Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG NR. 78/99

14. Oktober 1999

Urteil des Gerichts in der Rechtssache T-309/97

The Bavarian Lager Company Ltd / Kommission

DER SCHUTZ DES ÖFFENTLICHEN INTERESSES RECHTFERTIGT DIE VERWEIGERUNG DER EINSICHT IN DEN ENTWURF EINER MIT GRÜNDEN VERSEHENEN STELLUNGNAHME


Im Vereinigten Königreich waren zahlreiche Gastwirte durch Bierlieferungsverträge gebunden, die sie zum Bierbezug bei bestimmten Brauereien verpflichteten. Nach Ansicht der Bavarian Lager Company stellten diese britischen Rechtsvorschriften über Bierlieferung eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung dar. Das Unternehmen erhob deshalb eine Beschwerde bei der Kommission.

Nach Untersuchung des Sachverhalts beschloß die Kommission, gegen das Vereinigte Königreich ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten und ihm eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu übermitteln. Diese Stellungnahme wurde aber nie an das Vereinigte Königreich übersandt, da dieses eine Änderung der fraglichen Vorschriften ankündigte.

Die Kommission teilte dem Unternehmen daraufhin mit, daß das Vertragsverletzungsverfahren ausgesetzt worden sei und endgültig eingestellt werde, sobald die Änderungsvorschriften in Kraft träten.

Die Bavarian Lager Company beantragte gemäß dem Verhaltenskodex über den Zugang der Öffentlichkeit zu Rats- und Kommissionsdokumenten, ihr eine Kopie der "mit Gründen versehenen Stellungnahme" zu übermitteln. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Die Kommission begründete dies damit, daß die Verbreitung der mit Gründen versehenen Stellungnahme den Schutz des öffentlichen Interesses und insbesondere die Wahrnehmung von Inspektions- und Untersuchungsaufgaben durch die Kommission beeinträchtigen könne.

Die Bavarian Lager Company erhob beim Gericht erster Instanz eine Klage auf Nichtigerklärung dieser ablehnenden Entscheidung.

Das Gericht weist zunächst darauf hin, daß die Gemeinschaftsvorschriften über den Zugang der Bürger zu Kommissionsdokumenten von dem Grundsatz ausgehen, daß dieser Zugang so umfassend wie möglich zu gewährleisten ist. Wie das Gericht bereits entschieden habe, könne jedermann Einsicht in jedes unveröffentlichte Kommissionsdokument verlangen, ohne seinen Antrag begründen zu müssen.

Der Verhaltenskodex über den Zugang der Öffentlichkeit zu Rats- und Kommissionsdokumenten sehe jedoch bestimmte Ausnahmen von diesem allgemeinen Grundsatz vor. Eine dieser Ausnahmen diene dem Schutz des öffentlichen Interesses, beispielsweise an der Wahrnehmung von Inspektions- und Untersuchungsaufgaben.

Das Gericht stellt fest, daß diese Ausnahme allerdings nicht sämtliche mit einem Vertragsverletzungsverfahren zusammenhängende Dokumente erfasse. Der Schutz des öffentlichen Interesses rechtfertige nur die Ablehnung des Zugangs zu Dokumenten, die sich auf Untersuchungen bezögen, die gegebenenfalls zu einem Vertragsverletzungsverfahren führen könnten.

Das Gericht stellt weiter fest, daß die Qualifizierung des Schriftstücks, das die Klägerin einsehen möchte, als "mit Gründen versehene Stellungnahme" verfehlt sei. Tatsächlich handele es sich um einen Entwurf für eine solche Stellungnahme, der von den Kommissionsdienststellen zu dem Zweck ausgearbeitet worden sei, ihn dem Vereinigten Königreich zu übermitteln. Die Kommission habe ihren Beschluß, eine solche Stellungnahme an das Vereinigte Königreich zu richten, aber ausgesetzt, und so sei das Schriftstück letztlich weder vom zuständigen Kommissionsmitglied unterzeichnet noch dem Vereinigten Königreich zugestellt worden. Es sei deshalb bei einem bloßen Entwurf geblieben.

Da es sich nur um einen Entwurf gehandelt und die Kommission zu dem Zeitpunkt, zu dem die Einsichtnahme in dieses Dokument beantragt worden sei, ihre Entscheidung, eine mit Gründen versehene Stellungnahme an das Vereinigte Königreich zu richten, ausgesetzt gehabt habe, kommt das Gericht zu dem Ergebnis, daß sich das Vertragsverletzungsverfahren gegen das Vereinigte Königreich noch im Stadium der Inspektion und Untersuchung befunden habe. Komme es jedoch während der Verhandlungen zwischen der Kommission und dem betroffenen Mitgliedstaat zur Verbreitung von Dokumenten über das Untersuchungsstadium, so könne dies die ordnungsmäßige Durchführung des Vertragsverletzungsverfahrens beeinträchtigen und die der Kommission obliegende Vertraulichkeitspflicht verletzen. Zwischen der Kommission und dem betroffenen Mitgliedstaat seien eine offene Zusammenarbeit und ein Klima gegenseitigen Vertrauens unerläßlich, um ihnen im Wege von Verhandlungen eine Beilegung der Streitigkeit zu ermöglichen.

Das Gericht entschied deshalb, daß der Schutz des öffentlichen Interesses die Verweigerung der Einsicht in einen Entwurf rechtfertige, der sich auf das Untersuchungsstadium in einem Vertragsverletzungsverfahren beziehe.

N.B.: Gegen dieses Urteil des Gerichts kann innerhalb von zwei Monaten nach seiner Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eingelegt werden.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das das Gericht erster Instanz nicht bindet. Dieses Dokument liegt in französischer, deutscher, englischer, schwedischer, finnischer und dänischer Sprache vor.

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