Language of document : ECLI:EU:T:2011:241

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

24. Mai 2011(*)

„Gemeinschaftsmarke – Widerspruchsverfahren – Anmeldung der Gemeinschaftsbildmarke ancotel – Ältere Gemeinschaftsbildmarke ACOTEL – Relatives Eintragungshindernis – Verwechslungsgefahr – Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Maßgebliche Verkehrskreise“

In der Rechtssache T‑408/09

ancotel GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt H. Truelsen,

Klägerin,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten durch S. Schäffner als Bevollmächtigten,

Beklagter,

andere Verfahrensbeteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des HABM und Streithelferin im Verfahren vor dem Gericht:

Acotel SpA mit Sitz in Rom (Italien), Prozessbevollmächtigte: zunächst durch Rechtsanwälte D. De Simone und D. Demarinis, dann durch Rechtsanwälte D. De Simone, D. Demarinis und J. Wrede,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des HABM vom 19. Juni 2009 (Sache R 1385/2008‑1) zu einem Widerspruchsverfahren zwischen der Acotel SpA und der ancotel GmbH

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten O. Czúcz, der Richterin I. Labucka und des Richters D. Gratsias (Berichterstatter),

Kanzler: E. Coulon,

aufgrund der am 8. Oktober 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 11. Februar 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des HABM,

aufgrund der am 25. Januar 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien binnen der Frist von einem Monat nach der Mitteilung, dass das schriftliche Verfahren abgeschlossen ist, die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des daher auf Bericht des Berichterstatters gemäß Art. 135a der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 14. August 2003 meldete die Klägerin, die ancotel GmbH, nach der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) in geänderter Fassung (ersetzt durch die Verordnung [EG] Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke [ABl. L 78, S. 1]) beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) eine Gemeinschaftsmarke an.

2        Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um das folgende Bildzeichen, ausschließlich in der Schriftart Monaco und den Farben Rot und Grau:

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3        Die Marke wurde u. a. für die Dienstleistungen der „Telekommunikation“ in Klasse 38 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet.

4        Die Anmeldung wurde im Blatt für Gemeinschaftsmarken Nr. 45/2005 vom 7. November 2005 veröffentlicht.

5        Am 3. Februar 2006 erhob die Streithelferin, die Acotel SpA, gemäß Art. 42 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 41 der Verordnung Nr. 207/2009) Widerspruch gegen die Eintragung der angemeldeten Marke u. a. für die oben in Randnr. 3 genannten Dienstleistungen.

6        Der Widerspruch wurde insbesondere gemäß Art. 8 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 8 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009) auf die von der Streithelferin am 27. Dezember 1999 eingereichte Anmeldung der nachfolgend wiedergegebenen Gemeinschaftsbildmarke für Dienstleistungen der „Telekommunikation“ in Klasse 38 des Nizzaer Abkommens gestützt:

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7        Am 10. April 2008 wurde dieses Zeichen als Gemeinschaftsbildmarke mit der Nr. 1442268 eingetragen (im Folgenden: ältere Marke).

8        Als Grund für den Widerspruch wurde Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009) geltend gemacht.

9        Am 28. Juli 2008 gab die Widerspruchsabteilung dem Widerspruch in Bezug auf die Anmeldung der Gemeinschaftsmarke für die oben in Randnr. 3 angegebenen Dienstleistungen statt. Hierzu stellte sie fest, dass die einander gegenüberstehenden Zeichen ähnlich und die von ihnen erfassten Dienstleistungen der Klasse 38 identisch seien. Im Übrigen wies die Widerspruchsabteilung den Widerspruch zurück.

10      Am 25. September 2008 legte die Klägerin gegen diese Entscheidung der Widerspruchsabteilung gemäß den Art. 57 bis 62 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 58 bis 64 der Verordnung Nr. 207/2009) beim HABM eine Beschwerde ein.

11      In Beantwortung der Stellungnahme der Streithelferin zu der Beschwerde beschränkte die Klägerin mit Schreiben vom 17. Februar 2009 ihre Gemeinschaftsmarkenanmeldung im Sinne von Art. 44 Abs. 1 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 43 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009), was die Dienstleistungen der Klasse 38 betrifft, auf die folgende Beschreibung: „Telekommunikation, nämlich Colocation, Telehousing und Interconnection services“.

12      Mit Entscheidung vom 19. Juni 2009, die der Klägerin am 29. Juli 2009 zugestellt wurde (im Folgenden: angefochtene Entscheidung), wies die Erste Beschwerdekammer des HABM die Beschwerde zurück und bestätigte die Entscheidung der Widerspruchsabteilung.

13      Die Beschwerdekammer stellte einleitend fest, dass zum einen nach den Angaben der Klägerin, denen die Streithelferin nicht widersprochen habe, die von der Anmeldung nach ihrer Beschränkung erfassten Dienstleistungen für gewerbliche Nutzer bestimmt seien und dass zum anderen der von der Widerspruchsabteilung vorgenommene Vergleich der einander gegenüberstehenden Marken nicht angegriffen worden sei (Randnrn. 18 und 19 der angefochtenen Entscheidung).

14      Zu den maßgeblichen Verkehrskreisen führte die Beschwerdekammer in Randnr. 20 der angefochtenen Entscheidung aus, dass die von der Anmeldung erfassten Dienstleistungen für gewerbliche Nutzer bestimmt seien, während sich die von der älteren Marke erfassten Dienstleistungen entweder an gewerbliche Nutzer oder an das allgemeine Publikum richteten. Die Beschwerdekammer fügte hinzu: „Somit ist für die Feststellung einer möglichen Verwechslungsgefahr zwischen den fraglichen Marken davon auszugehen, dass es sich bei den von diesen Dienstleistungen angesprochenen Verkehrskreisen um Durchschnittsverbraucher in sämtlichen Ländern der Europäischen Union handelt.“

15      Die Beschwerdekammer stellte sodann fest, dass die von den Marken erfassten Dienstleistungen identisch seien, da die Dienstleistungen der „Telekommunikation“ der älteren Marke die von der Anmeldung nach deren Beschränkung erfassten Dienstleistungen einschlössen. Die Beschwerdekammer wies daher die Beschwerde zurück und bestätigte die Entscheidung der Widerspruchsabteilung (Randnrn. 22 und 23 der angefochtenen Entscheidung).

 Anträge der Verfahrensbeteiligten

16      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem HABM die Kosten aufzuerlegen.

17      Das HABM und die Streithelferin beantragen,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

18      Die Klägerin macht als einzigen Klagegrund einen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 geltend. Diesen Klagegrund stützt sie auf drei Rügen, mit denen sie eine fehlerhafte Bestimmung der maßgeblichen Verkehrskreise und die fehlende Identität oder Ähnlichkeit der fraglichen Marken sowie der von diesen erfassten Dienstleistungen geltend macht.

 Zur Zulässigkeit der zweiten Rüge

19      Die Streithelferin ist der Auffassung, dass die zweite Rüge einer fehlenden Identität oder Ähnlichkeit der Marken unzulässig sei. Die Klägerin könne die Ähnlichkeit der Marken vor dem Gericht nicht mehr angreifen, weil sie sie nicht vor der Beschwerdekammer gerügt habe. Hierzu verweist die Streithelferin auf Art. 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts und Art. 65 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009.

20      Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 13. März 2007, HABM/Kaul (C‑29/05 P, Slg. 2007, I‑2213, Randnr. 57), festgestellt hat, wird die Beschwerdekammer durch die Wirkung der bei ihr anhängig gemachten Beschwerde damit betraut, eine vollständige neue Prüfung der Begründetheit des Widerspruchs sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht vorzunehmen.

21      In dieser Hinsicht ist festzustellen, dass ein Widerspruch gegen die Eintragung einer Gemeinschaftsmarke, wenn er auf Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 gestützt ist, das HABM mit der Frage der Identität oder Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Marken und der von ihnen umfassten Waren und Dienstleistungen befasst (Urteil des Gerichts vom 18. Oktober 2007, AMS/HABM – American Medical Systems [AMS Advanced Medical Services], T‑425/03, Slg. 2007, II‑4265, Randnr. 28).

22      Dass die Klägerin die Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Marken vor der Beschwerdekammer nicht bestritten hat, kann folglich nicht dazu führen, dass das HABM nicht länger mit der Frage befasst wäre, ob die Marken identisch oder ähnlich sind (Urteile des Gerichts AMS Advanced Medical Services, oben in Randnr. 21 angeführt, Randnr. 29, und vom 13. September 2010, Inditex/HABM – Marín Díaz de Cerio [OFTEN], T‑292/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 42).

23      Erst recht kann einer Partei hierdurch nicht das Recht genommen werden, vor dem Gericht in den Grenzen des rechtlichen und tatsächlichen Rahmens der Streitigkeit vor der Beschwerdekammer die von dieser insoweit vorgenommenen Beurteilungen zu rügen (Urteil AMS Advanced Medical Services, oben in Randnr. 21 angeführt, Randnr. 29; vgl. ebenso in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 1. Februar 2005, SPAG/HABM – Dann und Backer [HOOLIGAN], T‑57/03, Slg. 2005, II‑287, Randnrn. 24 und 25).

24      Diese Schlussfolgerung wird durch die von der Streithelferin angeführten Bestimmungen nicht in Frage gestellt. Art. 48 § 2 der Verfahrensordnung ist nicht einschlägig, denn er betrifft im Laufe des Verfahrens vorgebrachte neue Angriffs‑ und Verteidigungsmittel, während die zweite Rüge der Klägerin in der Klageschrift vorgebracht worden ist.

25      Art. 65 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009 bestimmt, dass die Klage beim Gericht den an dem Verfahren vor der Beschwerdekammer Beteiligten zusteht, soweit sie durch die Entscheidung beschwert sind.

26      Dies ist bei der Klägerin, deren Gemeinschaftsmarkenanmeldung für die streitigen Dienstleistungen der Klasse 38 zurückgewiesen worden ist, tatsächlich der Fall. Sie ist somit berechtigt gewesen, die Entscheidung der Beschwerdekammer beim Gericht anzufechten und, wie bereits in Randnr. 23 des vorliegenden Urteils dargelegt worden ist, in diesem Zusammenhang die Zeichenähnlichkeit zu bestreiten, deren Vorliegen die Widerspruchsabteilung festgestellt hatte und von der Beschwerdekammer bestätigt wurde, die sich, was nach der Rechtsprechung zulässig ist, die Begründung der Entscheidung der Widerspruchsabteilung zu eigen machte (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 9. Juli 2008, Reber/HABM – Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli [Mozart], T‑304/06, Slg. 2008, II‑1927, Randnr. 50, und vom 24. September 2008, HUP Uslugi Polska/HABM – Manpower [I.T.@MANPOWER], T‑248/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 49).

 Zur Begründetheit

27      Nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 ist die angemeldete Marke auf Widerspruch des Inhabers einer älteren Marke von der Eintragung ausgeschlossen, wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit der älteren Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen in dem Gebiet besteht, in dem die ältere Marke Schutz genießt. Die Verwechslungsgefahr schließt die Gefahr der gedanklichen Verbindung mit der älteren Marke ein.

28      Nach ständiger Rechtsprechung liegt Verwechslungsgefahr dann vor, wenn das Publikum glauben könnte, dass die betreffenden Waren oder Dienstleistungen aus demselben Unternehmen oder aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen. Nach dieser Rechtsprechung ist das Vorliegen von Verwechslungsgefahr entsprechend der Wahrnehmung der in Rede stehenden Zeichen und Waren oder Dienstleistungen durch die maßgeblichen Verkehrskreise umfassend und unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Wechselbeziehung zwischen der Ähnlichkeit der Zeichen und der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen, zu beurteilen (vgl. Urteil des Gerichts vom 9. Juli 2003, Laboratorios RTB/HABM – Giorgio Beverly Hills [GIORGIO BEVERLY HILLS], T‑162/01, Slg. 2003, II‑2821, Randnrn. 30 bis 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Demnach ist die Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 nicht auf der Grundlage eines abstrakten Vergleichs der fraglichen Zeichen und der mit ihnen gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu beurteilen. Diese Beurteilung muss vielmehr auf die Wahrnehmung dieser Zeichen, Waren und Dienstleistungen durch die maßgeblichen Verkehrskreise gestützt sein.

30      Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ein begrenztes und spezialisiertes Publikum über spezielle Kenntnisse in Bezug auf die von den fraglichen Marken betroffenen Waren oder Dienstleistungen verfügen und/oder insoweit eine größere Aufmerksamkeit walten lassen kann als die allgemeinen Verkehrskreise (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 19. November 2008, Ercros/HABM − Degussa [TAI CROS], T‑315/06, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 26, vom 28. Oktober 2009, Juwel Aquarium/HABM − Potschak [Panorama], T‑339/07, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 33, und vom 9. Februar 2010, PromoCell bioscience alive/HABM [SupplementPack], T‑113/09, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 31). Diese Faktoren können für die Frage, ob zwischen diesen Marken Verwechslungsgefahr vorliegt, bestimmend sein.

31      Der Abgrenzung der mit den fraglichen Marken angesprochenen Verkehrskreise kommt somit bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr im Sinne der genannten Bestimmung große Bedeutung zu, und folglich ist bei der Untersuchung des einzigen Klagegrundes mit der Prüfung der Rüge in Bezug auf die maßgeblichen Verkehrskreise zu beginnen.

32      Die Klägerin bringt hierzu vor, sie biete Dienstleistungen an, die sich allein an hoch spezialisierte Fachkreise des Telekommunikationssektors richteten, wie beispielsweise Telefongesellschaften oder Fernsehanstalten.

33      Die Streithelferin erbringe dagegen Dienstleistungen im Bereich Telekommunikation und biete beispielsweise mobile Telekommunikationsdienstleistungen an, die für alle Verbraucher in Betracht kämen. Die von diesen Dienstleistungen angesprochenen Verkehrskreise umfassten Kunden mit bestimmten spezialisierten Fachkenntnissen, aber auch Endverbraucher.

34      Die von der älteren Marke angesprochenen Verkehrskreise setzten sich also sowohl aus Durchschnittsverbrauchern als auch aus gewerblichen Verbrauchern zusammen. Die fraglichen Marken begegneten dem Durchschnittsverbraucher nicht nebeneinander, weil zu den von den Dienstleistungen der Klägerin angesprochenen Verkehrskreisen keine Durchschnittsverbraucher gehörten. Die in der angefochtenen Entscheidung getroffene Feststellung, dass sich die maßgeblichen Verkehrskreise aus Durchschnittsverbrauchern aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union zusammensetzten, sei daher fehlerhaft.

35      Das HABM trägt vor, dass die von den fraglichen Marken erfassten Dienstleistungen der Klasse 38 sowohl an das allgemeine Publikum als auch an ein spezialisiertes Fachpublikum gerichtet seien. Das Vorbringen der Klägerin, wonach beim Vergleich dieser Dienstleistungen nur auf das Fachpublikum abzustellen sei, überzeuge nicht. Die Absichten der Klägerin hinsichtlich der Benutzung der Anmeldemarke nach deren Eintragung oder das angeblich nicht bestehende Konkurrenzverhältnis zwischen ihr und der Streithelferin seien nicht relevant, da für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr zwischen den Marken allein deren Waren- und Dienstleistungsverzeichnisse ausschlaggebend seien.

36      Die Streithelferin führt aus, die Klägerin stelle fälschlicherweise allein auf die Wahrnehmung der fraglichen Marken durch ihre eigenen Kunden ab. Somit verkenne sie, dass die Streithelferin zumindest hypothetisch in Zukunft dasselbe Publikum ansprechen könnte. Der Inhaber einer Gemeinschaftsmarke könne nämlich den Adressatenkreis seiner Marke jederzeit erweitern oder verändern, sofern er der Verpflichtung einer ernsthaften Benutzung seiner Marke nachkomme.

37      Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr auf einen durchschnittlich informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der in Frage stehenden Art von Waren abzustellen (vgl. Urteil des Gerichts vom 13. Februar 2007, Mundipharma/HABM – Altana Pharma [RESPICUR], T‑256/04, Slg. 2007, II‑449, Randnr. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Die für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr maßgeblichen Verkehrskreise setzen sich aus den Nutzern zusammen, die sowohl die von der älteren Marke als auch die von der Anmeldemarke erfassten Waren oder Dienstleistungen nutzen können (Urteil des Gerichts vom 1. Juli 2008, Apple Computer/HABM − TKS‑Teknosoft [QUARTZ], T‑328/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 23).

39      Demgemäß werden, wenn die Waren oder Dienstleistungen einer der beiden Marken von der weiter gefassten Beschreibung der anderen umfasst sind, die maßgeblichen Verkehrskreise grundsätzlich nach Maßgabe des spezielleren Wortlauts bestimmt (Urteil des Gerichts vom 30. September 2010, PVS/HABM − MeDiTA Medizinische Kurierdienst [medidata], T‑270/09, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 28).

40      Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer in Randnr. 18 der angefochtenen Entscheidung erläutert, dass die von der Anmeldemarke erfassten Dienstleistungen des „Telehousing“ darin bestünden, in den Räumen eines Unternehmens eine Telekommunikationseinrichtung mit Verbindung zum öffentlichen Telefonnetz, zum Internet und gelegentlich zu Netzwerken anderer Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Bei den Dienstleistungen der „Colocation“ handele es sich um das Hosting von Servern und verschiedenen Anwendungen. Die „Interconnection“-Dienstleistungen schließlich könnten eine Art und Weise sein, in der sich Internet-Diensteanbieter mit den Basisnetzen anderer Anbieter verbänden und untereinander Internet-Datenverkehr abwickelten.

41      Aus diesen Erläuterungen ergibt sich, dass die von der Anmeldemarke erfassten Dienstleistungen, wie die Beschwerdekammer in Randnr. 20 der angefochtenen Entscheidung zu Recht festgestellt hat, für gewerbliche Nutzer bestimmt sind. Wie aus Randnr. 18 der Entscheidung hervorgeht, wurde diese Feststellung von der Streithelferin vor dem HABM nicht angegriffen, wie dies auch vor dem Gericht nicht der Fall gewesen ist.

42      Was die von der älteren Marke erfassten Dienstleistungen anbelangt, ist ihre Beschreibung (Telekommunikation) weit genug, um sämtliche Arten von Telekommunikationsdienstleistungen zu erfassen. Es werden von ihr also sowohl die für das allgemeine Publikum bestimmten Dienstleistungen, wie die von der Klägerin in ihrem Vorbringen genannte Mobiltelefonie, als auch speziellere Dienstleistungen für gewerbliche Nutzer, darunter die für die Anmeldemarke beanspruchten Dienstleistungen, erfasst.

43      Wie bereits festgestellt, sind die letztgenannten Dienstleistungen für ein begrenztes und spezialisiertes Publikum bestimmt, das aus Fachleuten des Telekommunikationssektors besteht. Folglich ist die Beschwerdekammer in Randnr. 20 der angefochtenen Entscheidung zu Recht zu dem Schluss gelangt, dass die von der älteren Marke erfassten Dienstleistungen sowohl für gewerbliche Nutzer als auch für das allgemeine Publikum bestimmt sind.

44      Aus der in den Randnrn. 38 und 39 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung geht jedoch hervor, dass in Anbetracht dieser Feststellung im vorliegenden Fall bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr auf die Wahrnehmung der fraglichen Zeichen und Dienstleistungen durch das begrenzte und spezialisierte Publikum hätte abgestellt werden müssen, an das sich die Dienstleistungen der Anmeldemarke richten.

45      Das allgemeine Publikum, das von den mit der Anmeldemarke gekennzeichneten Dienstleistungen nicht betroffen ist, wird dagegen dieser Marke nie begegnen, so dass im vorliegenden Fall für diese Verkehrskreise jede Verwechslungsgefahr zwischen den einander gegenüberstehenden Marken von vornherein ausgeschlossen ist.

46      Diese Erwägungen werden durch das Vorbringen des HABM und der Streithelferin nicht in Frage gestellt.

47      Zwar kann das HABM im Widerspruchsverfahren nur das Waren- oder Dienstleistungsverzeichnis berücksichtigen, wie es sich aus dem Anmeldungsantrag für die betreffende Marke – vorbehaltlich eventueller Änderungen dieses Antrags – ergibt. Wie der Anmelder die Marke zu benutzen beabsichtigt, wenn sie eingetragen wird, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle (Urteile des Gerichts vom 13. April 2005, Gillette/HABM – Wilkinson Sword [RIGHT GUARD XTREME sport], T‑286/03, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 33, und vom 22. März 2007, Saint-Gobain Pam/HABM − Propamsa [PAM PLUVIAL], T‑364/05, Slg. 2007, II‑757, Randnr. 89).

48      Im vorliegenden Fall aber beruht die Feststellung, dass die Anmeldemarke auf ein begrenztes und spezialisiertes Fachpublikum abzielt, gerade auf dem Dienstleistungsverzeichnis, wie es sich aus der Anmeldung nach deren Änderung durch die Klägerin ergibt (siehe Randnr. 11 des vorliegenden Urteils), und nicht, wie das HABM und die Streithelferin zu Unrecht geltend machen, bloß darauf, wie die Klägerin ihre Marke, wenn sie eingetragen wird, zu benutzen beabsichtigt.

49      Folglich hat die Beschwerdekammer einen Rechtsfehler begangen, indem sie, ohne im Übrigen die Gründe für diese Schlussfolgerung zu nennen, festgestellt hat, dass für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr zwischen den einander gegenüberstehenden Marken davon auszugehen sei, dass sich die maßgeblichen Verkehrskreise aus Durchschnittsverbrauchern sämtlicher Mitgliedstaaten zusammensetzten (Randnr. 20 der angefochtenen Entscheidung).

50      Dieser Fehler erstreckt sich auf die gesamte von der Beschwerdekammer vorgenommene Beurteilung der möglichen Verwechslungsgefahr zwischen den Marken. Wie bereits festgestellt worden ist (siehe Randnr. 29 des vorliegenden Urteils), muss diese Beurteilung nämlich, auch wenn sich nicht von vornherein ausschließen lässt, dass eine Verwechslungsgefahr im Fall der Identität oder Ähnlichkeit der fraglichen Marken sowie Waren oder Dienstleistungen auch für ein begrenztes und spezialisiertes Publikum bestehen kann, auf die Wahrnehmung dieser Marken, Waren oder Dienstleistungen durch die maßgeblichen Verkehrskreise gestützt werden.

51      Es kann auch nicht vom Gericht verlangt werden, auf der Grundlage der Wahrnehmung der maßgeblichen begrenzten und spezialisierten Verkehrskreise selbst eine Beurteilung der Verwechslungsgefahr zwischen den im vorliegenden Fall einander gegenüberstehenden Marken vorzunehmen. Denn es handelt sich um eine Frage, die in der Sache durch die Stellen des HABM nicht geprüft worden ist und deren erstmalige Prüfung dem Gericht im Rahmen seiner Rechtmäßigkeitskontrolle der angefochtenen Entscheidung nicht zusteht (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 12. Mai 2010, Beifa Group/HABM − Schwan-Stabilo Schwanhäußer [Schreibinstrument], T‑148/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 124 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52      Folglich ist der Klage stattzugeben und die angefochtene Entscheidung aufzuheben, ohne dass die übrigen Rügen der Klägerin im Rahmen ihres einzigen Klagegrundes geprüft zu werden brauchen.

 Kosten

53      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das HABM unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

54      Da die Streithelferin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, trägt sie ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) vom 19. Juni 2009 (Sache R 1385/2008‑1) wird aufgehoben.

2.      Das HABM trägt seine eigenen Kosten sowie die der ancotel GmbH.

3.      Die Acotel SpA trägt ihre eigenen Kosten.

Czúcz

Labucka

Gratsias

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 24. Mai 2011.

Unterschriften


*Verfahrenssprache: Deutsch.