Language of document : ECLI:EU:T:2020:467

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

5. Oktober 2020(*)

„Staatliche Beihilfen – Öffentlicher Personenverkehr – Ausgleich für Kosten, die mit gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen verbunden sind – Verpflichtung zur Festlegung von Höchsttarifen für Schüler, Studenten, Auszubildende und Personen mit eingeschränkter Mobilität – § 7a des Niedersächsischen Nahverkehrsgesetzes – Beschluss, keine Einwände zu erheben – Art. 3 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 – Transferzahlungen eines Landes an kommunale Aufgabenträger im Beförderungswesen – Begriff der Beihilfe – Anmeldepflicht“

In der Rechtssache T‑597/18,

Hermann Albers e. K. mit Sitz in Neubörger (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt S. Roling,

Kläger,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch F. Tomat und K.‑P. Wojcik als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch J. Möller, D. Klebs und S. Heimerl als Bevollmächtigte,

und durch


Land Niedersachsen (Deutschland), vertreten durch die Rechtsanwältinnen S. Barth und H. Gading,

Streithelfer,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2018) 4385 final der Kommission vom 12. Juli 2018, keine Einwände gegen die vom Land Niedersachsen gemäß § 7a des Niedersächsischen Nahverkehrsgesetzes erlassene Maßnahme zu erheben (Sache SA.46697 [2017/NN]) (ABl. 2018, C 292, S. 1),

erlässt

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten D. Spielmann sowie des Richters U. Öberg (Berichterstatter) und der Richterin O. Spineanu-Matei,

Kanzler: S. Bukšek Tomac, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 2020

folgendes

Urteil

1        Mit der vorliegenden Klage beantragt der Kläger, Hermann Albers e. K., die Nichtigerklärung des Beschlusses C(2018) 4385 final der Kommission vom 12. Juli 2018, keine Einwände gegen die vom Land Niedersachsen gemäß § 7a des Niedersächsischen Nahverkehrsgesetzes erlassene Maßnahme zu erheben (Sache SA.46697 [2017/NN]) (ABl. 2018, C 292, S. 1, im Folgenden: angefochtener Beschluss).

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Der Kläger ist ein privates Verkehrsunternehmen, das in Niedersachsen tätig ist.

3        Am 28. September 2016 wurde bei der Europäischen Kommission eine erste Beschwerde gegen die vom Entwurf von § 7a des Niedersächsischen Nahverkehrsgesetzes (im Folgenden: NNVG) vorgesehene Maßnahme eingereicht. Am 21. Oktober 2016 reichte der Kläger bei der Kommission eine zweite Beschwerde über dieselbe Maßnahme ein.


4        Am 16. Dezember 2016 übermittelte die Kommission der Bundesrepublik Deutschland eine nicht vertrauliche Fassung der Beschwerde des Klägers zusammen mit einem Auskunftsersuchen, das am 15. Februar 2017 von der Bundesrepublik Deutschland beantwortet wurde.

5        Am 4. Juli 2017 teilte die Kommission dem Kläger nach Abschluss der Vorprüfungsphase ihre Schlussfolgerungen mit und stellte fest, dass keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliege.

6        Mit Schreiben vom 1. August 2017 erhielt der Kläger seine Beschwerde aufrecht.

7        Am 4. August 2017 übermittelte die Kommission der Bundesrepublik Deutschland eine nicht vertrauliche Fassung des Antwortschreibens des Klägers zusammen mit einem neuen Auskunftsersuchen, das von der Bundesrepublik Deutschland am 1. September 2017 beantwortet wurde.

8        Am 12. Juli 2018 erließ die Kommission den angefochtenen Beschluss, in dem sie zu dem Ergebnis gelangte, dass keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliege.

9        In dem angefochtenen Beschluss stellte die Kommission fest, dass nach § 7a Abs. 1 NNVG den kommunalen Aufgabenträgern im Beförderungswesen (im Folgenden: kommunale Aufgabenträger) die Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung für Personen mit Zeitfahrausweisen des Ausbildungsverkehrs obliege. Gemäß § 7a Abs. 2 NNVG müssten die Behörden des Landes Niedersachsen den kommunalen Aufgabenträgern als Gegenleistung für ihre Verpflichtung, u. a. eine Ermäßigung von 25 % für Fahrten im Ausbildungsverkehr sicherzustellen, eine jährliche Finanzhilfe gewähren, die diese anschließend den im öffentlichen Personennahverkehr tätigen Unternehmen des Landes (im Folgenden: Endbegünstigten) zukommen ließen (im Folgenden: streitige Maßnahme).

10      Hierbei vertrat die Kommission die Auffassung, dass § 7a NNVG durch die Ersetzung von § 45a des Personenbeförderungsgesetzes (im Folgenden: PBefG) zu einer Übertragung von Finanzmitteln zwischen den Behörden des Landes Niedersachsen und den kommunalen Aufgabenträgern geführt habe, ohne dass diese Mittel jedoch die staatliche Sphäre verlassen hätten. Die Tatsache, dass nach § 7a NNVG nunmehr die kommunalen Aufgabenträger für die Gewährung finanzieller Ausgleichszahlungen an die Endbegünstigten zuständig seien, wohingegen vor Inkrafttreten dieser Bestimmung nur das Land einen solchen Ausgleich habe gewähren können, erlaube nicht, eine Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV festzustellen.


 Verfahren und Anträge der Parteien

11      Mit Klageschrift, die am 1. Oktober 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

12      Mit Entscheidung vom 11. Februar 2019 hat die Präsidentin der Ersten Kammer des Gerichts die Bundesrepublik Deutschland als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen.

13      Mit Beschluss vom 23. Mai 2019 hat das Gericht das Land Niedersachsen (Deutschland) als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen.

14      Das Gericht (Fünfte Kammer) hat auf Vorschlag des Berichterstatters beschlossen, das mündliche Verfahren zu eröffnen.

15      In der Sitzung haben die Parteien mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

16      Der Kläger beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

17      Die Kommission, unterstützt durch die Bundesrepublik Deutschland und das Land Niedersachsen, beantragt,

–        die Klage als unzulässig abzuweisen;

–        hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

 Zur Zulässigkeit

18      Ohne förmlich die Einrede der Unzulässigkeit gemäß Art. 130 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts zu erheben, macht die Kommission, unterstützt durch die Bundesrepublik Deutschland und das Land Niedersachsen, geltend, dass die vorliegende Klage mangels Klagebefugnis des Klägers unzulässig sei.

19      Der Kläger hält die Klage für zulässig.

20      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Unionsrichter anhand der Umstände des jeweiligen Falles prüfen kann, ob es nach einer geordneten Rechtspflege gerechtfertigt ist, die Klage als unbegründet abzuweisen, ohne zuvor über ihre Zulässigkeit zu entscheiden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2002, Rat/Boehringer, C-23/00 P, EU:C:2002:118, Rn. 51 und 52).

21      Unter den Umständen des vorliegenden Falles ist nach Auffassung des Gerichts aus Gründen der Verfahrensökonomie sogleich die Begründetheit der Klage zu prüfen, ohne zuvor über deren Zulässigkeit zu entscheiden.

 Zur Begründetheit

22      Der Kläger stützt seine Klage im Wesentlichen auf zwei Klagegründe. Mit dem ersten Klagegrund wird ein Verstoß gegen Art. 107 AEUV gerügt, da die Kommission im angefochtenen Beschluss zu Unrecht festgestellt habe, dass keine staatliche Beihilfe vorliege. Mit dem zweiten Klagegrund wird ein Verstoß gegen Art. 108 AEUV gerügt, der darin bestehe, dass die Kommission zu dem Ergebnis hätte kommen müssen, dass die Bundesrepublik Deutschland die streitige Maßnahme nach dieser Bestimmung habe anmelden müssen.

 Rechtlicher Rahmen

23      Zweck der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. 2007, L 315, S. 1) ist es ausweislich ihres Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1, „festzulegen, wie die zuständigen Behörden unter Einhaltung des [Unions]rechts im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs tätig werden können, um die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu gewährleisten, die unter anderem zahlreicher, sicherer, höherwertig oder preisgünstiger sind als diejenigen, die das freie Spiel des Marktes ermöglicht hätte“.

24      Art. 3 der Verordnung Nr. 1370/2007 sieht verschiedene Modalitäten für die Gewährung von Ausgleichsleistungen an Betreiber eines öffentlichen Dienstes für die ihnen entstandenen Kosten vor oder gewährt ihnen ausschließliche Rechte im Gegenzug für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen. Insbesondere kann nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1370/2007 eine Ausgleichsleistung für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags gewährt werden. Abweichend von dieser Bestimmung können nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen zur Festsetzung von Höchsttarifen für alle Fahrgäste oder bestimmte Gruppen von Fahrgästen sowie die Ausgleichsleistung hierfür auch Gegenstand allgemeiner Vorschriften sein. Zudem räumt Art. 3 Abs. 3 der genannten Verordnung den Mitgliedstaaten unbeschadet der Regelungen des Vertrags die Möglichkeit ein, allgemeine Vorschriften über die finanzielle Abgeltung von gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen, die dazu dienen, Höchsttarife für Schüler, Studenten, Auszubildende und Personen mit eingeschränkter Mobilität festzulegen, aus dem Anwendungsbereich der Verordnung auszunehmen. Diese allgemeinen Vorschriften sind der Kommission nach Art. 108 Abs. 3 AEUV mitzuteilen.

25      In Deutschland nimmt § 8 Abs. 4 Satz 3 PBefG finanzielle Ausgleichsleistungen für die Beförderung von Personen mit Zeitfahrausweisen des Ausbildungsverkehrs nach § 45a PBefG aus dem Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1370/2007 aus, wie dies im Übrigen durch Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1370/2007 vorgesehen ist.

26      § 45a PBefG räumt den Unternehmen einen unmittelbaren Ausgleichsanspruch gegenüber dem Land ein, auf dessen Gebiet die Beförderung durchgeführt wurde.

27      In diesem Zusammenhang kam die Kommission in den Nrn. 110 bis 114 ihres Beschlusses vom 28. November 2007 betreffend die staatliche Beihilfe C 54/2007 (ex NN 55/07) für die Emsländische Eisenbahn GmbH (ABl. 2008, C 174, S. 13) zu dem Ergebnis, dass die den Verkehrsunternehmen des Landkreises Emsland in Niedersachsen nach § 45a PBefG gewährte Ausgleichsleistung kein Beihilfeelement enthalte, da die Regelung die im Urteil vom 24. Juli 2003, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg (C‑280/00, EU:C:2003:415), genannten Kriterien erfülle.

28      In Anwendung von § 64a PBefG, wonach die Länder § 45a PBefG durch landesrechtliche Vorschriften ersetzen und ihre eigenen Regelungen erlassen können, hat das Land Niedersachsen den am 1. Januar 2017 in Kraft getretenen § 7a NNVG erlassen. Demnach obliegt den kommunalen Aufgabenträgern die Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung für Personen mit Zeitfahrausweisen des Ausbildungsverkehrs im straßengebundenen öffentlichen Personennahverkehr zusammen mit der Verpflichtung, den Tarif von Zeitfahrausweisen im straßengebundenen Ausbildungsverkehr um mindestens 25 % gegenüber normalen Zeitfahrausweisen mit vergleichbarer Gültigkeit zu ermäßigen. Die kommunalen Aufgabenträger müssen den Verkehrsunternehmen angemessene Ausgleichsleistungen auf der Basis der ihnen vom Land gezahlten Finanzhilfen zukommen lassen.

 Zum Verstoß gegen Art. 107 AEUV

29      Mit seinem ersten Klagegrund macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass die streitige Maßnahme eine staatliche Beihilfe gemäß Art. 107 AEUV sei.

30      Insbesondere bringt der Kläger vor, die Kommission habe nicht berücksichtigt, dass die kommunalen Aufgabenträger an einigen kommunalen Verkehrsunternehmen beteiligt seien, die zum Kreis der Endbegünstigten gehören könnten. Die Einflussnahme der kommunalen Aufgabenträger auf die Endbegünstigten schlage sich auch darin nieder, dass der jeweilige gesetzliche Vertreter der kommunalen Aufgabenträger den Vorsitz im Aufsichtsrat der betreffenden Endbegünstigten führe. Dieser Einfluss hätte die Kommission zu der Schlussfolgerung veranlassen müssen, dass die kommunalen Aufgabenträger selbst „Unternehmen“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV seien.

31      In Anbetracht dessen bestehe eine erhebliche Gefahr, dass die im Rahmen der streitigen Maßnahme geleisteten Beihilfen besonders den kommunalen Verkehrsunternehmen, die von kommunalen Aufgabenträgern kontrolliert würden, zugutekämen. Die privaten Verkehrsunternehmen würden dann diskriminiert, da sie selbst nicht in den Genuss dieser Beihilfen kommen könnten, um die Verluste aus dem Verkauf von ermäßigten Zeitfahrausweisen auszugleichen. Diese Gefahr sei umso größer, als in § 7a NNVG keine Parameter für die Bemessung der Höhe der gewährten Beihilfen festgelegt seien.

32      Der Kläger macht ferner geltend, dass die streitige Maßnahme einen mittelbaren Vorteil beinhalte. Dass die zu vergebenden Mittel zunächst den kommunalen Aufgabenträgern zugeflossen seien, sei unerheblich. Die streitige Maßnahme lege bereits die Ausgleichspflicht fest. Außerdem sei die Gewährung eines unmittelbaren Vorteils für die Feststellung des Vorliegens einer Beihilfe nicht erforderlich. Die streitige Maßnahme verschaffe den Verkehrsunternehmen, denen sie zugutekomme, einen Vorteil, da sie in Anbetracht dessen, dass für die entstandenen Kosten ein Ausgleich gewährt werden müsse, keine höheren Tarife mehr durchsetzen müssten.

33      Die Kommission, unterstützt von den Streithelfern, tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen.

34      Insoweit ist vorab darauf hinzuweisen, dass die Einstufung als staatliche Beihilfe voraussetzt, dass die in Art. 107 Abs. 1 AEUV genannten Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Demnach muss es sich erstens um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss diese Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein „Vorteil“ gewährt werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen. Somit setzt Art. 107 Abs. 1 AEUV für die Einstufung als staatliche Beihilfe insbesondere voraus, dass einem Unternehmen ein „Vorteil“ gewährt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2015, EasyPay und Finance Engineering, C‑185/14, EU:C:2015:716, Rn. 35 und 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

35      § 45a PBefG gab Ziel und Mittel vor, um einen Ausgleich für diejenigen Unternehmen sicherzustellen, die Dienstleistungen der Beförderung von Personen mit Zeitfahrausweisen des Ausbildungsverkehrs erbringen, und stellte eine allgemeine Regelung für die Zahlung von Ausgleichsleistungen aus dem Landeshaushalt auf.


36      Dagegen regelt die in Niedersachsen durch § 7a NNVG eingeführte Regelung nicht im Einzelnen, wie die kommunalen Aufgabenträger die Mindestermäßigung der Zeitfahrausweise des Ausbildungsverkehrs konkret anwenden und die damit verbundene Frage nach Ausgleichsleistungen regeln sollen. Da die Tarife der Zeitfahrausweise um mindestens 25 % zu ermäßigen sind, steht es den Aufgabenträgern frei, zu wählen, wie dieses Ziel erreicht werden soll, so dass sie alle in der Verordnung Nr. 1370/2007 angebotenen Möglichkeiten nutzen können.

37      Folglich führt die streitige Maßnahme zu keiner unmittelbaren oder mittelbaren Übertragung staatlicher Mittel an Unternehmen, sondern geht lediglich auf den Willen des niedersächsischen Landesgesetzgebers zurück, einen spezifischen gesetzlichen Rahmen vorzusehen, um den kommunalen Aufgabenträgern die erforderlichen Befugnisse für die Gewährung finanzieller Leistungen zum Ausgleich von gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen zu verleihen, die im Zusammenhang mit der Festlegung von Höchsttarifen für Studenten und Auszubildende stehen. Der in § 7a NNVG vorgesehene Finanztransfer erschöpft sich daher in einer Übertragung zwischen verschiedenen Ebenen der öffentlichen Verwaltung zum Zweck der Finanzausstattung der Behörden.

38      Was die Möglichkeit betrifft, die kommunalen Aufgabenträger selbst aufgrund ihrer Beteiligung an kommunalen Verkehrsunternehmen als „Unternehmen“ einzustufen, ist zwischen der Rolle der kommunalen Aufgabenträger als „zuständige Behörden“ im Sinne der Verordnung Nr. 1370/2007 einerseits und ihrer Rolle als Inhaber von Beteiligungen an Verkehrsunternehmen andererseits zu unterscheiden. Insoweit kann, wie die Kommission in den Rn. 41 und 47 des angefochtenen Beschlusses zutreffend klargestellt hat, eine Einrichtung, die sowohl wirtschaftliche Tätigkeiten (entweder in unmittelbarem Kontakt mit dem Markt oder mittelbar über eine andere Einheit, über die sie die Kontrolle ausübt) als auch nicht wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt, nur hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten als Unternehmen eingestuft werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Januar 2006, Cassa di Risparmio di Firenze u. a., C‑222/04, EU:C:2006:8, Rn. 110 bis 114, sowie vom 12. Dezember 2000, Aéroports de Paris/Kommission, T‑128/98, EU:T:2000:290, Rn. 108).

39      Bei der Wahrnehmung der Rolle von „zuständigen Behörden“ im Sinne der Verordnung Nr. 1370/2007 gehen die kommunalen Aufgabenträger jedoch keiner wirtschaftlichen Tätigkeit nach. Die Zuweisung von Finanzmitteln durch die streitige Maßnahme schafft lediglich den Haushaltsrahmen, der erforderlich ist, damit sie die Gemeinwohlaufgaben nach dem NNVG erfüllen können.

40      Die Mittelzuweisungen durch das Land Niedersachsen auf die kommunalen Aufgabenträger nach § 7a NNVG sind nämlich in Ansehung ihrer Eigenschaft als zuständige Behörden im Sinne der Verordnung Nr. 1370/2007 vorgesehen worden. In dieser Eigenschaft müssen die kommunalen Aufgabenträger ihrerseits diese Mittel verwalten und Ausgleichszahlungen an Verkehrsunternehmen leisten. Das Vorbringen des Klägers könnte daher auf der letztgenannten Ebene, also wenn die kommunalen Aufgabenträger als zuständige Behörden Ausgleichszahlungen an Verkehrsunternehmen leisten, im Hinblick auf den Begriff der staatlichen Beihilfe geprüft werden.

41      Schließlich kann der Umstand, dass die kommunalen Aufgabenträger an einigen Unternehmen des öffentlichen Verkehrs beteiligt sind, die ihre Tätigkeit in Niedersachsen ausüben, oder dass ihr jeweiliger gesetzlicher Vertreter den Vorsitz im Aufsichtsrat dieser Unternehmen führt, als solcher nicht für den Nachweis ausreichen, dass die kommunalen Aufgabenträger bei der Zahlung des finanziellen Ausgleichs an die Verkehrsunternehmen diejenigen begünstigen werden, in denen sie vertreten sind. Die kommunalen Aufgabenträger sind nämlich bei der Festlegung der Modalitäten der den Verkehrsunternehmen gewährten Ausgleichszahlungen an die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1370/2007 und die einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften über staatliche Beihilfen gebunden, deren etwaige Verletzung weiterhin der Kontrolle der Kommission unterliegt. Die streitige Maßnahme birgt daher als solche keine Gefahr, dass bestimmte Unternehmen gegenüber anderen begünstigt würden.

42      Unter diesen Umständen ist der Kommission kein Fehler unterlaufen, als sie im angefochtenen Beschluss die Auffassung vertrat, dass die streitige Maßnahme in Ermangelung eines Vorteils, den der Staat einem Unternehmen gewährt hätte, nicht als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestuft werden kann. Da die in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen für die Feststellung, dass eine staatliche Beihilfe vorliegt, kumulativ sind (siehe oben, Rn. 34), braucht nicht geprüft zu werden, ob die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind.

43      Daher ist der erste Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum Verstoß gegen Art. 108 AEUV

44      Mit seinem zweiten Klagegrund macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass die Kommission nicht festgestellt habe, dass die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 108 AEUV zur Anmeldung der streitigen Maßnahme verpflichtet gewesen sei.

45      Der Kläger trägt insbesondere vor, dass die Länder gemäß § 64a PBefG verpflichtet seien, allgemeine Vorschriften über die Modalitäten der Zahlung von Ausgleichsleistungen für den Ausbildungsverkehr gemäß Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1370/2007 zu erlassen. Sie seien dagegen nicht ermächtigt worden, den kommunalen Aufgabenträgern die für den Erlass solcher Vorschriften erforderlichen Befugnisse zu übertragen.


46      Mit dem NNVG sei das Ziel verfolgt worden, das aus dem Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1370/2007 ausgenommene PBefG zu ersetzen. Somit sei davon auszugehen, dass auch das NNVG aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen sei, ohne dass es erforderlich wäre, erneut von Art. 3 Abs. 3 der Verordnung, der u. a. den Ausbildungsverkehr betreffe, Gebrauch zu machen.

47      Unter diesen Umständen könne die streitige Maßnahme nicht als „allgemeine Vorschrift“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1370/2007 eingeordnet werden und sei gemäß Art. 108 AEUV anzumelden.

48      Die Kommission und die Streithelfer treten dem Vorbringen des Klägers entgegen.

49      Das Gericht weist darauf hin, dass die Kommission nach Art. 108 Abs. 3 AEUV von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig unterrichtet werden muss, dass sie sich dazu äußern kann. Ist sie der Auffassung, dass ein derartiges Vorhaben nach Art. 107 AEUV mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist, so leitet sie unverzüglich das förmliche Prüfverfahren ein. Der betreffende Mitgliedstaat darf die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat.

50      Hieraus folgt, dass die Gewährung einer Beihilfe, die nicht zuvor bei der Kommission angemeldet wurde, gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV verstößt.

51      Da aus der Prüfung des ersten Klagegrundes hervorgeht, dass die streitige Maßnahme in diesem Stadium des nationalen Normsetzungsverfahrens keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt, kann der zweite Klagegrund indessen keinen Erfolg haben.

52      Da keine staatliche Beihilfe vorliegt, war die Bundesrepublik Deutschland in diesem Stadium des nationalen Normsetzungsverfahrens nämlich nicht zur Anmeldung der streitigen Maßnahme verpflichtet. Die Einstufung als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV hängt von einer zusätzlichen Maßnahme ab, die noch nicht erlassen wurde.

53      Diese Schlussfolgerung schließt dagegen nicht aus, dass die Beihilferegelungen, die in der Folge von den kommunalen Aufgabenträgern durchgeführt werden könnten, gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV angemeldet werden müssen.

54      Daher ist der zweite Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen und die vorliegende Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

55      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

56      Da im vorliegenden Fall der Kläger unterlegen ist, ist gemäß dem Antrag der Kommission zu entscheiden, dass er neben seinen eigenen Kosten die Kosten der Kommission zu tragen hat.

57      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen im Übrigen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Daher trägt die Bundesrepublik Deutschland ihre eigenen Kosten.

58      Nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht schließlich entscheiden, dass ein anderer Streithelfer als die in den Abs. 1 und 2 dieses Artikels genannten seine eigenen Kosten trägt. Im vorliegenden Fall trägt das Land Niedersachsen seine eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Hermann Albers e. K. trägt neben seinen eigenen Kosten die Kosten der Europäischen Kommission.

3.      Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Niedersachsen (Deutschland) tragen ihre eigenen Kosten.

Spielmann

Öberg

Spineanu-Matei

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 5. Oktober 2020.

Der Kanzler

 

Der Präsident

E. Coulon

 

      S. Papasavvas


*      Verfahrenssprache: Deutsch.