Die ohne Unterschied auf italienische Staatsangehörige und Ausländer anwendbaren Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit sind zulässig, wenn sie aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls, wie dem Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung, gerechtfertigt sind und wenn sie zu den verfolgten Zielen im angemessenen Verhältnis stehen
Herr Zenatti ist als italienischer Mittelsmann der SSP Overseas Betting Ltd tätig, eines Unternehmens mit Sitz im Vereinigten Königreich, das auf die Annahme von Wetten über Sportereignisse spezialisiert ist. Herr Zenatti leitet ein Datenübertragungszentrum für die italienischen Kunden von Overseas: Er übermittelt von den Kunden ausgefüllte Formulare mit dem Beleg von Banküberweisungen nach London und erhält im Gegenzug von Overseas Informationen, die er an die Kunden weiterleitet.
Im April 1997 verfügte der Polizeipräfekt der Provinz Verona, daß Herr Zenatti seine Tätigkeit einzustellen habe: Sie sei nach italienischem Recht nicht genehmigungsfähig.
Das italienische Recht sieht nämlich ein allgemeines Verbot der Annahme von Wetten vor. Nur bestimmte Einrichtungen dürfen sie unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise organisieren, vorausgesetzt, daß die aus den Wetten stammenden Einnahmen für die Entwicklung sportlicher Aktivitäten verwendet werden. Die Mißachtung dieses Verbots ist auch strafbar.
Das Verwaltungsgericht, an das Herr Zenatti sich gewandt hatte, setzte die Vollziehung der Verfügung des Polizeipräfekten aus, der seinerseits gegen den Aussetzungsbeschluß ein Rechtsmittel zum höchsten italienischen Verwaltungsgericht, dem Consiglio di Stato, einlegte.
Der Consiglio di Stato hat den Gerichtshof angerufen, um überprüfen zu lassen, ob die Gemeinschaftsvorschriften auf dem Gebiet der Dienstleistungsfreiheit den italienischen Rechtsvorschriften entgegenstehen.
Der Gerichtshof hat schon früher entschieden, daß die Mitgliedstaaten Lotterien und andere Glücksspiele aus sittlichen, religiösen oder kulturellen Erwägungen restriktiven Regelungen unterwerfen dürfen: Es steht somit im Ermessen der Mitgliedstaaten, zu verhindern, daß diese Spiele zu einer Quelle persönlicher Bereicherung werden, und die Gefahr von Betrug und anderen Straftaten sowie alle schädlichen persönlichen und sozialen Folgen zu begrenzen.
Wetten über Sportwettkämpfe, das Tätigkeitsfeld des Herrn Zenatti, sind, auch wenn sie nicht als reine Glücksspiele angesehen werden können, mit echten Lotterien vergleichbar, da sie eine Chance auf einen Geldgewinn bieten. Das italienische Recht verbietet die Annahme von Wetten jedoch nicht vollständig: Es behält das Recht hierzu bestimmten Organisationen vor, sofern sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen.
Da einer der Leistungsanbieter in einem anderen Mitgliedstaat als dem niedergelassen ist, in dem die Leistung angeboten wird, hat der Fall grenzüberschreitenden Charakter und die Gemeinschaftsvorschriften über die Dienstleistungsfreiheit sind anwendbar. Die italienischen Rechtsvorschriften stellen für den Gerichtshof durchaus ein Hindernis für die Dienstleistungsfreiheit dar, auch wenn sie ohne Unterschied danach auf die Marktbeteiligten anwendbar sind, ob sie in Italien oder in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind.
In bestimmten Fällen erlaubt der EG-Vertrag Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit aus Gründen der öffentlichen Ordnung. Wenn es sich Ä wie hier Ä um ohne Unterschied anwendbare Einschränkungen handelt, können sie auch aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt sein, vorausgesetzt, daß sie im angemessenen Verhältnis zu den Zielen stehen, auf die sie gerichtet sind.
Zu verhindern, daß diese Spiele eine Quelle persönlicher Bereicherung darstellen; die Gefahr von Betrug und anderen Straftaten sowie die schädlichen persönlichen und sozialen Folgen zu vermeiden; die Spiele nur zu erlauben, wenn sie geeignet sind, gesellschaftlichen Nutzen (z. B. für die zweckentsprechende Durchführung eines Sportwettkampfs) zu stiften: Das sind Ziele, die Ä in ihrer Gesamtheit gewürdigt Ä auf den Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung gerichtet sind.
Die durch Rechtsvorschriften wie die italienischen auferlegten Beschränkungen sind daher nach Ansicht des Gerichtshofes zulässig, wenn sie wirklich dem Ziel dienen, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern, und wenn die Finanzierung sozialer Aktivitäten durch eine Abgabe auf die Einnahmen aus genehmigten Spielen nur eine Nebenfolge der betreffenden Regelung ist.
Nach Auffassung des Gerichtshofes ist es Sache des nationalen Gerichts, das den Fall vorgelegt hat, zu überprüfen, ob die nationalen Rechtsvorschriften angesichts ihrer konkreten Anwendungsmodalitäten wirklich Zielen dienen, mit denen sie gerechtfertigt werden können, und ob die in ihnen enthaltenen Beschränkungen nicht außer Verhältnis zu diesen Zielen stehen.
NB8 weitere Vorabentscheidungsverfahren, die entsprechende Fälle betreffen und vom Consiglio di Stato eingeleitet wurden, sind zur Zeit beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängig.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. Dieses Dokument liegt in deutscher, englischer, französischer und italienischer Sprache vor.
Wegen des vollständigen Wortlauts des Urteils konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet www.curia.eu.int
Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Dr. Ulrike Städtler, Tel.: (0 03 52) 43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34.