In seinen Schlußanträgen schlägt der Generalanwalt dem Gerichtshof vor, die deutschen Rechtsvorschriften, wonach Frauen in Kampfeinheiten der Bundeswehr grundsätzlich nicht als Freiwillige dienen dürfen, für unvereinbar mit der Gleichbehandlungsrichtlinie zu erklären
Frau Tanja Kreil, die ausgebildete Energieelektronikerin für Anlagentechnik ist, bewarb sich 1996 für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr mit dem Verwendungswunsch "Instandsetzung (Elektronik)". Ihre Bewerbung wurde mit der Begründung abgelehnt, nach dem Gesetz dürften Frauen keinen Dienst mit der Waffe leisten und deshalb in der Bundeswehr nur im Sanitäts- und Militärmusikdienst beschäftigt werden.
Das Verwaltungsgericht Hannover, bei dem Frau Kreil gegen die Ablehnung ihrer Bewerbung klagte, legte dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Frage vor, ob eine solche nationale Regelung mit der Gemeinschaftsrichtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen vereinbar sei.
Die deutschen Rechtsvorschriften (des Soldatengesetzes, der Soldatenlaufbahnverordnung und des Grundgesetzes) schließen Frauen von einer Beschäftigung bei der Bundeswehr weitgehend aus und bewirken damit eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts.
Es stellt sich deshalb die Frage, ob diese Regelung durch eine der in der Richtlinie selbst zugelassenen Ausnahmen vom Verbot der Ungleichbehandlung gedeckt ist. Die Richtlinie gestattet eine solche Ausnahme, wenn das Geschlecht aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine unabdingbare Voraussetzung für diese Tätigkeit ist. Als weitere Ausnahme erlaubt die Richtlinie auch Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft.
Die Bundesregierung hat zur Rechtfertigung der fraglichen Regelung ausgeführt, der deutsche Verfassungsgeber habe - vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte dieses Jahrhunderts - seit 1956 das rechtspolitische Ziel verfolgt, sicherzustellen, daß Frauen auf keinen Fall als Kombattanten feindlicher Waffenwirkung ausgesetzt würden oder das Los von Kriegsgefangenen erlitten.
Der Generalanwalt vertritt die Auffassung, eine Ausnahme vom Grundprinzip der Gleichbehandlung könne nicht auf allgemeine Erwägungen sozialer und politischer Art, wie die deutsche Regierung sie anführe, gestützt werden. Eine so weite Ausnahme sei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht zulässig. Eine Ausnahme von dem Grundsatz der Gleichbehandlung dürfe sich vielmehr stets nur auf spezielle berufliche Tätigkeiten beziehen, für deren Ausübung das Geschlecht eine unabdingbare Voraussetzung darstelle.
Der Ausschluß von Frauen von der Bundeswehr sei aber nicht auf spezifische Bereiche beschränkt, sondern gelte für alle Bereiche (außer dem Sanitäts- und Militärmusikdienst) und sei deshalb allgemeiner Art. Dies lasse sich aber nur rechtfertigen, wenn nachgewiesen werden könne, daß das männliche Geschlecht eine unabdingbare Voraussetzung für die Verwendung in sämtlichen Kampfeinheiten sei; diesen Nachweis habe die Bundesregierung aber nicht erbracht.
Der Generalanwalt schlägt dem Gerichtshof deshalb vor, festzustellen, daß die Gleichbehandlungsrichtlinie einer Regelung wie der deutschen entgegensteht, die Frauen von der Einstellung in sämtlichen Kampfeinheiten der Streitkräfte ausschließt.
Falls der Gerichtshof die deutsche Regelung jedoch für richtlinienkonform halte, so habe das nationale Gericht festzustellen, ob die Ablehnung der Bewerbung von Frau Kreil tatsächlich begründet sei und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspreche. In diesem Zusammenhang bezweifelt der Generalanwalt, daß durch den Ausschluß von Frauen von der Bundeswehr tatsächlich sichergestellt werden könne, daß sie auf keinen Fall als Kombattanten feindlicher Waffenwirkung ausgesetzt würden. So habe etwa die zivile Bundeswehrverwaltung 142 000 Beschäftigte, darunter 49 500 Frauen, von denen anzunehmen sei, daß sie vielfach Seite an Seite mit Soldaten arbeiteten. Der Ausschluß von Frauen zu ihrem eigenen Schutz widerspreche möglicherweise auch ihrer Verwendung in Polizei und Feuerwehr.
Die Schlußanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend. Seine Aufgabe besteht darin, dem Gerichtshof in voller Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag zu unterbreiten.
Die Presse- und Informationsabteilung weist darauf hin, daß heute das Urteil in der Rechtssache C-273/97, Sirdar/The Army Board und Secretary of State for Defence, verkündet wurde, dem ein Vorabentscheidungsersuchen des Industrial Tribunal Bury St. Edmunds zugrunde liegt. Frau Sirdar, die seit 1983 als Köchin bei den britischen Streitkräften beschäftigt war, hatte 1994 ihre Versetzung zur Marineinfanterie (Royal Marines) beantragt. Ihre Bewerbung war abgelehnt worden.
Der Gerichtshof stellte fest, daß die Gleichbehandlungsrichtlinie für den Bereich der Streitkräfte gelte und insoweit keine allgemeine Ausnahme bestehe. Ein Ausschluß von Frauen sei jedoch in ganz bestimmten Fällen für spezielle Kampfeinheiten wie die britische Marineinfanterie zulässig.
Nähere Informationen enthält die Pressemitteilung über diese Rechtssache.
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