URTEIL DES GERICHTSHOFES
17. Juli 1997(1)
[234s„Ausfuhrerstattungen Milcherzeugnisse Diskriminierung Beurteilung der
Gültigkeit Nationales Gericht Einstweilige Anordnungen Zollkodex der
Gemeinschaften“[s
In der Rechtssache C-334/95
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Finanzgericht
Hamburg in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Krüger GmbH & Co. KG
gegen
Hauptzollamt Hamburg-Jonas
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Gültigkeit des Artikels 17
Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die
gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 148, S. 13),
geändert durch die Verordnung Nr. 3904/87 des Rates vom 22. Dezember 1987
(ABl. L 370, S. 1), in Verbindung mit ihrem Anhang und über die Konsequenzen
einer etwaigen Feststellung der Ungültigkeit sowie über die Auslegung von Artikel
244 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur
Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) und von Artikel
177 EG-Vertrag
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der
Kammerpräsidenten J. L. Murray und L. Sevón sowie der Richter P. J. G. Kapteyn,
C. Gulmann, D. A. O. Edward, J.-P. Puissochet, G. Hirsch, P. Jann, H. Ragnemalm
und R. Schintgen (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. B. Elmer
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Krüger GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt H. J. Priess,
Brüssel,
- des Hauptzollamts Hamburg-Jonas, vertreten durch Regierungsdirektor E.
von Reden, Vorsteher des Hauptzollamts,
- des Rates der Europäischen Union, vertreten durch J.-P. Hix, Juristischer
Dienst, als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch
K.-D. Borchardt, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Krüger GmbH & Co. KG, des
Rates und der Kommission in der Sitzung vom 21. Januar 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. April
1997,
folgendes
Urteil
- Das Finanzgericht Hamburg hat mit Beschluß vom 21. September 1995, beim
Gerichtshof eingegangen am 23. Oktober 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag
sechs Fragen nach der Gültigkeit des Artikels 17 Absatz 1 der Verordnung (EWG)
Nr. 804/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation
für Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 148, S. 13), geändert durch die Verordnung
(EWG) Nr. 3904/87 des Rates vom 22. Dezember 1987 (ABl. L 370, S. 1), in
Verbindung mit ihrem Anhang, und nach den Konsequenzen einer etwaigen
Feststellung der Ungültigkeit sowie nach der Auslegung von Artikel 244 der
Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung
des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1; im folgenden: Zollkodex) und
von Artikel 177 des Vertrages zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Krüger GmbH & Co.
KG, der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens (im folgenden: Antragstellerin),
und dem Hauptzollamt Hamburg-Jonas, dem Antragsgegner des
Ausgangsverfahrens (im folgenden: Antragsgegner), über die Rückforderung einer
für die Ausfuhr von Milcherzeugnissen gewährten Erstattung.
- Artikel 17 Absatz 1 der Verordnung Nr. 804/68 bestimmt:
„Um die Ausfuhr der ... [Milch]Erzeugnisse in unverändertem Zustand oder ... in
Form von Waren des Anhangs auf der Grundlage der Preise zu ermöglichen, die
im internationalen Handel für die[se] Erzeugnisse ... gelten, kann der Unterschied
zwischen diesen Preisen und den Preisen in der Gemeinschaft, soweit erforderlich,
durch eine Erstattung bei der Ausfuhr ausgeglichen werden.“
- Im Anhang der Verordnung Nr. 804/68 wird als Erzeugnis, für das eine Erstattung
gewährt werden kann, u. a. aufgeführt:
KN-Code
|
Warenbezeichnung
|
ex 2101 10
|
Zubereitungen auf der Grundlage von Kaffee
|
- Im entscheidungserheblichen Zeitraum umfaßte die Unterposition 2101 10 der im
Anhang der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die
zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl.
L 256, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2505/92 der Kommission
vom 14. Juli 1992 zur Änderung der Anhänge I und II der Verordnung (EWG) Nr.
2658/87 (ABl. L 267, S. 1) enthaltenen Kombinierten Nomenklatur folgende
Waren:
KN-Code
|
Warenbezeichnung
|
2101 10 2101 10 11 2101 10 19 2101 10 91 2101 10 99
|
Auszüge, Essenzen und Konzentrate aus
Kaffee und Zubereitungen auf der Grundlage
dieser Auszüge, Essenzen und Konzentrate
oder auf der Grundlage von Kaffee: Auszüge, Essenzen und Konzentrate: mit einem Gehalt an aus Kaffee
stammender Trockenmasse von
96 GHT oder mehr andere Zubereitungen kein Milchfett, Milchprotein und
keine Saccharose, Isoglucose,
Stärke oder Glucose enthaltend,
oder weniger als 1,5 GHT
Milchfett, 2,5 GHT Milchprotein,
5 GHT Saccharose oder
Isoglucose, 5 GHT Glucose oder
Stärke enthaltend andere
|
- Die nach der Aushandlung des GATT im Jahre 1994 erlassene Verordnung (EG)
Nr. 3115/94 der Kommission vom 20. Dezember 1994 zur Änderung der Anhänge
I und II der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 (ABl. L 345, S. 1) nahm bei den
„Zubereitungen“ eine Unterscheidung vor zwischen solchen auf der Grundlage von
Auszügen, Essenzen und Konzentraten aus Kaffee, die einer neuen Unterposition
2101 10 92 zugeordnet wurden, und „anderen“ Zubereitungen, die einer neuen
Unterposition 2101 10 98 zugeordnet wurden. Die alten Unterpositionen
2101 10 91 und 2101 10 99 wurden aufgehoben.
- Artikel 1 des Zollkodex bestimmt:
„Dieser Kodex und die auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene dazu
erlassenen Durchführungsvorschriften stellen das Zollrecht dar. Der Kodex gilt
unbeschadet besonderer, auf anderen Gebieten bestehender Vorschriften
im Warenverkehr zwischen der Gemeinschaft und Drittländern
...“
- Artikel 161 Absatz 1 des Gemeinsamen Zolltarifs lautet:
„Im Ausfuhrverfahren können Gemeinschaftswaren aus dem Zollgebiet der
Gemeinschaft verbracht werden.
Die Ausfuhr umfaßt die Anwendung der handelspolitischen Maßnahmen und die
Erfüllung der übrigen für die Waren geltenden Ausfuhrförmlichkeiten und
gegebenenfalls die Erhebung der Ausfuhrabgaben.“
- Artikel 243 Absatz 1 Unterabsatz 1 des Zollkodex bestimmt sodann:
„Jede Person kann einen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen der Zollbehörden auf
dem Gebiet des Zollrechts einlegen, die sie unmittelbar und persönlich betreffen.“
- Artikel 244 des Zollkodex sieht schließlich vor:
„Durch die Einlegung des Rechtsbehelfs wird die Vollziehung der angefochtenen
Entscheidung nicht ausgesetzt.
Die Zollbehörden setzen jedoch die Vollziehung der Entscheidung ganz oder
teilweise aus, wenn sie begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
angefochtenen Entscheidung haben oder wenn dem Beteiligten ein unersetzbarer
Schaden entstehen könnte.
Bewirkt die angefochtene Entscheidung die Erhebung von Einfuhr- oder
Ausfuhrabgaben, so wird die Aussetzung der Vollziehung von einer
Sicherheitsleistung abhängig gemacht ...“
- Wie sich aus den Akten des Ausgangsverfahrens ergibt, exportierte die
Antragstellerin im Jahre 1993 eine Mischung aus Fettmilchpulver und
Kaffeeauszügen unter dem Handelsnamen „Cappuccino Tasse“. Bei der
Ausfuhrabfertigung meldete sie die Ware zutreffend als Lebensmittelzubereitung
in Instant-Form „Cappuccino“ zur Unterposition 2101 10 99 an.
- Der Antragsgegner gewährte der Antragstellerin für die zur Herstellung der
streitigen Ware verwendeten Mengen Magermilch/Magermilchpulver eine
Ausfuhrerstattung in Höhe von 89 411 DM.
- Mit Schreiben vom 3. Februar 1994 fragte die Antragstellerin beim Antragsgegner
an, warum ihrer Tochtergesellschaft keine Ausfuhrerstattung für ein gleichartiges
Produkt gewährt werde.
- Am 11. Februar 1994 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, daß nach
den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften Ausfuhrerstattungen hinsichtlich des
Magermilchanteils für Lebensmittelzubereitungen auf der Grundlage von Kaffee,
nicht aber für solche auf der Grundlage von Kaffeeauszügen, -essenzen oder
-konzentraten gewährt würden.
- Mit Bescheid vom 30. Mai 1994 forderte der Antragsgegner die seiner Auffassung
nach zu Unrecht gewährte Ausfuhrerstattung in Höhe von 89 411 DM zurück.
- Unter Berufung auf Artikel 244 Absatz 2 des Zollkodex stellte die Antragstellerin
beim Finanzgericht Hamburg einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung dieses
Bescheids.
- Mit Beschluß vom 21. September 1995 gab das Finanzgericht Hamburg diesem
Antrag wegen begründeter Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Bescheids statt. Diese Zweifel beruhten auf der Annahme, daß die Verordnung Nr.
804/68 insoweit gegen Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EG-Vertrag verstoßen
könnte, als sie keine Ausfuhrerstattung für Milchprodukte gewährt, die in
Lebensmittelzubereitungen enthalten sind, die auf der Grundlage von Auszügen,
Essenzen oder Konzentraten aus Kaffee hergestellt werden.
- Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits hat das Finanzgericht
Hamburg gegen den vorläufigen Vollzugsaussetzungsbeschluß gemäß § 128 Absatz
3 Satz 2 in Verbindung mit § 115 Absatz 2 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung die
Beschwerde an den Bundesfinanzhof zugelassen. Es hat allerdings Zweifel geäußert,
ob die Beschwerdezulassung mit Artikel 177 Absatz 2 des Vertrages vereinbar sei.
- Ferner hat das Finanzgericht Hamburg in seinem Beschluß den Gerichtshof um
Vorabentscheidung über folgende Fragen ersucht:
1. Verstößt die Verordnung (EWG) Nr. 804/68 in Verbindung mit ihrem
Anhang in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 374/92 insoweit gegen
Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EG-Vertrag, und ist sie deshalb insoweit
ungültig, als sie nicht eine Ausfuhrerstattung für Milch/Milcherzeugnisse
gewährt, die in Lebensmittelzubereitungen der Unterposition 2101 10 der
Kombinierten Nomenklatur enthalten sind, die auf der Grundlage von
Auszügen, Essenzen oder Konzentraten aus Kaffee hergestellt werden?
2. Hindert ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot die Rückforderung
von gewährter Ausfuhrerstattung für Milch/Milchprodukte, die in
Lebensmittelzubereitungen der Unterposition 2101 10 der Kombinierten
Nomenklatur enthalten sind, die auf der Grundlage von Auszügen von
Kaffee hergestellt worden sind?
3. Ist Artikel 244 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex) auf die
Vollziehungsaussetzung von Bescheiden anwendbar, mit denen eine
gewährte Ausfuhrerstattung zurückgefordert wird?
4. Wenn die Frage zu 3 bejaht wird: Beurteilt sich die Vollziehungsaussetzung
in Fällen, in denen die Gültigkeit des der Entscheidung zugrunde liegenden
Gemeinschaftsrechts zweifelhaft ist, nach Artikel 244 Zollkodex oder nach
welchen anderen Voraussetzungen?
5. Wenn die Frage zu 3 verneint wird: Nach welchen Voraussetzungen
beurteilt sich die Vollziehungsaussetzung in Fällen, in denen die Gültigkeit
des der Entscheidung zugrunde liegenden Gemeinschaftsrechts zweifelhaft
ist?
6. Ist Artikel 177 Absatz 2 EG-Vertrag dahin auszulegen, daß er die Zulassung
der Beschwerde durch das Finanzgericht gemäß § 128 Absatz 3 Satz 2 in
Verbindung mit § 115 Absatz 2 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung in Fällen wie
dem vorliegenden ausschließt?
Zur ersten und zur zweiten Frage
- Mit seinen ersten beiden Fragen möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof
wissen, ob die Verordnung Nr. 804/68 insoweit ungültig ist, als sie Zubereitungen
auf der Grundlage von Auszügen, Essenzen oder Konzentraten aus Kaffee und
solche auf der Grundlage von Kaffee unterschiedlich behandelt, und welche
Konsequenzen aus einer etwaigen Feststellung der Ungültigkeit dieser Verordnung
zu ziehen wären.
- Bei dieser Fragestellung geht das Finanzgericht Hamburg von der Prämisse aus,
daß sich diese Ungleichbehandlung aus dem Wortlaut des Artikels 17 Absatz 1 der
Verordnung Nr. 804/68 und ihres Anhangs in Verbindung mit der Kombinierten
Nomenklatur ergebe.
- Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen des durch Artikel 177 des
Vertrages eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen
Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofes, dem vorlegenden
Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens
sachdienliche Antwort zu geben.
- Vor diesem Hintergrund hat der Gerichtshof die ihm vorgelegten Fragen
gegebenenfalls umzuformulieren oder zu prüfen, ob eine Frage nach der Gültigkeit
einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts auf einem richtigen Verständnis der
fraglichen Vorschrift beruht.
- Im vorliegenden Fall ist zunächst zu prüfen, ob Artikel 17 Absatz 1 der
Verordnung Nr. 804/68 in Verbindung mit ihrem Anhang, der auf die Unterposition2101 10 der Kombinierten Nomenklatur verweist, so auszulegen ist, daß er die
Gewährung von Ausfuhrerstattungen nur für Milchprodukte zuläßt, die in
Zubereitungen auf der Grundlage von Kaffee enthalten sind, nicht aber für solche,
die in Zubereitungen auf der Grundlage von Auszügen, Essenzen oder
Konzentraten aus Kaffee enthalten sind.
- Hierzu ist auf die Zielsetzung der Verordnung Nr. 804/68, den Wortlaut der im
Anhang der Verordnung angeführten Unterposition 2101 10 der Kombinierten
Nomenklatur und die Struktur dieser Position abzustellen.
- Artikel 17 Absatz 1 der Verordnung Nr. 804/68 gibt der Gemeinschaft die Befugnis,
für Milcherzeugnisse, die in unverändertem Zustand oder als Bestandteil eines
anderen Erzeugnisses abgesetzt werden, Ausfuhrerstattungen zu gewähren. Diese
Erstattung, die dem Unterschied zwischen den Preisen, die im internationalen
Handel für Milcherzeugnisse gelten, und den Preisen in der Gemeinschaft
entspricht, soll im Bedarfsfall den Absatz der Gemeinschaftserzeugnisse auf dem
Weltmarkt sicherstellen.
- Für Milcherzeugnisse, die in auf der Grundlage von Kaffee hergestellten
Erzeugnissen verwendet werden, verweist der Anhang der Verordnung Nr. 804/68
auf die Unterposition 2101 10 der Kombinierten Nomenklatur, „Zubereitungen auf
der Grundlage von Kaffee“, wobei dem Code der Unterposition ein „ex“
vorangestellt ist.
- Diese Unterposition unterscheidet zwischen Auszügen, Essenzen oder Konzentraten
aus Kaffee einerseits und Zubereitungen andererseits.
- Die Verweisung auf Zubereitungen im Anhang der Verordnung Nr. 804/68 erklärt
sich daraus, daß nur diese Milcherzeugnisse enthalten können.
- Innerhalb der Unterposition „Zubereitungen“ unterscheidet die Kombinierte
Nomenklatur nicht zwischen Zubereitungen auf der Grundlage von Kaffee und
solchen auf der Grundlage von Auszügen, Essenzen oder Konzentraten aus Kaffee,
sondern zwischen Zubereitungen, die kein Milchfett, Milchprotein und keine
Saccharose, Isoglucose, Stärke oder Glucose bzw. nur eine geringe Menge davon
enthalten (Code 2101 10 91), und anderen Zubereitungen (Code 2101 10 99).
- Unter diesen Umständen ist die Bezeichnung „ex 2101 10 Zubereitungen auf der
Grundlage von Kaffee“ im Anhang der Verordnung Nr. 804/68 nicht am Wortlaut
haftend so auszulegen, daß sie ausschließlich Zubereitungen auf der Grundlage von
Kaffee erfaßt, sondern vielmehr dahin zu verstehen, daß sie alle Zubereitungen
betrifft, die aus Kaffeeprodukten hergestellt sind, die Milcherzeugnisse enthalten.
- Dieser Auslegung der Verordnung Nr. 804/68 kann nicht entgegengehalten werden,
der Anteil der Milcherzeugnisse am Wert der Zubereitungen auf der Grundlage
von Auszügen, Essenzen oder Konzentraten aus Kaffee sei gering. Die Verordnung
Nr. 804/68 räumt nämlich der Gemeinschaft lediglich die Möglichkeit ein,
Ausfuhrerstattungen zu gewähren, und enthält keine Vorschrift, nach der diese
ausgeschlossen wären, wenn der Anteil des Milcherzeugnisses am Wert des
ausgeführten Erzeugnisses eine bestimmte Höhe nicht überschreitet.
- Nur dieses Verständnis der Verordnung Nr. 804/68 kann ihr im übrigen zu
praktischer Wirksamkeit verhelfen. Die streitigen Vorschriften dieser Verordnung
wären nämlich gegenstandslos, wenn sie dahin auszulegen wären, daß sie die
Gewährung von Erstattungen bei der Ausfuhr von Milchprodukten nur für
Zubereitungen auf der Grundlage von Kaffee vorsehen, für die, wie sich aus den
beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen ergibt, nicht erwiesen ist, ob es sie auf
dem Markt gibt.
- Artikel 17 Absatz 1 der Verordnung Nr. 804/68 in Verbindung mit ihrem Anhang,
der auf die Unterposition 2101 10 der im Anhang der Verordnung Nr. 2658/87 in
der Fassung der Verordnung Nr. 2505/92 enthaltenen Kombinierten Nomenklatur
verweist, ist daher so auszulegen, daß er die Gewährung von Ausfuhrerstattungen
sowohl für Milchprodukte zuläßt, die in Zubereitungen auf der Grundlage von
Kaffee enthalten sind, als auch für solche, die in Zubereitungen auf der Grundlage
von Auszügen, Essenzen oder Konzentraten aus Kaffee enthalten sind.
- Aufgrund dieser Auslegung der Verordnung Nr. 804/68 braucht die Frage, ob diese
Verordnung im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot gültig ist, nicht geprüft zu
werden, da das einen Verstoß hiergegen betreffende Vorbringen auf die Auslegung
gestützt ist, daß die Verordnung die Gewährung von Ausfuhrerstattungen für
Milchprodukte, die in Zubereitungen auf der Grundlage von Auszügen, Essenzen
oder Konzentraten aus Kaffee enthalten sind, nicht zulasse, wohl aber für
Milchprodukte, die in Zubereitungen auf der Grundlage von Kaffee enthalten sind;
ebensowenig brauchen die Konsequenzen geprüft zu werden, die aus einer
etwaigen Feststellung der Ungültigkeit dieser Verordnung zu ziehen wären.
Zur dritten Frage
- Diese Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob Artikel 244
des Zollkodex auf Bescheide anwendbar ist, mit denen Ausfuhrerstattungen
zurückgefordert werden.
- Zunächst ergibt sich aus den Artikeln 243 Absatz 1 und 244 Absatz 2 des
Zollkodex, daß die dort vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen der
Behörden der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Zollrechts eingelegt werden
können.
- Sodann folgt aus Artikel 161 des Zollkodex, daß das Ausfuhrverfahren die
Anwendung der handelspolitischen Maßnahmen und die Erfüllung der übrigen für
die Gemeinschaftswaren geltenden Ausfuhrförmlichkeiten sowie die Erhebung der
Ausfuhrabgaben umfaßt.
- Die Ausfuhrerstattungen sind jedoch nicht Teil dieser Regelung für die Ausfuhr der
Gemeinschaftswaren, sondern haben ihre Grundlage in den Verordnungen zur
Einführung gemeinsamer Marktorganisationen für die verschiedenen
Agrarerzeugnisse. Sie sollen nämlich den Unterschied zwischen dem Preis dieser
Erzeugnisse im internationalen Handel und den in der Gemeinschaft praktizierten
Preisen ausgleichen, um die Ausfuhr dieser Erzeugnisse auf den Weltmarkt zu
ermöglichen und dabei die Einkünfte der Gemeinschaftserzeuger zu gewährleisten.
Diese Erstattungen verkörpern somit nach außen die gemeinsame Preispolitik
innerhalb der Gemeinschaft und sind daher nicht als Maßnahmen anzusehen, die
zur Zollregelung gehören.
- Mithin ist auf die dritte Frage zu antworten, daß Artikel 244 des Zollkodex nicht
auf Bescheide anwendbar ist, mit denen Ausfuhrerstattungen zurückgefordert
werden.
Zur vierten Frage
- Das vorlegende Gericht hat die vierte Frage nur für den Fall gestellt, daß die dritte
Frage bejaht wird.
- Da die dritte Frage verneint worden ist, braucht über die vierte Frage nicht
entschieden zu werden.
Zur fünften Frage
- Mit dieser Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um die
Benennung der Voraussetzungen, unter denen es die Vollziehung eines nationalen
Verwaltungsakts aussetzen kann, wenn es Zweifel an der Gültigkeit des diesem
zugrunde liegenden Gemeinschaftsrechtsakts hat.
- Zur Beantwortung dieser Frage genügt der Hinweis darauf, daß der Gerichtshof im
Urteil vom 9. November 1995 in der Rechtssache C-465/93 (Atlanta
Fruchthandelsgesellschaft mbH u. a. [I], Slg. 1995, I-3761) für Recht erkannt hat,
daß ein nationales Gericht einstweilige Anordnungen nur erlassen darf,
- wenn es erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der Handlung der
Gemeinschaft hat und diese Gültigkeitsfrage, sofern der Gerichtshof mit ihr
noch nicht befaßt ist, diesem selbst vorlegt,
- wenn die Entscheidung dringlich in dem Sinne ist, daß die einstweiligen
Anordnungen erforderlich sind, um zu vermeiden, daß die sie beantragende
Partei einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden erleidet,
- wenn es das Interesse der Gemeinschaft angemessen berücksichtigt,
- wenn es bei der Prüfung aller dieser Voraussetzungen die Entscheidungen
des Gerichtshofes oder des Gerichts erster Instanz über die Rechtmäßigkeit
der Handlung der Gemeinschaft oder einen Beschluß im Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes betreffend gleichartige einstweilige Anordnungen
auf Gemeinschaftsebene beachtet.
- Die Kommission hat allerdings vorgetragen, um das Interesse der Gemeinschaft
angemessen zu berücksichtigen, müsse das nationale Gericht, wenn es einstweilige
Maßnahmen erlassen wolle, dem Gemeinschaftsorgan, das den Rechtsakt erlassen
habe, dessen Rechtmäßigkeit angezweifelt werde, Gelegenheit zur Stellungnahme
geben.
- Es ist Sache des nationalen Gerichts, das im Rahmen eines Antrags auf Erlaß
einstweiliger Maßnahmen das Interesse der Gemeinschaft zu beurteilen hat, nach
seinem nationalen Verfahrensrecht zu entscheiden, auf welchem Wege alle
sachdienlichen Informationen über den betreffenden Gemeinschaftsrechtsakt am
besten eingeholt werden können.
- Auf die fünfte Frage ist daher zu antworten, daß ein nationales Gericht die
Vollziehung eines auf einen Gemeinschaftsrechtsakt gestützten nationalen
Verwaltungsakts nur aussetzen darf,
- wenn es erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der Handlung der
Gemeinschaft hat und diese Gültigkeitsfrage, sofern der Gerichtshof mit ihr
noch nicht befaßt ist, diesem selbst vorlegt,
- wenn die Entscheidung dringlich in dem Sinne ist, daß die einstweiligen
Anordnungen erforderlich sind, um zu vermeiden, daß die sie beantragende
Partei einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden erleidet,
- wenn es das Interesse der Gemeinschaft angemessen berücksichtigt,
- wenn es bei der Prüfung aller dieser Voraussetzungen die Entscheidungen
des Gerichtshofes oder des Gerichts erster Instanz über die Rechtmäßigkeit
der Handlung der Gemeinschaft oder einen Beschluß im Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes betreffend gleichartige einstweilige Anordnungen
auf Gemeinschaftsebene beachtet.
Zur sechsten Frage
- Diese Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob Artikel 177
Absatz 2 des Vertrages der von einem nationalen Gericht verfügten Zulassung der
Beschwerde gegen die Entscheidung, mit der es die Aussetzung der Vollziehung
eines nationalen Verwaltungsakts angeordnet und den Gerichtshof um
Vorabentscheidung über die Gültigkeit des diesem zugrunde liegenden
Gemeinschaftsrechtsakts ersucht hat, entgegensteht.
- Für eine sachdienliche Antwort auf diese Frage ist zu prüfen, ob eine Vorschrift
des nationalen Verfahrensrechts, die die Einlegung einer Beschwerde gegen eine
solche Entscheidung zuläßt, mit der dem nationalen Gericht, das einen
Gemeinschaftsrechtsakt für ungültig hält, auferlegten Pflicht zur Anrufung des
Gerichtshofes einerseits und mit dem durch Artikel 177 allen nationalen Gerichten
eingeräumten Recht hierzu andererseits vereinbar ist.
- Wie sich aus dem Urteil vom 21. Februar 1991 in den verbundenen Rechtssachen
C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest,
Slg. 1991, I-415) und dem Urteil Atlanta Fruchthandelsgesellschaft mbH u. a. (I)
(a. a. O.) ergibt, ist das nationale Gericht, das die Vollziehung eines nationalen
Verwaltungsakts aussetzt, der auf einen angeblich ungültigen
Gemeinschaftsrechtsakt gestützt ist, verpflichtet, den Gerichtshof um
Vorabentscheidung über die Gültigkeit des Gemeinschaftsrechtsakts zu ersuchen.
- Diese Pflicht ist durch die Notwendigkeit begründet, die einheitliche Anwendung
des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten und die ausschließliche Zuständigkeit des
Gerichtshofes für die Entscheidung über die Gültigkeit eines
Gemeinschaftsrechtsakts zu wahren.
- Die Einhaltung dieser Gebote wird nicht durch die Möglichkeit beeinträchtigt, eine
Beschwerde gegen die Entscheidung des nationalen Gerichts einzulegen. Wenn
diese Entscheidung nämlich im Rahmen dieser Beschwerde abgeändert oder
aufgehoben werden sollte, würde das Vorabentscheidungsverfahren gegenstandslos,
und das Gemeinschaftsrecht würde wieder uneingeschränkt Anwendung finden.
- Im übrigen hindert eine Vorschrift des nationalen Verfahrensrechts, die eine solche
Möglichkeit vorsieht, das letztinstanzliche Gericht, das nach Artikel 177 Absatz 3
des Vertrages zur Vorlage verpflichtet ist, nicht an einer Vorlage, wenn es Zweifel
an der Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts hat.
- Auf die sechste Frage ist daher zu antworten, daß Artikel 177 Absatz 2 des
Vertrages der von einem nationalen Gericht verfügten Zulassung der Beschwerde
gegen die Entscheidung, mit der es die Aussetzung der Vollziehung eines
nationalen Verwaltungsakts angeordnet und den Gerichtshof um
Vorabentscheidung über die Gültigkeit des diesem zugrunde liegenden
Gemeinschaftsrechtsakts ersucht hat, nicht entgegensteht.
Kosten
- Die Auslagen des Rates der Europäischen Union und der Kommission der
Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben
haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das
Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen
Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hatDER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Finanzgericht Hamburg mit Beschluß vom 21. September 1995
vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
- Artikel 17 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 des Rates vom 27.
Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und
Milcherzeugnisse, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 3904/87 des
Rates vom 22. Dezember 1987, in Verbindung mit ihrem Anhang, der auf
die Unterposition 2101 10 der im Anhang der Verordnung (EWG) Nr.
2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische
Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der Fassung der
Verordnung (EWG) Nr. 2505/92 der Kommission vom 14. Juli 1992
enthaltenen Kombinierten Nomenklatur verweist, ist so auszulegen, daß er
die Gewährung von Ausfuhrerstattungen sowohl für Milchprodukte zuläßt,
die in Zubereitungen auf der Grundlage von Kaffee enthalten sind, als auch
für solche, die in Zubereitungen auf der Grundlage von Auszügen, Essenzen
oder Konzentraten aus Kaffee enthalten sind.
- Artikel 244 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober
1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ist nicht auf
Bescheide anwendbar, mit denen Ausfuhrerstattungen zurückgefordert
werden.
- Ein nationales Gericht darf die Vollziehung eines auf einen
Gemeinschaftsrechtsakt gestützten nationalen Verwaltungsakts nur
aussetzen,
- wenn es erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der Handlung der
Gemeinschaft hat und diese Gültigkeitsfrage, sofern der Gerichtshof
mit ihr noch nicht befaßt ist, diesem selbst vorlegt,
- wenn die Entscheidung dringlich in dem Sinne ist, daß die
einstweiligen Anordnungen erforderlich sind, um zu vermeiden, daß
die sie beantragende Partei einen schweren und nichtwiedergutzumachenden Schaden erleidet,
- wenn es das Interesse der Gemeinschaft angemessen berücksichtigt,
- wenn es bei der Prüfung aller dieser Voraussetzungen die
Entscheidungen des Gerichtshofes oder des Gerichts erster Instanz
über die Rechtmäßigkeit der Handlung der Gemeinschaft oder einen
Beschluß im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes betreffend
gleichartige einstweilige Anordnungen auf Gemeinschaftsebene
beachtet.
4. Artikel 177 Absatz 2 EG-Vertrag steht der von einem nationalen Gericht
verfügten Zulassung der Beschwerde gegen die Entscheidung, mit der es die
Aussetzung der Vollziehung eines nationalen Verwaltungsakts angeordnet
und den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Gültigkeit des diesem
zugrunde liegenden Gemeinschaftsrechtsakts ersucht hat, nicht entgegen.
Rodríguez Iglesias Murray Sevón Kapteyn
Gulmann Edward Puissochet Hirsch
JannRagnemalm
Schintgen
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Juli 1997.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
1: Verfahrenssprache: Deutsch.