Language of document : ECLI:EU:T:2008:420

URTEIL DES GERICHTS (Achte Kammer)

8. Oktober 2008(*)

„Nachträgliche Erhebung von Einfuhrabgaben – Zucker aus Kroatien – Art. 220 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 – Im Amtsblatt veröffentlichter Hinweis für Einführer – Gutgläubigkeit“

In der Rechtssache T‑51/07

Agrar-Invest-Tatschl GmbH mit Sitz in St. Andrä im Lavanttal (Österreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte U. Schrömbges und O. Wenzlaff,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Alcover San Pedro und S. Schønberg als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt B. Wägenbaur,

Beklagte,

betreffend einen Antrag auf teilweise Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission K(2006) 5789 endg. vom 4. Dezember 2006

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZDER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Achte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin M. E. Martins Ribeiro sowie der Richter N. Wahl und A. Dittrich (Berichterstatter),

Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. April 2008

folgendes

Urteil

1        Die Klägerin wendet sich gegen die an die Republik Österreich gerichtete Entscheidung der Kommission K(2006) 5789 endg. vom 4. Dezember 2006 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung), soweit die Kommission darin zum einen feststellt, dass die von der Klägerin, der Agrar‑Invest‑Tatschl GmbH, geschuldeten Einfuhrabgaben in Höhe von 110 937,60 Euro für die Einfuhr von Zucker aus Kroatien nachträglich buchmäßig zu erfassen seien, und zum anderen, dass deren Erlass nicht gerechtfertigt sei.

 Rechtlicher Rahmen

2        Art. 220 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex) in seiner durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 (ABl. L 311, S. 17) geänderten Fassung bestimmt:

„Außer in den Fällen gemäß Artikel 217 Absatz 1 Unterabsätze 2 und 3 erfolgt keine nachträgliche buchmäßige Erfassung, wenn

a)      …

b)      der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist, sofern dieser Irrtum vom Zollschuldner vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat.

Wird der Präferenzstatus einer Ware im Rahmen eines Systems der administrativen Zusammenarbeit unter Beteiligung der Behörden eines Drittlands ermittelt, so gilt die Ausstellung einer Bescheinigung durch diese Behörden, falls sich diese Bescheinigung als unrichtig erweist, als ein Irrtum, der im Sinne des Unterabsatzes 1 vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte.

Die Ausstellung einer unrichtigen Bescheinigung stellt jedoch keinen Irrtum dar, wenn die Bescheinigung auf einer unrichtigen Darstellung der Fakten seitens des Ausführers beruht, außer insbesondere dann, wenn offensichtlich ist, dass die ausstellenden Behörden wussten oder hätten wissen müssen, dass die Waren die Voraussetzungen für eine Präferenzbehandlung nicht erfüllten.

Der Abgabenschuldner kann Gutgläubigkeit geltend machen, wenn er darlegen kann, dass er sich während der Zeit des betreffenden Handelsgeschäfts mit gebotener Sorgfalt vergewissert hat, dass alle Voraussetzungen für eine Präferenzbehandlung erfüllt worden sind.

Der Abgabenschuldner kann Gutgläubigkeit jedoch nicht geltend machen, wenn die Kommission in einer Mitteilung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften darauf hingewiesen hat, dass begründete Zweifel an der ordnungsgemäßen Anwendung der Präferenzregelung durch das begünstigte Land bestehen.“

3        Art. 239 des Zollkodex lautet:

„(1)      Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben können in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden; diese Fälle

–        werden nach dem Ausschussverfahren festgelegt;

–        ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. Die Erstattung oder der Erlass kann von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden.

(2)      Die Erstattung oder der Erlass der Abgaben aus den in Absatz 1 genannten Gründen erfolgt auf Antrag; dieser ist innerhalb von zwölf Monaten nach der Mitteilung der Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen.“

 Sachverhalt

4        Die Klägerin ist ein in Österreich ansässiges Unternehmen, das mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen handelt. Zwischen dem 20. September 2001 und dem 8. August 2002 führte sie 76 Zuckerladungen aus Kroatien ein. Die Einfuhren Nrn. 1 bis 67 sind nicht Gegenstand der vorliegenden Klage. Der Rechtsstreit betrifft lediglich die nachträgliche buchmäßige Erfassung der Einfuhrabgaben für die neun Einfuhren Nrn. 68 bis 76 (im Folgenden: streitige Einfuhren) und den eventuellen Erlass dieser Abgaben. Diese Einfuhren fanden zwischen dem 1. Juli und dem 8. August 2002 statt.


5        Die streitigen Einfuhren erfolgten auf der Grundlage des „Interimsabkommen[s] über Handel und Handelsfragen zwischen der Europäischen Gemeinschaft einerseits und der Republik Kroatien andererseits“ (ABl. 2001, L 330, S. 3, im Folgenden: Interimsabkommen). Dieses Abkommen sieht u. a. eine präferenzielle Behandlung von Zucker aus Kroatien vor, sofern die kroatischen Behörden eine Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 (im Folgenden: Bescheinigung EUR.1) ausstellen und diese bei den Zollbehörden des Einfuhrlands vorgelegt worden ist.

6        Am 2. April 2002 teilte das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) der Kommission mit, dass ein Verdacht auf Verwendung falscher Ursprungsnachweise für präferenzielle Zuckereinfuhren aus bestimmten Westbalkanländern bestehe.

7        Die Kommission erklärte am 26. Juni 2002 im Wege eines „Hinweis[es] für Einführer“ (ABl. 2002, C 152, S. 14), dass hinsichtlich der ordnungsgemäßen Anwendung von Präferenzregelungen für u. a. Zucker aus Kroatien begründete Zweifel bestünden. Sie führte in diesem Hinweis ferner aus, dass eine bedeutende Zunahme der Präferenzeinfuhren von Zucker aus Kroatien und den Balkanländern zu beobachten gewesen sei, obwohl die betroffenen Länder noch in jüngster Vergangenheit ein Defizit in der Zuckererzeugung aufgewiesen hätten. Die Kommission setzte die Wirtschaftsbeteiligten der Gemeinschaft daher davon in Kenntnis, dass sie alle erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen müssten und dass die Überführung der Waren in den zollrechtlich freien Verkehr zur Entstehung einer Zollschuld und zu gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft verstoßendem Betrug führen könne.

8        Sämtliche streitigen Einfuhren erfolgten nach der Veröffentlichung dieses Hinweises im Amtsblatt.

9        Auf Ersuchen der österreichischen Zollverwaltung führten die kroatischen Zollbehörden zwischen dem 23. Juli 2002 und dem 16. September 2003 eine nachträgliche Prüfung der von der Klägerin bei den streitigen Einfuhren vorgelegten Bescheinigungen EUR.1 durch, wie es in Art. 32 des Protokolls Nr. 4 zum Interimsabkommen vorgesehen ist.

10      Im Anschluss an diese Nachprüfungen bestätigte die kroatische Zollverwaltung die Echtheit und Richtigkeit der für die streitigen Einfuhren ausgestellten Bescheinigungen EUR.1, und zwar am 18. Februar 2003 für die streitigen Einfuhren Nrn. 68 bis 72 und am 16. September 2003 für die streitigen Einfuhren Nrn. 73 bis 76.

11      Nach der Veröffentlichung des Hinweises für Einführer untersuchte das OLAF in Griechenland Zucker angeblich kroatischen Ursprungs, wobei sich herausstellte, dass der untersuchte Zucker aus einer Mischung von Rohr- und Rübenzucker bestand, was einen kroatischen Ursprung eindeutig ausschloss. Am 28. Oktober 2002 unterrichtete das OLAF die Mitgliedstaaten davon.

12      Im Juni 2003 führte das OLAF eine Untersuchung bei dem kroatischen Zuckerhersteller IPK Tvornica Šećera Osijek d.o.o. durch und stellte fest, dass dieses Unternehmen, bei dem die Klägerin Zucker gekauft hatte, bei der Produktion auch eingeführten Rohrzucker verwendete, ohne dass dabei zwischen den einzelnen Zuckermengen differenziert werden konnte.

13      Daraufhin widerriefen die kroatischen Behörden sämtliche zwischen dem 14. September 2001 und dem 17. September 2002 ausgestellten Bescheinigungen EUR.1. Am 30. Juni 2004 setzten die österreichischen Behörden die betroffenen Importeure von dem Widerruf in Kenntnis.

14      Infolge dieses Widerrufs richtete die zuständige österreichische Zollbehörde am 9. August 2004 einen Nacherhebungsbescheid in Höhe von 916 807,21 Euro an die Klägerin.

15      Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin vor dem zuständigen österreichischen Gericht einen Rechtsbehelf ein und beantragte gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex, von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung des in dem Nacherhebungsbescheid angegebenen Betrags abzusehen, und hilfsweise auf der Grundlage des Art. 239 des Zollkodex, diesen Betrag zu erlassen.

16      Mit Schreiben vom 1. Juni 2005 ersuchte die Republik Österreich die Kommission, gemäß den vorgenannten Artikeln zu entscheiden, ob es im Fall der Klägerin gerechtfertigt sei, von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung der Einfuhrabgaben abzusehen, und hilfsweise, ob der Erlass dieser Abgaben gerechtfertigt sei.

17      Die Kommission führte in der angefochtenen Entscheidung aus, dass hinsichtlich der Einfuhren Nrn. 1 bis 67 von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung der Abgaben abzusehen sei, lehnte dies, ebenso wie einen Erlass der Abgaben, jedoch für die streitigen Einfuhren, d. h. für einen Zollschuldbetrag von insgesamt 110 937,60 Euro, ab.

18      Die Kommission begründet dies im Wesentlichen damit, dass die zuständigen kroatischen Behörden gewusst hätten oder zumindest hätten wissen müssen, dass die Ware die Voraussetzungen für eine Präferenzbehandlung nach dem Interimsabkommen nicht erfüllt habe, und dass ihnen deshalb ein Irrtum im Sinne von Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex unterlaufen sei. Da jedoch am 26. Juni 2002 ein Hinweis für Einführer veröffentlicht worden sei, habe sich die Klägerin in Bezug auf die nach diesem Datum getätigten Einfuhren nicht auf ihre Gutgläubigkeit berufen können. Dass die kroatischen Behörden die Gültigkeit bestimmter Bescheinigungen EUR.1 nach der Veröffentlichung dieses Hinweises bestätigt hätten, sei insoweit unerheblich. Denn zu dem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin die streitigen Einfuhren getätigt habe, habe sie um die Risiken, die sie eingegangen sei, gewusst, und die Bestätigung der Gültigkeit der betreffenden Bescheinigungen habe nachträglich kein berechtigtes Vertrauen begründen können, denn dies würde die Bestimmungen des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 5 des Zollkodex ihres Sinnes entleeren.

 Verfahren und Anträge der Parteien

19      Mit am 22. Februar 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

20      Auf den Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Achte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

21      Die Beteiligten haben in der Sitzung vom 2. April 2008 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

22      Die Klägerin beantragt,

–        Art. 1 Abs. 2 und 3 der angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären;

–        die Kommission zu der Entscheidung zu verpflichten, dass von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung von Einfuhrabgaben in Höhe von 110 937,60 Euro für die streitigen Einfuhren abzusehen ist;

–        hilfsweise zu dem zweiten Antrag, die Kommission zu der Entscheidung zu verpflichten, dass die Einfuhrabgaben in Höhe von 110 937,60 Euro für die streitigen Einfuhren zu erlassen sind.

23      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

24      Die Klägerin stützt ihre Klage im Wesentlichen darauf, dass die angefochtene Entscheidung insoweit gegen Art. 220 Abs. 2 Buchst. b und Art. 239 des Zollkodex verstoße, als die Kommission es abgelehnt habe, von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung der Einfuhrabgaben für die streitigen Einfuhren abzusehen und/oder diese Abgaben zu erlassen.

 Zur Zulässigkeit des zweiten und dritten Klageantrags

 Vorbringen der Parteien

25      Die Kommission trägt vor, ohne förmlich eine Einrede der Unzulässigkeit zu erheben, dass der Gemeinschaftsrichter nicht befugt sei, im Rahmen der von ihm ausgeübten Rechtmäßigkeitskontrolle gegenüber den Organen oder Einrichtungen Anordnungen zu treffen oder ihre Aufgaben wahrzunehmen. Mithin seien der zweite und der dritte Klageantrag, die darauf gerichtet seien, die Kommission zur Vornahme bestimmter Handlungen zu verpflichten, unzulässig.

26      Die Klägerin hat ihre Anträge jedoch in der mündlichen Verhandlung wiederholt und geltend gemacht, dass die Kommission im vorliegenden Fall über kein Ermessen verfüge und dass daher kein Grund bestehe, weshalb das Gericht, wenn es die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung feststellen sollte, die Kommission nicht verpflichten könnte, eine ihren Anträgen entsprechende Entscheidung zu treffen.

 Würdigung durch das Gericht

27      Nach gefestigter Rechtsprechung ist das Gericht nicht befugt, den Gemeinschaftsorganen Anweisungen zu erteilen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 9. Juni 1983, Verzyck/Kommission, 225/82, Slg. 1983, 1991, Randnr. 19; Beschluss des Gerichts vom 12. November 1996, SDDDA/Kommission, T‑47/96, Slg. 1996, II‑1559, Randnr. 45). Das Gericht hat nämlich gemäß Art. 231 EG nur die Möglichkeit, die angefochtene Handlung für nichtig zu erklären. Anschließend obliegt es gemäß Art. 233 EG dem betroffenen Organ, die sich aus dem Urteil des Gerichts ergebenden Maßnahmen zu ergreifen (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 24. Januar 1995, Ladbroke/Kommission, T‑74/92, Slg. 1995, II‑115, Randnr. 75, und vom 9. September 1999, UPS Europe/Kommission, T‑127/98, Slg. 1999, II‑2633, Randnr. 50).

28      In Bezug auf das Vorbringen, dass der Kommission kein Ermessen zustehe, ist ferner darauf hinzuweisen, dass diese Beschränkung der Rechtmäßigkeitskontrolle für alle Arten von Rechtsstreitigkeiten gilt, für deren Entscheidung das Gericht zuständig ist (Urteil des Gerichts vom 12. Juli 2001, Mattila/Rat und Kommission, T‑204/99, Slg. 2001, II‑2265, Randnr. 26, bestätigt durch Urteil des Gerichtshofs vom 22. Januar 2004, Mattila/Rat und Kommission, C‑353/01 P, Slg. 2004, I‑1073, Randnr. 15).

29      Der zweite und der dritte Klageantrag sind demnach unzulässig.

 Zur nachträglichen buchmäßigen Erfassung der Einfuhrabgaben

 Vorbringen der Parteien

30      Die Klägerin führt aus, dass gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung von Einfuhrabgaben dann abzusehen sei, wenn, erstens, der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden sei, zweitens, dieser Irrtum vom Zollschuldner vernünftigerweise nicht habe erkannt werden können und dieser gutgläubig gehandelt habe und, drittens, alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten worden seien.

31      Im vorliegenden Fall sei die entscheidende Frage die, ob durch die am 26. Juni 2002 im Amtsblatt erfolgte Veröffentlichung des Hinweises für Einführer die Gutgläubigkeit der Klägerin hinsichtlich der Echtheit und Richtigkeit der bei den streitigen Einfuhren vorgelegten Bescheinigungen EUR.1 beseitigt worden sei.

32      Die Kommission übersehe, dass die österreichischen Zollbehörden nach und aufgrund der Veröffentlichung des Hinweises für Einführer Nachprüfungsersuchen bezüglich sämtlicher Bescheinigungen EUR.1, die bei den streitigen Einfuhren vorgelegt worden seien, an die kroatischen Zollbehörden gerichtet hätten.

33      Der gute Glaube der Klägerin beziehe sich demnach nicht auf die Echtheit und Richtigkeit der für die streitigen Einfuhren vorgelegten Bescheinigungen EUR.1. Der gute Glaube hinsichtlich dieser Umstände sei durch den Hinweis für Einführer beseitigt worden. Nicht beseitigt worden sei er hingegen in Bezug auf die nachträgliche Bestätigung der Bescheinigungen EUR.1 als Ergebnis des von der kroatischen Zollverwaltung durchgeführten Nachprüfungsverfahrens, das gerade wegen des Hinweises für Einführer eingeleitet worden sei.

34      Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 5 des Zollkodex schließe nämlich nicht pauschal jeden guten Glauben des Abgabenschuldners aus, sondern nur den guten Glauben hinsichtlich der Echtheit und Richtigkeit der bei der Einfuhr von einer Präferenzregelung unterliegenden Waren vorgelegten Ursprungsnachweise.

35      Unternehme der Wirtschaftsbeteiligte weitere Schritte, um die Echtheit und Richtigkeit der Präferenzbescheinigung sicherzustellen, und ergäben diese Schritte, dass die Präferenzbescheinigung authentisch und inhaltlich zutreffend sei, dann werde sein guter Glaube wiederhergestellt. Dieser gute Glaube beziehe sich nicht auf die ursprünglich von ihm vorgelegte Präferenzbescheinigung allein, sondern auf diese Bescheinigung in Verbindung mit der nachträglichen Bestätigung ihrer Echtheit und Richtigkeit im Wege einer Nachprüfung mit dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Erteilung des Ursprungsnachweises erfüllt gewesen seien.

36      Die Klägerin verweist insoweit auch auf den Wortlaut des Hinweises für Einführer, mit dem die Wirtschaftsbeteiligten davon in Kenntnis gesetzt worden seien, „dass sie alle erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen müssen“. Damit habe die Kommission darauf hingewiesen, dass die ursprünglichen Präferenzbescheinigungen nicht mehr gelten und von den Wirtschaftsbeteiligten weitere Schritte zur Gewährleistung ihrer Echtheit und Richtigkeit erwartet würden.

37      Nach der Bestätigung der Echtheit und Richtigkeit der Präferenznachweise durch die kroatischen Zollbehörden sei daher der gute Glaube der Wirtschaftsbeteiligten an die Echtheit und Richtigkeit dieser Nachweise wiederhergestellt gewesen.

38      In ihrer Erwiderung stellt die Klägerin klar, dass sie zwar zum Zeitpunkt der streitigen Einfuhren wegen der Veröffentlichung des Hinweises für Einführer tatsächlich nicht gutgläubig gewesen sei; es komme aber auf das Nachprüfungsverfahren an, durch dessen positiven Abschluss ihr guter Glaube im vorliegenden Fall wiederhergestellt worden sei.

39      Die Kommission weist das Vorbringen der Klägerin zurück.

 Würdigung durch das Gericht

40      Gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex sind aufgrund einer Zollschuld zu entrichtende Abgaben nicht nachträglich buchmäßig zu erfassen, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 22. Juni 2006, Conseil général de la Vienne, C‑419/04, Slg. 2006, I‑5645, Randnr. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung):

–        der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag ist aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden;

–        dieser Irrtum konnte vom Zollschuldner vernünftigerweise nicht erkannt werden;

–        dieser hat gutgläubig gehandelt;

–        alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung wurden eingehalten.

41      Zwischen den Parteien ist im vorliegenden Fall die Voraussetzung der Gutgläubigkeit der Klägerin streitig. Aufgrund der Rechtswirkung des Hinweises für Einführer ist diese Voraussetzung nämlich möglicherweise nicht erfüllt.

42      Hierzu ist festzustellen, dass der Wortlaut des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 5 des Zollkodex klar und eindeutig ist. Diese Vorschrift bestimmt, dass der Abgabenschuldner seine Gutgläubigkeit nicht geltend machen kann, wenn die Kommission in einem Hinweis für Einführer im Amtsblatt auf das Bestehen begründeter Zweifel hingewiesen hat, und sieht nicht die Möglichkeit vor, dass der Abgabenschuldner seine Gutgläubigkeit nachweisen kann, indem er weitere Schritte unternimmt, um die Echtheit und Richtigkeit der Präferenzbescheinigungen sicherzustellen. Dieser Wortlaut wurde in den Zollkodex durch die Verordnung Nr. 2700/2000 eingefügt, deren elfter Erwägungsgrund wie folgt lautet:


„Der Abgabenschuldner kann Gutgläubigkeit geltend machen, wenn er darlegen kann, dass er mit der gebotenen Sorgfalt gehandelt hat, es sei denn, es wurde im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften eine Mitteilung veröffentlicht, dass begründete Zweifel bestehen.“

43      Wie die Kommission geltend macht, gewährleistet der völlige Ausschluss der Gutgläubigkeit im Fall der Veröffentlichung eines Hinweises für Einführer zudem ein sehr hohes Maß an Rechtssicherheit.

44      Allerdings ist festzustellen, dass der Hinweis für Einführer im vorliegenden Fall keinen Verweis auf Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 5 des Zollkodex enthält und in Bezug auf seine rechtlichen Folgen nicht sehr deutlich ist. Insbesondere wird darin nicht ausgeführt, dass seine Veröffentlichung zur Folge habe, dass die Einführer sich nicht mehr auf ihre Gutgläubigkeit berufen könnten. Nach der Mitteilung, dass begründete Zweifel hinsichtlich der ordnungsgemäßen Anwendung der Präferenzregelungen für Zucker u. a. aus Kroatien bestünden, stellt die Kommission lediglich fest, dass „[d]ie Wirtschaftsbeteiligten der Gemeinschaft … davon in Kenntnis gesetzt [werden], dass sie alle erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen müssen“.

45      In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission eingeräumt, dass sie nicht ausschließe, dass sie sich unter außergewöhnlichen Umständen veranlasst sehen könnte, eine differenziertere Haltung in Bezug auf die uneingeschränkte Wirkung eines Hinweises für Einführer einzunehmen, falls ein Wirtschaftsteilnehmer geltend mache, dass er nach der Veröffentlichung eines solchen Hinweises, aber vor der Einfuhr weitere Schritte zur Überprüfung unternommen habe, die den Ursprung der Ware bestätigt hätten.

46      Es braucht jedoch nicht geprüft zu werden, ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche Ausnahme möglich wäre, da die Klägerin jedenfalls im vorliegenden Fall nicht gutgläubig gehandelt hat.

47      So räumt die Klägerin in ihrer Erwiderung ausdrücklich ein, dass sie zum Zeitpunkt der streitigen Einfuhren aufgrund des Hinweises für Einführer nicht gutgläubig gewesen sei. Sie macht zwar geltend, dass ihr guter Glaube durch die nachträgliche Bestätigung der Echtheit und Richtigkeit der Bescheinigungen EUR.1 infolge des von den kroatischen Zollbehörden durchgeführten Nachprüfungsverfahrens „wiederhergestellt“ worden sei. Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 4 des Zollkodex sieht jedoch vor, dass der Abgabenschuldner nur dann Gutgläubigkeit geltend machen kann, „wenn er darlegen kann, dass er sich während der Zeit des betreffenden Handelsgeschäfts mit gebotener Sorgfalt vergewissert hat, dass alle Voraussetzungen für eine Präferenzbehandlung erfüllt worden sind“. Aus dieser Vorschrift ergibt sich, dass der Abgabenschuldner zwingend während der Zeit des betreffenden Handelsgeschäfts gutgläubig gewesen sein muss. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Berücksichtigung der Gutgläubigkeit des Abgabenschuldners ist daher der Zeitpunkt der Einfuhr.

48      Die Klägerin hat in ihren Schriftsätzen jedoch nichts zu den Schritten vorgetragen, die sie vor oder spätestens im Zeitpunkt der jeweiligen streitigen Einfuhren unternommen habe, um sich im Sinne des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 4 des Zollkodex zu vergewissern, dass – trotz der Veröffentlichung des Hinweises für Einführer – alle Voraussetzungen für eine Präferenzbehandlung der betreffenden Waren vorgelegen hatten.

49      Im Gegenteil, indem die Klägerin behauptet, ihre Gutgläubigkeit sei durch die Nachprüfungsverfahren „wiederhergestellt“ worden, bestätigt sie implizit, dass sie bis zu dem Zeitpunkt, in dem die jeweiligen Nachprüfungsverfahren die Echtheit und Richtigkeit der für die streitigen Einfuhren erteilten Bescheinigungen EUR.1 bestätigt haben, d. h. mehrere Monate nach der Durchführung dieser Einfuhren, nicht gutgläubig war.

50      Zu dem Vorbringen der Klägerin, dass es für ihre Gutgläubigkeit hinsichtlich der Echtheit und Richtigkeit der die streitigen Einfuhren betreffenden Bescheinigungen EUR.1 nicht auf das ursprüngliche Einfuhrverfahren, sondern das Nachprüfungsverfahren ankomme, da dessen positives Ergebnis die „Wiederherstellung“ ihrer Gutgläubigkeit ermöglicht habe, genügt die Feststellung, dass diese Behauptung in Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex keinerlei Grundlage findet.

51      Denn selbst wenn die Klägerin hinsichtlich der Ergebnisse der Nachprüfungen gutgläubig gewesen sein sollte, so war sie es doch nicht „während der Zeit des betreffenden Handelsgeschäfts“. Sie kann jedoch nicht behaupten, dass ihre Gutgläubigkeit aufgrund von Ereignissen, die nach den fraglichen Einfuhren eingetreten sind, gewissermaßen rückwirkend hergestellt worden sei. Der Ausdruck der Gutgläubigkeit „über die Echtheit und Richtigkeit der nachgeprüften und bestätigten Präferenznachweise“ ergibt also keinen Sinn.

52      Der Antrag auf Nichtigerklärung des Art. 1 Abs. 2 der angefochtenen Entscheidung ist demnach zurückzuweisen.

 Zur Ablehnung des Erlasses der Einfuhrabgaben

 Vorbringen der Parteien

53      Hinsichtlich der Ablehnung des Erlasses der nacherhobenen Einfuhrabgaben gemäß Art. 239 des Zollkodex verweist die Klägerin in ihrer Klageschrift – und lediglich im Rahmen ihres dritten Klageantrags – ohne weitere Erläuterungen auf ihre „vorstehenden Ausführungen“.

54      Die Kommission führt aus, dass sich die Voraussetzungen für die Gewährung eines Erlasses der Einfuhrabgaben nach Art. 239 des Zollkodex von den in Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex enthaltenen Bedingungen unterschieden. Anstatt jedoch darzulegen, dass die Voraussetzungen des Art. 239 des Zollkodex im vorliegenden Fall erfüllt seien, verweise die Klägerin pauschal und ohne nähere Erläuterung auf ihre Ausführungen zu Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex. Es sei mithin fraglich, ob ihre Klageschrift in diesem Punkt den Anforderungen des Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichts genüge. Jedenfalls sei das Vorbringen der Klägerin unschlüssig und bereits aus diesem Grunde unbeachtlich, weil es sich bei Art. 220 Abs. 2 und Art. 239 des Zollkodex um zwei verschiedene Vorschriften handele, deren Anwendungsvoraussetzungen dementsprechend verschieden seien.

 Würdigung durch das Gericht

55      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Argumente, die zur Stützung des dritten Klageantrags angeführt werden könnten, dessen Unzulässigkeit festgestellt worden ist, auch im Rahmen des ersten Klageantrags relevant wären, soweit dieser auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Abs. 3 der angefochtenen Entscheidung gerichtet ist, demzufolge der Erlass der Einfuhrabgaben nach Art. 239 des Zollkodex im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt ist.

56      Die Klägerin begründet ihren Antrag jedoch nicht näher. Sie beschränkt sich darauf, in ihrer Klageschrift auf die Ausführungen zu Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex zu verweisen. Auch in ihrer Erwiderung vertieft die Klägerin ihre Stellungnahme zu diesem Punkt nicht. In der mündlichen Verhandlung hat sie darauf hingewiesen, dass bei jeder Einfuhr eine Beschau stattgefunden habe. Dabei seien Proben gezogen und an die österreichische technische Prüfstelle geschickt worden. Diese Stelle habe festgestellt, dass es sich zu 100 % um Zucker aus Zuckerrüben handele, und insoweit den kroatischen Ursprung des Zuckers bestätigt.

57      Gemäß den Vorschriften des Art. 48 § 1 der Verfahrensordnung können diese Beweisangebote jedoch nicht berücksichtigt werden. Denn nach dieser Vorschrift können die Parteien zwar in der Erwiderung oder in der Gegenerwiderung Beweismittel benennen; das Gericht lässt die Vorlage von Beweisangeboten nach der Gegenerwiderung jedoch nur unter außergewöhnlichen Umständen zu, nämlich, wenn der Beweisantragsteller vor dem Abschluss des schriftlichen Verfahrens nicht über die betreffenden Beweise verfügen konnte oder wenn die verspätete Vorlage von Dokumenten durch seinen Gegner es rechtfertigt, die Verfahrensakte zur Wahrung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens zu vervollständigen (Urteil des Gerichts vom 21. April 2004, M/Gerichtshof, T‑172/01, Slg. 2004, II‑1075, Randnr. 44). Jedenfalls sieht Art. 48 § 1 der Verfahrensordnung vor, dass die Parteien die Verspätung zu begründen haben. Die Klägerin hat jedoch, obwohl sie in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, dass sie diese Umstände im schriftlichen Verfahren nicht erwähnt hat, keine Rechtfertigung für diese Verspätung vorgebracht. Diese Beweisangebote können daher nicht berücksichtigt werden.



58      Zu dem Verweis in der Klageschrift auf die Ausführungen zu Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex ist darauf hinzuweisen, dass diese Vorschrift zwar tatsächlich dasselbe Ziel verfolgt wie Art. 239 des Zollkodex, jedoch nicht mit diesem übereinstimmt. Die Zielsetzung der erstgenannten Vorschrift ist nämlich insoweit enger als die der letztgenannten, als sie lediglich das berechtigte Vertrauen des Abgabenpflichtigen in die Richtigkeit aller Gesichtspunkte schützen soll, die in die Entscheidung über die nachträgliche buchmäßige Erfassung der Zölle eingehen. Art. 239 des Zollkodex stellt hingegen eine auf Billigkeitserwägungen beruhende Generalklausel dar (vgl. in diesem Sinne, in Bezug auf die zum damaligen Zeitpunkt gültigen entsprechenden Vorschriften, Urteil des Gerichtshofs vom 14. Mai 1996, Faroe Seafood u. a., C‑153/94 und C‑204/94, Slg. 1996, I‑2465, Randnr. 87; Urteil des Gerichts vom 19. Februar 1998, Eyckeler & Malt/Kommission, T‑42/96, Slg. 1998, II‑401, Randnrn. 136 bis 139).

59      Bei Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex und Art. 239 des Zollkodex handelt es sich somit um zwei verschiedene Vorschriften, deren Tatbestandsmerkmale unterschiedlich sind. Unter diesen Umständen kann die Klägerin sich nach Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung nicht darauf beschränken, auf die Ausführungen zu Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex zu verweisen, um ihre Anträge in Bezug auf Art. 239 des Zollkodex zu begründen.

60      Der Antrag auf Nichtigerklärung des Art. 1 Abs. 3 der angefochtenen Entscheidung ist daher als unzulässig abzuweisen.

61      Da keinem der Klagegründe stattgegeben wurde, ist die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

62      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung sind der unterliegenden Partei auf Antrag die Kosten aufzuerlegen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.








Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Achte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Agrar-Invest-Tatschl GmbH trägt die Kosten.



Martins Ribeiro

Wahl

Dittrich

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. Oktober 2008.

Der Kanzler

 

      Die Präsidentin

E. Coulon

 

      M. E. Martins Ribeiro


* Verfahrenssprache: Deutsch.