Language of document : ECLI:EU:T:2015:376

Rechtssache T‑334/12

Plantavis GmbH

und

NEM, Verband mittelständischer europäischer Hersteller und Distributoren von Nahrungsergänzungsmitteln & Gesundheitsprodukten e. V.

gegen

Europäische Kommission

und

Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA)

„Verbraucherschutz – Gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel – Verordnung (EU) Nr. 432/2012 – Nichtigkeitsklage – Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht – Unmittelbare Betroffenheit – Zulässigkeit – Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 – Einrede der Rechtswidrigkeit – Register gesundheitsbezogener Angaben“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Achte Kammer) vom 12. Juni 2015

1.      Nichtigkeitsklage – Zulässigkeitsvoraussetzungen – Klage gegen den Urheber der angefochtenen Handlung – Gegen eine Einrichtung der Union gerichtete Klage auf Nichtigerklärung einer Handlung der Kommission – Unzulässigkeit

(Art. 263 AEUV)

2.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Begriff des Rechtsakts mit Verordnungscharakter im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV – Handlungen mit allgemeiner Geltung mit Ausnahme von Gesetzgebungsakten – Verordnung der Kommission zur Festlegung einer Liste zulässiger gesundheitsbezogener Angaben über Lebensmittel – Einbeziehung

(Art. 263 AEUV; Verordnung Nr. 432/2012 der Kommission)

3.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Unmittelbare Betroffenheit – Kriterien – Verordnung der Kommission zur Festlegung einer Liste zulässiger gesundheitsbezogener Angaben über Lebensmittel – Keine genaue Angabe durch den Kläger, welche Angaben seine Rechtsstellung beeinträchtigen können – Fehlende unmittelbare Betroffenheit – Unzulässigkeit

(Art. 263 AEUV; Verordnung Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 28 Abs. 5 und 6; Verordnung Nr. 432/2012 der Kommission)

4.      Einrede der Rechtswidrigkeit – Inzidentcharakter – Unzulässige Klage – Unzulässigkeit der Einrede

(Art. 277 AEUV)

5.      Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlungen – Begriff – Handlungen mit verbindlichen Rechtswirkungen – Register der Kommission über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel – Handlung mit rein informativem Charakter – Nichteinbeziehung

(Art. 263 AEUV; Verordnung Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Erwägungsgrund 31 und Art. 20)

6.      Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlungen – Begriff – Handlungen mit verbindlichen Rechtswirkungen – Vorbereitende Handlungen – Nichteinbeziehung – Auf Ersuchen der Kommission erstelltes Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zur Bewertung von gesundheitsbezogenen Angaben – Handlung, die keine Rechtswirkungen erzeugen soll – Nichteinbeziehung

(Art. 263 AEUV; Verordnung Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 13 Abs. 3)

1.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 20)

2.      Der Begriff des Rechtsakts mit Verordnungscharakter im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV ist dahin zu verstehen, dass er jeden Rechtsakt mit allgemeiner Geltung mit Ausnahme von Gesetzgebungsakten erfasst. Die Verordnung Nr. 432/2012 zur Festlegung einer Liste zulässiger anderer gesundheitsbezogener Angaben über Lebensmittel als Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos sowie die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern ist ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter.

Diese Verordnung ist nämlich von der Kommission in Ausübung ihrer Durchführungsbefugnisse im Rahmen des Regelungsverfahrens mit Kontrolle erlassen worden und ist demnach kein Gesetzgebungsakt. Außerdem hat die Verordnung Nr. 432/2012 allgemeine Geltung, da sie für objektiv bestimmte Situationen gilt und Rechtswirkungen gegenüber einer allgemein und abstrakt umschriebenen Personengruppe erzeugt.

(vgl. Rn. 24-27)

3.      Die Bedingung der unmittelbaren Betroffenheit im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV setzt erstens voraus, dass die beanstandete Maßnahme sich auf die Rechtsstellung des Klägers unmittelbar auswirkt, und zweitens, dass sie ihren Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, ihre Umsetzung vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der beanstandeten Regelung ohne Anwendung anderer Durchführungsvorschriften ergibt.

Bei einer Klage gegen die Verordnung Nr. 432/2012 zur Festlegung einer Liste zulässiger anderer gesundheitsbezogener Angaben über Lebensmittel als Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos sowie die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern hat der Kläger zum Nachweis dafür, dass er im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV unmittelbar betroffen ist, anzugeben, welche durch diese Verordnung betroffenen Angaben seine Rechtsstellung beeinträchtigen. Insbesondere muss er nachweisen, dass er bei Erhebung der Klage beim Gericht in seinen kommerziellen Mitteilungen über seine Produkte infolge des Erlasses der Verordnung Nr. 432/2012 verbotene Angaben verwendete. Es ist nicht Sache des Unionsgerichts, die Angaben zu suchen und zu identifizieren, auf die sich gegebenenfalls stützen ließe, dass die Klage zulässig ist, insbesondere wenn es um ungefähr 2 000 gesundheitsbezogene Angaben geht, von denen 222 zugelassen und 1 719 verboten wurden.

Wenn im Übrigen die gesundheitsbezogenen Angaben, die den Kläger betreffen, zu der Liste von ausgesetzten Angaben gehören, da sie sich noch in dem Bewertungsverfahren befinden und die Kommission noch nicht endgültig entschieden hat, ob sie zugelassen oder verboten werden, können sie nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein. Für die noch ausgesetzten Angaben gilt nämlich weiterhin die rechtliche Regelung, die vor Erlass der Verordnung Nr. 432/2012 für sie galt. Daher können die betroffenen Unternehmen diese Angaben im Rahmen ihrer Tätigkeit der Vermarktung von Lebensmitteln gemäß Art. 28 Abs. 5 und 6 der Verordnung Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel weiterhin verwenden.

(vgl. Rn. 28, 30, 32, 36)

4.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 50, 51)

5.      Alle Maßnahmen, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung beeinträchtigen können, sind Handlungen oder Entscheidungen, gegen die die Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV gegeben ist. Für die Feststellung, ob eine Handlung oder eine Entscheidung solche Wirkungen erzeugt, ist ihr Sachgehalt zu untersuchen.

Das von der Kommission nach Art. 20 der Verordnung Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel erstellte Register zulässiger gesundheitsbezogener Angaben über Lebensmittel stellt als solches keinen Rechtsakt dar, der Gegenstand einer Klage nach Art. 263 AEUV sein kann. Wie nämlich aus dem 31. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1924/2006 hervorgeht, handelt es sich bei dem Register zulässiger gesundheitsbezogener Angaben um eine Mitteilung aus Gründen der Transparenz und zur Vermeidung wiederholter Anträge auf Zulassung bereits bewerteter Angaben. Obwohl dieses Register über Rechtsakte informiert, die auf dem Gebiet der nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben erlassen worden sind, ist es aber selbst nicht dazu bestimmt, Rechtswirkungen gegenüber Dritten zu erzeugen.

(vgl. Rn. 56, 58, 59)

6.      Stellungnahmen und Empfehlungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sind ausdrücklich vom Anwendungsbereich von Art. 263 AEUV ausgeschlossen und können daher nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein. Im Übrigen liegt im Fall von Handlungen oder Entscheidungen, die in einem mehrphasigen Verfahren ergehen, eine anfechtbare Handlung grundsätzlich nur bei Maßnahmen vor, die den Standpunkt des Organs zum Abschluss des Verfahrens endgültig festlegen, nicht aber bei Zwischenmaßnahmen, die die abschließende Entscheidung vorbereiten sollen.

Was zweitens die wissenschaftlichen Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) angeht, die infolge der nach dem in Art. 13 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel vorgesehenen Verfahren vorgenommenen Bewertungen veröffentlicht wurden, sind diese nach dieser Bestimmung Zwischenetappen des Verfahrens, die keine Auswirkungen auf die Rechtsstellung Dritter haben können. Die EFSA soll nämlich Gutachten erstellen, wenn der maßgebliche rechtliche Rahmen das vorsieht. In einem solchen Fall ist die EFSA aber nicht in der Position, Rechtsakte zu erlassen, die Rechtswirkungen erzeugten, wobei nur die Handlungen anfechtbar sind, die die endgültige Entscheidung enthalten, die von der Kommission in Bezug auf die Zulassung oder das Verbot der geprüften Angaben getroffen wird. Somit können die von der EFSA im Rahmen des Verfahrens nach Art. 13 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 vorgenommenen Bewertungen nicht Gegenstand einer Klage nach Art. 263 AEUV sein.

(vgl. Rn. 61-64)