankreich aufforderte, innerhalb von zwei Monaten, also bis spätestens 3. September 1995, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Da dies nach Ansicht der Kommission nicht geschah, hat sie am 30. April 1997 beim Gerichtshof ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.
Nach der Gemeinschaftsrichtlinie von 1979 über den Schutz der wildlebenden Vogelarten sind die Mitgliedstaaten u. a. verpflichtet, die für die Erhaltung bedrohter Wild- und Zugvogelarten in dem geographischen Meeres- und Landgebiet, in dem die Richtlinie Anwendung findet, geeignetsten Gebiete zu besonderen Schutzgebieten (BSG) zu erklären. Ferner haben die Mitgliedstaaten die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie erhebliche Belästigungen der Vögel in diesen Schutzgebieten zu vermeiden.
Das Mündungsgebiet der Seine ist in ornithologischer Hinsicht eines der wichtigsten Feuchtgebiete der französischen Küstenregion. Es wird von sehr vielen bedrohten Wild- und Zugvogelarten, die nach der Richtlinie eines besonderen Schutzes bedürfen, häufig aufgesucht. 1990 wurden im Mündungsgebiet der Seine 2 750 Hektar zum BSG erklärt; dies war, wie die französische Regierung selbst eingeräumt hat, unzureichend.
Der Gerichtshof hat daher im Hinblick darauf, daß das Mündungsgebiet der Seine für zahlreiche Vogelarten ein besonders wichtiges Ökosystem darstellt, die am 3. September 1995 im Mündungsgebiet der Seine als BSG ausgewiesene Fläche für unzureichend erklärt.
Er hat ferner darauf hingewiesen, daß jedes BSG mit einem angemessenen rechtlichen Status ausgestattet werden müsse, der es erlaube, seine Unversehrtheit, d. h. insbesondere die Vermehrung der Arten und ihr Überleben, zu sichern. Da der Status als Gemeingut und maritimes Tierschutzgebiet, den das 1990 geschaffene BSG besaß, ebenfalls unzureichend gewesen sei, habe die Kommission Frankreich zu Recht vorgeworfen, diesem Gebiet keinen zur Erreichung der Ziele der Gemeinschaftsregelung geeigneten rechtlichen Status verschafft zu haben.
Die Kommission warf Frankreich schließlich vor, nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen zu haben, um die Beeinträchtigung des Mündungsgebiets der Seine durch die Errichtung einer Anlage für titanhaltigen Gips zu vermeiden. Nach Ansicht des Gerichtshofes hat die Kommission nicht hinreichend nachgewiesen, daß das Areal, auf dem sich die Anlage befindet, zu den für die Erhaltung geschützter Arten geeignetsten Gebieten gehörte, und daß Frankreich keine geeigneten Maßnahmen getroffen hatte, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume zu vermeiden.
NB: Hinweis auf weitere anhängige Verfahren in bezug auf die Anwendung der Richtlinie über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten
Frankreich wurde bereits am 27. April 1988 wegen Nichtumsetzung der Richtlinie verurteilt.
Ferner sind derzeit vier weitere Klagen der Kommission gegen Frankreich anhängig.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. Dieses Dokument liegt in französischer, englischer und deutscher Sprache vor.
Wegen des vollständigen Wortlauts des Urteils konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int. Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Dr. Ulrike Städtler, Tel.: (0 03 52) 43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34.