Abteilung Presse und Information

PRESSEMITTEILUNG NR. 87/99

28. Oktober 1999

Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-6/98

Arbeitsgemeinschaft Deutscher Rundfunkanstalten (ARD) / Pro Sieben Media AG (Pro Sieben), unterstützt durch SAT 1 Satellitenfernsehen GmbH (SAT 1) und Kabel 1 K 1 Fernsehen GmBH (Kabel 1)

EIN MITGLIEDSTAAT KANN EINE REGELUNG ERLASSEN, DIE DIE ZAHL DER WERBEUNTERBRECHUNGEN VON FILMEN IM FERNSEHEN BESCHRÄNKT


Der Gerichtshof äußert sich zur Anwendung des Brutto- und des Nettoprinzips

Die ARD besteht aus elf öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten (Kläger), die gemeinsam für das Fernsehprogramm der ARD verantwortlich sind. Pro Sieben (Beklagte), SAT 1 und Kabel 1 (Streithelferinnen) sind private Fernsehveranstalter in Deutschland.

Die Kläger und die Beklagte, unterstützt durch die Streithelferinnen, streiten über die nach der deutschen Regelung (Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinigten Deutschland; kurz: Rundfunkstaatsvertrag) zulässige Zahl von Werbeunterbrechungen bei Kinospielfilmen, die von privaten Fernsehveranstaltern ausgestrahlt werden.

Hierzu werden zwei Auslegungen vertreten, das Bruttoprinzip und das Nettoprinzip. Nach dem von der Beklagten und den Streithelferinnen befürworteten Bruttoprinzip ist in den Referenzzeitraum, für den die zulässige Zahl der Unterbrechungen berechnet wird, die Dauer der Werbung einzubeziehen. Nach dem von den Klägern befürworteten Nettoprinzip darf nur die Dauer der Werke als Berechnungsgrundlage dienen. Die Anwendung des Bruttoprinzips erlaubt unter bestimmten Umständen mehr Werbeunterbrechungen als die des Nettoprinzips.

Mit Urteil vom 10. Oktober 1996 gab das Landgericht Stuttgart der Beklagten auf Antrag der Kläger auf, es zu unterlassen, die Ausstrahlung von Kinospielfilmen und Fernsehfilmen, die bei Berechnung unter Ausschluß zwischengeschalteter Werbezeiten (Nettoprinzip) nicht länger als 45 Minuten dauern, durch Werbung zu unterbrechen oder längere audiovisuelle Werke öfter als einmal je vollständigem 45-Minuten-Zeitraum durch Werbung zu unterbrechen.

In ihrer Berufung vor dem Oberlandesgericht machte die Beklagte geltend, selbst wenn nach dem deutschen Recht das Nettoprinzip gelten sollte, stehe dies im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht (insbesondere zur Richtlinie über die Ausübung der Fernsehtätigkeit und zu zahlreichen Vorschriften des EG-Vertrags). Das Oberlandesgericht Stuttgart hat dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des einschlägigen Gemeinschaftsrechts vorgelegt.

Die luxemburgische, die niederländische, die portugiesische, die schwedische, die britische, die französische und die italienische Regierung haben in diesem Verfahren Erklärungen abgegeben. Der Gerichtshof antwortet, daß die Gemeinschaftsrichtlinie zwar die Anwendung des Bruttoprinzips vorsieht (Einbeziehung der Werbedauer in den Referenzzeitraum bei der Berechnung der Zahl der Unterbrechungen), den Mitgliedstaaten jedoch erlaubt, für die ihrer Rechtshoheit unterworfenen Fernsehveranstalter das Nettoprinzip vorzusehen (Nichteinbeziehung der Werbedauer bei der Berechnung des Referenzzeitraums, der als Grundlage für die Zahl der zulässigen Unterbrechungen dient).

Der Gerichtshof stellt schließlich fest, daß eine nationale Regelung, die die Anwendung des Nettoprinzips auf die Fernsehveranstalter vorsieht, die der Rechtshoheit des betreffenden Mitgliedstaats unterworfen sind, nicht im Widerspruch zu Gemeinschaftsvorschriften, insbesondere denen über den freien Dienstleistungsverkehr, steht.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet. Dieses Dokument ist in allen Amtssprachen verfügbar.

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Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an Frau Dr. Ulrike Städtler, Tel.: (0 03 52) 43 03 - 32 55; Fax: (0 03 52) 43 03 - 27 34.