Language of document : ECLI:EU:T:2013:495

BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DER SECHSTEN KAMMER DES GERICHTS

10. September 2013(*)

„Prozesskostenhilfe – Vor Erhebung einer Klage wegen außervertraglicher Haftung gestellter Antrag – Untersuchung des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) – Behandlung einer Petition des Antragstellers durch den Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments“

In der Rechtssache T‑478/12 AJ

EI, wohnhaft in Wien (Österreich),

Antragsteller,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch A. Gros-Tchorbadjiyska und P. Schonard als Bevollmächtigte,

und

Europäische Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz und B. Martenczuk als Bevollmächtigte,

Antragsgegner,

betreffend einen vor Klageerhebung gestellten Antrag auf Prozesskostenhilfe,

erlässt

DER PRÄSIDENT DER SECHSTEN KAMMER DES GERICHTS

folgenden

Beschluss

1        Image not foundMit einem Formular, das am 5. November 2012 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Antragsteller, Herr EI, vor der Erhebung einer Klage wegen außervertraglicher Haftung nach Art. 340 AEUV aufgrund eines als rechtswidrig gerügten Verhaltens der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments und des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) bei der Kanzlei des Gerichts gemäß Art. 95 der Verfahrensordnung des Gerichts die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

2        Das Parlament vertritt in seiner am 14. Januar 2013 bei der Kanzlei eingegangenen Stellungnahme zu dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Ansicht, dass der Antrag abzulehnen sei, da er den Anforderungen des Art. 95 § 2 Abs. 2 der Verfahrensordnung nicht genüge; das in Art. 95 § 3 der Verfahrensordnung vorgesehene Formular enthalte nämlich keine Angaben zum Gegenstand der Klage, zum Sachverhalt und zum Vorbringen, und der Antragsteller habe sich darauf beschränkt, mehrere Hundert Seiten verwirrender Unterlagen als Anlage zu seinem Antrag einzureichen.

3        Hilfsweise macht das Parlament geltend, dass der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe offensichtlich unzulässig sei, soweit er dieses Organ betreffe. Zum einen könne auf der Grundlage der behaupteten Rechtswidrigkeit der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates vom 11. Juli 2006 mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 (ABl. L 210, S. 25), deren Urheber das Parlament nicht sei, keine Schadensersatzklage erhoben werden. Zum anderen könne das an den Antragsteller gerichtete Schreiben des Petitionsausschusses vom 7. Juli 2011, mit dem der Antragsteller darüber informiert worden sei, dass seine Petition in der Sitzung am 14. und 15. Juni 2011 geprüft worden sei, keine Handlung darstellen, die die außervertragliche Haftung des Parlaments auslösen könne, und im Übrigen sei die Petition des Antragstellers korrekt behandelt worden.

4        Die Kommission vertritt in ihrer am 15. Januar 2013 bei der Kanzlei eingegangenen Stellungnahme zu dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Auffassung, dass der Antrag offensichtlich unzulässig sei, soweit er sie betreffe. Da sie nicht die Urheberin der Verordnung Nr. 1083/2006 sei, könne die behauptete Rechtswidrigkeit dieses Rechtsakts ihre Haftung nicht auslösen. Die Klage sei auch unzulässig, soweit sie sich gegen das OLAF richte, das keine Rechtspersönlichkeit besitze. Im Übrigen habe der Antragsteller die Anforderungen des Art. 95 § 2 der Verfahrensordnung nicht erfüllt, da die von ihm vorgelegten Unterlagen nicht ausreichten, um seine wirtschaftliche Lage beurteilen zu können. Schließlich solle mit dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe Art. 94 § 2 der Verfahrensordnung umgangen werden, wonach nur natürlichen Personen Prozesskostenhilfe gewährt werden könne.

5        Aus Art. 94 § 1 der Verfahrensordnung ergibt sich, dass zur Gewährleistung eines effektiven Zugangs zu den Gerichten die für die Verfahren vor dem Gericht bewilligte Prozesskostenhilfe die Kosten des Beistands und der rechtlichen Vertretung vor dem Gericht vollständig oder teilweise deckt. Diese Kosten werden von der Kasse des Gerichts getragen.

6        Nach Art. 94 §§ 2 und 3 der Verfahrensordnung wird die Prozesskostenhilfe nur bewilligt, wenn die doppelte Voraussetzung vorliegt, dass der Betroffene aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage vollständig oder teilweise außerstande ist, die Kosten des Beistands und der rechtlichen Vertretung vor dem Gericht zu tragen, und dass seine Rechtsverfolgung nicht offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet erscheint.

7        Gemäß Art. 95 § 2 Abs. 1 der Verfahrensordnung sind mit dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe Unterlagen und Belege einzureichen, die eine Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Antragstellers ermöglichen, wie eine Bescheinigung einer zuständigen nationalen Behörde, die dessen wirtschaftliche Lage bestätigt. Gemäß Art. 95 § 2 Abs. 2 der Verfahrensordnung hat der Antragsteller, der seinen Antrag vor Klageerhebung einreicht, den Gegenstand der beabsichtigten Klage, den Sachverhalt und das Vorbringen zur Stützung der Klage kurz darzulegen und mit seinem Antrag entsprechende Unterlagen einzureichen.

8        Nach Art. 96 § 2 der Verfahrensordnung entscheidet der Präsident durch Beschluss über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, wobei eine ablehnende Entscheidung mit Gründen zu versehen ist.

9        Was erstens die in Art. 94 § 2 der Verfahrensordnung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufgestellte Voraussetzung hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage des Betroffenen angeht, ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen und Belegen, dass der Antragsteller außerstande ist, die Kosten des Beistands und der rechtlichen Vertretung durch einen Rechtsanwalt aufzubringen. Er hat nämlich zwei Bescheinigungen seiner Wohnsitzgemeinde vorgelegt, nach denen er seit 1. April 2012 einen Betrag von monatlich 773,26 Euro als „bedarfsorientierte Mindestsicherung“ erhält. Im Übrigen ergibt sich aus der gesamten Akte, dass der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Einklang mit den Bestimmungen von Art. 94 § 2 der Verfahrensordnung von einer natürlichen Person gestellt worden ist, auch wenn der vom Antragsteller geltend gemachte Schaden mit den Tätigkeiten der Gesellschaft zusammenhängt, die er allein betreibt und deren Kapital er zu 100 % hält.

10      Was zweitens die Voraussetzung betrifft, dass der Antragsteller Angaben zum Gegenstand der Klage, zum Sachverhalt und zum Vorbringen machen muss, so finden sich diese Angaben in hinreichend verständlicher Form in dem vom Antragsteller ausgefüllten Formular und in den zahlreichen als Anlagen eingereichten Unterlagen.

11      Was drittens die in Art. 94 § 3 der Verfahrensordnung aufgestellte Voraussetzung in Bezug auf die offensichtliche Unzulässigkeit und die offensichtliche Unbegründetheit der beabsichtigten Klage anbelangt, ist zwischen der beabsichtigten Klage gegen die Kommission und das OLAF und der beabsichtigten Klage gegen das Parlament zu unterscheiden.

12      Hinsichtlich der beabsichtigten Klage wegen außervertraglicher Haftung gegen die Kommission und das OLAF ist zwischen der behaupteten Rechtswidrigkeit der Verordnung Nr. 1083/2006 und den dem OLAF vorgeworfenen Unregelmäßigkeiten zu unterscheiden. Was den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in Bezug auf die wegen der behaupteten Rechtswidrigkeit der Verordnung Nr. 1083/2006 beabsichtigte Klage gegen die Kommission angeht, ist darauf hinzuweisen, dass eine Klage wegen außervertraglicher Haftung, die gegen ein anderes Organ als dasjenige gerichtet ist, dem das die Haftung auslösende Verhalten zur Last fällt, unzulässig ist (Urteil des Gerichtshofs vom 13. November 1973, Werhahn Hansamühle u. a./Rat und Kommission, 63/72 bis 69/72, Slg. 1973, 1229, Randnr. 7, und Beschluss des Gerichts vom 22. Februar 2001, Lamberts/Bürgerbeauftragter und Parlament, T‑209/00, Slg. 2001, II‑765, Randnr. 17). In der vorliegenden Rechtssache ergibt sich jedoch aus dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, dass das rechtswidrige Verhalten der Kommission nach Ansicht des Antragstellers im Erlass der Verordnung Nr. 1083/2006 besteht, deren Urheber der Rat ist. Eine solche Klage wegen außervertraglicher Haftung erscheint daher offensichtlich unzulässig, soweit sie sich gegen die Kommission richtet.

13      Was den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in Bezug auf die beabsichtigte Klage gegen das OLAF betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass eine auf Unregelmäßigkeiten, die das OLAF begangen haben soll, gestützte Klage wegen außervertraglicher Haftung als ausschließlich gegen die Kommission gerichtet anzusehen ist, da das OLAF lediglich eine interne Dienststelle der Kommission ist und keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt (Urteil des Gerichts vom 6. April 2006, Camós Grau/Kommission, T‑309/03, Slg. 2006, II‑1173, Randnr. 66, und Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 15. März 2010, GL2006 Europe/Kommission und OLAF, T‑435/09 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 16).

14      Was den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in Bezug auf die beabsichtigte Klage wegen außervertraglicher Haftung gegen das Parlament anbelangt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass eine solche Klage offensichtlich unzulässig erscheint, soweit mit ihr geltend gemacht werden soll, dass sich das Parlament beim Erlass der Verordnung Nr. 1083/2006, deren Urheber der Rat ist, rechtswidrig verhalten habe (vgl. in diesem Sinne die vorstehende Randnr. 12). Soweit die Klage dagegen auf eine außervertragliche Haftung des Parlaments wegen Unregelmäßigkeiten abzielt, die dem Petitionsausschuss bei der Behandlung der genannten Petition unterlaufen sein sollen, erscheint sie nicht auf den ersten Blick offensichtlich unzulässig (Urteil des Gerichtshofs vom 23. März 2004, Bürgerbeauftragter/Lamberts, C‑234/02 P, Slg. 2004, I‑2803, Randnr. 52) oder offensichtlich unbegründet.

15      Aus alledem ergibt sich, dass die Kriterien von Art. 94 §§ 2 und 3 und Art. 95 der Verfahrensordnung erfüllt sind. Dem Antragsteller ist somit Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

16      Gemäß Art. 96 § 3 Abs. 2 der Verfahrensordnung übermittelt der Kanzler, wenn der Antragsteller nicht selbst einen Anwalt vorgeschlagen hat oder es untunlich ist, seinem Vorschlag zu folgen, der zuständigen Stelle des betroffenen Staates den Beschluss, mit dem die Prozesskostenhilfe bewilligt wird, und eine Abschrift des Antrags; der mit der Vertretung des Antragstellers beauftragte Anwalt wird unter Berücksichtigung der von dieser Stelle übermittelten Vorschläge bestimmt.

17      Da der Antragsteller im vorliegenden Fall innerhalb der ihm vom Gericht gesetzten Frist keinen zu seiner Vertretung bereiten Anwalt vorgeschlagen hat, ist die Entscheidung über die Bestimmung des mit seiner Vertretung beauftragten Anwalts vorzubehalten; sie kann erst nach Anhörung der zuständigen Stelle des Mitgliedstaats seines Wohnsitzes, des österreichischen Bundesministers für Justiz, getroffen werden.

18      Gemäß Art. 96 § 3 Abs. 3 der Verfahrensordnung kann in dem Beschluss, mit dem die Prozesskostenhilfe bewilligt wird, ein Betrag festgesetzt werden, der dem mit der Vertretung des Antragstellers beauftragten Anwalt zu zahlen ist, oder eine Obergrenze festgelegt werden, die die Auslagen und Gebühren des Anwalts grundsätzlich nicht überschreiten dürfen.

19      Im vorliegenden Fall ist unter Berücksichtigung des Gegenstands und der Art des Rechtsstreits bereits jetzt klarzustellen, dass im Einklang mit den vorgenannten Bestimmungen von Art. 96 § 3 der Verfahrensordnung die Auslagen und Gebühren des im Rahmen der Prozesskostenhilfe bestimmten Anwalts grundsätzlich einen Betrag von 4 000 Euro (ohne Mehrwertsteuer) nicht überschreiten dürfen.

Aus diesen Gründen hat

DER PRÄSIDENT DER SECHSTEN KAMMER DES GERICHTS

beschlossen:

1.      Herrn EI wird Prozesskostenhilfe bewilligt.

2.      Der in der Rechtssache T‑478/12 mit der Vertretung von Herrn EI beauftragte Anwalt wird unter Berücksichtigung der Vorschläge bestimmt, die der österreichische Bundesminister für Justiz der Kanzlei des Gerichts übermittelt.

3.      Die Auslagen und Gebühren des mit der Vertretung von Herrn EI beauftragten Anwalts werden auf der Grundlage einer dem Gericht nach Abschluss des Verfahrens vorzulegenden detaillierten Abrechnung festgesetzt; sie dürfen jedoch grundsätzlich einen Betrag von 4 000 Euro (ohne Mehrwertsteuer) nicht überschreiten.

Luxemburg, den 10. September 2013

Der Kanzler

 

      Der Präsident

E. Coulon

 

      H. Kanninen


* Verfahrenssprache: Deutsch.