Arbeitnehmer, die eine anscheinend identische Tätigkeit ausüben, sich jedoch in sehr verschiedenen Fachrichtungen erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten bedienen und nicht über dieselbe Berufsberechtigung verfügen, um andere Tätigkeiten auszuüben, die ihnen übertragen werden könnten, verrichten keine "gleiche Arbeit" im Sinne des Gemeinschaftsrechts
Die österreichischen Sozialversicherungsträger können drei verschiedene Kategorien von Psychotherapeuten beschäftigen: Ärzte, die ihre Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin oder zum Facharzt abgeschlossen haben, diplomierte Psychologen, die zur selbständigen Berufsausübung im Gesundheitswesen berechtigt sind, sowie Personen, die kein Examen als Arzt oder Psychologe abgelegt haben, jedoch über eine allgemeine Ausbildung und eine psychotherapeutische Fachausbildung verfügen.
Nach den für die jeweiligen Personalgruppen geltenden Kollektivverträgen betrug das Nettogrundgehalt eines diplomierten Psychologen 1995 zwischen 24 796 und 51 996 ÖS, das eines Facharztes dagegen zwischen 42 197 und 73 457 ÖS.
Der Angestelltenbetriebsrat der Wiener Gebietskrankenkasse klagte bei den österreichischen Gerichten auf Feststellung, daß Psychologen, die ein Psychologiestudium mit Doktorat abgeschlossen haben und bei der Gebietskrankenkasse als Psychotherapeuten arbeiten, in dieselbe Kategorie einzustufen sind wie die als Psychotherapeuten tätigen Ärzte. Er begründete diesen Antrag mit der Ausbildung und der Tätigkeit der als Psychotherapeuten beschäftigten Psychologen und wies darauf hin, daß von der schlechteren Entlohnung dieser Praktikergruppe vorrangig Frauen betroffen seien.
Das Oberlandesgericht Wien hat den Gerichtshof um Auslegung der Gemeinschaftsvorschriften betreffend den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen ersucht.
Der Gerichtshof stellt zunächst fest, daß die als Psychotherapeuten beschäftigten Psychologen und Ärzte zwar eine anscheinend identische Tätigkeit ausüben, sich jedoch bei der Behandlung ihrer Patienten auf in sehr verschiedenen Fachrichtungen (bei den einen Psychologie, bei den anderen Medizin) erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten stützen.
Zwar üben Ärzte wie Psychologen konkret eine psychotherapeutische Arbeit aus, doch sind die Ärzte berechtigt, auch andere Tätigkeiten in einem anderen Bereich auszuüben, der den Psychologen, die nur eine Tätigkeit als Psychotherapeut ausüben können, nicht offensteht.
Daher können zwei Gruppen von Arbeitnehmern mit unterschiedlicher Berufsausbildung, die aufgrund des unterschiedlichen Umfangs ihrer Berufsberechtigung - die sich aus dieser Ausbildung ergibt und auf deren Grundlage sie eingestellt wurden - unterschiedliche Aufgaben oder Tätigkeiten wahrzunehmen haben, nicht als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden.
Der Gerichtshof ist daher der Auffassung, daß eine gleiche Arbeit im Sinne der Gemeinschaftsvorschriften nicht vorliegt, wenn eine gleiche Tätigkeit über einen erheblichen Zeitraum von Arbeitnehmern mit unterschiedlicher Berufsberechtigung ausgeübt wird.
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