Language of document : ECLI:EU:C:2021:149

BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTSHOFS

25. Februar 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Beschleunigtes Verfahren – Fehlende praktische Wirksamkeit – Verknüpfung mit einem nationalen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes“

In den verbundenen Rechtssachen C‑14/21 und C‑15/21

betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht Sizilien, Italien) mit Entscheidungen vom 23. Dezember 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Januar 2021, in den Verfahren

Sea Watch e. V.

gegen

Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti (C‑14/21 und C‑15/21),

Capitaneria di Porto di Palermo (C‑14/21),

Capitaneria di Porto di Porto Empedocle (C‑15/21),

erlässt

Der Präsident des Gerichtshofs

nach Anhörung des Berichterstatters J. Passer und des Generalanwalts A. Rantos

folgenden

Beschluss

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Richtlinie 2009/16/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über die Hafenstaatkontrolle (ABl. 2009, L 131, S. 57) und des am 1. November 1974 in London geschlossenen Internationalen Übereinkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (Recueil des traités des Nations unies, Bd. 1185, Nr. 18961, S. 3).

2        Sie ergehen im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten, zum einen zwischen dem Sea Watch e. V. und dem Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti (Ministerium für Infrastruktur und Verkehr, Italien) sowie der Capitaneria di Porto di Palermo (Hafenbehörde Palermo, Italien) und zum anderen zwischen Sea Watch und diesem Ministerium sowie der Capitaneria di Porto di Porto Empedocle (Hafenbehörde Porto Empedocle, Italien), über zwei Anordnungen der jeweiligen Hafenbehörden zum Festhalten der Schiffe mit der Bezeichnung Sea Watch 4 bzw. Sea Watch 3.

 Die Ausgangsrechtsstreitigkeiten

3        Sea Watch ist eine humanitäre Organisation ohne Gewinnerzielungsabsicht mit Sitz in Berlin (Deutschland). Gemäß ihrer Satzung besteht ihr Zweck insbesondere in der Rettung von Personen aus Seenot und gefährlichen Situationen sowie im Unterhalt und Betrieb von Schiffen, Booten sowie Fluggeräten, um diesen Personen zu Hilfe zu kommen. Entsprechend diesem Zweck führt sie in der Praxis die Suche und die Rettung von Personen im Mittelmeer mit Schiffen durch, die in ihrem Eigentum stehen und von ihr betrieben werden. Zu diesen Schiffen gehören u. a. zwei Schiffe mit der Bezeichnung Sea Watch 3 bzw. Sea Watch 4, die im deutschen nationalen Register eingetragen sind, unter deutscher Flagge fahren und jeweils von einer Klassifizierungs- und Zertifizierungsstelle in Deutschland als „general cargo/multipurpose“ zertifiziert wurden.

4        Im Laufe des Sommers 2020 legten Sea Watch 3 und Sea Watch 4 abwechselnd vom Hafen von Burriana (Spanien) ab und retteten mehrere Hundert Personen, die sich im Mittelmeer in internationalen Gewässern in Not befanden. Die jeweiligen Kapitäne dieser Schiffe wurden sodann vom Italian Maritime Rescue Coordination Centre (Italienisches Zentrum zur Koordinierung von Seenotrettungen) darüber informiert, dass das Ministero degli Interni (Innenministerium, Italien) die Ausschiffung sowie den Umstieg der betroffenen Personen auf im Hafen von Palermo (Italien), für die Sea Watch 4, sowie im Hafen von Porto Empedocle (Italien), für die Sea Watch 3, liegende Schiffe gestattet habe, und dass sie daher angewiesen seien, ihre Schiffe in diese beiden Häfen zu steuern, um diese Vorgänge durchzuführen.

5        Nachdem diese Vorgänge erfolgt waren, ordnete der Ministro della Sanità (Gesundheitsminister, Italien) an, dass diese beiden Schiffe in der Nähe dieser Häfen vor Anker bleiben müssten, um erstens die Besatzung zur Verhinderung der Ausbreitung der Krankheit Covid‑19 unter Quarantäne zu stellen und zweitens die Reinigung, Desinfektion und Erteilung einer Gesundheitsbescheinigung vorzunehmen.

6        Nach den Reinigungs- und Desinfektionsprozeduren führten die Hafenbehörden von Palermo und Porto Empedocle Kontrollen an Bord durch und ordneten sodann das Festhalten der Sea Watch 4 sowie der Sea Watch 3 mit der Begründung an, dass sie eine Reihe von technischen und operativen Mängeln festgestellt hätten, von denen einige als „schwerwiegend“ einzustufen seien und als solche das Festhalten rechtfertigten.

7        Seitdem wurden einige dieser Mängel von Sea Watch behoben. Sea Watch ist jedoch der Ansicht, dass die übrigen Mängel (im Folgenden: in Rede stehende Mängel) nicht erwiesen seien. Diese Mängel hängen im Wesentlichen damit zusammen, dass die Sea Watch 3 und die Sea Watch 4 laut den zuständigen italienischen Behörden weder zertifiziert sind, um mehrere Hundert Personen an Bord aufzunehmen und zu befördern, wie sie es im Laufe des Sommers 2020 getan haben, noch mit der geeigneten technischen Ausrüstung ausgestattet sind, insbesondere in Bezug auf die Abwasserbehandlung, Duschen und Toiletten.

8        Unter diesen Umständen erhob Sea Watch beim Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht Sizilien, Italien) zwei Anfechtungsklagen gegen die Maßnahmen, mit denen die Hafenbehörden von Palermo und Porto Empedocle das Festhalten der Sea Watch 4 und der Sea Watch 3 bis zur Behebung der in Rede stehenden Mängel angeordnet haben, sowie gegen die diesen Maßnahmen beigefügten Kontrollberichte und jede andere diesen Maßnahmen vorausgehende, damit zusammenhängende oder diesen nachfolgende Handlung.

9        Außerdem beantragte Sea Watch zusammen mit diesen Klagen vorläufigen Rechtsschutz im Hinblick auf den Erlass vorsorglicher Maßnahmen, die sie mit der Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens im Sinne der einschlägigen italienischen Rechtsvorschriften begründete.

10      In seinen Vorabentscheidungsersuchen führt das vorlegende Gericht u. a. aus, dass sich aus den Angaben in den jeweiligen Akten der Ausgangsrechtsstreitigkeiten ergebe, dass das Vorliegen der in Rede stehenden Mängel nicht nur von den Parteien der Ausgangsrechtsstreitigkeiten, sondern auch von den zuständigen Behörden in Italien, dem Hafenstaat, und in Deutschland, dem Flaggenstaat, unterschiedlich beurteilt werde. Die zuständigen italienischen Behörden seien nämlich im Wesentlichen der Ansicht, dass diese Mängel erwiesen seien und behoben werden müssten, während die zuständigen deutschen Behörden der Auffassung seien, dass die zutreffende Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des anwendbaren Unionsrechts und des anwendbaren Völkerrechts den Schluss zulasse, dass keine solchen Mängel vorlägen.

11      Angesichts dieser Situation ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass die Auslegung der Richtlinie 2009/16 und des Internationalen Übereinkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See komplexe, neue und für alle Mitgliedstaaten äußerst bedeutsame Rechtsfragen aufwerfe, deren Beantwortung für die Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten erforderlich sei.

12      Unter diesen Umständen hat das Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht Sizilien) in beiden Ausgangsrechtsstreitigkeiten beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof fünf nahezu gleichlautende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen. Das vorlegende Gericht hat zudem beantragt, die vorliegenden Rechtssachen dem in Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vorgesehenen beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.

13      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 2. Februar 2021 sind die vorliegenden Rechtssachen zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung des Gerichtshofs verbunden worden.

 Zu den Anträgen auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens

14      Nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen entscheiden, eine Rechtssache einem beschleunigten Verfahren unter Abweichung von den Bestimmungen dieser Verfahrensordnung zu unterwerfen, wenn die Art dieser Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.

15      Im vorliegenden Fall begründet das vorlegende Gericht seine Anträge, die vorliegenden Rechtssachen dem in dieser Bestimmung vorgesehenen beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, mit folgenden Ausführungen.

16      Zunächst weist das vorlegende Gericht im Wesentlichen darauf hin, dass diese Rechtssachen eine heikle Thematik behandelten, da sie Einsätze zur Rettung von Personen in Notsituationen beträfen, die seit 2014 und 2015 im Mittelmeer von humanitären Nichtregierungsorganisationen u. a. mit Frachtschiffen durchgeführt würden, die unter der Flagge von Mitgliedstaaten führen, darunter die Sea Watch 3 und die Sea Watch 4.

17      Es führt sodann im Wesentlichen aus, dass die Maßnahmen des Festhaltens der von Sea Watch eingesetzten Schiffe Teil einer Reihe von Maßnahmen seien, die sich allgemein auf die in der vorstehenden Randnummer genannten Einsätze auswirken könnten. Fast alle Schiffe, mit denen diese Einsätze durchgeführt würden, seien nämlich gegenwärtig Gegenstand von Maßnahmen des Festhaltens, die die Hafenbehörden verschiedener italienischer Häfen (u. a. die Häfen Olbia, Palermo, Porto Empedocle und Venedig) ergriffen hätten und damit begründen würden, dass sie die vorgesehenen Anforderungen nicht erfüllten.

18      Außerdem hält es das vorlegende Gericht angesichts dieser Situation für erforderlich, den rechtlichen Rahmen, in dem diese Einsätze durchgeführt würden, rasch zu klären, und weist nicht nur darauf hin, dass die Einhaltung der im Bereich der Sicherheit und der Gesundheit vorgesehenen Anforderungen eine Frage zwingenden Rechts darstelle, sondern auch darauf, dass es gegenwärtig mangels einer solchen Klarstellung keine Handhabe gebe, um die Praxis des Festhaltens von Schiffen zu beenden.

19      Schließlich ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass die durchschnittliche Dauer von Verfahren beim Gerichtshof es ihm nicht ermögliche, die Ausgangsrechtsstreitigkeiten vor Beginn des Sommers 2021 zu entscheiden, während die Erfahrung der vergangenen Jahre zeige, dass sich die Einsätze zur Rettung von Personen in Not, die im Mittelmeer von Nichtregierungsorganisationen wie Sea Watch und ähnlichen Organisationen durchzuführen seien, üblicherweise in dieser Jahreszeit häuften.

20      Nach alledem hält es das vorlegende Gericht für erforderlich, rasch Antworten auf die Fragen zu erhalten, die es dem Gerichtshof vorgelegt habe, wobei es darauf hinweist, dass es in Anbetracht seiner Anträge, die vorliegenden Rechtssachen dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, die von Sea Watch im Hinblick auf den Erlass vorsorglicher Maßnahmen gestellten Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz rein vorläufig und unbeschadet einer endgültigen Entscheidung zu diesem Punkt, sobald der Gerichtshof darüber entschieden habe, wie mit diesen Vorabentscheidungsersuchen zu verfahren sei, zurückgewiesen habe.

21      Angesichts der Ausführungen des vorlegenden Gerichts ist erstens festzustellen, dass, wie aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, zum einen die Rechtsunsicherheit, die die Tätigkeiten einer Partei eines nationalen Rechtsstreits erschweren kann, in dessen Rahmen es das zuständige Gericht für erforderlich erachtet, dem Gerichtshof Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorzulegen, und zum anderen das berechtigte Interesse dieser Partei daran, so schnell wie möglich zu erfahren, welche Rechte ihr aus dem Unionsrecht erwachsen, Umstände darstellen, die in vielen Rechtsstreitigkeiten auftreten können und daher nicht rechtfertigen können, dass ein Vorabentscheidungsverfahren dem beschleunigten Verfahren nach Art. 105 der Verfahrensordnung unterworfen wird (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 20. Dezember 2017, M. A. u. a., C‑661/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:1024, Rn. 16, sowie Urteil vom 14. Januar 2021, The International Protection Appeals Tribunal u. a., C‑322/19 und C‑385/19, EU:C:2021:11, Rn. 47).

22      Dieses beschleunigte Verfahren ist nämlich ein Verfahrensinstrument, mit dem auf eine außerordentliche Dringlichkeitssituation reagiert werden soll, deren Vorliegen im Hinblick auf außergewöhnliche Umstände der Rechtssache festzustellen ist, im Zusammenhang mit der ein Antrag auf beschleunigtes Verfahren gestellt wurde (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 20. Dezember 2017, M. A. u. a., C‑661/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:1024, Rn. 17).

23      Zweitens stellt die beträchtliche Zahl von Personen, die von derselben Unsicherheit wie die Parteien des Ausgangsrechtsstreit betroffen sein können, oder von Rechtsverhältnissen, die möglicherweise von der Entscheidung, die das vorlegende Gericht zu treffen hat, nachdem der Gerichtshof die ihm zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen beantwortet hat, oder von Entscheidungen, die dieses Gericht oder andere nationale Gerichte in ähnlichen Rechtsstreitigkeiten zu treffen haben können, betroffen sind, aus demselben Grund als solche keinen außergewöhnlichen Umstand dar, der die Anwendung eines beschleunigten Verfahrens rechtfertigen könnte (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs vom 13. Juli 2016, Banco Santander, C‑96/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:566, Rn. 18, vom 20. September 2018, Minister for Justice and Equality, C‑508/18 und C‑509/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:766, Rn. 14, sowie Urteil vom 8. Dezember 2020, Staatsanwaltschaft Wien [Gefälschte Überweisungsaufträge], C‑584/19, EU:C:2020:1002, Rn. 36).

24      Folglich ist davon auszugehen, dass diese verschiedenen Gesichtspunkte, deren Vorliegen im vorliegenden Fall klar aus den in den Rn. 17 und 18 des vorliegenden Beschlusses zusammengefassten Ausführungen des vorlegenden Gerichts hervorgeht, zwar den wichtigen und sensiblen Charakter der Ausgangsverfahren und der Antworten, die der Gerichtshof auf die ihm in dem betreffenden Bereich des Unionsrechts gestellten Fragen geben könnte, deutlich machen (vgl. entsprechend Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs vom 8. März 2018, Vitali, C‑63/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:199, Rn. 16, sowie vom 27. Februar 2019, M.V. u. a., C‑760/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:170, Rn. 17), es jedoch nicht rechtfertigen können, die vorliegenden Rechtssachen dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.

25      Drittens und letztens ergibt sich aus den in den Rn. 16 und 19 des vorliegenden Beschlusses zusammengefassten Ausführungen des vorlegenden Gerichts eindeutig, dass sich die Rechtsstreitigkeiten, in deren Rahmen dieses Gericht den Gerichtshof um die Auslegung des Unionsrechts ersucht, über ihre rechtlichen Fragen und ihre konkreten Auswirkungen hinaus durch eine bedeutende und sensible menschliche Dimension auszeichnen, da sie die Voraussetzungen betreffen, unter denen humanitäre Nichtregierungsorganisationen Einsätze zur Rettung von Personen in Not- oder Gefahrensituationen auf See durchführen können. Vor diesem Hintergrund weist das vorlegende Gericht insbesondere darauf hin, dass es die Durchführung des beschleunigten Verfahrens beantrage, um vom Gerichtshof Antworten innerhalb eines Zeitraums zu erhalten, der ihm eine Entscheidung über die Ausgangsrechtsstreitigkeiten vor Beginn des Sommers 2021 ermögliche, da die Erfahrung zeige, dass sich die im Mittelmeer durchzuführenden Einsätze zur Rettung von Personen in Not- oder Gefahrensituationen in dieser Jahreszeit üblicherweise häuften.

26      Wie sich jedoch aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, rechtfertigt der Umstand, dass ein nationaler Rechtsstreit dringlich ist und dass das zuständige Gericht verpflichtet ist, alles zu tun, um dessen rasche Beilegung sicherzustellen, für sich genommen nicht, dass der Gerichtshof das entsprechende Vorabentscheidungsverfahren dem in Art. 105 der Verfahrensordnung vorgesehenen beschleunigten Verfahren unterwirft (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs vom 31. Juli 2017, Mobit, C‑350/17 und C‑351/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:626, Rn. 6, sowie vom 29. November 2017, Bosworth und Hurley, C‑603/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:933, Rn. 9).

27      Dieses Verfahren unterscheidet sich nämlich sowohl durch seinen Zweck als auch durch die Voraussetzungen für seine Durchführung von einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wie dem in den Art. 160 bis 166 und 190 der Verfahrensordnung hinsichtlich direkter Klagen und Rechtsmitteln vorgesehenen (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs vom 7. April 2016, Rat/Front Polisario, C‑104/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:232, Rn. 18, und vom 11. Oktober 2017, Kommission/Polen, C‑441/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:794, Rn. 15) oder dem in Rn. 20 des vorliegenden Beschlusses genannten beim vorlegenden Gericht anwendbaren Verfahren.

28      Insbesondere soll das in Art. 105 der Verfahrensordnung vorgesehene beschleunigte Verfahren es dem Gerichtshof ermöglichen, in dem bei ihm anhängigen Vorabentscheidungsverfahren rasch eine Entscheidung in der Sache zu erlassen, und nicht, die Notwendigkeit des Erlasses einstweiliger Anordnungen bis zum Ergehen einer solchen Entscheidung zu beurteilen.

29      Außerdem ermöglicht das beschleunigte Verfahren im Unterschied zu den in Rn. 27 des vorliegenden Beschlusses genannten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes es dem Gerichtshof nicht, sich unverzüglich und erforderlichenfalls vorläufig zu den ihm vorgelegten Fragen zu äußern, sondern verpflichtet ihn zunächst dazu, das Recht auf Abgabe schriftlicher Erklärungen zu beachten, das Art. 105 Abs. 3 der Verfahrensordnung den Parteien des Ausgangsrechtsstreits und den anderen in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union genannten Beteiligten einräumt, zu denen die Mitgliedstaaten gehören, die ihre Erklärungen gemäß Art. 38 Abs. 4 dieser Verfahrensordnung in ihrer eigenen Amtssprache einreichen können. Zu den Fristen im Zusammenhang mit der Beachtung dieser Anforderung kommen u. a. die Fristen hinzu, die für die Übersetzung des Vorabentscheidungsersuchens in die verschiedenen Amtssprachen der Union, der von den Mitgliedstaaten eingereichten schriftlichen Erklärungen in die Verfahrenssprache, und der Entscheidung des Gerichtshofs für die Veröffentlichung erforderlich sind.

30      Angesichts dieser Anforderungen und des Zeitpunkts, zu dem das vorlegende Gericht seine Vorabentscheidungsersuchen eingereicht hat, erscheint es dem Gerichtshof jedoch im vorliegenden Fall, selbst wenn die vorliegenden Rechtssachen einem beschleunigten Verfahren unterworfen werden, nicht möglich, über diese Rechtssachen innerhalb eines Zeitraums zu entscheiden, der der geordneten Rechtspflege entspricht und es dem vorlegenden Gericht ermöglicht, die Ausgangsrechtsstreitigkeiten vor Beginn des Sommers 2021 zu entscheiden, wie es von diesem aus den in den Rn. 19 und 25 des vorliegenden Beschlusses erläuterten Gründen für erforderlich erachtet wird.

31      Folglich kann das in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Beschlusses genannte Ziel durch den Rückgriff auf ein solches Verfahren jedenfalls nicht erreicht werden und dieser hat daher in den vorliegenden Rechtssachen keine praktische Wirksamkeit (vgl. entsprechend Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 20. Dezember 2017, de Diego Porras, C‑619/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:1025, Rn. 25). Die Umstände der vorliegenden Rechtssache rechtfertigen es daher nicht, dass der Gerichtshof im vorliegenden Fall auf der Grundlage von Art. 105 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung von den allgemein anwendbaren Bestimmungen dieser Verfahrensordnung abweicht.

32      Allerdings hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass jedes nationale Gericht, das mit einem nach Unionsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befasst ist, befugt sein muss, einstweilige Anordnungen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Entscheidung über das Bestehen der aus dem Unionsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen, gegebenenfalls indem es Vorschriften des innerstaatlichen Rechts, die dieser Befugnis entgegenstehen, nicht anwendet. Dies gilt erst recht, wenn das zuständige nationale Gericht entscheidet, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, da sich solche einstweilige Anordnungen als geeignet erweisen können, die praktische Wirksamkeit des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Systems der Vorabentscheidungsersuchen sicherzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 1990, Factortame u. a., C‑213/89, EU:C:1990:257, Rn. 21 bis 23).

33      Daher obliegt es in erster Linie dem mit einem dringlichen Rechtsstreit befassten nationalen Gericht, das am besten in der Lage ist, die sich für die Parteien stellenden konkreten Fragen zu beurteilen, und das es für erforderlich erachtet, dem Gerichtshof Fragen zur Auslegung des Unionsrechts zur Vorabentscheidung vorzulegen, bis zur Entscheidung des Gerichtshofs alle angemessenen einstweiligen Anordnungen zu treffen, um die volle Wirksamkeit der von ihm zu erlassenden Entscheidung sicherzustellen (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 10. April 2018, Gómez del Moral Guasch, C‑125/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:253, Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Im vorliegenden Fall ist es daher Sache des vorlegenden Gerichts, wie von diesem in seinen in Rn. 20 des vorliegenden Beschlusses zusammengefassten Vorabentscheidungsersuchen in Betracht gezogen, zu entscheiden, ob einstweilige Anordnungen zur Sicherstellung der vollen Wirksamkeit der von ihm zu erlassenden Entscheidungen angemessen sind, und gegebenenfalls die zu erlassenden Maßnahmen zu bestimmen.

35      Der Gerichtshof wird seinerseits in Anbetracht der besonderen Umstände der vorliegenden Rechtssachen, wie sie sich aus den in den Rn. 16 bis 19 des vorliegenden Beschlusses zusammengefassten Ausführungen des vorlegenden Gerichts ergeben, diese Rechtssachen gemäß Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung mit Vorrang entscheiden.

36      Nach alledem ist festzustellen, dass den Anträgen des vorlegenden Gerichts, die vorliegenden Rechtssachen dem beschleunigten Verfahren nach Art. 105 der Verfahrensordnung zu unterwerfen, nicht stattgegeben werden kann.

Aus diesen Gründen hat der Präsident des Gerichtshofs beschlossen:

Die Anträge des Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht Sizilien, Italien), die verbundenen Rechtssachen C14/21 und C15/21 dem beschleunigten Verfahren nach Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen, werden zurückgewiesen.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Italienisch.