Maßstab ist die Gemeinschaftsrichtlinie 79/7/EWG zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit
In Österreich gilt für Frauen und Männer ein unterschiedliches Pensionsalter, und zwar von 65 für Männer und 60 für Frauen. Daneben besteht die Möglichkeit vorzeitiger Alterspensionen, die bereits fünf Jahre vor Erreichung des normalen Pensionsalters in Anspruch genommen werden kann, und zwar aus verschiedenen Rechtsgründen, wie z. B. bei Arbeitslosigkeit bzw. nach einer langen Versicherungsdauer. Für Landwirte gibt es eine Sonderregelung, um die es hier geht.
Herr Buchner und 12 weitere Landwirte, die alle im Zeitraum September 1941 bis Juli 1942 geboren sind, beantragten bei der Sozialversicherungsanstalt der Bauern die Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit. Ihre Anträge wurden abgelehnt, da nach dem österreichischen Bauern-Sozialversicherungsgesetz (idF des Strukturanpassungsgesetzes 1996) bei männlichen Versicherten dafür die Vollendung des 57. Lebensjahres vorgeschrieben ist. Für Frauen gilt das 55. Lebensjahr. Die Kläger meinen, die vom Gesetzgeber erst seit 1.9.1996 eingeführte unterschiedliche Altersregelung für Männer und Frauen widerspreche dem gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz; es bestehe deshalb auch - wie vor dem 1.9.1996 - für Männer ein Anspruch ab dem 55. Lebensjahr.
Die Gesetzesmaterialien führen für die Neuregelung budgetäre Gründe an, nicht zuletzt, um die "Maastricht-Kriterien" erfüllen zu können. Das inzwischen letztinstanzlich befaßte Gericht hat Bedenken, ob die österreichische Regelung mit die Richtlinie 79/7/EWG "zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit" vereinbar ist. Artikel 3 der Richtlinie definiert deren Anwendungsbereich. Gemäß Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a findet die Gleichbehandlungsrichtlinie Anwendung «auf die gesetzlichen Systeme, die Schutz gegen folgende Risiken bieten: Krankheit, Invalidität, Alter, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, Arbeitslosigkeit». Ihr Art. 7 Abs. 1 Buchst. a bestimmt jedoch: "Diese Richtlinie steht nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, folgendes von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen: die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen". Abs. 2 schreibt vor, daß die Mitgliedstaaten in regelmäßigen Abständen die aufgrund des Absatzes 1 ausgeschlossenen Bereiche überprüfen, um festzustellen, ob es unter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung in dem Bereich gerechtfertigt ist, die betreffenden Ausnahmen aufrechtzuerhalten.
Der Österreichische Oberste Gerichtshof hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zunächst gefragt: "Ist Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 79/7/EWG so auszulegen, daß er einem Mitgliedstaat die unterschiedliche Festsetzung des Rentenalters nur für Renten- bzw. Pensionsansprüche erlaubt, die ausschließlich aus dem Risikofall des Alters gewährt werden, oder ist diese Ausnahmeregelung auch auf Renten- bzw. Pensionsansprüche zu beziehen, die zwar erst ab einem bestimmten Alter, aber darüber hinaus nur wegen einer bestehenden Invalidität (Erwerbsunfähigkeit) gewährt werden?"
Der Generalanwalt kommt in seinem - für den Gerichtshof unverbindlichen - Rechtsgutachten zu dem Ergebnis, dass die österreichische Sonderregelung für Landwirte gegen die gemeinschaftsrechtliche Gleichbehandlungsrichtlinie verstöße und damit in den vorliegenden Fällen nicht angewendet werden sollte.
Der Generalanwalt prüft im Hinblick auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Gemeinschaftsrichtlinie zunächst das Merkmal "die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente". Dazu untersucht er, ob es sich im vorliegenden Fall um eine Alters- bzw. Ruhestandspension handelt. Dabei stellt er klar, daß die rechtliche Einordnung der umstrittenen Leistung letztlich eine vom vorlegenden Gericht vorzunehmende Bewertung des mitgliedstaatlichen Rechts ist. Dennoch muß diese Beurteilung gemeinschaftsrechtlichen Parametern folgen, wobei es Aufgabe des Gerichtshofes ist, diese zu bezeichnen.
Nach Art. 3 der Gleichbehandlungsrichtlinie ist diese anwendbar einerseits auf gesetzliche Systeme, die gegen das Risiko des Alters schützen, andererseits auf solche, die bei Invalidität schützen. Der Generalanwalt führt aus, dass bei einer "Leistung bei Alter" wesentliche Anspruchsvoraussetzung die Erreichung des gesetzlichen Rentenalters sei. Für eine «Leistung bei Invalidität» sei hingegen maßgeblich, daß eine regelmäßig dauerhafte Erwerbsunfähigkeit aufgrund körperlicher oder seelischer Gebrechen vorliege. Problematisch könne die Einordnung einer Leistung dann werden, wenn sie Ä wie im vorliegenden Fall Ä sowohl Züge des einen als auch des anderen Risikos aufweise. Dennoch gelte, dass bei "Leistung wegen Alters" nur die ojektive Erreichung eines gewissen Lebensalters, des Rentenalters, erforderlich und ausreichend sei, während beim dem Risiko der Invalidität ein die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigendes Gebrechen objektiv gegeben sein müsse. So verhalte es sich bei der im vorliegenden Fall zu beurteilenden Leistung. Das Kriterium des Alters möge als ein das abzusichernde Risiko verstärkendes Moment hinzutreten.
Der Generalanwalt geht davon aus, daß es sich bei der vorliegend zu qualifizierenden Leistung um eine Leistung bei Invalidität im Sinne des Artikels 3 der Richtlinie 79/7 handele, so daß sie nicht in den Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe a erste Alternative der Richtlinie falle, sondern allenfalls als eine «andere Leistung» betrachet werden könnte, auf die die unterschiedliche Festsetzung des Rentenalters «Auswirkungen» habe.
An diesem Punkt besteht nach Ansicht des Generalanwalts keine "notwendige Verbindung" zwischen der Festsetzung des gesetzlichen Rentenalters und dem Mindestalter für den Zugang zu der «vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit». Zugangsvoraussetzungen und Altersgrenze für die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit seien unabhängig vom allgemeinen System der Alterspension. Einen Berührungspunkt beider Systeme gebe es erst bei Erreichung des gesetzlichen Rentenalters, da dann die Vorruhestandsleistung wegen Erwerbsunfähigkeit durch die regelmäßige Altersrente substituiert werde.
Die österreichische Regierung beruft sich zwar zur Neuregelung auf den Rechtfertigungsgrund der "Kohärenz der Systeme". Nach Ansicht des Generalanwalts ist jedoch vom Standpunkt des gesetzlichen Rentenalters aus betrachtet, das Mindestalter für die Erlangung der umstrittenen Leistung eher inkohärent gewählt: Während es für Frauen auf 55 Jahre festgesetzt wurde und damit fünf Jahre vor der Erreichung des gesetzlichen Rentenalters liege, wurde es für Männer auf 57 Jahre festgelegt, also acht Jahre vor Erreichung des Rentenalters. Zudem könne die österreichische Argumentation nicht darüber hinwegtäuschen, daß vor der umstrittenen Gesetzesänderung eine diskriminierungsfreie, gut funktionierende Regelung bestanden habe, die in dieser Form auch nicht durch das gesetzliche Rentenalter geboten gewesen sei, da die strittige Leistung unabhängig von diesem gewesen sei.
Was den weiter angeführten Rechtfertigungsgrund des finanziellen Gleichgewichts der implizierten Sozialversicherungssysteme betreffe, so sei festzustellen, daß ein Motiv für die Gesetzesreform wirtschaftliche Gründe gewesen seien. Die ins Feld geführten budgetären Überlegungen seien jedoch im Sinne allgemeiner Sparmaßnahmen zur generellen Entlastung des Staatshaushalts zu verstehen, die unabhängig von der Finanzierung und dem wirtschaftlichen Zusammenspiel der betroffenen Sozialleistungen im engeren Sinne zu betrachten seien. Die österreichische Regierung habe jedenfalls keine Argumente vorgetragen, die jenseits der allgemeinen haushaltsmäßigen Überlegungen auf eine Abhängigkeit der Systeme untereinander schließen ließe. Die Erreichung der «Maastricht-Kriterien» sei sicher eine gemeinschaftsrechtlich gebotene Vorgabe gewesen. Dabei biete sie jedoch keine Rechtfertigung, dies auf geschlechtsdiskriminierende Weise zu erreichen. Haushaltserwägungen seien jedenfalls nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ungeeignet, eine Diskriminierung der Geschlechter zu rechtfertigen.
Nach alledem sei das unterschiedliche Zugangsalter für Männer und Frauen zu einer vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit weder als objektiv noch als notwendig mit dem gesetzlichen Rentenalter verbunden zu betrachten. Eine Berufung auf Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a zweite Alternative der Richtlinie zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung sei daher auch ausgeschlossen.
Infolge dessen braucht der Generalanwalt auf die zweite Frage des österreichischen Gerichts zu dieser Vorschrift nicht mehr einzugehen und schlägt dem Gerichtshof vor, dem Obersten Gerichtshof zu antworten: Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 79/7/EWG ist so auszulegen, daß er einem Mitgliedstaat nicht gestattet, die Ausnahmevorschrift auf Leistungen anzuwenden, die zwar erst ab einem bestimmten Alter, aber darüber hinaus nur wegen einer bestehenden Invalidität (Erwerbsunfähigkeit) gewährt werden.
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