Ein verheirateter Arbeitnehmer, der in den Niederlanden wohnt und einen bestimmten Prozentsatz der gemeinsamen Einkünfte in Deutschland erzielt, hat nicht automatisch Anspruch auf die nach deutschem Recht vorgesehene Steuervergünstigung des Splitting
Das deutsche Recht sieht zugunsten der verheirateten und nicht dauernd getrennt lebenden unbeschränkt Steuerpflichtigen ein System der Zusammenveranlagung vor. Nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) werden nämlich die Einkünfte, die die Ehegatten erzielt haben, zusammengerechnet, den Ehegatten gemeinsam zugerechnet und, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, die Ehegatten sodann gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt. Die Einkünfte werden also so besteuert, als seien sie von jedem der Ehegatten zur Hälfte erzielt worden. Das bedeutet, daß das Ehepaar bei unterschiedlich hohem Einkommen der Ehepartner steuerlich entlastet wird. Das Splitting-Verfahren führt in Verbindung mit dem progressiven deutschen Steuertarif zu einer steuerlichen Entlastung des betroffenen Ehepaars, die grundsätzlich um so größer ist, je weiter die Einkommen beider Ehegatten differieren.
Das EStG gewährt Eheleuten, die in Deutschland wohnen, die Steuervergünstigung des Splitting, macht die Gewährung dieser Steuervergünstigung an gebietsfremde Eheleute jedoch davon abhängig, daß mindestens 90 % ihres Welteinkommens in diesem Staat der Steuer unterliegen oder, wenn dieser Prozentsatz nicht erreicht wird, daß ihre in diesem Staat nicht der Steuer unterliegenden ausländischen Einkünfte einen bestimmten Betrag nicht überschreiten.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens, Herr Gschwind, ist niederländischer Staatsangehöriger und wohnt mit seiner Familie in den Niederlanden, nahe der deutschen Grenze. In den Jahren 1991 und 1992 war er in Aachen (Deutschland) beschäftigt, während seine Ehefrau in den Niederlanden beschäftigt war.
Er erzielte in jedem dieser Jahre steuerpflichtige Arbeitseinkünfte in Höhe von rund 74 000 DM; dies entsprach etwa 58 % der gemeinsamen Einkünfte. Gemäß dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Niederlanden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Einkommensteuer waren die Einkünfte des Klägers in Deutschland und die seiner Frau in den Niederlanden zu versteuern.
Aufgrund der 1995 eingetretenen Änderung des Besteuerungssystems, die für die noch nicht festgesetzten Steuern galt, veranlagte die deutsche Steuerverwaltung den Kläger 1997 hinsichtlich seiner Einkünfte aus den Jahren 1991 und 1992 als unbeschränkt Steuerpflichtigen, behandelte ihn jedoch wie einen Nichtverheirateten, da nach dem EStG die Einkünfte seiner Ehefrau in den Niederlanden sowohl die absolute Bagatellgrenze von 24 000 DM pro Jahr als auch die Quote von 10 % der kumulierten Gesamteinkünfte des Haushalts überstiegen. Diese Veranlagung hatte für den Kläger eine zusätzliche steuerliche Belastung von 1 012 DM für 1991 und von 724 DM für 1992 im Verhältnis zu den Steuern zur Folge, die er nach dem Splittingtarif gezahlt hätte.
Nachdem sein Einspruch gegen die Steuerbescheide 1991 und 1992 zurückgewiesen worden war, klagte der Kläger beim Finanzgericht Köln und machte geltend, die Verweigerung des Splittingtarifs für verheiratete Gemeinschaftsbürger, die in Deutschland arbeiteten und in einem anderen Mitgliedstaat ansässig seien, verstoße gegen den Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer.
Das Finanzgericht Köln hat das Verfahren ausgesetzt und die Grundsatzfrage dem Gerichtshof vorgelegt.
Der Gerichtshof erachtet eine solche Regelung als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar
Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, daß die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, daß diese ihre Befugnisse jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben und deshalb jede offensichtliche oder versteckte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit unterlassen müssen.
Im Hinblick auf die direkten Steuern befinden sich in einem Mitgliedstaat ansässige Personen und Gebietsfremde in der Regel nicht in einer vergleichbaren Situation, da die Einkünfte, die ein Gebietsfremder im Hoheitsgebiet eines Staates erzielt, meist nur einen Teil seiner Gesamteinkünfte darstellen, deren Schwerpunkt an seinem Wohnort liegt, und da die persönliche Steuerkraft des Gebietsfremden, die sich aus der Berücksichtigung seiner Gesamteinkünfte sowie seiner persönlichen Lage und seines Familienstands ergibt, am leichtesten an dem Ort beurteilt werden kann, an dem der Mittelpunkt seiner persönlichen Interessen und seiner Vermögensinteressen liegt; dieser Ort ist in der Regel der ständige Aufenthaltsort des Betroffenen.
Versagt ein Mitgliedstaat Gebietsfremden bestimmte Steuervergünstigungen, die er Gebietsansässigen gewährt, so ist dies nach Auffassung des Gerichtshofes in Anbetracht der objektiven Unterschiede zwischen der Situation der Gebietsansässigen und derjenigen der Gebietsfremden sowohl hinsichtlich der Einkunftsquelle wie auch hinsichtlich der persönlichen Steuerkraft oder der persönlichen Lage und des Familienstands in der Regel nicht diskriminierend.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteils Schumacker) liegt eine Diskriminierung wegen Nichtberücksichtigung der persönlichen Lage und des Familienstands nur vor, wenn der Gebietsfremde in seinem Wohnsitzstaat keine nennenswerten Einkünfte hat und sein zu versteuerndes Einkommen im wesentlichen aus einer Tätigkeit bezieht, die er im Beschäftigungsstaat ausübt. Zwischen der Situation eines solchen Gebietsfremden und der eines Gebietsansässigen, der eine vergleichbare nichtselbständige Beschäftigung ausübt, besteht nämlich kein objektiver Unterschied, der eine Ungleichbehandlung hinsichtlich der Berücksichtigung der persönlichen Lage und des Familienstands des Steuerpflichtigen bei der Besteuerung rechtfertigen könnte.
Nach Auffassung des Gerichtshofes ist die deutsche Regelung, die gerade die Berücksichtigung der persönlichen Lage und des Familienstands verheirateter gebietsansässiger Arbeitnehmers erlaubt, wenn diese den ganz überwiegenden Teil der Einkünfte des Haushalts in diesem Staat erzielen, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar.
Da im vorliegenden Fall etwa 42 % des Welteinkommens des Klägers und seiner Ehefrau in seinem Wohnsitzstaat erzielt werden, kann dieser Staat die persönliche Lage und den Familienstand des Klägers entsprechend den nach den Rechtsvorschriften dieses Staates vorgesehenen Modalitäten berücksichtigen, da die Besteuerungsgrundlage dort ausreicht, um eine solche Berücksichtigung zuzulassen.
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