Zum Zweck des Schutzes der Arbeitnehmer gilt das günstigere Sozialrecht eines Mitgliedstaats für jeden abhängig Beschäftigten, der im Hoheitsgebiet dieses Staates arbeitet. Im übrigen sind zusätzliche soziale und administrative Bestimmungen, die der Aufnahmestaat den Unternehmen vorschreibt, nicht gerechtfertigt, wenn die vorübergehend dorthin entsandten Arbeitnehmer in ihrem Herkunftsstaat einen gleichwertigen sozialen Schutz genießen.
Die französischen Bauunternehmen Arblade und Leloup führten in Belgien Arbeiten aus und entsandten zu diesem Zweck zwischen 1991 und 1993 Arbeitnehmer an die betreffenden Orte.
Bei Kontrollen verlangten die Dienststellen der belgischen Inspection des lois sociales die Vorlage verschiedener im nationalen Recht vorgesehener Personalunterlagen.
Gegen Arblade und Leloup wurden wegen Nichtvorlage dieser Unterlagen Strafverfahren beim Tribunal correctionnel eingeleitet. Die beiden Unternehmen machen geltend, daß sie den französischen Rechtsvorschriften nachgekommen seien und daß die belgischen Rechtsvorschriften eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellten.
Das Tribunal correctionnel fragt den Gerichtshof nach der Vereinbarkeit der belgischen Vorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht.
Der Gerichtshof vertritt zunächst die Auffassung, daß die Qualifizierung der betreffenden belgischen Gesetze als "Polizei- und Sicherheitsgesetze" sie nicht bereits von der Beachtung des Gemeinschaftsrechts ausnehme.
Der Gerichtshof erinnert an seine Rechtsprechung zur zwingenden Beseitigung jeder Diskriminierung der in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden und jeder Beschränkung, die geeignet ist, die Tätigkeit dieser Dienstleistenden, die in ihrem Herkunftsstaat rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringen, zu behindern. Zwar könne der soziale Schutz der Arbeitnehmer einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung des fundamentalen Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertige, rein administrative Erwägungen rechtfertigten dagegen keine Abweichung.
Die Mitgliedstaaten könnten (durch Rechtsvorschriften und Tarifverträge) die Zahlung von Mindestlöhnen an abhängig Beschäftigte vorsehen, die, und sei es auch nur vorübergehend, in ihr Hoheitsgebiet entsandt worden seien. Diese Verpflichtung sei unter der Kontrolle durch das nationale Gericht anzuwenden und könne nur mit geeigneten Mitteln durchgesetzt werden, wobei Strafverfolgungen nur möglich seien, soweit die verletzten Vorschriften hinreichend klar und genau seien.
Würden Arbeitgeberbeiträge vom Arbeitgeber verlangt, so müsse das nationale Gericht prüfen, ob sie für die betreffenden Arbeitnehmer (die abhängig Beschäftigten, die in den Staat entsandt worden seien, in dem die Arbeiten ausgeführt würden) einen Anspruch auf eine soziale Vergünstigung begründeten und ob die Arbeitnehmer nicht bereits im Mitgliedstaat der Niederlassung des Unternehmens einen im wesentlichen vergleichbaren Schutz genössen. Andernfalls stelle eine solche Verpflichtung in Wirklichkeit eine Ungleichbehandlung gegenüber den im Aufnahmemitgliedstaat ansässigen Arbeitgebern dar, durch die die Unternehmen davon abgehalten werden könnten, ihre Dienstleistungen in diesem Staat zu erbringen. Damit sie zulässig sei, müsse die Zahlung dieser Beiträge von allen Dienstleistenden verlangt werden, die im nationalen Hoheitsgebiet tätig seien.
Schließlich unterlägen Arblade und Leloup bereits in Frankreich, wenn nicht den gleichen, so doch zumindest vergleichbaren Verpflichtungen bezüglich des Grundsatzes und der Führung von Personalunterlagen für dieselben Beschäftigungszeiten und dieselben Arbeitnehmer. Die Verpflichtung zur Führung zusätzlicher Unterlagen im Aufnahmemitgliedstaat stelle aufgrund der damit verbundenen administrativen Kosten und Belastungen eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Zwar könne der Schutz der Arbeitnehmer, insbesondere im Bereich der Gesundheit, die Bereithaltung bestimmter Unterlagen auf der Baustelle zur Erleichterung der Kontrolle durch die Behörden des Aufnahmestaats rechtfertigen, doch müßten die nationalen Gerichte prüfen, ob das verfolgte Ziel nicht dadurch erreicht werden könne, daß innerhalb einer angemessenen Frist im Niederlassungsmitgliedstaat geführte gleichartige Unterlagen vorgelegt würden (oder Kopien davon auf der Baustelle oder an einem zugänglichen Ort bereitgehalten würden).
Die Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs, die die Notwendigkeit der Bereithaltung der Unterlagen für die nationalen Kontrollbehörden möglicherweise darstelle, könne aber niemals durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sein, die Erfüllung der Überwachungsaufgabe der Behörden des Staates im allgemeinen zu erleichtern (im vorliegenden Fall seien weder die Notwendigkeit, die Personalunterlagen fünf Jahre lang im nationalen Hoheitsgebiet aufzubewahren, noch die Notwendigkeit, sie am Wohnsitz einer natürlichen Person aufzubewahren, gerechtfertigt).
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