Der Gerichtshof entscheidet über die Reiserichtlinie der Gemeinschaft und über die Voraussetzungen, unter denen Österreich für Schäden haftet, die dem einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht bei der Umsetzung der Richtlinie entstanden sind
W. Rechberger ist Abonnent der "Neue Kronenzeitung", einer österreichischen Tageszeitung. Im November 1994 erhielten er und andere Abonnenten ein Schreiben der Verlagsgesellschaft, in dem mitgeteilt wurde, daß ihnen der Reiseveranstalter "Arena-Club-Reisen" als Dank für ihre Treue zu der Zeitung eine Flugreise von vier oder sieben Tagen zu vier verschiedenen Zielen in Europa (ohne Flughafengebühren) schenke. Begleitpersonen der Abonnenten hatten den im Reiseprospekt angegebenen Preis zu zahlen. Wurde die Reise ohne Begleitperson gebucht, war ein Einzelzimmerzuschlag in Höhe von 500 öS zu zahlen. Der Abonnent, der das Angebot annahm, mußte in jedem Fall eine Anzahlung leisten und den Restbetrag vor Reiseantritt zahlen.
Das Angebot fand einen weit größeren Anklang, als ihn der Reiseveranstalter erwartet hatte, wodurch er in operationelle und finanzielle Schwierigkeiten kam. Am 4. Juli 1995 stellte er daher den Antrag, gegen ihn den Konkurs zu eröffnen. Im übrigen wurde gerichtlich festgestellt, daß die Werbeaktion der Kronenzeitung gegen das nationale Wettbewerbsrecht verstieß.
Einige Abonnenten buchten ihre Reise zwischen dem 19. November 1994 und dem 12. April 1995. Sämtliche Reisekosten wurden von ihnen im voraus gezahlt. Die Reisen, die für die Zeit zwischen dem 10. April und dem 23. Juli 1995 gebucht worden waren, wurden vor Reiseantritt abgesagt.
Nach einer Gemeinschaftsrichtlinie von 1990 über Pauschalreisen muß der Reiseveranstalter nachweisen, «daß im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses die Erstattung gezahlter Beträge und die Rückreise des Verbrauchers sichergestellt sind» (Artikel 7). Nach der Akte über den Beitritt zur Europäischen Union mußte Österreich die Richtlinie spätestens am 1. Januar 1995 durchführen. 1994 erließ Österreich eine Verordnung, durch die Reiseveranstalter zum Abschluß eines Versicherungsvertrags oder zur Erbringung einer Bankgarantie verpflichtet werden. Die Garantiesumme muß mindestens 5 v. H. des maßgeblichen Umsatzes betragen. Die Verordnung ist auf alle Pauschalreisen anwendbar, die nach dem 1. Januar 1995 gebucht wurden und deren Abreisetermin frühestens am 1. Mai 1995 festgesetzt ist.
Drei Abonnenten, die im Jahr 1994 gebucht hatten, erhielten keine Sicherheit, da die Verordnung nur für Pauschalreisen galt, die nach dem 1. Januar 1995 gebucht wurden. Die Zahlungen von drei Abonnenten, die ihre Reisen nach dem 1. Januar 1995 gebucht hatten und diese nach dem 1. Mai 1995 hätten antreten sollen, waren zwar grundsätzlich durch eine entsprechend der Verordnung gewährte Garantie abgesichert. Die vom Reiseveranstalter erbrachte Bankgarantie über 4 000 000 öS reichte jedoch zur Erstattung der von ihnen gezahlten Reisekosten nicht aus, so daß die Deckungsquote sich schließlich auf 25,38 % des gezahlten Betrages belief.
Diese Bürger machen beim Landesgericht Linz die Haftung der Republik Österreich wegen verspäteter und unvollständiger Umsetzung der Richtlinie geltend und verlangen Erstattung sämtlicher von ihnen geleisteter Zahlungen. Die Republik Österreich bestreitet ihre Haftung
Das österreichische Gericht hat dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung der Richtlinie sowie nach den Voraussetzungen für die Haftung des Staates für Schäden, die dem Bürger durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, vorgelegt.
Der Gerichtshof stellt fest, daß die Richtlinie für Reisen gilt, die eine Tageszeitung im Rahmen einer gegen das nationale Wettbewerbsrecht verstoßenden Werbeaktion ausschließlich ihren Abonnenten als Geschenk anbietet und für die der Hauptkontrahent als Einzelreisender die Flughafengebühren und den Einzelzimmerzuschlag oder, wenn er von mindestens einer Person begleitet wird, die den vollen Preis bezahlt, lediglich die Flughafengebühren zahlt. Das Ziel der Richtlinie besteht im Schutz der Verbraucher gegen Risiken, die sich aus der Zahlungsunfähigkeit oder dem Konkurs des Veranstalters von Pauschalreisen ergeben. Diese mit dem Vertrag zwischen dem Verbraucher und dem Veranstalter verbundenen Risiken folgen aus der Vorauszahlung des Pauschalreisepreises und aus der ungeklärten Aufteilung der Haftung zwischen dem Veranstalter und den verschiedenen Leistungsträgern, aus deren Dienstleistungen sich diese Pauschalreise zusammensetzt. Dem Pauschalreisenden steht das Recht zu, daß im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses des Veranstalters die Erstattung der von ihm gezahlten Beträge und seine Rückreise sichergestellt werden. Die Abonnenten der Tageszeitung waren gerade den Risiken ausgesetzt, denen die Richtlinie begegnen soll.
Zur Haftung des Staates gegenüber seinen Bürgern stellt der Gerichtshof fest, daß die Mitgliedstaaten innerhalb der vorgeschriebenen Frist alle erforderlichen Maßnahmen treffen mußten, um für Pauschalreisende ab dem für die Umsetzung der Richtlinie gesetzten Zeitpunkt (für Österreich der 1. Januar 1995) die Erstattung gezahlter Beträge und ihre Rückreise im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses des Veranstalters sicherzustellen. Eine Umsetzungsvorschrift, nach der lediglich Reisende geschützt sind, deren Abreisetermin frühestens auf den 1. Mai 1995 festgesetzt wurde, läuft der Richtlinie zuwider und stellt nach Auffassung des Gerichtshofes einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar. Der vorgesehene Schutz erstreckt sich jedoch nicht auf Reiseverträge, die vor dem für die Umsetzung der Richtlinie vorgeschriebenen Zeitpunkt geschlossen wurden.
Die nationale Regelung beschränkt im übrigen die Höhe der vom Reiseveranstalter zu stellenden Sicherheit. Hierzu weist der Gerichtshof darauf hin, daß die Richtlinie die Verpflichtung aufstellt, die Verbraucher gegen sämtliche genannten Risiken zu schützen, und stellt fest, daß die konkreten von Österreich vorgesehenen Maßnahmen unzureichend waren.
Nach Auffassung des Gerichtshofes stellt die Richtlinie eine Erfolgspflicht auf, nämlich den Pauschalreisenden für den Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses des Reiseveranstalters ein Recht auf die Erstattung gezahlter Beträge und auf Rückreise zu verleihen. Aufgrund dessen kann die Haftung des Mitgliedstaats wegen Verstoßes gegen die Richtlinie nicht durch fahrlässiges Verhalten des Reiseveranstalters oder Eintritt außergewöhnlicher oder unvorhersehbarer Ereignisse ausgeschlossen werden.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. Dieses Dokument liegt in deutscher, englischer und französischer Sprache vor.
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