Language of document : ECLI:EU:C:2013:312

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 16. Mai 2013(1)

Rechtssache C‑120/12 P

Rechtssache C‑121/12 P

Rechtssache C‑122/12 P

Bernhard Rintisch

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM)

„Rechtsmittel – Gemeinschaftsmarke – Widerspruch – Nachweis über die Existenz und die Gültigkeit der älteren Marke – Nach Ablauf der vom HABM gesetzten Frist vorgelegte Nachweise und Übersetzungen – Ermessen der Beschwerdekammer“





1.        Die Rechtsmittel in diesen drei Rechtssachen richten sich gegen drei Urteile des Gerichts, die am selben Tag ergangen sind, ähnlich formuliert sind und auf derselben Auslegung von Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94(2) und der Regeln 20 Abs. 1 und 50 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2868/95(3) (im Folgenden: Durchführungsverordnung) beruhen. Die Rechtsmittel stützen sich auf dieselben zwei Rechtsmittelgründe.

2.        In den drei Rechtssachen erhob derselbe Markeninhaber, Herr Rintisch, jeweils Widerspruch gegen die Eintragung dreier verschiedener Gemeinschaftsmarken mit der Begründung, es bestehe die Gefahr von Verwechslungen mit bestimmten Marken, deren Inhaber er sei. Er stützte seinen Widerspruch u. a. auf ältere deutsche Marken. Um mit dem Widerspruch gegen die Eintragungen durchzudringen, musste er auch die Existenz und die Gültigkeit der älteren Marken nachweisen. Herr Rintisch legte der Widerspruchsabteilung des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (im Folgenden: HABM oder Amt) innerhalb der vom HABM gesetzten Frist jedoch nicht alle für den Nachweis erforderlichen Beweismittel zusammen mit Übersetzungen der relevanten Unterlagen in die Verfahrenssprache, hier ins Englische, vor. Die Widerspruchsabteilung wies daher den Widerspruch ab. Im Beschwerdeverfahren reichte Herr Rintisch dann weitere Unterlagen und Übersetzungen des schriftlichen Beweismaterials vor. In allen drei Fällen lehnte die Beschwerdekammer des HABM die Berücksichtigung des Materials mit der Begründung ab, sie verfüge in dieser Hinsicht über kein Ermessen. Das Gericht wies die gegen die Entscheidungen der Beschwerdekammer gerichteten Klagen ab.

3.        In den vorliegenden Rechtsmittelverfahren hat der Gerichtshof zu prüfen, ob das Gericht fehlerhaft entschieden hat, dass es nicht im Ermessen der Beschwerdekammer stehe, Beweismittel für die Existenz und die Gültigkeit der älteren Marken sowie Übersetzungen des schriftlichen Beweismaterials zu berücksichtigen, die nach Ablauf der von der Widerspruchsabteilung gesetzten Frist eingereicht werden.

 Markenrecht der Union

4.        Art. 42 („Widerspruch“) der Verordnung Nr. 40/94 bestimmt:

„(1)      Innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Veröffentlichung der Anmeldung der Gemeinschaftsmarke kann gegen die Eintragung der Gemeinschaftsmarke Widerspruch mit der Begründung erhoben werden, dass die Marke nach Artikel 8[(4)] von der Eintragung auszuschließen ist; …

(3)      Der Widerspruch ist schriftlich einzureichen und zu begründen. … Der [Widersprechende] kann innerhalb einer vom Amt bestimmten Frist zur Stützung des Widerspruchs Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen vorbringen.“

5.        Art. 74 („Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen“) sieht vor:

„(1)      In dem Verfahren vor dem Amt ermittelt das Amt den Sachverhalt von Amts wegen. Soweit es sich jedoch um Verfahren bezüglich relativer Eintragungshindernisse handelt, ist das Amt bei dieser Ermittlung auf das Vorbringen und die Anträge der Beteiligten beschränkt.

(2)      Das Amt braucht Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen.“

6.        Die Durchführungsverordnung enthält diejenigen Bestimmungen, die zur Durchführung der Vorschriften der Verordnung erforderlich sind(5). Diese Bestimmungen „sollen den reibungslosen und effizienten Ablauf der Markenverfahren vor dem Amt gewährleisten“(6).

7.        Regel 18 beschreibt den Beginn des Widerspruchsverfahrens im Fall eines zulässigen Widerspruchs(7).

„(1)      Gilt der Widerspruch gemäß Regel 17 als zulässig, so teilt das Amt den Parteien mit, dass das Widerspruchsverfahren zwei Monate nach Empfang dieser Mitteilung beginnt. …

…“

8.        In Regel 19 heißt es:

„(1)      Das Amt gibt dem Widersprechenden Gelegenheit, die Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen zur Stützung seines Widerspruchs vorzubringen oder Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen zu ergänzen, die bereits nach Regel 15 Absatz 3 vorgelegt wurden; …

(2)      Innerhalb der in Absatz 1 genannten Frist muss der Widersprechende außerdem einen Nachweis über die Existenz, die Gültigkeit und den Schutzumfang seiner älteren Marke oder seines älteren Rechts einreichen und den Nachweis erbringen, dass er zur Einlegung des Widerspruchs befugt ist. Im Besonderen muss der Widersprechende folgende Beweismittel vorlegen:

a)      Wird der Widerspruch auf eine Marke gestützt, die keine Gemeinschaftsmarke ist, so ist ihre Anmeldung oder Eintragung wie folgt zu belegen:

ii)      wenn die Marke eingetragen ist, durch eine Abschrift der Eintragungsurkunde oder der jüngsten Verlängerungsurkunde, aus der hervorgeht, dass die Schutzdauer der Marke über die in Absatz 1 genannte Frist und ihre etwaige Verlängerung hinausgeht, oder durch gleichwertige Schriftstücke der Stelle, die die Markeneintragung vorgenommen hat;

(3)      Die Auskünfte und Nachweise nach Absatz 1 und 2 müssen in der Verfahrenssprache verfasst sein, andernfalls muss ihnen eine Übersetzung beiliegen. Die Übersetzung ist innerhalb der Frist für die Einreichung der Originalunterlagen vorzulegen.

(4)      Das Amt lässt schriftliche Vorlagen oder Unterlagen oder Teile davon unberücksichtigt, die nicht innerhalb der vom Amt gesetzten Frist vorgelegt oder in die Verfahrenssprache übersetzt wurden.“

9.        Regel 20 („Prüfung des Widerspruchs“) lautet:

„(1)      Belegt der Widersprechende nicht innerhalb der in Regel 19 Absatz 1 genannten Frist[(8)] die Existenz, die Gültigkeit und den Schutzumfang seiner älteren Marke oder seines älteren Rechts sowie seine Befugnis zur Einlegung des Widerspruchs, wird der Widerspruch als unbegründet abgewiesen.

(2)      Wird der Widerspruch nicht gemäß Absatz 1 abgewiesen, so übermittelt das Amt die Vorlagen des Widersprechenden an den Anmelder und fordert ihn auf, innerhalb einer vom Amt gesetzten Frist dazu Stellung zu nehmen.

(3)      Gibt der Anmelder keine Stellungnahme ab, so entscheidet das Amt anhand der vorliegenden Beweismittel über den Widerspruch.

(4)      Die Stellungnahme des Anmelders wird dem Widersprechenden mitgeteilt, der nötigenfalls vom Amt aufgefordert wird, sich innerhalb einer vom Amt gesetzten Frist dazu zu äußern.

(5)      Regel 18 Absätze 2 und 3 gelten entsprechend ab Eröffnung des Widerspruchsverfahrens.

(6)      Je nach Sachlage kann das Amt die Parteien auffordern, ihre Stellungnahmen auf bestimmte Fragen zu beschränken; in diesem Fall erhalten die Parteien Gelegenheit, die sonstigen Fragen zu einem späteren Verfahrenszeitpunkt zu erörtern. Das Amt ist nicht verpflichtet, die Parteien darauf hinzuweisen, welche Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht werden sollten oder nicht vorgebracht wurden.

…“

10.      Regel 50 („Prüfung der Beschwerde“) bestimmt in ihrem Abs. 1 Sätze 1 und 3:

„Die Vorschriften für das Verfahren vor der Dienststelle, die die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung erlassen hat, sind im Beschwerdeverfahren entsprechend anwendbar, soweit nichts anderes vorgesehen ist.

Richtet sich die Beschwerde gegen die Entscheidung einer Widerspruchsabteilung, so beschränkt die Beschwerdekammer die Prüfung der Beschwerde auf die Sachverhalte und Beweismittel, die innerhalb der von der Widerspruchsabteilung nach Maßgabe der Verordnung und dieser Regeln festgesetzten Frist vorgelegt werden, sofern die Beschwerdekammer nicht der Meinung ist, dass zusätzliche oder ergänzende Sachverhalte und Beweismittel gemäß Artikel 74 Absatz 2 der Verordnung berücksichtigt werden sollten.“

 Verfahren vor dem HABM

 Rechtssache C‑120/12 P

11.      Die Bariatrix Europe Inc. SAS (im Folgenden: Bariatrix) meldete am 17. März 2006 die Wortmarke „PROTI SNACK“ zur Eintragung als Gemeinschaftsmarke für Waren der Klassen 5, 29 und 32 des Abkommens von Nizza(9) an.

12.      Am 9. März 2007 erhob Herr Rintisch Widerspruch gegen die Eintragung dieser Marke aus dem in Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 aufgeführten Grund (Gefahr von Verwechslungen in dem Gebiet, in dem die ältere Marke Schutz genießt). Zu den älteren Marken, auf die er seinen Widerspruch stützte, gehörten u. a. die deutschen Wortmarken „PROTIPLUS“ und „PROTI“ sowie die deutsche Bildmarke „PROTI POWER“.

13.      Zusammen mit der Widerspruchsschrift reichte Herr Rintisch Unterlagen zum Nachweis der Existenz und der Gültigkeit der einzelnen Marken ein. Er legte der Widerspruchsabteilung insbesondere vor: i) Eintragungsurkunden des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA)(10) und ii) Auszüge aus dem Online-Register des DPMA. Außerdem eingereicht wurden englische Übersetzungen der Originaleintragungsurkunden, nicht jedoch der Auszüge aus dem Online-Register.

14.      Am 26. April 2007 teilte die Widerspruchsabteilung Herrn Rintisch den Zeitpunkt des Beginns des streitigen Teils des Widerspruchsverfahrens mit. Sie wies darauf hin, dass für Marken, deren Eintragung mehr als zehn Jahre zurückliege, eine Verlängerungsurkunde vorzulegen sei und dass die Existenz und die Gültigkeit älterer Marken durch in die Verfahrenssprache übersetzte amtliche Schriftstücke zu belegen seien. Für den Fall der Nichtvorlage dieser Beweismittel bis zum 27. August 2007 stellte die Widerspruchsabteilung die Abweisung des Widerspruchs gemäß Regel 20 Abs. 1 der Durchführungsverordnung ohne Sachprüfung in Aussicht.

15.      Fast einen Monat nach Ablauf dieser Frist reichte Herr Rintisch am 25. September 2007 dem HABM für jede einzelne ältere Marke Folgendes ein: i) Auszug aus dem Online-Register des DPMA und ii) eine Bestätigung des DPMA, dass die Marken vor dem Zeitpunkt der Einreichung der Widerspruchsschrift verlängert worden seien. Außerdem legte Herr Rintisch eine englische Übersetzung dieser Bestätigung vor.

16.      Am 31. März 2008 wies die Widerspruchsabteilung den Widerspruch ab, da Herr Rintisch innerhalb der gesetzten Frist nicht die Existenz und die Gültigkeit der zur Stützung des Widerspruchs herangezogenen älteren Marken nachgewiesen habe. Erstens seien die zusammen mit der Widerspruchsschrift vorgelegten Originaleintragungsurkunden für den Nachweis der fortbestehenden Gültigkeit der älteren Marken am Stichtag 27. August 2007, dem letzten Tag der vom HABM gesetzten Frist, unzureichend. Nach deutschem Recht ende der Schutz deutscher Marken nach Ablauf von zehn Jahren ab der Anmeldung. Zweitens sei nach Regel 19 Abs. 4 der Durchführungsverordnung eine Berücksichtigung der Online-Auszüge des DPMA als Nachweis für die Verlängerungen der älteren Marken nicht möglich, da die Auszüge nicht in die Verfahrenssprache übersetzt worden seien. Drittens lehnte die Widerspruchsabteilung gestützt auf Regel 20 Abs. 1 der Durchführungsverordnung eine Berücksichtigung der am 25. September 2007 vorgelegten Unterlagen ab, da diese verspätet vorgelegt worden seien.

17.      Am 8. Mai 2008 legte Herr Rintisch Beschwerde gegen diese Entscheidung ein. Er beantragte bei der Beschwerdekammer, „PROTI SNACK“ wegen Bestehens der Gefahr von Verwechslungen von der Eintragung auszuschließen. Die nichtübersetzten DPMA-Auszüge seien ohne Weiteres verständlich und genügten für den Nachweis, dass zumindest die älteren Marken „PROTIPLUS“ und „PROTI POWER“ verlängert worden seien. Er legte erneut die Unterlagen, die er der Widerspruchsabteilung am 25. September 2007 eingereicht hatte, nebst Übersetzungen vor und ersuchte die Beschwerdekammer um deren Berücksichtigung.

18.      Am 15. Dezember 2008 wies die Beschwerdekammer die Beschwerde zurück. Sie führte aus, dass die Widerspruchsabteilung in Anwendung von Regel 19 Abs. 2, 3 und 4 sowie Regel 20 Abs. 1 der Durchführungsverordnung zu Recht entschieden habe, dass Herr Rintisch die Existenz und die Gültigkeit der älteren Marken nicht vorschriftsgemäß substantiiert habe. Sie schloss sich der Begründung der Widerspruchsabteilung hinsichtlich der Nichtberücksichtigung der am 9. März 2007 vorgelegten Eintragungsurkunden (fehlender Nachweis der Verlängerung der Marken) und Auszüge aus dem Online-Register des DPMA (fehlende Übersetzung) sowie der am 25. September 2007 eingereichten Unterlagen (verspätete Vorlage) an. Des Weiteren stellte die Beschwerdekammer fest, dass weder sie selbst noch die Widerspruchsabteilung über ein Ermessen nach Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 zur Berücksichtigung von Unterlagen verfüge, die nach Ablauf der vom HABM gesetzten Frist vorgelegt worden seien. Selbst wenn ihr jedoch ein solches Ermessen zustünde, hätte sie es nicht zugunsten von Herrn Rintisch ausgeübt. Der Anmelder habe weder unrechtmäßig gehandelt, noch sei er an der Vorlage der Beweismittel durch Herrn Rintisch nach Ablauf der gesetzten Frist schuld gewesen.

19.      Gegen diese Entscheidung richtete sich die von Herrn Rintisch beim Gericht erhobene Klage vom 13. Februar 2009.

 Rechtssachen C‑121/12 P und C‑122/12 P

20.      Die Valfleuri Pâtes Alimentaires SA (im Folgenden: Valfleuri) meldete am 6. Januar 2006 die Wortmarken „PROTIVITAL“ und „PROTIACTIVE“ zur Eintragung als Gemeinschaftsmarken für Waren u. a. der Klassen 5, 29 und 30 des Abkommens von Nizza an.

21.      Am 24. Oktober 2006 erhob Herr Rintisch Widerspruch gegen beide Eintragungen aus dem in Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 aufgeführten Grund. Sein Widerspruch bezog sich auf von der Anmeldung erfasste Waren. Herr Rintisch stützte sich u. a. auf ältere deutsche Marken, darunter die Wortmarken „PROTI“ und „PROTIPLUS“ sowie die Bildmarke „PROTI POWER“.

22.      Am 16. Januar 2007 legte Herr Rintisch im Rahmen der beiden Widerspruchsverfahren zum Nachweis der Existenz und der Gültigkeit der älteren Marken i) Eintragungsurkunden des DPMA und ii) Auszüge aus dem Online-Register des DPMA vor. Eine englische Übersetzung reichte er lediglich für die Eintragungsurkunden der einzelnen Marken ein.

23.      Am 23. Januar 2007 teilte die Widerspruchsabteilung Herrn Rintisch den Zeitpunkt des Beginns des streitigen Teils des Widerspruchsverfahrens betreffend die Eintragung der Marke „PROTIVITAL“ mit. Am 13. März 2007 erfolgte eine entsprechende Mitteilung im Verfahren betreffend die Marke „PROTIACTIVE“. Die Widerspruchsabteilung wies Herrn Rintisch ausdrücklich darauf hin, dass er Nachweise über die Existenz und die Gültigkeit der älteren Marken durch Vorlage amtlicher, in die Verfahrenssprache übersetzter Unterlagen erbringen müsse. Sie forderte ihn zur Vorlage von Verlängerungsurkunden für diejenigen Marken auf, deren Eintragung mehr als zehn Jahre zurückliege. Die Frist für die Vorlage der Nachweise endete am 4. Juni 2007 im „PROTIVITAL“-Verfahren und am 26. Mai 2007 im „PROTIACTIVE“-Verfahren. Die Widerspruchsabteilung machte Herrn Rintisch darauf aufmerksam, dass sie die Widersprüche ohne Sachprüfung zurückweisen werde, falls die relevanten Beweismittel bis dahin nicht vorlägen.

24.      Am 19. September 2007 im „PROTIVITAL“-Verfahren und am 24. September 2007 im „PROTIACTIVE“-Verfahren wies die Widerspruchsabteilung den Widerspruch jeweils mit der Begründung ab, Herr Rintisch habe die Existenz und die Gültigkeit der älteren Markenrechte nicht fristgemäß substantiiert. Aus den Eintragungsurkunden gehe die erstmalige Eintragung der älteren Marken hervor, nicht jedoch, dass sie bei Ablauf der von der Widerspruchsabteilung gesetzten Frist noch gültig gewesen seien. Isoliert betrachtet zeigten die Unterlagen vielmehr, dass die Gültigkeit der Marken abgelaufen sei. Des Weiteren stellte die Widerspruchsabteilung fest, dass ihr nach Regel 19 Abs. 4 der Durchführungsverordnung eine Berücksichtigung der Auszüge aus dem DPMA-Online-Register zum Beleg der Verlängerungszeitpunkte der älteren Marken verwehrt sei, da keine englischen Übersetzungen vorgelegt worden seien.

25.      Am 23. Oktober 2007 legte Herr Rintisch Beschwerde gegen beide Entscheidungen ein und beantragte bei der Beschwerdekammer, die angemeldeten Marken wegen Bestehens der Gefahr von Verwechslungen von der Eintragung auszuschließen. Zusammen mit seiner Beschwerde legte er Auszüge aus dem DPMA-Online-Register sowie eine Erklärung des DPMA nebst englischer Übersetzung des Inhalts vor, dass die älteren Marken vor dem Zeitpunkt der Einreichung der Widerspruchsschrift verlängert worden seien.

26.      Am 21. Januar bzw. 3. Februar 2009 wies die Beschwerdekammer die Beschwerde in beiden Verfahren zurück. Die Widerspruchsabteilung habe den Widerspruch jeweils zu Recht abgewiesen, da Herr Rintisch die Existenz und die Gültigkeit der älteren Marken nicht fristgemäß substantiiert habe. Die am 16. Januar 2007 vorgelegten Eintragungsurkunden allein genügten nicht für den Nachweis, dass die älteren Marken zum Zeitpunkt der Einreichung der Widerspruchsschrift durchsetzbar gewesen seien. Zudem habe die Widerspruchsabteilung die Auszüge aus dem Online-Register des DPMA zu Recht nicht berücksichtigt, da sie nicht ins Englische übersetzt worden seien. Schließlich verfüge weder die Widerspruchsabteilung noch die Beschwerdekammer selbst über ein Ermessen zur Berücksichtigung von Unterlagen, die nach Ablauf der von HABM gesetzten Frist vorgelegt würden. Regel 20 Abs. 1 der Durchführungsverordnung schreibe ausdrücklich vor, dass der Widerspruch in solchen Fällen abzuweisen sei. Selbst wenn der Beschwerdekammer ein solches Ermessen zustünde, hätte sie es jedenfalls nicht zugunsten von Herrn Rintisch ausgeübt, denn der andere Beteiligte habe weder unrechtmäßig gehandelt, noch trage er Schuld an der verspäteten Vorlage der Beweismittel.

 Zusammenfassung der Urteile des Gerichts

 Urteil in der Rechtssache T‑62/09(11) (Gegenstand des Rechtsmittels in der Rechtssache C‑120/12 P)

27.      Die gegen die Entscheidung der Beschwerdekammer vom 15. Dezember 2009 erhobene Klage wurde auf drei Klagegründe gestützt: i) Verstoß der Widerspruchsabteilung gegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94, ii) Verstoß der Beschwerdekammer gegen Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 und iii) Verstoß der Beschwerdekammer gegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94.

28.      Das Gericht hat die Klage am 16. Dezember 2011 abgewiesen.

29.      In Randnr. 24 seines Urteils weist das Gericht den ersten Klagegrund als unzulässig zurück, da er nicht gegen eine Entscheidung der Beschwerdekammer gerichtet sei.

30.      Den zweiten Klagegrund weist das Gericht als unbegründet zurück. In den Randnrn. 27 und 28 seines Urteils führt es zunächst zusammenfassend den Normgehalt von Regel 19 Abs. 1 bis 3 der Durchführungsverordnung sowie die Zeitpunkte auf, zu denen Herr Rintisch Beweismittel vorlegte.

31.      Sodann konzentriert sich das Gericht in den Randnrn. 29 bis 32 auf den Regelungsgehalt von Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 und auf die Rechtsprechung, der zufolge i) als allgemeine Regel die Beteiligten Tatsachen und Beweismittel auch dann noch vorbringen können, wenn die für dieses Vorbringen nach den Bestimmungen der Verordnung Nr. 40/94 geltenden Fristen abgelaufen sind, ii) ein solches verspätetes Vorbringen von Tatsachen und Beweismitteln dem Beteiligten, von dem es stammt, keinen bedingungslosen Anspruch darauf verleihen kann, dass diese Tatsachen oder Beweismittel vom HABM berücksichtigt werden, und iii) die Beteiligten des Verfahrens vor dem HABM nicht uneingeschränkt die Möglichkeit haben, Tatsachen und Beweise nach Ablauf der dafür gesetzten Fristen vorzulegen; vielmehr hängt diese Möglichkeit davon ab, dass keine gegenteilige Vorschrift besteht.

32.      Nach der Wiedergabe des Wortlauts von Regel 20 Abs. 1 und Regel 50 Abs. 1 Satz 1 und 3 der Durchführungsverordnung prüft das Gericht im Weiteren, ob es sich bei der letztgenannten Bestimmung um eine „gegenteilige Vorschrift“ handelt, die die Anwendung von Regel 20 Abs. 1 auf Verfahren vor der Beschwerdekammer ausschließt:

„38      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall die Fassung der [Durchführungsverordnung] anwendbar ist, die nach der Änderung durch die Verordnung (EG) Nr. 1041/2005 der Kommission … in Kraft ist, da die Widerspruchsschrift am 9. März 2007 eingereicht wurde. Insbesondere sollte gemäß dem siebten Erwägungsgrund der letztgenannten Verordnung das Widerspruchsverfahren ganz neu geregelt werden, um u. a. die Rechtsfolgen bei Verfahrensmängeln eindeutig festzulegen.

39      Wollte man der vom Kläger befürworteten Auslegung folgen, bestünde nicht nur die Gefahr eines Zirkelschlusses bei der Beurteilung der in Rede stehenden Bestimmungen, sondern es käme auch zu einer erheblichen Einschränkung des Geltungsbereichs von Regel 20 Abs. 1 der [Durchführungsverordnung] in geänderter Fassung.

40      Wenn Belege für die Existenz, die Gültigkeit und den Umfang der älteren Marke – die nach dem auf den vorliegenden Fall anwendbaren neuen Wortlaut von Regel 20 Abs. 1 der [Durchführungsverordnung] von der Widerspruchsabteilung nicht berücksichtigt werden dürfen, wenn sie verspätet vorgelegt werden – gleichwohl von der Beschwerdekammer aufgrund ihrer Ermessensbefugnis aus Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 in Betracht gezogen werden dürften, könnten die Rechtsfolgen, die in der Verordnung Nr. 1041/2005 für Mängel dieser Art ausdrücklich vorgesehen sind, nämlich Abweisung des Widerspruchs, in bestimmten Fällen ohne praktische Wirkung bleiben.

41      Es ist daher festzustellen, dass die Beschwerdekammer zu Recht angenommen hat, dass es nach den Umständen des vorliegenden Falls eine Bestimmung gebe, die der Berücksichtigung von Belegen, die der Kläger dem HABM verspätet vorgelegt habe, entgegenstehe, und dass der Beschwerdekammer deshalb kein Ermessen nach Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 zustehe.“

33.      Anschließend befasst sich das Gericht mit dem Vorbringen von Herrn Rintisch zum Diktum der Beschwerdekammer, dass sie ihr Ermessen jedenfalls zu seinen Ungunsten ausgeübt hätte:

„43      Insoweit ergibt sich – auch wenn die Beschwerdekammer festgestellt hat, dass die Umstände des vorliegenden Falls jedenfalls einer Ausübung des Ermessens nach Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 zugunsten des Klägers entgegenstünden – aus Nr. 39 der streitigen Entscheidung, dass diese Feststellung lediglich hilfsweise und in Anbetracht der Tatsache getroffen wurde, dass das Urteil CORPO livre[(12)] …, auf das sich die Begründung der Beschwerdekammer stützt, Gegenstand eines Rechtsmittelverfahrens vor dem Gerichtshof war.

44      Es ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in seinem Beschluss vom 5. März 2009, K & L Ruppert Stiftung/HABM[(13)] …, den vom Gericht im Urteil CORPO livre verfolgten Ansatz nicht in Frage gestellt hat. … Da zudem die Beschwerdekammer entsprechend der oben in Randnr. 41 gezogenen Schlussfolgerung nicht über das in Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 vorgesehene Ermessen verfügte, erübrigt sich eine Prüfung des Vorbringens des Klägers, mit dem er die Feststellung beantragt, dass die streitige Entscheidung angesichts der im Urteil HABM/Kaul[(14)] … niedergelegten Voraussetzungen in dieser Hinsicht fehlerhaft sei.

46      Folglich hat die Beschwerdekammer nicht dadurch gegen Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 verstoßen, dass sie in der streitigen Entscheidung nicht die Unterlagen berücksichtigt hat, die der Kläger der Widerspruchsabteilung verspätet vorlegte und mit denen die Existenz und die Gültigkeit der älteren Marken belegt werden sollten.“

34.      In Randnr. 47 des Urteils erklärt das Gericht die Rüge bezüglich eines Ermessensmissbrauchs der Beschwerdekammer für unzulässig, da die Klageschrift den Mindestanforderungen an ihre Zulässigkeit nicht genüge, insbesondere nicht der Anforderung, dass die Gründe für die Rüge angegeben werden müssten, wie dies nach Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichts vorgeschrieben sei, die gemäß den Art. 130 § 1 und 132 § 1 der Verfahrensordnung auf das geistige Eigentum betreffende Rechtssachen Anwendung fänden.

35.      In Randnr. 62 des Urteils weist das Gericht auch den dritten Klagegrund als unbegründet zurück, da es aufgrund der Feststellung, dass der Widersprechende die Existenz und die Gültigkeit der älteren Marken nicht ordnungsgemäß substantiiert habe, nicht berechtigt sei, den Widerspruch in der Sache zu prüfen und insbesondere das Bestehen der Gefahr von Verwechslungen zwischen den streitigen Marken zu beurteilen.

 Urteile in den Rechtssachen T‑109/09(15) und T‑152/09(16) (Gegenstand der Rechtsmittelverfahren in den Rechtssachen C‑121/12 P bzw. C‑122/12 P)

36.      Die von Herrn Rintisch erhobenen Klagen gegen die Entscheidungen der Beschwerdekammer vom 21. Januar 2009 und 3. Februar 2009 waren auf dieselben Klagegründe gestützt, die er auch in der Rechtssache T‑62/09 anführte.

37.      Diese Klagen hat das Gericht am 16. Dezember 2011 abgewiesen.

38.      Sowohl in der Rechtssache T‑109/09 als auch in der Rechtssache T‑152/09 hat das Gericht die drei Klagegründe im Wesentlichen mit derselben Begründung zurückgewiesen, die auch zur Zurückweisung der identischen Klagegründe in der Rechtssache T‑62/09 (im Rechtsmittelverfahren jetzt Rechtssache C‑120/12 P) geführt hat.

 Zusammenfassung der Rechtsmittelgründe und der in den Rechtsmittelverfahren gestellten Anträge

39.      In allen drei Rechtsmittelverfahren beantragt Herr Rintisch, das Urteil des Gerichts aufzuerheben und dem HABM die Kosten aufzuerlegen.

40.      Er führt dabei zwei Rechtsmittelgründe an: i) Verstoß gegen Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94, soweit das Gericht fälschlich festgestellt habe, dass die Beschwerdekammer über kein Ermessen für die Entscheidung verfüge, ob ein Widersprechender die älteren Marken substantiiert habe, und ii) Befugnismissbrauch.

 Zusammenfassung des Vorbringens der Verfahrensbeteiligten in den drei Rechtsmittelverfahren

 Verstoß gegen Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94

41.      Herr Rintisch macht geltend, dass das Gericht Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 und Regel 50 Abs. 1 der Durchführungsverordnung falsch ausgelegt habe. Das Gericht sei zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, die Beschwerdekammer verfüge im Rahmen ihrer Beschwerdeentscheidung über kein Ermessen zur Berücksichtigung von Unterlagen, die nach der von der Widerspruchsabteilung gesetzten Frist vorgelegt würden. Dem Gericht sei außerdem dadurch ein Fehler unterlaufen, dass es nicht festgestellt habe, dass die Beschwerdekammer die ihr nach Art. 74 Abs. 2 verliehenen Ermessensbefugnisse falsch ausgeübt habe.

 Zur Frage, ob der Beschwerdekammer ein Ermessen zusteht

42.      Herr Rintisch beruft sich auf das Urteil des Gerichts in der Rechtssache Henkel/HABM, in dem es heißt, dass, „wie sich aus dem Grundsatz der funktionalen Kontinuität ergibt, … die Beschwerdekammer im Anwendungsbereich von Artikel 74 Absatz 1 Satz 2 … ihre Entscheidung auf sämtliche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zu stützen [hat], die der Beschwerdeführer entweder im Verfahren vor der Stelle, die in erster Instanz entschieden hat, oder, wobei sich eine Einschränkung nur aus Artikel 74 Absatz 2 der Verordnung Nr. 40/94 ergibt, im Beschwerdeverfahren vorgebracht hat“(17). Die Beschwerdekammer hätte daher – so Herr Rintisch – die Unterlagen berücksichtigen müssen, die der Widerspruchsabteilung nach Ablauf der Frist vorgelegt worden seien, wie etwa Übersetzungen der Schriftstücke, aus denen die Verlängerung der Marken ersichtlich sei.

43.      Herr Rintisch räumt zwar ein, dass der Gerichtshof im Urteil HABM/Kaul(18) ausgeführt habe, dass das in Art. 74 Abs. 2 vorgesehene Ermessen vorbehaltlich einer gegenteiligen Vorschrift bestehe, macht jedoch geltend, dass die genannte Bestimmung selbst keine solche Voraussetzung aufstelle. Es gebe auch keine anderweitige Vorschrift, die der Beschwerdekammer die Ausübung dieses Ermessens verwehre. Herr Rintisch scheint somit also auch die Gültigkeit des im Urteil HABM/Kaul formulierten Grundsatzes in Frage zu stellen.

44.      Es treffe zwar zu, dass Regel 20 Abs. 1 auf Widerspruchsverfahren Anwendung finde, das Gericht habe aber übersehen, dass Regel 50 Abs. 1 der Regel 20 Abs. 1 insoweit vorgehe, als sie der Beschwerdekammer Ermessensbefugnisse verleihe. Das Gericht habe außer Acht gelassen, dass in Regel 50 Abs. 1 Satz 3, bei der es sich um eine Spezialvorschrift für die Prüfung von Beschwerden handele, ausdrücklich die Anwendung von Art. 74 Abs. 2 vorgesehen sei. Das Gericht habe in diesem Zusammenhang nicht zwischen vollkommen neuen Sachverhalten und der verspäteten Vorlage „zusätzlicher oder ergänzender“ Sachverhalte und Beweismittel unterschieden. Das Gericht hätte nach Ansicht von Herrn Rintisch außerdem entscheiden müssen, dass die Beschwerdekammer gemäß Art. 74 Abs. 2 die nach Fristablauf vorgelegte Übersetzung hätte berücksichtigen sollen.

45.      Das HABM vertritt die Auffassung, dass sich die mit dem ersten Rechtsmittelgrund aufgeworfene Frage anhand von zwei Überlegungen beantworten lasse. Erstens sei Regel 20 Abs. 1 im Licht ihrer Entstehungsgeschichte zu sehen. In der alten Fassung seien die Rechtsfolgen einer Versäumung der in Regel 19 Abs. 1 bezeichneten Fristen nicht geregelt gewesen. Regel 20 Abs. 1 in der durch die Verordnung Nr. 1041/2005 geänderten Fassung sehe nunmehr ausdrücklich die Abweisung des Widerspruchs als unbegründet vor, falls der Widersprechende nicht innerhalb der in Regel 19 Abs. 1 genannten Frist die Existenz, die Gültigkeit und den Schutzumfang seiner älteren Marke belege. Zweitens heiße es in Regel 19 Abs. 3 eindeutig, dass Nachweise zur Stützung des Widerspruchs in der Verfahrenssprache verfasst sein müssten, andernfalls ihnen eine Übersetzung beiliegen müsse. Diese Regel bestehe deshalb, weil der Grundsatz audi alteram partem gewahrt und die Waffengleichheit der Parteien im streitigen Verfahren sichergestellt werden müsse. Nachweise durch Eintragungsurkunden könnten daher nur dann berücksichtigt werden, wenn sie den in Regel 19 Abs. 3 genannten Anforderungen entsprächen. Das Gericht habe daher zu Recht entschieden, dass Regel 20 Abs. 1 der Durchführungsverordnung ein Ermessen für die Entscheidung, ob nach Fristablauf vorgelegte Nachweise und Übersetzungen zu berücksichtigen seien, ausschließe.

46.      Im Weiteren befasst sich das HABM mit der möglichen Parallelität von Regel 20 und Regel 22 Abs. 2. In Bezug auf die letztgenannte Bestimmung und die Folgen der Vorlage von Beweismitteln nach Ablauf der vom HABM gemäß dieser Regel gesetzten Frist habe das Gericht in der Vergangenheit zwischen ursprünglichen und zusätzlichen Beweismitteln unterschieden. Diese Rechtsprechung betreffe Fälle, in denen Beweismittel in einem späteren Stadium des Widerspruchsverfahrens vorgelegt würden. Beim Nachweis der ernsthaften Benutzung sei zuzugeben, dass unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Qualität der vorgelegten Beweismittel denkbar seien und daher ein gewisses Maß an Flexibilität erforderlich sei. Im Rahmen des Nachweises der Existenz und der Gültigkeit älterer Rechte bestünden hingegen niemals irgendwelche Zweifel in Bezug auf die Zulänglichkeit der vorgelegten Unterlagen. Demnach sei eine Unterscheidung in diesem Kontext ohne Bedeutung.

47.      Anders als Bariatrix in der Rechtssache C‑120/12 P ist Valfleuri dem Rechtsstreit in den Rechtssachen C‑121/12 P und C‑122/12 P als Streithelferin beigetreten. Sie meint, dass bei den den vorliegenden Rechtsmittelverfahren zugrunde liegenden Sachverhalten dem HABM kein Ermessen zustehe. Zur Begründung beruft sie sich auf den Wortlaut der Regeln 19 und 20 der Durchführungsverordnung sowie auf den Umstand, dass beide Bestimmungen es dem HABM verwehrten, dem Widersprechenden mehr Zeit für die Erbringung von Nachweisen über die Existenz, die Gültigkeit und den Schutzumfang der älteren Marke einzuräumen. Außerdem stütze sich Herr Rintisch auf eine Rechtsprechung, die nicht die Anwendung der Regeln 19 und 20 der Durchführungsverordnung in der durch die Verordnung Nr. 1041/2005 geänderten Fassung betreffe. In den vorliegenden Fällen habe sich Herr Rintisch bereits vor Ablauf der vom HABM gesetzten Frist im Besitz des verlangten schriftlichen Beweismaterials befunden, jedoch keinerlei Gründe dafür angeführt, weshalb er die Unterlagen bis Oktober 2007 zurückgehalten habe.

 Ausübung des Ermessens der Beschwerdekammer

48.      Nach Auffassung von Herrn Rintisch hätte das Gericht feststellen müssen, dass die Beschwerdekammer zu Unrecht erklärt habe, dass sie, falls ihr ein Ermessen nach Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 zustünde, dieses Ermessen jedenfalls zu seinen Ungunsten ausgeübt hätte. Insoweit ist Herr Rintisch der Meinung, dass das Gericht sein Vorbringen zu dem Umstand hätte prüfen müssen, dass die Beschwerdekammer nicht untersucht habe, ob die Berücksichtigung von nach Fristablauf vorgelegten Beweismitteln nicht deshalb gerechtfertigt gewesen wäre, weil zum einen die Gesichtspunkte auf den ersten Blick von wirklicher Relevanz für das Ergebnis des Widerspruchs sein könnten und zum anderen das Verfahrensstadium, in dem das verspätete Vorbringen erfolgt sei, und die Umstände, die es begleiteten, einer solchen Berücksichtigung nicht entgegenstünden.

49.      Nach Ansicht des HABM kommt dieser Klagegrund nur dann zum Tragen, wenn der Gerichtshof feststellen sollte, dass der Beschwerdekammer ein Ermessen zusteht. Im Übrigen habe die Beschwerdekammer dargelegt, in welchem Sinne sie das Ermessen bei dem hier gegebenen Sachverhalt ausüben würde.

 Befugnismissbrauch

50.      Herr Rintisch scheint als zweiten Rechtsmittelgrund einen Befugnismissbrauch des Gerichts anzuführen. Er hat jedoch keine konkreten Ausführungen zur Substantiierung gemacht.

51.      Das HABM ist sich nicht sicher, ob dieser Grund auch im Rechtsmittelverfahren geltend gemacht wird. Jedenfalls sei er mangels Substantiierung als unzulässig zurückzuweisen.

 Würdigung

 Ermessen der Beschwerdekammer und Ausübung dieses Ermessens

52.      Der erste Rechtsmittelgrund lässt sich in zwei Teile untergliedern. Der erste Teil betrifft die Frage, ob der Beschwerdekammer ein Ermessen zusteht zur Berücksichtigung von Nachweisen für die Existenz und die Gültigkeit älterer Marken und von Übersetzungen dieser Nachweise, die nach Ablauf der von der Widerspruchsabteilung gesetzten Frist vorgelegt werden. Der zweite Teil betrifft die Ausübung dieses Ermessens, falls es bestehen sollte.

 Zur Frage, ob die Beschwerdekammer über ein Ermessen verfügt

53.      In meinen ebenfalls heute verlesenen Schlussanträgen in der Rechtssache New Yorker SHK Jeans/HABM (C‑621/11 P) habe ich als Ausgangspunkt für die Prüfung des Umfangs des HABM-Ermessens zur Berücksichtigung von Beweismitteln bei allen Verfahrensarten festgestellt, dass das HABM, einschließlich der Widerspruchsabteilung und der Beschwerdekammer, normalerweise über ein Ermessen zur Berücksichtigung von Beweismitteln verfügt, die nicht fristgemäß vorgelegt werden.

54.      Das Rechtsmittelverfahren in der Rechtssache New Yorker SHK Jeans/HABM betrifft die Frage, inwieweit die Widerspruchsabteilung über ein Ermessen für die Entscheidung verfügt, ob ein zweites Beweispaket zu berücksichtigen ist oder nicht, das nach Ablauf der vom HABM gesetzten Frist im Widerspruchsverfahren zum Nachweis ernsthafter Benutzung vorgelegt wurde.

55.      Im vorliegenden Rechtsmittelverfahren geht es um i) Nachweise über die Existenz und die Gültigkeit der Marken, auf die sich der Widersprechende stützt, und ii) Übersetzungen dieser Nachweise. Es handelt sich um Nachweise, die erbracht werden müssen, um die erste Hürde im Widerspruchsverfahren zu nehmen. Wenn es keine existierende gültige ältere Marke gibt, kommt ein Widerspruch gegen die Eintragung einer angemeldeten neuen Marke nicht in Betracht.

56.      Aufgrund der allgemeinen Regel des Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 scheint mir – ebenso wie dies auch das Gericht befunden hat(19) – auf der Hand zu liegen, dass hier ebenfalls grundsätzlich von einem Ermessen der Beschwerdekammer auszugehen ist.

57.      Fraglich ist, ob die Verordnung Nr. 40/94 oder die Durchführungsverordnung eine Ausnahme enthält, die im Rahmen der drei Rechtsmittelverfahren Anwendung findet.

58.      Ich werde diese Frage zuerst im Hinblick auf die Vorlage von Beweismitteln untersuchen und den Gesichtspunkt der Übersetzungen dann gesondert prüfen.

59.      Abgesehen von Art. 74 Abs. 2 findet sich in der Verordnung Nr. 40/94 keine ausdrückliche Vorschrift über das Ermessen der Beschwerdekammer für die Entscheidung, ob Nachweise über die Existenz und die Gültigkeit von Marken zu berücksichtigen sind oder nicht, wenn diese Nachweise nach Ablauf der von der Widerspruchsabteilung gesetzten Frist vorgelegt werden(20).

60.      Aus Art. 42 Abs. 1 der Verordnung Nr. 40/94 ergibt sich jedoch, dass ausschließlich die Inhaber der (älteren) Marken Widerspruch gegen die Eintragung einer Marke erheben können. Der Widersprechende muss daher Angaben zu der Marke, auf die er sich beruft, und zu seinen Rechten an der Marke machen. Beweismittel zum materiellen Nachweis dieser Tatsachen, d. h. der Existenz und der Gültigkeit der Marke, können der Widerspruchsabteilung zu einem späteren Zeitpunkt vorgelegt werden(21).

61.      Der materielle Nachweis braucht zwar nicht zusammen mit der Widerspruchsschrift eingereicht zu werden, die Angaben über die Existenz und die Gültigkeit der Marke berühren jedoch die Zulässigkeit des Widerspruchs. Die Widerspruchsabteilung muss die Angaben daher untersuchen, ehe sie in die Sachprüfung eintritt. Das Gebot der Verfahrenseffizienz, der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Rechtssicherheit führen mich zu dem Ergebnis, dass Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 in diesem Kontext dahin zu verstehen ist, dass die Beschwerdekammer keine Möglichkeit zur Prüfung von Nachweisen hat, die ihr, ohne dass sie in einer früheren Phase des Widerspruchsverfahrens als Ganzem vorgelegt worden sind, zum Beleg einer Voraussetzung für die Zulässigkeit des Widerspruchs vorgelegt werden, wie etwa (speziell) Nachweise über die Existenz und die Gültigkeit der (älteren) Marken.

62.      Hierfür spricht auch Regel 50 Abs. 1 Satz 3 der Durchführungsverordnung.

63.      In Regel 50 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz ist die allgemeine Regel niedergelegt, die für Beschwerden gegen Entscheidungen der Widerspruchsabteilung gilt. Ich verstehe diese Regel und insbesondere den Begriff „beschränkt“ in dem Sinne, dass die Beschwerdekammer nur Sachverhalte und Beweismittel prüfen kann, die „innerhalb der von der Widerspruchsabteilung nach Maßgabe der Verordnung und dieser Regeln festgesetzten Frist vorgelegt werden“. Dem Wortlaut nach wird zwar keine Unterscheidung zwischen Beweismitteln für die Existenz und die Gültigkeit älterer Marken einerseits und sonstigen Beweismitteln andererseits getroffen, die Vorlage dieser beiden Arten von Beweismitteln ist jedoch in unterschiedlichen Vorschriften der Verordnung Nr. 40/94 und der Durchführungsverordnung geregelt. Die Regeln 19 und 20 der Durchführungsverordnung erfassen die Vorlage von Nachweisen über die Existenz und die Gültigkeit älterer Marken sowie von Übersetzungen der eingereichten Unterlagen.

64.      Entgegen dem Vorbringen von Herrn Rintisch hat Regel 50 Abs. 1 Satz 3 erster Halbsatz daher keinen „Vorrang“ vor Regel 20 Abs. 1. Sie enthält vielmehr einen „renvoi“ auf die letztgenannte Bestimmung und schließt im Hinblick auf andere als „zusätzliche oder ergänzende Sachverhalte und Beweismittel“ die Möglichkeit der Beschwerdekammer zur Prüfung von Sachverhalten und Beweismitteln aus, die außerhalb der von der Widerspruchsabteilung nach Maßgabe der Verordnung Nr. 40/94 und der Durchführungsverordnung festgesetzten Frist vorgelegt werden. Die Beschwerdekammer verfügt ebenso wenig wie die Widerspruchsabteilung(22) über ein Ermessen für die Entscheidung, ob solche Beweismittel zu berücksichtigen sind oder nicht.

65.      Der zweite Halbsatz enthält eine Qualifizierung der im ersten Halbsatz aufgestellten Regel – die Regel gilt, „sofern die Beschwerdekammer nicht der Meinung ist, dass zusätzliche oder ergänzende Sachverhalte und Beweismittel gemäß Artikel 74 Absatz 2 der Verordnung berücksichtigt werden sollten“, also gemäß der Vorschrift, in der die allgemeine Ermessensregel normiert ist.

66.      Ob die Beschwerdekammer über ein Ermessen verfügt, hängt somit entscheidend davon ab, ob die Beweismittel für die Existenz und die Gültigkeit der älteren Marken als „zusätzlich oder ergänzend“(23) einzustufen sind. Im Rahmen der vorliegenden Rechtsmittelverfahren halte ich es zwar nicht für notwendig, eine erschöpfende Definition dieser Begriffe vorzunehmen, jedoch können Beweismittel offenkundig nur dann „zusätzlich oder ergänzend“ sein, wenn in einem früheren Verfahrensstadium bereits andere Beweismittel vorgelegt worden sind.

67.      Da die Durchführungsverordnung zum einen die unverzichtbaren förmlichen Anforderungen für die Zulässigkeit von zum Nachweis einer Tatsache dienenden Beweismitteln und zum anderen die Fristen für die Vorlage dieser Beweismittel festlegt, kann der Widersprechende meines Erachtens nicht zunächst unzureichende Beweismittel innerhalb der gesetzten Frist und dann später, womöglich erst im Beschwerdeverfahren, an sich unverzichtbare Beweismittel unter dem Etikett „zusätzliche oder ergänzende Beweismittel“ vorlegen.

68.      Worauf auch immer der Widerspruch gestützt sein mag, der Widersprechende muss in jedem Fall einen Nachweis über die Existenz, die Gültigkeit und den Schutzumfang der von ihm herangezogenen älteren Marken einreichen. Nach Regel 19 Abs. 2 der Durchführungsverordnung „muss der Widersprechende folgende Beweismittel vorlegen“. In Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii sind sodann die schriftlichen Beweismittel aufgeführt, die verlangt werden, wenn der Widerspruch auf eine Marke gestützt wird, die keine Gemeinschaftsmarke ist, nämlich die Eintragungsurkunde und gegebenenfalls die jüngste Verlängerungsurkunde.

69.      Seit ihrer Änderung durch die Verordnung Nr. 1041/2005 sind in Regel 20 Abs. 1 eindeutig die Rechtsfolgen genannt, die eintreten, wenn der Widersprechende die Eintragungsurkunde (und erforderlichenfalls die Verlängerungsurkunde) nicht vor Ablauf der von der Widerspruchsabteilung gesetzten Frist vorlegt: „[D]er Widerspruch [wird] als unbegründet abgewiesen.“

70.      Auch wenn diese Wendung der Formulierung „so weist das Amt den Widerspruch zurück“ in Regel 22 Abs. 2 der Durchführungsverordnung ähnelt, meine ich doch, dass die beiden Bestimmungen unterschiedlich auszulegen sind.

71.      In meinen Schlussanträgen in der Rechtssache New Yorker SHK Jeans/HABM (C‑621/11 P) bin ich zu dem Ergebnis gelangt, dass die Widerspruchsabteilung den Widerspruch nach Regel 22 Abs. 2 Satz 2 zurückweisen muss, wenn bei Ablauf der vom HABM gesetzten Frist überhaupt keine Beweismittel zum Nachweis der ernsthaften Benutzung vorgelegt worden sind(24). Ich habe außerdem ausgeführt, dass die Ausnahme von der allgemeinen Regel des Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 dann nicht mehr eingreift, wenn der Widersprechende, der zur Erbringung des Nachweises der ernsthaften Benutzung seiner Marke aufgefordert wird, in gutem Glauben glaubhafte erste Beweismittel für diese Benutzung vorgelegt hat(25). Zwar ist in Regel 22 Abs. 3 beschrieben, was nachgewiesen werden muss, und in Regel 22 Abs. 4 aufgeführt, wie dies bewerkstelligt werden kann, jedoch gibt es keine erschöpfende Aufzählung der unverzichtbaren schriftlichen Beweismittel, die vorgelegt werden müssen, um der Obliegenheit, die ernsthafte Benutzung nachzuweisen, nachzukommen. Je nach den Umständen wie etwa Art der Marke und des Marktes, auf dem sie benutzt wird, können an Qualität und Quantität der Beweismittel unterschiedliche Anforderungen zu stellen sein, und der Anmelder hat im streitigen Verfahren das Recht, die Zulänglichkeit der ursprünglich vorgelegten Beweismittel in Frage zu stellen.

72.      Regel 20 Abs. 1 verstehe ich dagegen in einem anderen Sinne. In Regel 19 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii hat der Gesetzgeber im Wesentlichen eine Beweisschwelle definiert: Im Fall von eingetragenen Marken, die keine Gemeinschaftsmarken sind, muss der Widersprechende eine Abschrift der Eintragungsurkunde und gegebenenfalls der jüngsten Verlängerungsurkunde einreichen, aus der hervorgeht, dass die Schutzdauer der Marke über die von der Widerspruchsabteilung gesetzte Frist und ihre etwaige Verlängerung hinausgeht, oder gleichwertige Schriftstücke der Stelle, die die Markeneintragung vorgenommen hat.

73.      Entweder reicht der Widersprechende die Eintragungsurkunde (und gegebenenfalls die Verlängerungsurkunde) ein oder er tut das nicht. Ich stimme deshalb dem HABM darin zu, dass kein Raum für Zweifel bezüglich der Zulänglichkeit der Beweismittel oder für eine Diskussion darüber bleibt, ob es sich bei diesen um zusätzliche bzw. ergänzende Beweismittel zu bereits früher vorgelegten Beweismitteln handelt. Unverzichtbare schriftliche Beweismittel können keine zusätzlichen oder ergänzenden Beweismittel zu anderen schriftlichen Beweismitteln sein (wohl aber können die letztgenannten Beweismittel zusätzliche oder ergänzende Beweismittel zu den erstgenannten sein).

74.      Anders als Herr Rintisch sehe ich keine Grundlage für eine Unterscheidung zwischen Unterlagen, die der Widerspruchsabteilung nach Fristablauf vorgelegt werden, und Unterlagen, die der Beschwerdekammer nach diesem Zeitpunkt eingereicht werden. Nach meinem Verständnis von Regel 19 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii und Regel 20 Abs. 1 der Durchführungsverordnung steht es nicht im Ermessen der Widerspruchsabteilung, nicht fristgemäß eingereichte Eintragungsurkunden bzw. Verlängerungsurkunden zu berücksichtigen. Im Einklang mit dem Grundsatz der funktionalen Kontinuität und vorbehaltlich einer gegenteiligen Vorschrift besteht keine Möglichkeit, der Beschwerdekammer die Berücksichtigung verspätet vorgelegter unverzichtbarer Beweismittel zu erlauben, die die Widerspruchsabteilung nicht berücksichtigen darf. Der Begriff „Kontinuität“ impliziert Kohärenz bei der Anwendung von Regelungen(26).

75.      Das Gleiche gilt meines Erachtens für die verspätete Vorlage von Übersetzungen der Eintragungsurkunde (und gegebenenfalls der Verlängerungsurkunde).

76.      Aus Regel 19 Abs. 3 der Durchführungsverordnung geht hervor, dass die in Regel 19 Abs. 2 genannten Unterlagen entweder in der Verfahrenssprache vorgelegt werden müssen oder dass ihnen eine Übersetzung beiliegen muss. In der Vorschrift ist außerdem bestimmt, dass „[d]ie Übersetzung … innerhalb der Frist für die Einreichung der Originalunterlagen vorzulegen [ist]“. Nach Regel 19 Abs. 4 lässt das HABM Unterlagen, die nicht innerhalb der gesetzten Frist vorgelegt oder übersetzt worden sind, „unberücksichtigt“. Angesichts dieser eindeutigen Formulierung kann der Widerspruchsabteilung meiner Meinung nach kein Ermessen für die Entscheidung zuerkannt werden, ob verspätet vorgelegte Übersetzungen der in Regel 19 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii bezeichneten Unterlagen zu berücksichtigen sind oder nicht. Dies gilt auch für die Beschwerdekammer.

77.      Demnach hat das Gericht meines Erachtens zu Recht entschieden, dass die Beschwerdekammer fehlerfrei festgestellt hat, dass sie über kein Ermessen zur Berücksichtigung von Nachweisen über die Existenz und die Gültigkeit der älteren Marken verfügt, die nach Ablauf der von der Widerspruchsabteilung gesetzten Frist eingereicht werden.

 Ausübung des Ermessens der Beschwerdekammer

78.      Wenn die Beschwerdekammer kein Ermessen zur Berücksichtigung von nicht zusätzlichen bzw. nicht ergänzenden Beweismitteln und von Übersetzungen besitzt, die nach Ablauf der von der Widerspruchsabteilung gesetzten Frist vorgelegt werden, besteht kein Raum für die Prüfung, wie die Beschwerdekammer ein solches Ermessen ausüben könnte oder sollte.

79.      Ich schließe mich daher der Auffassung des HABM an, dass dieser Rechtsmittelgrund nur dann Bedeutung erlangt, wenn der Gerichtshof feststellen sollte, dass das Gericht Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 falsch ausgelegt hat, und zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beschwerdekammer hinsichtlich der in den drei Rechtsmittelverfahren in Rede stehenden Beweismittel und Übersetzungen über ein Ermessen für die Entscheidung verfügte, ob diese Unterlagen zu berücksichtigen sind oder nicht. Angesichts meines Ergebnisses zum ersten Teil dieses Rechtsmittelgrundes werde ich den zweiten Teil nicht näher prüfen.

 Befugnismissbrauch

80.      Ich stimme dem HABM darin zu, dass der zweite Rechtsmittelgrund mangels Substantiierung als unzulässig zurückzuweisen ist.

 Kosten

81.      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der aufgrund ihres Art. 184 Abs. 1 auf Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 184 Abs. 4 kann der Gerichtshof einer erstinstanzlichen Streithilfepartei, die am Verfahren teilnimmt, ihre eigenen Kosten auferlegen.

82.      In allen Rechtssachen hat das HABM Kostenantrag gestellt, und Valfleuri hat in den Rechtssachen C‑121/12 P und C‑122/12 P Kostenantrag gestellt. Nach meiner Bewertung unterliegt Herr Rintisch in allen Rechtssachen.

 Ergebnis

83.      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor,

–        die Rechtsmittel in vollem Umfang zurückzuweisen,

–        Herrn Rintisch die Kosten des HABM und die Kosten der Streithelferin in den Rechtssachen C‑121/12 P und C‑122/12 P aufzuerlegen.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Die Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. L 11, S. 1) in geänderter Fassung ist zwar durch die Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. L 78, S. 1) aufgehoben und ersetzt worden, sie war jedoch in Kraft, als Herr Rintisch seine Widerspruchsschriften einreichte und sich die weiteren für die drei Rechtssachen relevanten Vorgänge abspielten. Im Übrigen bewirkt die Verordnung Nr. 207/2009 materiell-rechtlich lediglich eine Kodifizierung der Verordnung Nr. 40/94 und ihrer Änderungen. Die Bestimmungen der Verordnung Nr. 40/94 in den vorliegenden Rechtsmittelverfahren bleiben unberührt.


3 – Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission vom 13. Dezember 1995 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke (ABl. L 303, S. 1) in der u. a. durch die Verordnung (EG) Nr. 1041/2005 der Kommission vom 29. Juni 2005 (ABl. L 172, S. 4) geänderten Fassung.


4 –      In Art. 8 sind die relativen Eintragungshindernisse aufgeführt.


5 – Vgl. fünfter Erwägungsgrund der Durchführungsverordnung.


6 – Vgl. sechster Erwägungsgrund der Durchführungsverordnung.


7 – In Regel 17 sind die Gründe aufgeführt, aus denen ein Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen werden kann. Zu diesen Gründen gehören Nichtentrichtung der Widerspruchsgebühr, verspätete Vorlage der Widerspruchsschrift, fehlende Widerspruchsbegründung, keine eindeutige Angabe, auf welche ältere Marke oder welches ältere Recht sich der Widerspruch gründet, Nichteinreichung der nach Regel 16 Abs. 1 erforderlichen Übersetzung, Nichteinhaltung der Bestimmungen von Regel 15.


8 –      [AdÜ: Betrifft nicht die deutsche Sprachfassung der Regel.]


9 – Abkommen von Nizza vom 15. Juni 1957 über die Internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken, revidierte und geänderte Fassung.


10 – Diese Eintragungsurkunden waren auf März 1996, Oktober 1996 und März 1997 datiert.


11 – Urteil vom 16. Dezember 2011, Rintisch/HABM – Bariatrix Europe.


12 –      Urteil vom 12. Dezember 2007, K & L Ruppert Stiftung/HABM – Lopes de Almeida Cunha u. a. (CORPO livre) (T‑86/05, Slg. 2007, II‑4923).


13 –      Beschluss vom 5. März 2009 (C‑90/08 P).


14 –      C‑29/05 P, Slg. 2007, I‑2213.


15 – Urteil vom 16. Dezember 2011, Rintisch/HABM – Valfleuri Pâtes alimentaires (PROTIVITAL).


16 – Urteil vom 16. Dezember 2011, Rintisch/HABM – Valfleuri Pâtes alimentaires (PROTIACTIVE).


17 – Urteil des Gerichts vom 23. September 2003 (T‑308/01, Slg. 2003, II‑3253, Randnr. 32).


18 – Oben in Fn. 14 angeführt, Randnr. 42.


19 – Vgl. Randnr. 30 des angefochtenen Urteils in der Rechtssache T‑62/09 und jeweils Randnr. 31 der angefochtenen Urteile in den Rechtssachen T‑109/09 und T‑152/09.


20 – Vgl. Regel 15 der Durchführungsverordnung.


21 – Vgl. Regel 19 der Durchführungsverordnung.


22 – Siehe unten, Nr. 74.


23 – Die verschiedenen Sprachfassungen von Regel 50 Abs. 1 Satz 3 sind nicht vollständig kongruent. So heißt es z. B. im englischen Text „additional or supplementary facts and evidence“, im französischen „faits et preuves nouveaux ou supplémentaires“ und im niederländischen „aanvullende feiten en bewijsstukken“.


24 – Siehe Nr. 57 meiner Schlussanträge in der Rechtssache New Yorker SHK Jeans/HABM, oben in Nr. 53 angeführt.


25 – Ebd., Nr. 65; Art. 74 Abs. 2 der Verordnung Nr. 40/94 entspricht dem in jener Rechtssache in Rede stehenden Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009.


26 – Siehe Nr. 111 meiner Schlussanträge in der Rechtssache HABM/Kaul, Urteil oben in Fn. 14 angeführt.