Language of document : ECLI:EU:T:2009:314

Rechtssachen T-30/01 bis T-32/01 und T-86/02 bis T-88/02

Territorio Histórico de Álava – Diputación Foral de Álava u. a.

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Staatliche Beihilfen – Steuervorteile, die von einer Gebietskörperschaft eines Mitgliedstaats gewährt werden – Steuerbefreiungen – Entscheidungen, mit denen die Beihilferegelungen für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt werden und die Rückforderung der gewährten Beihilfen angeordnet wird – Qualifizierung als neue oder als bestehende Beihilfen – Betriebsbeihilfen – Grundsatz des Vertrauensschutzes – Grundsatz der Rechtssicherheit – Entscheidung, das förmliche Prüfverfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG einzuleiten – Erledigung der Hauptsache“

Leitsätze des Urteils

1.      Verfahren – Streithilfe – Zulässigkeit – Erneute Prüfung nach Erlass eines früheren Zulassungsbeschlusses

(Satzung des Gerichtshofs, Art. 40 Abs. 2)

2.      Verfahren – Streithilfe – Personen, die ein berechtigtes Interesse haben – Repräsentative Vereinigung, die den Schutz der Interessen ihrer Mitglieder bezweckt – Zulässigkeit in Rechtssachen, die Grundsatzfragen aufwerfen, die sich auf diese Mitglieder auswirken können

(Satzung des Gerichtshofs, Art. 40 Abs. 2 und 53 Abs. 1)

3.      Staatliche Beihilfen – Bestehende und neue Beihilfen – Qualifizierung als bestehende Beihilfe – Kriterien – Maßnahme, die zum Zeitpunkt ihrer Einführung keine Beihilfe war

(Art. 87 EG und 88 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 1 Buchst. b Ziff. v)

4.      Staatliche Beihilfen – Bestehende und neue Beihilfen – Qualifizierung als bestehende Beihilfe – Kriterien – Entwicklung des Gemeinsamen Marktes

(Art. 87 EG und 88 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 1 Buchst. b Ziff. v)

5.      Staatliche Beihilfen – Bestehende und neue Beihilfen – Qualifizierung als bestehende Beihilfe – Kriterien – Von der Kommission genehmigte allgemeine Beihilferegelung

(Art. 87 EG, 88 EG und 253 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 1 Buchst. b Ziff. ii)

6.      Staatliche Beihilfen – Prüfung durch die Kommission – Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt

(Art. 87 EG und 88 EG; Mitteilung 98/C 74/06 der Kommission)

7.      Staatliche Beihilfen – Verbot – Ausnahmen – Ermessen der Kommission

(Art. 87 Abs. 3 EG)

8.      Staatliche Beihilfen – Verbot – Ausnahmen – Beihilfen, die unter die Ausnahmeregelung des Art. 87 Abs. 3 Buchst. c EG fallen können – Betriebsbeihilfe – Ausschluss

(Art. 87 Abs. 3 Buchst. c EG)

9.      Nichtigkeitsklage – Gründe – Verletzung der Verteidigungsrechte

(Art. 230 EG)

10.    Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Verteidigungsrechte – Geltung für Verwaltungsverfahren vor der Kommission – Prüfung von Beihilfevorhaben – Umfang

(Art. 88 Abs. 2 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 6 Abs. 1)

11.    Staatliche Beihilfen – Prüfung durch die Kommission – Prüfungsverfahren vor Erlass der Verordnung Nr. 659/1999 – Keine einzuhaltenden spezifischen Fristen – Grenze – Beachtung der Erfordernisse der Rechtssicherheit – Verpflichtung, die infolge einer Beschwerde eingeleitete Vorprüfung innerhalb einer angemessenen Frist abzuschließen

(Art. 88 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates)

12.    Staatliche Beihilfen – Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe – Unter Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften des Art. 88 EG gewährte Beihilfe – Mögliches berechtigtes Vertrauen der Empfänger – Schutz – Voraussetzungen und Grenzen

(Art. 88 Abs. 2 Unterabs. 1 EG)

13.    Staatliche Beihilfen – Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe – Unter Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften des Art. 88 EG gewährte Beihilfe – Mögliches berechtigtes Vertrauen der Empfänger – Schutz – Voraussetzungen und Grenzen – Außergewöhnliche Umstände

(Art. 88 EG; Mitteilung 83/C 318/03 der Kommission)

14.    Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Vertrauensschutz – Grenzen

(Art. 88 Abs. 2 Unterabs.1 EG)

15.    Staatliche Beihilfen – Verwaltungsverfahren – Recht der Betroffenen auf Anhörung

(Art. 88 Abs. 2 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 6 Abs. 1)

16.    Staatliche Beihilfen – Entscheidung der Kommission, ein förmliches Prüfverfahren in Bezug auf eine staatliche Maßnahme einzuleiten – Wirkungen

(Art. 88 Abs. 2 EG)

1.      Die Tatsache, dass das Gericht mit einem früheren Beschluss eine Person als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge einer Partei zugelassen hat, steht einer erneuten Prüfung der Zulässigkeit der Streithilfe dieser Person nicht entgegen.

(vgl. Randnr. 95)

2.      Eine weite Auslegung des Beitrittsrechts repräsentativer Vereinigungen, die den Schutz ihrer Mitglieder bezwecken, in Rechtssachen, die Grundsatzfragen aufwerfen, die sich auf diese Mitglieder auswirken können, soll es ermöglichen, den Rahmen der Rechtssachen besser zu beurteilen und zugleich eine Vielzahl individueller Beitritte, die die Wirksamkeit und den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens beeinträchtigen könnten, zu vermeiden.

Ein sektorübergreifender Unternehmensverband, der u. a. die Vertretung und Wahrnehmung der Interessen von Unternehmen bezweckt, von denen einige aufgrund einer Steuerbefreiungsregelung tatsächlich Beihilfen erhalten haben, und der im Übrigen an dem Verwaltungsverfahren teilgenommen hat, das zum Erlass von Entscheidungen der Kommission geführt hat, mit denen die Steuerbefreiungsregelung für rechtswidrig und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt und die Rückforderung der nach dieser Regelung gezahlten Beihilfen angeordnet wurde, macht ein Interesse daran glaubhaft, auf die Nichtigerklärung dieser Entscheidungen gerichteten Klagen als Streithelfer beizutreten.

(vgl. Randnrn. 97-104)

3.      Der EG-Vertrag sieht für bestehende und für neue Beihilfen unterschiedliche Verfahren vor. Während neue Beihilfen gemäß Art. 88 Abs. 3 EG der Kommission vorher zu melden sind und nicht durchgeführt werden dürfen, bevor die Kommission eine abschließende Entscheidung erlassen hat, dürfen bestehende Beihilfen gemäß Art. 88 Abs. 1 EG rechtmäßig durchgeführt werden, solange die Kommission nicht ihre Vertragswidrigkeit festgestellt hat. Hinsichtlich bestehender Beihilfen kann daher nur eine Entscheidung ergehen, die ihre Unzulässigkeit mit Wirkung für die Zukunft feststellt.

Gemäß Art. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 659/1999 über die Anwendung von Art. 88 EG sind bestehende Beihilfen insbesondere „Beihilfen, die als bestehende Beihilfen gelten, weil nachgewiesen werden kann, dass sie zu dem Zeitpunkt, zu dem sie eingeführt wurden, keine Beihilfe waren und später aufgrund der Entwicklung des Gemeinsamen Marktes zu Beihilfen wurden, ohne dass sie eine Änderung durch den betreffenden Mitgliedstaat erfahren haben“.

Im Rahmen der somit durch den EG-Vertrag und die Verordnung Nr. 659/1999 geschaffenen Kontrolle staatlicher Beihilfen kann in Bezug auf die Qualifizierung einer Maßnahme als bestehende Beihilfe nicht angenommen werden, dass die Kommission eine stillschweigende Entscheidung erlassen könnte, mit der festgestellt wird, dass eine bestimmte Maßnahme, die nicht notifiziert wurde, zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens keine staatliche Beihilfe darstellte.

Das bloße Schweigen eines Organs kann nämlich verbindliche Rechtswirkungen, die geeignet sind, die Interessen einer Person zu beeinträchtigen, nicht erzeugen, es sei denn, dass diese Folge ausdrücklich in einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts vorgesehen ist. Das Gemeinschaftsrecht sieht in einigen besonderen Fällen vor, dass das Schweigen eines Organs eine Entscheidung darstellt, wenn das Organ zur Stellungnahme aufgefordert worden ist und sich bis zum Ablauf einer bestimmten Frist nicht geäußert hat. Fehlt eine solche ausdrückliche Bestimmung, die eine Frist festsetzt, bei deren Ablauf von einer stillschweigenden Entscheidung ausgegangen wird, und die den Inhalt dieser Entscheidung festlegt, so kann die Untätigkeit eines Organs nicht einer Entscheidung gleichgesetzt werden, soll nicht das Rechtsschutzsystem des EG-Vertrags in Frage gestellt werden.

Die Bestimmungen für staatliche Beihilfen sehen aber nicht vor, dass das Schweigen der Kommission als stillschweigende Entscheidung gilt, nach der keine Beihilfe vorliegt; dies gilt namentlich dann, wenn ihr die fraglichen Maßnahmen nicht notifiziert wurden. Die Kommission, die eine ausschließliche Zuständigkeit für die Feststellung der Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt besitzt, ist nämlich nach dem eine staatliche Maßnahme betreffenden Vorprüfungsverfahren verpflichtet, dem betroffenen Mitgliedstaat gegenüber eine Entscheidung zu erlassen, mit der sie feststellt, dass keine Beihilfe vorliegt, dass es sich um eine mit dem Gemeinsamen Markt vereinbare Beihilfe handelt oder dass das förmliche Prüfverfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG einzuleiten ist. Eine solche Entscheidung kann nicht stillschweigend sein und auch nicht aus dem Schweigen der Kommission resultieren.

Der bloße Umstand, dass die Kommission während einer verhältnismäßig langen Zeit nicht das förmliche Prüfverfahren in Bezug auf eine bestimmte staatliche Maßnahme eingeleitet hat, kann dieser Maßnahme allein nicht den objektiven Charakter einer bestehenden Beihilfe verleihen, wenn es sich um eine Beihilfe handelt. Die möglicherweise in dieser Hinsicht bestehenden Ungewissheiten können allenfalls dazu geführt haben, dass bei den Begünstigten ein berechtigtes Vertrauen entstanden ist, das die Wiedereinziehung der gezahlten Beihilfe für die Vergangenheit hindert.

(vgl. Randnrn. 133-134, 148-153)

4.      Der Begriff „Entwicklung des Gemeinsamen Marktes“ in Art. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 659/1999 über die Anwendung von Art. 88 EG kann dahin verstanden werden, dass er eine Änderung der wirtschaftlichen und rechtlichen Gegebenheiten in dem von der fraglichen Maßnahme betroffenen Sektor bezeichnet. Eine solche Änderung kann sich insbesondere durch die Liberalisierung eines Marktes ergeben, der ursprünglich dem Wettbewerb entzogen war. Dieser Begriff betrifft jedoch nicht den Fall, dass die Kommission ihre Beurteilung allein aufgrund einer strengeren Anwendung der Vorschriften des EG-Vertrags über staatliche Beihilfen ändert. Der Charakter einer staatlichen Maßnahme als bestehende oder neue Beihilfe kann dabei nicht von einer subjektiven Bewertung durch die Kommission abhängen und ist unabhängig von jeder vorherigen Verwaltungspraxis der Kommission zu bestimmen.

Daraus folgt, dass die bloße Feststellung einer Entwicklung der Politik im Bereich der staatlichen Beihilfen als solche nicht für die Feststellung einer „Entwicklung des Gemeinsamen Marktes“ im Sinne von Art. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 659/1999 ausreicht, da der objektive Begriff der staatlichen Beihilfe, wie er sich aus Art. 87 EG ergibt, nicht geändert wurde.

(vgl. Randnrn. 173-175, 186)

5.      Art. 1 Buchst. b Ziff. ii der Verordnung Nr. 659/1999 über die Anwendung von Art. 88 EG, wonach der Ausdruck „bestehende Beihilfe“ „genehmigte Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die von der Kommission oder vom Rat genehmigt wurden“, bezeichnet, bezieht sich insbesondere auf Beihilfemaßnahmen, über die die Kommission eine Vereinbarkeitsentscheidung getroffen hat, die zwangsläufig ausdrücklich erfolgt. Die Kommission muss sich nämlich zur Vereinbarkeit der fraglichen Maßnahmen nach Maßgabe der nach Art. 87 EG geltenden Voraussetzungen äußern und eine Entscheidung darüber gemäß Art. 253 EG begründen.

Wird geltend gemacht, dass die Einzelmaßnahmen gemäß einer zuvor genehmigten Regelung erlassen worden seien, muss die Kommission zudem vor Einleitung des nach Art. 88 Abs. 2 EG vorgesehenen Verfahrens zunächst feststellen, ob diese Maßnahmen durch die betreffende Regelung gedeckt sind und, wenn ja, ob sie die in der Entscheidung über die Genehmigung dieser Regelung aufgestellten Voraussetzungen erfüllen. Nur wenn die Kommission das am Ende dieser Prüfung verneint, kann sie die betreffenden Maßnahmen als neue Beihilfen behandeln. Bejaht sie dies jedoch, so muss sie die Maßnahmen als bestehende Beihilfen nach dem Verfahren des Art. 88 Abs. 1 und 2 EG behandeln. Um beurteilen zu können, ob die Einzelmaßnahmen die in der Entscheidung zur Genehmigung der fraglichen Regelung festgelegten Voraussetzungen erfüllen, muss diese Genehmigungsentscheidung zwangsläufig ausdrücklich erfolgen.

(vgl. Randnrn. 194-197)

6.      Die Kommission ist an die Rahmen und Mitteilungen, die sie im Bereich der Kontrolle staatlicher Beihilfen erlässt, gebunden, soweit diese Texte nicht von den Vorschriften des EG-Vertrags abweichen.

Da die Leitlinien von 1998 für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung vorsehen, dass die Kommission die Vereinbarkeit von Regionalbeihilfen mit dem Gemeinsamen Markt nach diesen Leitlinien würdigen wird, sobald sie angenommen sind – mit Ausnahme der vor der Mitteilung der Leitlinien an die Mitgliedstaaten notifizierten Beihilfevorhaben, über die die Kommission noch nicht abschließend entschieden hat –, kann es keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit darstellen, wenn die Leitlinien in Entscheidungen angewandt werden, in denen festgestellt wird, dass allgemeine Beihilferegelungen, die vor Annahme der Leitlinien durchgeführt wurden, ohne notifiziert worden zu sein, rechtswidrig und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind.

Selbst wenn festgestellt werden sollte, dass die Anwendung der genannten Leitlinien einen Rechtsverstoß darstellen kann, hat dies auf jeden Fall nur dann die Rechtswidrigkeit der fraglichen Entscheidungen und damit deren Nichtigkeit zur Folge, wenn sich dieser Rechtsverstoß auf den Inhalt der Entscheidungen auswirken kann. Wenn nämlich nachgewiesen wäre, dass die Kommission ohne diesen Rechtsverstoß zu demselben Ergebnis gekommen wäre, weil der fragliche Rechtsfehler den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen auf keinen Fall beeinflussen konnte, so sind diese nicht für nichtig zu erklären.

(vgl. Randnrn. 214-220)

7.      Die Kommission verfügt bei der Anwendung von Art. 87 Abs. 3 Buchst. c EG über ein weites Ermessen, das sie nach Maßgabe komplexer wirtschaftlicher und sozialer Wertungen ausübt, die auf die Gemeinschaft als Ganzes zu beziehen sind. Die gerichtliche Nachprüfung der Ausübung dieses Ermessens ist auf die Überprüfung der Beachtung der Verfahrens- und Begründungsvorschriften sowie auf die Kontrolle der sachlichen Richtigkeit der festgestellten Tatsachen und des Fehlens von Rechtsfehlern, von offensichtlichen Fehlern bei der Würdigung der Tatsachen und von Ermessensmissbrauch beschränkt.

(vgl. Randnr. 223)

8.      Betriebsbeihilfen sollen ein Unternehmen von den Kosten befreien, die es normalerweise im Rahmen seiner laufenden Geschäftsführung oder seiner üblichen Tätigkeiten zu tragen gehabt hätte. Steuerregelungen, die die begünstigten Unternehmen teilweise von der Besteuerung ihrer Gewinne entlasten, haben, auch wenn der Zugang zu den Regelungen voraussetzt, dass Verpflichtungen zur Tätigung einer Mindestinvestition und zur Schaffung einer Mindestzahl von Arbeitsplätzen erfüllt werden, den Charakter einer Betriebsbeihilfe und nicht den einer Investitions- oder einer Beschäftigungsbeihilfe, sofern die Steuerbefreiungen anhand der von den begünstigten Unternehmen erzielten Gewinne und nicht nach der Höhe der getätigten Investitionen oder der Anzahl der geschaffenen Arbeitsplätze berechnet werden.

(vgl. Randnrn. 226-229)

9.      Eine Verletzung der Verteidigungsrechte eines Mitgliedstaats ist ihrem Wesen nach eine Verletzung von subjektiven Rechten und kann daher im Rahmen einer Klage auf Nichtigerklärung einer Entscheidung der Kommission, in der festgestellt wird, dass Beihilfemaßnahmen rechtswidrig und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind, und die sich an den betreffenden Mitgliedstaat richtet, nur von diesem gerügt werden.

(vgl. Randnrn. 238-239)

10.    Im Rahmen eines Verfahrens zur Prüfung von Beihilfevorhaben durch die Kommission gebietet es der Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte, dass dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit gegeben wird, zu den Äußerungen beteiligter Dritter nach Art. 88 Abs. 2 EG, auf die die Kommission ihre Entscheidung stützen will, in zweckdienlicher Weise Stellung zu nehmen, und dass die Kommission solche Äußerungen in ihrer Entscheidung gegen diesen Staat nicht berücksichtigen darf, soweit dieser keine Gelegenheit hatte, dazu Stellung zu nehmen. Eine solche Verletzung der Verteidigungsrechte führt jedoch nur dann zu einer Nichtigerklärung, wenn das Verfahren ohne diesen Rechtsfehler zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.

Ein solcher Rechtsfehler liegt nicht vor, wenn die Kommission die Erklärungen eines Mitgliedstaats nicht berücksichtigt hat, mit denen er auf den von einem Drittbeteiligten gestellten Antrag antwortet, zu Unrecht gewährte Beihilfen zurückzufordern, wenn die in Rede stehende Entscheidung nicht auf dem Vorbringen in den genannten Erklärungen beruht und die Anordnung, die Beihilfen zurückzufordern, die logische, notwendige und ausschließliche Konsequenz aus der vorangegangenen Darlegung der Kommission ist, dass die fraglichen Beihilfen rechtswidrig und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind.

(vgl. Randnrn. 241-244)

11.    Bis zum Erlass der Verordnung Nr. 659/1999 über die Anwendung von Art. 88 EG hatte die Kommission zwar bei der Prüfung von Beihilfemaßnahmen keine spezifischen Fristen einzuhalten, doch musste sie, um das grundlegende Erfordernis der Rechtssicherheit zu wahren, bestrebt sein, mit der Ausübung ihrer Befugnisse nicht unbegrenzt lange zu warten.

Da die Kommission nämlich für die Beurteilung der Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt ausschließlich zuständig ist, ist sie im Interesse einer ordnungsgemäßen Anwendung der grundlegenden Vorschriften des EG-Vertrags auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen verpflichtet, eine Beschwerde, mit der beanstandet wird, dass eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe gewährt worden sei, sorgfältig und unvoreingenommen zu prüfen. Daraus folgt, dass sie die Vorprüfung staatlicher Maßnahmen, gegen die eine Beschwerde erhoben worden ist, nicht unbegrenzt hinausschieben kann. Die angemessene Dauer der Prüfung einer Beschwerde ist anhand der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls und insbesondere seines Kontextes, der verschiedenen Verfahrensabschnitte, die die Kommission abzuschließen hat, und der Komplexität der Angelegenheit zu beurteilen.

Eine Zeitspanne von sechseinhalb Jahren zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die Kommission von Beihilferegelungen Kenntnis erhalten hat, und dem Zeitpunkt der Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens nach Art. 88 Abs. 2 EG ist in Anbetracht des Kontextes, in dem die genannten Regelungen zu sehen sind, nicht unangemessen lang und führt nicht dazu, dass das Vorprüfungsverfahren gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäßen Verwaltung verstößt, wenn zum einen die in Rede stehenden Maßnahmen eine eingehende Prüfung des nationalen Rechts und einen beträchtlichen Erfassungs‑ und Prüfungsaufwand sowohl in Bezug auf das Steuersystem des betreffenden Mitgliedstaats als auch in Bezug auf die in anderen Mitgliedstaaten geltenden Regelungen für eine Steuerautonomie erforderten und zum anderen die Dauer des Verfahrens weitgehend den nationalen Behörden anzulasten ist, die die fraglichen Regelungen nicht notifiziert und sich zudem geweigert haben, der Kommission die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen, sofern die Kommission in diesem Zeitraum im Rahmen des ihr bei staatlichen Beihilfen eingeräumten Ermessens annehmen konnte, dass sie sich schneller mit anderen Verfahren befassen müsse, die zwar gesonderte, aber von denselben Behörden erlassene und möglicherweise gleichartige rechtliche Probleme aufwerfende Maßnahmen betrafen.

(vgl. Randnrn. 259-277)

12.    Eine Berufung auf ein berechtigtes Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit einer Beihilfe ist nur möglich, wenn diese Beihilfe unter Beachtung des in Art. 88 EG vorgeschriebenen Verfahrens gewährt wurde. Eine sorgfältige regionale Behörde und ein sorgfältiger Wirtschaftsteilnehmer müssen nämlich regelmäßig in der Lage sein, sich zu vergewissern, dass dieses Verfahren eingehalten wurde. Diese Grundsätze gelten auch für Beihilferegelungen, da Art. 88 EG nicht zwischen Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen unterscheidet.

Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass sich die Empfänger einer nicht notifizierten und daher rechtswidrigen Beihilfe auf außergewöhnliche Umstände berufen können, die bei ihnen ein berechtigtes Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der Beihilfe hervorrufen konnten und die sie der Rückforderung entgegenhalten können.

(vgl. Randnrn. 278-282)

13.    Dass im Amtsblatt der Europäischen Union keine konkrete Warnung veröffentlicht wurde, um die Empfänger einer vermutlich zu Unrecht, nämlich vor Erlass einer abschließenden Entscheidung der Kommission über ihre Vereinbarkeit mit dem EG-Vertrag gewährten Beihilfe zu warnen, wie es in der Mitteilung von 1983 über missbräuchlich gewährte Beihilfen vorgesehen ist, stellt keinen außergewöhnlichen Umstand dar, der geeignet wäre, irgendein Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der ohne vorherige Notifizierung gewährten Beihilfe zu begründen.

Jede andere Auslegung würde dieser Mitteilung eine Tragweite geben, die Art. 88 Abs. 3 EG zuwiderliefe.

Die Kommission kann sich nämlich bei der Ausübung ihres Ermessens durch Maßnahmen wie die Leitlinien nur insofern selbst binden, als diese Regeln enthalten, denen sich die von ihr zu verfolgende Politik entnehmen lässt und die nicht von den Normen des Vertrags abweichen.

Der ungewisse Status der rechtswidrig gewährten Beihilfen ergibt sich nämlich aus der praktischen Wirksamkeit der in Art. 88 Abs. 3 EG vorgesehenen Notifizierungspflicht und hängt nicht davon ab, ob die in der erwähnten Mitteilung genannte Warnung im Amtsblatt veröffentlicht wurde. Insbesondere kann die Rückforderung rechtswidrig gewährter Beihilfen nicht allein deshalb ausgeschlossen sein, weil die Kommission keine derartige Warnung veröffentlicht hat, da andernfalls das im EG-Vertrag festgelegte System zur Kontrolle staatlicher Beihilfen beeinträchtigt würde.

(vgl. Randnrn. 305-308)

14.    Der Grundsatz des Vertrauensschutzes gehört zwar zu den tragenden Grundsätzen der Gemeinschaft, aber die Wirtschaftsteilnehmer sind nicht berechtigt, auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation zu vertrauen, die die Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres Ermessens ändern können. Dieser Grundsatz gilt klar im Rahmen der Wettbewerbspolitik, die durch ein weites Ermessen der Kommission gekennzeichnet ist. Dies ist bei der Frage der Fall, ob die auf das Bestehen außergewöhnlicher Umstände abstellenden Voraussetzungen für ein Absehen von der Rückforderung rechtswidrig gewährter Beihilfen vorliegen. Entscheidungen in anderen Sachen aus diesem Bereich haben daher nur Hinweischarakter und können kein berechtigtes Vertrauen begründen, da die Umstände in jedem Fall anders sind.

(vgl. Randnrn. 310-312)

15.    Im Rahmen des Verfahrens zur Kontrolle staatlicher Beihilfen haben die Beteiligten im Sinne von Art. 88 Abs. 2 EG nicht selbst Anspruch auf eine streitige Erörterung mit der Kommission, wie sie zugunsten des für die Gewährung der Beihilfe verantwortlichen Mitgliedstaats eingeleitet wird.

(vgl. Randnr. 332)

16.    Die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens nach Art. 88 Abs. 2 EG hat als solche keine unumkehrbare Wirkung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen, auf die sie sich bezieht. Nur durch die endgültige Entscheidung, mit der diese Maßnahmen definitiv als Beihilfen eingestuft werden, wird ihre Rechtswidrigkeit festgestellt.

(vgl. Randnr. 349)