Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG NR. 48/99

30. Juni 1999

Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts in den Rechtssachen T-13/99R und T-70/99R

Pfizer Animal Health SA/NV/Rat der Europäischen Union und Alpharma Inc/Rat der Europäischen Union

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS IST DER ANSICHT, DASS WIRTSCHAFTLICHE INTERESSEN KEINEN VORRANG VOR DEN ERFORDERNISSEN DES SCHUTZES DER ÖFFENTLICHEN GESUNDHEIT HABEN DÜRFEN


Der Präsident des Gerichts erster Instanz weist zwei Anträge auf Aussetzung der Vollziehung einer Verordnung des Rates zurück, durch die Virginamycin und Zink-Bacitracin aus der Liste der als Zusatzstoffe in der Tierernährung zugelassenen Antibiotika gestrichen worden sind

Die Pfizer Animal Health SA/NV, eine Gesellschaft nach belgischem Recht, ist der einzige Hersteller von Virginiamycin, einem in ihrer Fabrik in Rixensart (Belgien) hergestellten und unter dem Namen "Stafac" vermarkteten Antibiotikum.

Die in den Vereinigten Staaten niedergelassene Gesellschaft Alpharma Inc. stellt ein Zink-Bacitracin genanntes Antibiotikum her, das sie unter der Bezeichnung "Albac" vermarktet.

Sowohl Virginiamycin als auch Zink-Bacitracin sind nach den dafür vorgesehenen Verfahren in das Verzeichnis der Zusatzstoffe aufgenommen worden, die bei der Tierernährung verwendet werden dürfen. Werden diese Zusatzstoffe Zuchttieren regelmäßig verabreicht, so fördern sie das Wachstum der Tiere.

Virginiamycin gehört zu einer Gruppe von Antiobiotika, von denen einige in der Humanmedizin verwendet werden. Zink-Bacitracin wird in der Humanmedizin eingesetzt.

Mit einer am 17. Dezember 1998 erlassenen Verordnung hat der Rat vier Antiobiotika, darunter Virginiamycin und Zink-Bacitracin, aus dem Verzeichnis der in der Tierernährung zugelassenen Zusatzstoffe gestrichen. Diese Verordnung beinhaltet daher ein spätestens am 1. Juli 1999 in Kraft tretendes Verbot der Vermarktung dieser Antibiotika in allen Mitgliedstaaten. Die beiden Hersteller machen vor dem Gericht erster Instanz geltend, diese Verordnung sei rechtswidrig, und beantragen, sie vollständig oder teilweise aufzuheben. Außerdem versuchen sie schon jetzt, die Aussetzung der Durchführung der Verordnung zu erreichen.

In seiner Beurteilung prüft der Präsident des Gerichts, ob die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, nachdem er zunächst festgestellt hat, daß nicht ausgeschlossen werden könne, daß die Firmen Pfizer und Alpharma durch die angefochtene Verordnung trotz des Rechtssatzcharakters dieses Rechtsakts unmittelbar und individuell betroffen seien.

Der Präsident des Gerichts stellt in beiden Beschlüssen fest, daß die jeweilige Firma und der Rat grundlegend unterschiedliche Auffassungen über die Bedingungen verträten, unter denen die zuständigen Stellen die Zulassung eines Antibiotikums als vorsorgliche Maßnahme widerrufen könnten. Die Beantwortung dieser Frage setze eine sehr gründliche Prüfung voraus, die im Rahmen eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nicht durchgeführt werden könne.

Der Präsident würdigt dann, wie dringlich es für die Firmen Pfizer und Alpharma ist, die Aussetzung der Durchführung der Verordnung zu erreichen, und prüft, ob durch die Durchführung dieser Verordnung den Klägerinnen ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden droht. Er ist der Ansicht, daß die beantragte Aussetzung der Durchführung in beiden Rechtssachen nur gerechtfertigt sei, wenn sich ergebe, daß die Firmen Pfizer und Alpharma sich ohne eine solche Maßnahme in einer Lage befänden, in der ihr Bestehen als solches gefährdet oder ihre Marktanteile in einer nicht wiedergutzumachenden Weise verändert werden könnten.

Nach Feststellung des Präsidenten des Gerichts ist dies aber nicht der Fall. Er führt aus, daß die Durchführung der Verordnung nicht zu einer vollständigen Einstellung der Produktion der Antibiotika führen werde, da ihr Verkauf auf anderen Märkten als dem europäischen Markt möglich bleibe, und daß nicht nachgewiesen worden sei, daß das Werk in Rixensart für die Firma Pfizer oder das Werk in Oslo für die Alpharma Inc. infolge des Inkrafttretens der Verordnung würden schließen müssen.

Darüber hinaus relativiert der Präsident des Gerichts die Bedeutung des Vertriebs der beiden Antibiotika, deren Zulassung zurückgenommen worden ist, in bezug auf den erzielten Umsatz. Er merkt schließlich an, daß das Verbot nicht endgültig sei: Eine auf bereits laufende Untersuchungen gestützte Überprüfung sei nämlich vor dem 31. Dezember 2000 vorgesehen.

Der Präsident des Gerichts gelangt zu dem Ergebnis, daß die beiden Unternehmen nicht nachwiesen, daß ihnen ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden drohe, wenn die Durchführung der Verordnung, deren Nichtigerklärung sie im übrigen fordern, nicht sofort ausgeschlossen werde.

Der Präsident des Gerichts wägt dennoch die verschiedenen auf dem Spiel stehenden Interessen gegeneinander ab. Er nimmt Bezug auf das in der neuen Regelung verfolgte Ziel: Kampf gegen die Risiken der Zunahme einer durch die Verwendung bestimmter Antibiotika in der Tierzucht hervorgerufenen antimikrobiellen Resistenz in der Humanmedizin. Der Präsident wägt den Schaden, der den Unternehmen droht, gegenüber dem Schaden für die öffentliche Gesundheit ab und unterstreicht, daß die Erfordernisse der öffentlichen Gesundheit gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen den Vorrang hätten.

Schließlich stellte er in Anbetracht der ihm zur Kenntnis gebrachten Gesichtspunkte fest, daß es nicht unmöglich erscheine, daß Bakterien, die durch die Aufnahme von antibiotischen Zusatzstoffen durch Tiere resistent geworden seien, vom Tier auf den Menschen übertragen würden, und es sei daher nicht ausgeschlossen, daß die Verwendung dieser Zusatzstoffe in der Tierernährung die anti-mikrobielle Resistenz in der Humanmedizin erhöhen könnte.

Die Folgen der Zunahme der antimikrobiellen Resistenz in der Humanmedizin wären Ä falls sie eintreten sollten Ä potentiell sehr schwerwiegend für die öffentliche Gesundheit, da bestimmte Bakterien dadurch, daß sie eine Resistenz entwickelten, mit bestimmten Humanarzneimitteln, insbesondere solchen aus der Virginiamycin- und der Bacitracin-Gruppe, nicht mehr wirksam bekämpft werden könnten.

Gestützt auf das Vorliegen dieser Gefahr weist der Präsident die Anträge auf Aussetzung der Durchführung der Verordnung zurück.

NB: Diese Beschlüsse greifen der Entscheidung, die das Gericht jeweils in der Hauptsache erlassen wird, in keiner Weise vor. Das Gericht wird die diese Rechtssachen betreffenden Urteile zu einem späteren Zeitpunkt erlassen.

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Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Dr. Ulrike Städtler, Tel.: (0 03 52) 43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34.