SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
HENRIK SAUGMANDSGAARD ØE
vom 10. November 2016(1)
Rechtssache C‑528/15
Policie ČR, Krajské ředitelství policie Ústeckého kraje, odbor cizinecké policie
gegen
Salah Al Chodor,
Ajlin Al Chodor,
Ajvar Al Chodor
(Vorabentscheidungsersuchen des Nejvyšší správní soud [Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik])
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist – Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III) – Art. 28 Abs. 2 – Inhaftnahme zum Zweck der Überstellung – Art. 2 Buchst. n – Erhebliche Fluchtgefahr – Gesetzlich festgelegte objektive Kriterien – Fehlen einer nationalen gesetzlichen Regelung, die solche Kriterien festlegt“
I – Einleitung
1. Mit seiner Vorlagefrage ersucht der Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) den Gerichtshof um Auslegung der Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013(2) (im Folgenden: Dublin‑III-Verordnung), welche die Möglichkeit der Mitgliedstaaten begrenzen, eine Person, die internationalen Schutz beantragt(3) (im Folgenden: Antragsteller), bis zu ihrer Überstellung in den für die Bearbeitung ihres Antrags zuständigen Mitgliedstaat in Haft zu nehmen.
2. Gemäß Art. 28 Abs. 2 dieser Verordnung kann von dieser Möglichkeit u. a. nur Gebrauch gemacht werden, wenn eine „erhebliche Fluchtgefahr“ bei dem Betroffenen besteht. Nach Art. 2 Buchst. n der Verordnung, der die „Fluchtgefahr“ definiert, ist eine solche Gefahr in jedem Einzelfall auf der Grundlage von „objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien“ zu beurteilen.
3. Zu dem für den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits maßgeblichen Zeitpunkt enthielt das einschlägige tschechische Gesetz noch keine solchen Kriterien, doch war ein Antrag auf Gesetzesänderung zur Einführung dieser Kriterien eingereicht worden. Nach Aussage der tschechischen Regierung ist diese Änderung inzwischen angenommen worden.
4. In diesem Zusammenhang möchte das vorlegenden Gericht im Wesentlichen wissen, ob das in Art. 2 Buchst. n der Dublin‑III-Verordnung enthaltene Erfordernis einer „gesetzlichen“ Festlegung objektiver Kriterien für die Beurteilung einer Fluchtgefahr den Erlass einer gesetzlichen Regelung verlangt oder ob dieses Erfordernis auch erfüllt sein kann, wenn sich solche Kriterien aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung und/oder Verwaltungspraxis eines Mitgliedstaats ergeben.
II – Rechtlicher Rahmen
A – EMRK
5. Art. 5 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) bestimmt:
„Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
…
f) rechtmäßige Festnahme oder rechtmäßige Freiheitsentziehung zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.“
6. Nach Art. 53 EMRK ist „[d]iese Konvention … nicht so auszulegen, als beschränke oder beeinträchtige sie Menschenrechte und Grundfreiheiten, die in den Gesetzen einer Hohen Vertragspartei oder in einer anderen Übereinkunft, deren Vertragspartei sie ist, anerkannt werden“.
B – Unionsrecht
1. Charta
7. Art. 6 („Recht auf Freiheit und Sicherheit“) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) lautet: „Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit.“
8. Art. 52 der Charta sieht vor:
„(1) Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.
…
(3) Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.
…“
2. Dublin‑III-Verordnung
9. Der 20. Erwägungsgrund der Dublin‑III-Verordnung lautet:
„Die Inhaftnahme von Antragstellern sollte nach dem Grundsatz erfolgen, wonach eine Person nicht allein deshalb in Haft genommen werden darf, weil sie um internationalen Schutz nachsucht. Die Haft sollte so kurz wie möglich dauern und den Grundsätzen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit entsprechen. Insbesondere muss die Inhaftnahme von Antragstellern im Einklang mit Artikel 31 der Genfer Konvention stehen. Die in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren in Bezug auf eine in Haft genommene Person sollten vorrangig schnellstmöglich angewandt werden. Hinsichtlich der allgemeinen Garantien sowie der Bedingungen für die Inhaftnahme sollten die Mitgliedstaaten gegebenenfalls die Bestimmungen der Richtlinie 2013/33/EU auch auf Personen anwenden, die aufgrund dieser Verordnung in Haft genommen wurden.“
10. Art. 2 Buchst. n dieser Verordnung definiert die „Fluchtgefahr“ als „das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte“.
11. Art. 28 („Haft“) der Verordnung bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt.
(2) Zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren dürfen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dieser Verordnung, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen und nur im Falle, dass Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.
…“
3. Richtlinie 2013/33
12. Der 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/33/EU(4) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie) lautet:
„Die Inhaftnahme von Antragstellern sollte im Einklang mit dem Grundsatz erfolgen, wonach eine Person nicht allein deshalb in Haft genommen werden darf, weil sie um internationalen Schutz nachsucht, insbesondere sollte die Inhaftnahme im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten und unter Beachtung von Artikel 31 des Genfer Abkommens erfolgen. Antragsteller dürfen nur in den in der Richtlinie eindeutig definierten Ausnahmefällen und im Einklang mit den Grundsätzen der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Art und Weise und den Zweck der Inhaftnahme in Haft genommen werden. Befindet sich ein Antragsteller in Haft, sollte er effektiven Zugang zu den erforderlichen Verfahrensgarantien haben und beispielsweise zur Einlegung eines Rechtsbehelfs bei einer nationalen Justizbehörde berechtigt sein.“
13. Art. 8 dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie ein Antragsteller im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ist.
(2) In Fällen, in denen es erforderlich ist, dürfen die Mitgliedstaaten auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung den Antragsteller in Haft nehmen, wenn sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.
(3) Ein Antragsteller darf nur in Haft genommen werden,
…
f) wenn dies mit Artikel 28 der [Dublin‑III-]Verordnung … in Einklang steht.
Haftgründe werden im einzelstaatlichen Recht geregelt.“
C – Tschechisches Recht
14. Art. 129 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 326/1999 über den Aufenthalt von Ausländern im Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik und zur Änderung anderer Gesetze über den Aufenthalt von Ausländern (im Folgenden: Ausländeraufenthaltsgesetz) lautet: „Die Polizei nimmt einen Ausländer, der unberechtigt ins Hoheitsgebiet eingereist ist oder sich unberechtigt dort aufhält, zum Zweck seiner Überstellung gemäß einem internationalen Vertrag, der mit einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union vor dem 13. Januar 2009 geschlossen worden ist, oder einer unmittelbar anwendbaren Rechtsvorschrift der Europäischen Gemeinschaft so lange wie unbedingt erforderlich in Haft.“
15. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Vorlageentscheidung war ein Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Art. 129 des Ausländeraufenthaltsgesetzes im Gange, dem folgender Abs. 4 hinzugefügt werden sollte:
„Die Polizei entscheidet nur dann, einen Ausländer zum Zweck seiner Überstellung in einen durch eine unmittelbar anwendbare Rechtsvorschrift der Europäischen Union gebundenen Staat in Haft zu nehmen, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht. Eine erhebliche Fluchtgefahr ist insbesondere dann anzunehmen, wenn sich der Ausländer unberechtigt im Hoheitsgebiet aufgehalten hat, sich bereits zuvor der Überstellung in einen durch eine unmittelbar anwendbare Rechtsvorschrift der Europäischen Union gebundenen Staat entzogen oder zu flüchten versucht hat oder seine Absicht zum Ausdruck gebracht hat, eine bestandskräftige Entscheidung über die Überstellung in einen durch eine unmittelbar anwendbare Rechtsvorschrift der Europäischen Union gebundenen Staat nicht zu beachten, oder eine solche Absicht aufgrund seines Handelns offensichtlich ist. Eine erhebliche Fluchtgefahr ist des Weiteren anzunehmen, wenn ein Ausländer, der in einen durch eine unmittelbar anwendbare Rechtsvorschrift der Europäischen Union gebundenen, nicht unmittelbar an die Tschechische Republik angrenzenden Staat überstellt werden wird, nicht rechtmäßig selbständig in diesen Staat reisen und keine Adresse eines Aufenthaltsorts im Hoheitsgebiet angeben kann.“
16. Den schriftlichen Erklärungen der Kommission zufolge hat der tschechische Gesetzgeber diese Gesetzesänderung am 11. November 2015 angenommen. In der mündlichen Verhandlung hat die tschechische Regierung die Annahme dieser Gesetzesänderung bestätigt.
III – Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefrage und Verfahren vor dem Gerichtshof
17. Salah Al Chodor und seine zwei Söhne Ajlin und Ajvar Al Chodor (im Folgenden: Herr Al Chodor und seine Söhne), die irakische Staatsangehörige sind, wurden am 7. Mai 2015 in der Tschechischen Republik von der Polizei kontrolliert. Da sie sich nicht ausweisen konnten, leitete die Policie České republiky, Krajské ředitelství Ústeckého kraje, odbor cizinecké policie (Polizei der Tschechischen Republik, Regionaldirektion Ústí nad Labem, Referat Fremdenpolizei, im Folgenden: Fremdenpolizei) ein Verwaltungsverfahren gegen sie ein.
18. Bei ihrer Anhörung durch die Fremdenpolizei gaben Herr Al Chodor und seine Söhne an, sie seien kurdische Volkszugehörige und ihr Dorf sei von Kämpfern der Terrororganisation „Islamischer Staat“ überfallen worden. Sie seien über die Türkei nach Griechenland gelangt, von wo aus sie ihre Reise in einem Lastkraftwagen fortgesetzt hätten. In Ungarn seien sie von der Polizei festgenommen worden und es seien ihnen Fingerabdrücke abgenommen worden. Salah Al Chodor erklärte, er habe damals einige Dokumente unterschrieben. Am darauffolgenden Tag seien Herr Al Chodor und seine Söhne zum Bahnhof gebracht worden, um in ein Flüchtlingslager überführt zu werden. Sie hätten das Lager nach zwei Tagen verlassen, um zu Familienangehörigen in Deutschland zu reisen.
19. Nachdem die Fremdenpolizei Herrn Al Chodor und seine Söhne im Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik festgenommen hatte, fragte sie die Eurodac-Datenbank ab und stellte fest, dass diese in Ungarn einen Asylantrag gestellt hatten. Außerdem waren die Betroffenen weder im Besitz eines Aufenthaltstitels noch eines Reisepasses. Sie verfügten weder über ausreichende finanzielle Mittel für eine Unterkunft in der Tschechischen Republik noch kannten sie eine Person, die ihnen insoweit hätte helfen können.
20. Die Fremdenpolizei war der Ansicht, dass eine erhebliche Fluchtgefahr bei Herrn Al Chodor und seinen Söhnen bestehe, da diese das Flüchtlingslager in Ungarn verlassen hätten, ohne die Entscheidung über ihren Asylantrag abzuwarten. Ihnen sei bewusst, dass ihr Aufenthalt rechtswidrig sei und sie hätten angegeben, nach Deutschland weiterreisen zu wollen. Aufgrund dessen nahm die Fremdenpolizei, da sie keine Möglichkeit für eine weniger einschneidende Maßnahme sah, die Betroffenen mit Entscheidung vom 8. Mai 2015 gemäß Art. 129 Abs. 1 des Ausländeraufenthaltsgesetzes in Verbindung mit Art. 28 der Dublin‑III-Verordnung für 30 Tage in Haft. Nach Beendigung der Haft sollten Herr Al Chodor und seine Söhne nach Ungarn überstellt werden, da dieser Mitgliedstaat gemäß den Bestimmungen der Dublin‑III-Verordnung für die Prüfung ihres Asylantrags zuständig war.
21. Auf die hiergegen von Herrn Al Chodor und seinen Söhnen erhobene Klage hob das Krajský soud d’Ústí nad Labem (Regionalgericht Ústí nad Labem, Tschechische Republik) diese Entscheidung auf. Es war der Ansicht, dass eine Inhaftnahme der Antragsteller in der Tschechischen Republik nach Art. 28 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung nicht möglich sei, da die objektiven Kriterien zur Beurteilung einer Fluchtgefahr nicht, wie in Art. 2 Buchst. n dieser Verordnung vorgeschrieben, in einem tschechischen Gesetz festgelegt seien. Das Gericht schloss sich somit dem vom Bundesgerichtshof (Deutschland)(5) und dem Verwaltungsgerichtshof (Österreich)(6) verfolgten Ansatz an.
22. Herr Al Chodor und seine Söhne wurden unmittelbar nach der Aufhebung der Entscheidung der Fremdenpolizei freigelassen. Sie haben die Tschechische Republik seitdem mit unbekanntem Ziel verlassen.
23. Die Fremdenpolizei legte beim Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht) gegen das Urteil des Krajský soud d’Ústí nad Labem (Regionalgericht Ústí nad Labem, Tschechische Republik) eine Kassationsbeschwerde ein. Nach Ansicht der Fremdenpolizei führt allein das Fehlen nationaler Gesetzesvorschriften, welche die objektiven Kriterien der Fluchtgefahr festlegen, nicht zur Nichtanwendbarkeit von Art. 28 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung.
24. Das vorlegende Gericht möchte daher wissen, ob Art. 28 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. n der Dublin‑III-Verordnung und/oder Art. 129 Abs. 1 des Ausländeraufenthaltsgesetzes eine ausreichende Rechtsgrundlage darstellen, wenn objektive Kriterien für die Beurteilung des Bestehens einer Fluchtgefahr nicht in einem nationalen Gesetz festgelegt sind. Es fragt sich, ob die Anerkennung solcher Kriterien in der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung bzw. in der Verwaltungspraxis dem Erfordernis einer „gesetzlichen“ Festlegung im Sinne von Art. 2 Buchst. n dieser Verordnung genügt.
25. Das Gericht verweist in diesem Zusammenhang auf seine eigene Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs der erheblichen Fluchtgefahr, wie sie aus mehreren seiner Urteile hervorgeht. Nach einem dieser Urteile stellt ein vorangegangener Verstoß gegen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zusammen mit einem Verstoß gegen Unionsrecht ein objektives Kriterium für die Beurteilung des Bestehens einer solchen Gefahr dar(7). In einem anderen Urteil hat das Gericht weitere Kriterien zugelassen, darunter die Einreise des Betroffenen ohne Aufenthaltsgenehmigung in den Schengen-Raum zusammen mit widersprüchlichen Aussagen zu seiner Einreise in die Tschechische Republik sowie einem allgemeinen Mangel an Glaubwürdigkeit(8). In zwei weiteren Urteilen wurden die unberechtigte Einreise oder der unberechtigte Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik als objektive Kriterien anerkannt(9). Ein anderes Urteil hat hierbei das Fehlen von Ausweispapieren berücksichtigt(10).
26. Ferner weist das Gericht darauf hin, dass die Praxis der Fremdenpolizei bei der Inhaftnahme von Antragstellern nach Art. 28 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung vorhersehbar sei, keine Anzeichen von Willkür enthalte und im Einklang mit der nationalen Gesetzesregelung in ihrer Auslegung durch seine ständige Rechtsprechung stehe. Außerdem werde jeder Einzelfall gesondert geprüft.
27. Das vorlegende Gericht fügt hinzu, dass der tschechische Gesetzgeber beabsichtige, diese Rechtsprechung zu kodifizieren, indem er das Ausländeraufenthaltsgesetz durch die Aufnahme einer Liste objektiver Kriterien für die Beurteilung der Fluchtgefahr ändere.
28. Unter diesen Umständen hat der Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Hat die bloße Tatsache, dass in der Gesetzesregelung keine objektiven Kriterien für die Beurteilung, ob bei einem Ausländer eine erhebliche Fluchtgefahr (im Sinne von Art. 2 Buchst. n der Dublin‑III-Verordnung) besteht, festgelegt worden sind, die Nichtanwendbarkeit des Instruments der Inhaftnahme nach Art. 28 Abs. 2 dieser Verordnung zur Folge?
29. Die Fremdenpolizei, die tschechische und die griechische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Die tschechische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission waren in der mündlichen Verhandlung vom 14. Juli 2016 vertreten.
IV – Würdigung
A – Vorbemerkungen
30. Die tatsächlichen Umstände der vorliegenden Rechtssache sind bezeichnend für das in den letzten Jahren oftmals beobachtete Phänomen der „Sekundärmigration“, bei der sich zahlreiche, um internationalen Schutz nachsuchende Personen vom Mitgliedstaat, der gemäß den in der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Kriterien(11) für die Bearbeitung ihres Antrags zuständig ist (d. h. häufig der Mitgliedstaat ihrer ersten Einreise(12)), in andere Mitgliedstaaten begeben, in denen sie internationalen Schutz beantragen und sich niederlassen möchten(13).
31. Bei einer solchen Migration kann der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Antragsteller befindet, den Mitgliedstaat, den er gemäß den Bestimmungen der Dublin‑III-Verordnung für zuständig hält, um die Aufnahme (oder Wiederaufnahme) des Antragstellers ersuchen(14). Gibt der ersuchte Mitgliedstaat diesem Gesuch statt, so überstellt der ersuchende Mitgliedstaat diesen Antragsteller gemäß dem in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren dorthin (im Folgenden: Überstellungsverfahren)(15). Um die Durchführung des Verfahrens sicherzustellen, gestattet diese Verordnung die – durch strenge Garantien begrenzte – Anwendung von Zwangsmaßnahmen wie der Inhaftnahme(16) und der kontrollierten Ausreise oder der Ausreise in Begleitung(17).
32. Art. 28 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung, auf den Art. 8 Abs. 3 Buchst. f der Aufnahmerichtlinie verweist, gestattet den Mitgliedstaaten daher, einen Antragsteller unter drei Bedingungen in Haft zu nehmen.
33. Die erste Bedingung bezieht sich auf das von einer solchen Maßnahme verfolgte Ziel und impliziert, dass diese „[z]wecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren …, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, nach einer Einzelfallprüfung“ durchgeführt wird. Art. 2 Buchst. n dieser Verordnung definiert die Fluchtgefahr als „das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller … diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte“.
34. Die zweite und die dritte Bedingung betreffen die Verhältnismäßigkeit bzw. die Erforderlichkeit der Inhaftnahme, d. h., es dürfen keine weniger einschneidenden Maßnahmen vorhanden sein, die diese wirksam ersetzen könnten.
35. Die Vorlagefrage betrifft ausschließlich die Tragweite der ersten dieser Bedingungen, genauer gesagt das Erfordernis, dass die objektiven Kriterien der Fluchtgefahr gemäß Art. 2 Buchst. n dieser Verordnung „gesetzlich festgelegt“ sind. Sie bezieht sich nicht auf die inhaltliche Gültigkeit dieser Kriterien, und insbesondere nicht auf ihren objektiven Charakter und ihre Vereinbarkeit mit den Erfordernissen der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der Inhaftnahme.
36. Aus den nachstehenden Gründen bin ich der Ansicht, dass die objektiven Kriterien für die Beurteilung des Bestehens einer Fluchtgefahr durch Gesetz, d. h. durch vom Gesetzgeber erlassenes geschriebenes Recht, festgelegt sein müssen.
B – Zum Minimalcharakter des Schutzes des sich aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. f EMRK ergebenden Rechts der Antragsteller auf Freiheit
37. Art. 2 Buchst. n der Dublin‑III-Verordnung legt die objektiven Kriterien der Fluchtgefahr nicht selbst fest, sondern verweist hierzu auf die internen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten.
38. Diesbezüglich verwenden bestimmte Sprachfassungen dieser Verordnung, wie die bulgarische, die spanische und die deutsche Fassung, in Art. 2 Buchst. n der Verordnung einen Begriff, der dem französischen Begriff „loi“ (Gesetz) entspricht und grundsätzlich nur Gesetzesvorschriften bezeichnet. Andere Fassungen, darunter die englische, die polnische und die slowakische Fassung, verwenden eine allgemeinere Formulierung, die dem französischen Begriff „droit“ (Recht) entspricht, der nach seinem gewöhnlichen Wortsinn nicht nur Gesetzesvorschriften, sondern auch andere Rechtsnormen umfasst.
39. Neben diesen Unterschieden zwischen den einzelnen Sprachfassungen derselben Verordnung weist das vorlegende Gericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte darauf hin, dass sich selbst der Begriff „Gesetz“ nicht eindeutig auslegen lässt. In den schriftlichen Erklärungen und in der mündlichen Verhandlung in der vorliegenden Rechtssache ging es demnach zu einem großen Teil um die Frage, ob die Achtung der Grundrechte, wie sie durch die EMRK gewährleistet und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausgelegt werden – die gemäß Art. 6 Abs. 3 EUV als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind(18) –, es gebietet, dass die objektiven Kriterien der Fluchtgefahr in einer gesetzlichen Regelung festgelegt sind.
40. Die tschechische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs machen geltend, dass der Begriff „gesetzlich“ im Sinne der EMRK(19) nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht auf die Gesetzesvorschriften beschränkt sei, sondern auch andere Rechtsquellen umfasse, sofern diese die „materiellen“ Eigenschaften der Klarheit, Vorhersehbarkeit und der Zugänglichkeit besäßen(20). Eine gefestigte Rechtsprechung oder eine ständige Verwaltungspraxis besäßen im konkreten Fall diese Eigenschaften(21). Die griechische Regierung und die Kommission widersprechen diesem Standpunkt.
41. Ferner hat die tschechische Regierung in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass die Voraussetzung einer gesetzlichen Regelung, die sich aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. f EMRK ergebe, jedenfalls nur die Rechtsgrundlage für einen Eingriff in das Recht der Antragsteller auf Freiheit betreffe – die sich bereits in Art. 28 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung finde. Dagegen beziehe sich diese Voraussetzung nicht auf die Grenzen dieses Eingriffs, die den durch objektive Kriterien abgesteckten Rahmen für die Beurteilung der Fluchtgefahr bildeten.
42. Ohne dass die Richtigkeit dieser Behauptung geprüft zu werden braucht, bin ich der Ansicht, dass der Begriff „Gesetz“ im Sinne von Art. 2 Buchst. n der Dublin‑III-Verordnung im Licht ihres Kontexts und der ihr eigenen Zwecke(22) eine selbständige, vom Begriff „Gesetz“ im Sinne der EMRK abweichende Bedeutung hat.
43. In diesem Zusammenhang möchte ich hervorheben, dass die Bestimmungen der EMRK nur einen Mindestschutz der Grundrechte darstellen und nicht ausschließen, dass das Unionsrecht diesen Rechten einen weiter gehenden Schutz gewährt(23).
44. Zunächst werde ich zeigen, dass sich der Unionsgesetzgeber durch den Erlass der Bestimmungen der Dublin‑III-Verordnung und der Aufnahmerichtlinie, welche die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, die Antragsteller in Haft zu nehmen, begrenzen, dafür entschieden hat, deren Recht auf Freiheit einen weiter gehenden Schutz zu gewähren, als er sich aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. f EMRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ergibt.
45. Sodann werde ich erläutern, warum das Erfordernis einer „gesetzlichen“ Festlegung der Kriterien der Fluchtgefahr im Sinne von Art. 2 Buchst. n dieser Verordnung mit diesem Ziel eines verstärkten Schutzes zusammenhängt und unter diesem Blickwinkel verlangt, dass diese Kriterien in einer gesetzlichen Regelung festgelegt werden.
C – Zum Willen des Unionsgesetzgebers, das Recht der Antragsteller auf Freiheit zu verstärken
46. Einer der wesentlichen Fortschritte, die durch die Dublin‑III-Verordnung und die Aufnahmerichtlinie eingeführt worden sind, besteht in der Verstärkung der Garantien, durch die die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, die Antragsteller in Haft zu nehmen, begrenzt wird. Der Unionsgesetzgeber wollte, wie es im 15. Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt, die Inhaftnahme dieser Personen – die einen besonders schwerwiegenden Eingriff in ihr durch Art. 6 der Charta gewährleistetes Grundrecht auf Freiheit darstellt(24) – auf „Ausnahmefälle“ beschränkt wissen(25).
47. Diese Regelungen haben somit den Spielraum der Mitgliedstaaten beim Freiheitsentzug gegenüber Antragstellern, gegen die ein Überstellungsverfahren läuft, wesentlich eingeschränkt.
48. Vor dem Inkrafttreten dieser Regelungen war die Inhaftnahme von Antragstellern im abgeleiteten Unionsrecht nur minimal geregelt. Die der Dublin‑III-Verordnung vorangegangene Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II-Verordnung)(26) enthielt keine Regelung hierüber. Es galten daher die allgemeinen Garantien, die in Art. 7 Abs. 3 der der Aufnahmerichtlinie vorangegangenen Regelung, nämlich der Richtlinie 2003/9/EG(27), vorgesehen waren. Diese Bestimmung lautete: „In Fällen, in denen dies zum Beispiel aus rechtlichen Gründen oder aus Gründen der öffentlichen Ordnung erforderlich ist, können die Mitgliedstaaten dem Asylbewerber nach einzelstaatlichem Recht einen bestimmten Ort zuweisen“ (Hervorhebung nur hier). Die Gründe, aus denen einem Antragsteller die Freiheit entzogen werden konnte, waren demnach nicht harmonisiert. Art. 18 Abs. 1 der der Richtlinie 2013/32/EU (im Folgenden: Verfahrensrichtlinie)(28) vorangegangenen Richtlinie 2005/85/EG(29) stellte ferner klar, dass eine Person nicht allein deshalb in Gewahrsam genommen werden darf, weil sie ein Asylbewerber ist.
49. Die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, Antragsteller bis zu ihrer Überstellung in Haft zu nehmen, war auch durch ihre Verpflichtungen gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. f EMRK begrenzt(30). Diese Bestimmung gestattet den Vertragsparteien, im Rahmen der Ausübung ihrer Befugnisse bei der Steuerung der Migrationsströme das Recht auf Freiheit einer Person entweder zur Verhinderung der unerlaubten Einreise in ihr Hoheitsgebiet (erster Teil) oder im Fall eines gegen diese Person laufenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahrens (zweiter Teil) einzuschränken.
50. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einigen Urteilen(31) die Inhaftnahme eines Antragstellers im Rahmen eines Verfahrens zur Überstellung in den für die Prüfung seines Antrags zuständigen Mitgliedstaat der Freiheitsentziehung einer Person, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Sinne des zweiten Teils von Art. 5 Abs. 1 Buchst. f EMRK im Gange ist, gleichgestellt(32).
51. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte setzt die Inhaftnahme einer Person im Rahmen eines solchen Verfahrens jedoch nicht voraus, dass diese Maßnahme „beispielsweise zur Vermeidung einer Fluchtgefahr erforderlich [ist]“(33). Die Vereinbarkeit einer Inhaftierung mit Art. 5 Abs. 1 Buchst. f EMRK ist somit weder vom Vorliegen einer Fluchtgefahr noch vom Fehlen weniger restriktiver Maßnahmen zur Sicherstellung der Abschiebung des Betroffenen abhängig. Hierzu ist nur erforderlich, dass die im Hinblick auf diese Abschiebung tatsächlich unternommenen Schritte mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt werden(34).
52. Durch den Erlass der Dublin‑III-Verordnung und der Aufnahmerichtlinie hat sich der Unionsgesetzgeber für einen Schutz des Rechts auf Freiheit der Antragsteller, gegen die ein Überstellungsverfahren läuft, ausgesprochen, der über den Schutz hinausgeht, der sich aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. f EMRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ergibt(35).
53. Dies gilt erstens, soweit Art. 28 Abs. 2 dieser Verordnung die Inhaftnahme dieser Antragsteller nur bei Vorliegen einer erheblichen Fluchtgefahr gestattet. Untersagt ist also, wie sich auch aus Art. 28 Abs. 1 dieser Verordnung ergibt, einen Antragsteller allein deshalb in Haft zu nehmen, weil ein Überstellungsverfahren im Gange ist(36).
54. Darüber hinaus enthält die Aufnahmerichtlinie in ihrem Art. 8 Abs. 3 nunmehr eine abschließende Aufzählung der Gründe, aus denen ein Antragsteller in Haft genommen werden kann. Zu diesen gehört nach Buchst. f dieser Bestimmung die Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung gemäß Art. 28 der Dublin‑III-Verordnung.
55. Zweitens sehen sowohl Art. 28 Abs. 2 dieser Verordnung als auch Art. 8 Abs. 2 der Aufnahmerichtlinie vor, dass die Inhaftnahme ein letztes Mittel darstellt, das nur dann in Frage kommt, wenn keine weniger einschneidenden Alternativen vorhanden sind.
56. In sämtlichen vorgenannten Bestimmungen kommt somit der Wille des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, die Inhaftnahme von Antragstellern auf Ausnahmefälle zu beschränken, wie sich aus dem 15. Erwägungsgrund der Aufnahmerichtlinie ergibt und wie der Gerichtshof im Urteil N.(37) hervorgehoben hat.
57. Die vorstehenden Erwägungen rechtfertigen meines Erachtens eine enge Auslegung der Bestimmungen, die es den Mitgliedstaaten gestatten, einen Antragsteller in Haft zu nehmen. Vor diesem Hintergrund sollte bei Zweifeln hinsichtlich der Auslegung des Begriffs „gesetzlich“ in Art. 2 Buchst. n der Dublin‑III-Verordnung derjenigen Auslegung der Vorzug gegeben werden, die dem Recht der Antragsteller auf Freiheit den besten Schutz gewährt.
58. Wie ich im Folgenden darlegen werde, ist die Aufzählung der Kriterien für das Vorliegen einer Fluchtgefahr in einer Gesetzesvorschrift meines Erachtens geeignet, den Schutz der Antragsteller vor einer willkürlichen Beeinträchtigung ihres Rechts auf Freiheit zu verstärken. Darüber hinaus halte ich sie für erforderlich, um das zweifache Ziel zu verwirklichen, das meiner Meinung nach mit dem Erfordernis einer „gesetzlichen“ Festlegung dieser Kriterien verbunden ist.
D – Zur Erforderlichkeit einer gesetzlichen Regelung, in der die Kriterien der Fluchtgefahr im Hinblick auf die von Art. 2 Buchst. n der Dublin‑III-Verordnung verfolgten Ziele festgelegt werden
1. Zum zweifachen Ziel des Erfordernisses einer „gesetzlichen“ Festlegung der Kriterien der Fluchtgefahr
59. Die Fluchtgefahr beinhaltet gemäß ihrer Definition in Art. 2 Buchst. n der Dublin‑III-Verordnung sowohl einen subjektiven, spezifischen Aspekt („im Einzelfall“(38)) als auch einen objektiven, allgemeinen Aspekt („auf [der Grundlage von] objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien“).
60. Diese Definition enthält somit zwei kumulative Erfordernisse, da die zuständigen Behörden – d. h. die Verwaltungsbehörden oder die Gerichte(39) – verpflichtet sind, im Einzelfall sämtliche individuellen und konkreten Umstände, die für die Lage des einzelnen Antragstellers kennzeichnend sind, zu prüfen(40), während sie gleichzeitig dafür sorgen, dass diese Prüfung auf der Grundlage objektiver, allgemein und abstrakt aufgestellter Kriterien erfolgt.
61. In diesem Zusammenhang spiegelt das Erfordernis einer „gesetzlichen“ Festlegung der Kriterien der Fluchtgefahr meines Erachtens ein zweifaches Ziel wider.
62. Zum einen soll das Erfordernis sicherstellen, dass diese Kriterien ausreichende Garantien für die Rechtssicherheit bieten. Hierzu folgt aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die aufgrund einer Verordnung ergriffenen Maßnahmen eines Mitgliedstaats, selbst wenn sie die Ausübung eines ihm von der Verordnung eingeräumten Ermessens betreffen, im Einklang mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit als einem allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts stehen müssen(41). Meines Erachtens gilt dieser Grundsatz auch im vorliegenden Fall, da die Mitgliedstaaten, wenn sie diese Kriterien festlegen, Art. 28 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung in Verbindung mit Art. 2 Buchst. n dieser Verordnung anwenden, um von der ihnen in der erstgenannten Vorschrift eingeräumten Möglichkeit Gebrauch zu machen, Antragsteller in Haft zu nehmen.
63. Zum anderen hat dieses Erfordernis zum Ziel, zu gewährleisten, dass die Behörden, die die Kriterien der Fluchtgefahr anwenden sollen, ihr Ermessen bei der Einzelfallbeurteilung innerhalb eines im Voraus abgesteckten Rahmens ausüben.
64. Diese Ziele ergeben sich auch aus den Vorarbeiten zur Richtlinie 2008/115/EG(42) (im Folgenden: Rückführungsrichtlinie), deren Art. 3 Abs. 7 eine Definition der Fluchtgefahr enthält, die nahezu völlig mit derjenigen in Art. 2 Buchst. n der Dublin‑III-Verordnung übereinstimmt (bis auf den Unterschied, dass die eine Bestimmung eine Person, gegen die ein „Rückführungsverfahren“ läuft, und die andere eine Person, gegen die ein „Überstellungsverfahren“ im Gange ist, betrifft).
65. Obwohl die Rückführungsrichtlinie nicht auf Personen anwendbar ist, die internationalen Schutz beantragen(43), und die Inhaftnahme nach dieser Richtlinie für die Zwecke der Abschiebung und die Inhaftnahme der Personen, die internationalen Schutz beantragen, unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen(44), können die Vorarbeiten zu der Rückführungsrichtlinie meines Erachtens Aufschluss für die Auslegung von Art. 2 Buchst. n der Dublin‑III-Verordnung geben. Diese Bestimmung orientiert sich nämlich offensichtlich an Art. 3 Abs. 7 der Rückführungsrichtlinie, den sie fast wortgleich übernimmt. Im Übrigen geht aus den Vorarbeiten zur Dublin‑III-Verordnung nicht hervor, dass eine Diskussion über die Definition der Fluchtgefahr in Art. 2 Buchst. n dieser Verordnung stattgefunden hat(45).
66. Außerdem hängt die Grenze, die eine solche Gefahr übersteigen muss, um eine Haftmaßnahme zu rechtfertigen, von der anwendbaren Regelung ab. Art. 15 Abs. 1 Buchst. a der Rückführungsrichtlinie macht die Inhaftnahme für die Zwecke der Abschiebung vom Bestehen einer „Fluchtgefahr“ abhängig. Art. 28 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung verlangt eine „erhebliche Fluchtgefahr“, um einem Antragsteller bis zu seiner Überstellung die Freiheit zu entziehen.
67. Im Übrigen betrifft das Überstellungsverfahren, anders als das Rückführungsverfahren, vor allem Antragsteller, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet des ersuchenden Mitgliedstaats aufhalten. Gemäß dem Hinweis im neunten Erwägungsgrund der Rückführungsrichtlinie hat ein Antragsteller nach Art. 9 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie nämlich das Recht, im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem er seinen Antrag gestellt hat, zu bleiben, bis die erstinstanzliche Entscheidung hierüber oder gegebenenfalls die Entscheidung über den gegen diese Entscheidung eingelegten Rechtsbehelf ergangen ist(46). Dies gilt selbst dann, wenn dieser Mitgliedstaat sich für die Behandlung dieses Antrags nicht für zuständig hält und gemäß den Bestimmungen der Dublin‑III-Verordnung einen anderen Mitgliedstaat um Aufnahme des Antragstellers ersucht(47).
68. Unter diesen Umständen sind meiner Ansicht nach die Garantien, die in der Rückführungsrichtlinie zur Begrenzung der Inhaftnahme von abzuschiebenden Personen vorgesehen sind, erst recht auf die Inhaftnahme von Antragstellern anwendbar, gegen die ein Überstellungsverfahren läuft.
69. Hierzu stelle ich fest, dass der ursprüngliche Vorschlag der Kommission im Rahmen des Verfahrens zum Erlass dieser Richtlinie keine Definition der Fluchtgefahr enthielt(48). Diese wurde im Bericht des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (im Folgenden: LIBE-Ausschuss) des Europäischen Parlaments eingeführt, in dem jedoch nur gefordert wurde, dass eine solche Gefahr anhand „individueller und objektiver Kriterien“ zu beurteilen sei(49). Der vom Rat gebilligte Standpunkt des Parlaments in erster Lesung hat diese Formulierung durch „objektive gesetzlich festgelegte Kriterien“ ersetzt(50).
70. Die Wahl dieser Formulierung, obwohl der Vorschlag der Kommission die Beurteilung der Fluchtgefahr in keiner Weise eingrenzte und der Bericht des LIBE-Ausschusses nur „individuelle und objektive Kriterien“ anführte, ohne deren Quelle anzugeben, kann nicht als bedeutungslos angesehen werden(51). Meines Erachtens bringt diese Wahl den Willen zum Ausdruck, die Vorhersehbarkeit der bei der individuellen Beurteilung der Fluchtgefahr verwendeten Kriterien zu gewährleisten und ein Gegengewicht zu der Befugnis der mit dieser Beurteilung betrauten Behörden zu bilden, indem diese Beurteilung durch allgemeine und abstrakte Kriterien begrenzt wird.
2. Zur Erforderlichkeit einer gesetzlichen Regelung, die zur Erreichung dieser Ziele die Kriterien der Fluchtgefahr festlegt
71. Die Erreichung der beiden vorgenannten Ziele erfordert meines Erachtens, dass die objektiven Kriterien der Fluchtgefahr in einer gesetzlichen Regelung festgelegt werden.
a) Zum Ziel der Gewährleistung der Rechtssicherheit
72. Der Grundsatz der Rechtssicherheit bedeutet im Wesentlichen, dass die Maßnahmen, die ein Mitgliedstaat in Anwendung des Unionsrechts ergreift, es dem Einzelnen erlauben, sich über den Umfang seiner Rechte und Pflichten im Klaren zu sein und die Folgen seines Handelns vorherzusehen(52). Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat(53), hängt die Beachtung dieses Grundsatzes nicht nur vom Inhalt der ergriffenen Maßnahmen ab, sondern gegebenenfalls auch von der Art des dafür gewählten Instruments.
73. Da es mir weder zweckmäßig noch auch nur möglich erscheint, die jeweiligen Vorzüge von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltungspraxis im Hinblick auf die Rechtssicherheit abstrakt zu beurteilen, werde ich meine Analyse auf die besonderen Umstände des Ausgangsrechtsstreits konzentrieren.
74. Wie ich in Nr. 25 dieser Schlussanträge dargelegt habe, handelt es sich bei der von dem vorlegenden Gericht angeführten ständigen Rechtsprechung um eine Reihe von Urteilen, die von diesem erlassen wurden und jeweils ein oder mehrere Kriterien für die Beurteilung des Vorliegens einer Fluchtgefahr festlegen. Die Aufzählung dieser Kriterien ist demnach bruchstückhaft.
75. Diese Feststellung legt zudem nahe, dass das Gericht diese Kriterien von Fall zu Fall auf der Grundlage der individuellen Umstände der ihm vorgelegten Rechtssachen anerkannt hat. In diesem Zusammenhang hat die tschechische Regierung in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass sich die Verwaltungspraxis und die Rechtsprechung weiterentwickeln könnten, wenn aufgrund der Erfahrungen andere für die Beurteilung der Fluchtgefahr relevante Kriterien zutage träten. Die Rechtsprechung bekräftige somit die zuvor von der Verwaltungspraxis entwickelten Kriterien.
76. Unter diesen Umständen bezweifle ich, dass die in Rede stehende Verwaltungspraxis und Rechtsprechung, auch wenn sie als gefestigt anzusehen sind, ausreichende Garantien im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit bieten. Dies gilt umso mehr, als es sich bei einer Haftmaßnahme um einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der Antragsteller handelt – den der Unionsgesetzgeber im Übrigen auf Ausnahmefälle beschränken wollte(54).
77. Könnten sich die Kriterien der Fluchtgefahr aus einer Verwaltungspraxis oder einer Rechtsprechung, die diese Praxis gegebenenfalls billigt, ergeben, bestünde nämlich die Gefahr, dass sich diese Kriterien je nach den Entwicklungen dieser Praxis verändern. Sie könnten unter solchen Umständen sogar nicht hinreichend beständig sein, um – wie von Art. 2 Buchst. n der Dublin‑III-Verordnung gefordert – als „festgelegt“ angesehen zu werden.
78. In der mündlichen Verhandlung hat die tschechische Regierung zudem Zweifel an dem öffentlichen Charakter der Verwaltungspraxis, aus der diese Kriterien hervorgehen, geäußert. Ohne Maßnahmen zu ihrer Bekanntmachung kann jedoch nicht sichergestellt werden, dass sie dem Einzelnen zugänglich sind. Insoweit hat der Gerichtshof im Übrigen die Ansicht vertreten, dass eine bloße Verwaltungspraxis, die die Verwaltung naturgemäß beliebig ändern kann und die nur unzureichend bekannt gemacht wird, nicht die Klarheit und Bestimmtheit aufweist, die notwendig sind, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit zu genügen(55).
79. Zwar bietet, wie die Regierung des Vereinigten Königreichs ausgeführt hat, auch die Festlegung der Kriterien der Fluchtgefahr in einem geschriebenen Gesetz angesichts des Erfordernisses einer individuellen und konkreten Beurteilung dieser Gefahr keine absolute Garantie der Rechtssicherheit. Die Begrenzung dieser Beurteilung durch Kriterien, die in einer gesetzlichen Regelung festgelegt sind, bietet meines Erachtens jedoch bessere Garantien im Hinblick auf Beständigkeit und damit auf Rechtssicherheit. Im Übrigen verlangt der Unionsgesetzgeber meines Erachtens gerade zur Begrenzung der Gefahr einer willkürlichen Ausübung des Ermessens der Verwaltungsbehörden und Gerichte bei der Einzelfallbeurteilung, dass dieses Ermessen durch Kriterien eingeschränkt wird, die aus einem Gesetz herrühren(56).
80. Im Übrigen könnte eingewendet werden, dass die Rechte der Antragsteller gegebenenfalls besser durch eine ständige Rechtsprechung oder ständige Verwaltungspraxis geschützt seien, die genaue und strenge Kriterien aufstelle, als durch eine gesetzliche Regelung, die vage und dehnbare Kriterien festlege. Um jede Unklarheit in diesem Punkt zu vermeiden, weise ich darauf hin, dass sich die vorgelegte Frage nur auf die Erfordernisse bezüglich der Rechtsquelle der Kriterien der Fluchtgefahr bezieht. Sie betrifft mithin nicht das davon zu unterscheidende Problem bezüglich des Inhalts dieser Kriterien(57).
b) Zum Ziel der Begrenzung des Ermessens der Verwaltungsbehörden und Gerichte bei der Einzelfallprüfung
81. Neben ihren Vorteilen im Hinblick auf die Rechtssicherheit bietet der Erlass einer gesetzlichen Regelung zusätzliche Garantien für die externe Kontrolle des Ermessens der Verwaltungsbehörden und Gerichte, die die Fluchtgefahr beurteilen und gegebenenfalls die Inhaftnahme eines Antragstellers anordnen sollen.
82. In Anbetracht der Schwere des Eingriffs in das Grundrecht auf Freiheit, den eine solche Maßnahme darstellt, und des Willens des Unionsgesetzgebers, diesen auf Ausnahmefälle zu beschränken(58), ist das Ermessen dieser Behörden in einer Weise zu begrenzen, dass die Antragsteller bestmöglich vor willkürlichen Freiheitsentziehungen geschützt werden. Unter diesem Blickwinkel ist es meines Erachtens wichtig, dass die abstrakte Festlegung des Inhalts dieser Kriterien und deren Anwendung in einem konkreten Fall von institutionell verschiedenen Behörden vorgenommen werden.
83. Dies ist meines Erachtens die wirkliche Tragweite des sich aus Art. 2 Buchst. n der Dublin‑III-Verordnung ergebenden zweifachen Erfordernisses einer individuellen Prüfung und einer Eingrenzung durch vorab festgelegte objektive Kriterien. Zum einen verpflichtet diese Vorschrift die Verwaltungsbehörden und Gerichte, die Umstände jedes konkreten Falles zu berücksichtigen. Zum anderen sorgt sie dafür, dass das Ermessen bei der Einzelfallprüfung anhand von im Voraus von einer anderen Behörde festgelegten allgemeinen und abstrakten Kriterien eingegrenzt wird.
84. Aufgrund dieser Erwägungen kann meines Erachtens ausgeschlossen werden, dass das Erfordernis der „gesetzlichen“ Festlegung objektiver Kriterien der Fluchtgefahr erfüllt ist, wenn diese Kriterien nicht durch eine Gesetzesvorschrift, sondern durch eine Verwaltungspraxis oder eine Rechtsprechung festgelegt sind(59).
85. Zur Untermauerung dieser Ausführungen möchte ich zunächst hinzufügen, dass der von mir vertretene Ansatz dem entspricht, den die Kommission in ihrem „Rückkehr-Handbuch“ im Hinblick auf die Auslegung von Art. 3 Abs. 7 der Rückführungsrichtlinie verfolgt(60).
86. Wie ferner aus den Antworten in zwei Fragebögen hervorgeht, die im Rahmen von Untersuchungen des Europäischen Migrationsnetzwerks an die „nationalen Kontaktstellen“ der Mitgliedstaaten gerichtet waren(61), erkennen die meisten Mitgliedstaaten offensichtlich an, dass Art. 2 Buchst. n der Dublin‑III-Verordnung sie verpflichtet, die Kriterien der Fluchtgefahr in ihren Gesetzesvorschriften festzulegen, wenn sie eine Haftmaßnahme anwenden wollen. Die Mehrzahl der Mitgliedstaaten, die auf diese Fragebögen geantwortet hat, hat erklärt, dass ihre nationalen gesetzlichen Regelungen im Jahr 2014 die objektiven Kriterien der Fluchtgefahr im Sinne von Art. 2 Buchst. n der Dublin‑III-Verordnung festgelegt hätten oder gerade entsprechend geändert würden. Letzteres war der Fall in der Tschechischen Republik, deren gesetzliche Regelung nach dem Vorabentscheidungsersuchen in diesem Sinne geändert wurde(62). Nur die „nationale Kontaktstelle“ des Vereinigten Königreichs hat das Erfordernis einer Festlegung dieser Kriterien in einer gesetzlichen Regelung in Abrede gestellt.
87. Schließlich teilen mehrere nationale Gerichte diese Auslegung. Insbesondere hat der Bundesgerichtshof (Deutschland) die Ansicht vertreten, dass nach der genannten Vorschrift die Gründe, die in vorhersehbarer und überprüfbarer Weise die Annahme einer Fluchtgefahr erlaubten, in einer gesetzlichen Regelung (da eine Rechtsprechung nicht genüge) festgelegt sein müssten(63). Der Verwaltungsgerichtshof (Österreich) hat ebenso in diesem Sinne entschieden, wobei er im Übrigen die Erforderlichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens ausdrücklich mit der Begründung verneint hat, dass eine andere Auslegung nicht möglich sei(64). Auch die Cour administrative (Verwaltungsgerichtshof, Luxemburg) hat darauf hingewiesen, dass Art. 2 Buchst. n der Dublin‑III-Verordnung auf Vorschriften gesetzlicher Natur verweise(65). Der Raad van State (Staatsrat, Niederlande) war der Auffassung, dass die Annahme der Fluchtgefahr im Sinne von Art. 3 Abs. 7 der Rückführungsrichtlinie(66) auf durch Gesetz festgelegte objektive Kriterien gestützt sein müsse, da eine Verwaltungspraxis insoweit nicht genüge(67).
V – Ergebnis
88. Nach alledem schlage ich vor, die vom Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:
Art. 2 Buchst. n in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat nicht befugt ist, eine Person, die internationalen Schutz beantragt, zur Sicherstellung des Verfahrens der Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat in Haft zu nehmen, wenn dieser erste Mitgliedstaat in seiner gesetzlichen Regelung keine objektiven Kriterien festgelegt hat, die es erlauben, das Bestehen einer Fluchtgefahr zu beurteilen; dies gilt selbst dann, wenn sich solche Kriterien aus der Verwaltungspraxis oder der Rechtsprechung dieses Mitgliedstaats ergeben.