Language of document : ECLI:EU:C:2014:341

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MELCHIOR WATHELET

vom 20. Mai 2014(1)

Rechtssache C‑333/13

Elisabeta Dano,

Florin Dano

gegen

Jobcenter Leipzig

(Vorabentscheidungsersuchen des Sozialgerichts Leipzig [Deutschland])

„Verordnung (EG) Nr. 883/2004 – Richtlinie 2004/38/EG – Unionsbürgerschaft – Gleichbehandlung – Nicht erwerbstätige Unionsbürger, die sich im Staatsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhalten – Vorschriften eines Mitgliedstaats, die den Ausschluss dieser Personen von besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen vorsehen, wenn sich ihr Aufenthaltsrecht nur auf Art. 20 AEUV stützt“





1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen wirft im Wesentlichen die Frage auf, ob ein Mitgliedstaat bedürftige Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug beitragsunabhängiger Unterhaltsleistungen im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit(2) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009(3) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 883/2004) ausschließen kann, um zu verhindern, dass diese Leistungen für ihn eine übermäßige Belastung darstellen, obwohl sie eigenen Staatsangehörigen, die sich in der gleichen Lage befinden, gewährt würden.

2.        Die Vorabentscheidungsfragen des vorlegenden Gerichts werden den Gerichtshof erneut veranlassen, sich mit dem Verhältnis zwischen der Verordnung Nr. 883/2004 und der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG(4) und mit den Begriffen „besondere beitragsunabhängige Geldleistungen“ im Sinne der Verordnung Nr. 883/2004 und „Sozialhilfeleistungen“ im Sinne der Richtlinie 2004/38 zu beschäftigen.

3.        Obwohl die Vorlagefragen nicht ausdrücklich die Qualifizierung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Leistungen im Hinblick auf diese beiden Normen betreffen, kann sich der Gerichtshof daher meines Erachtens diese Arbeit nicht ersparen, wenn er dem vorlegenden Gericht eine nützliche Antwort geben will.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

1.      Charta der Grundrechte der Europäischen Union

4.        Gemäß Art. 1 („Würde des Menschen“) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) ist „[d]ie Würde des Menschen … unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen“.

5.        Art. 20 („Gleichheit vor dem Gesetz“) der Charta bestimmt, dass „[a]lle Personen … vor dem Gesetz gleich [sind]“.

2.      Verordnung Nr. 883/2004

6.        Die Erwägungsgründe 16 und 37 der Verordnung Nr. 883/2004 lauten:

„(16) Innerhalb der Gemeinschaft ist es grundsätzlich nicht gerechtfertigt, Ansprüche der sozialen Sicherheit vom Wohnort der betreffenden Person abhängig zu machen; in besonderen Fällen jedoch – vor allem bei besonderen Leistungen, die an das wirtschaftliche und soziale Umfeld der betreffenden Person gebunden sind – könnte der Wohnort berücksichtigt werden.

(37)      Der Gerichtshof hat wiederholt festgestellt, dass Vorschriften, mit denen vom Grundsatz der ‚Exportierbarkeit‘ der Leistungen der sozialen Sicherheit abgewichen wird, eng ausgelegt werden müssen. Dies bedeutet, dass sie nur auf Leistungen angewendet werden können, die den genau festgelegten Bedingungen entsprechen. Daraus folgt, dass Titel III Kapitel 9 dieser Verordnung nur auf Leistungen angewendet werden kann, die sowohl besonders als auch beitragsunabhängig sind und in Anhang X dieser Verordnung aufgeführt sind.“

7.        Art. 2 der Verordnung Nr. 883/2004, der den persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung regelt, bestimmt in Abs. 1:

„Diese Verordnung gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.“

8.        Der sachliche Geltungsbereich der Verordnung Nr. 883/2004 wird in Art. 3 wie folgt beschrieben:

„(1)      Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:

h)      Leistungen bei Arbeitslosigkeit;

(2)       Sofern in Anhang XI nichts anderes bestimmt ist, gilt diese Verordnung für die allgemeinen und die besonderen, die auf Beiträgen beruhenden und die beitragsfreien Systeme der sozialen Sicherheit sowie für die Systeme betreffend die Verpflichtungen von Arbeitgebern und Reedern.

(3)      Diese Verordnung gilt auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Artikel 70.

(5)      Diese Verordnung gilt nicht für

a)      soziale und medizinische Fürsorge oder

b)      Leistungen, bei denen ein Mitgliedstaat die Haftung für Personenschäden übernimmt und Entschädigung leistet, beispielsweise für Opfer von Krieg und militärischen Aktionen oder der sich daraus ergebenden Folgen, Opfer von Straftaten, Attentaten oder Terrorakten, Opfer von Schäden, die von Bediensteten eines Mitgliedstaats in Ausübung ihrer Pflichten verursacht wurden, oder für Personen, die aus politischen oder religiösen Gründen oder aufgrund ihrer Abstammung Nachteile erlitten haben.“

9.        Art. 4 („Gleichbehandlung“) der Verordnung Nr. 883/2004 bestimmt:

„Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates.“

10.      Kapitel 9 des Titels III der Verordnung Nr. 883/2004 ist den „besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen“ gewidmet. Es besteht nur aus Art. 70 („Allgemeine Vorschrift“), der Folgendes vorsieht:

„(1)      Dieser Artikel gilt für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, die nach Rechtsvorschriften gewährt werden, die aufgrund ihres persönlichen Geltungsbereichs, ihrer Ziele und/oder ihrer Anspruchsvoraussetzungen sowohl Merkmale der in Artikel 3 Absatz 1 genannten Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweisen.

(2)      Für die Zwecke dieses Kapitels bezeichnet der Ausdruck ‚besondere beitragsunabhängige Geldleistungen‘ die Leistungen:

a)      die dazu bestimmt sind:

i)      einen zusätzlichen, ersatzweisen oder ergänzenden Schutz gegen die Risiken zu gewähren, die von den in Artikel 3 Absatz 1 genannten Zweigen der sozialen Sicherheit gedeckt sind, und den betreffenden Personen ein Mindesteinkommen zur Bestreitung des Lebensunterhalts garantieren, das in Beziehung zu dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld in dem betreffenden Mitgliedstaat steht,

oder

ii)      allein dem besonderen Schutz des Behinderten zu dienen, der eng mit dem sozialen Umfeld dieser Person in dem betreffenden Mitgliedstaat verknüpft ist,

und

b)      deren Finanzierung ausschließlich durch obligatorische Steuern zur Deckung der allgemeinen öffentlichen Ausgaben erfolgt und deren Gewährung und Berechnung nicht von Beiträgen hinsichtlich der Leistungsempfänger abhängen. Jedoch sind Leistungen, die zusätzlich zu einer beitragsabhängigen Leistung gewährt werden, nicht allein aus diesem Grund als beitragsabhängige Leistungen zu betrachten,

und

c)      die in Anhang X aufgeführt sind.

(3)      Artikel 7 und die anderen Kapitel dieses Titels gelten nicht für die in Absatz 2 des vorliegenden Artikels genannten Leistungen.

(4)      Die in Absatz 2 genannten Leistungen werden ausschließlich in dem Mitgliedstaat, in dem die betreffenden Personen wohnen, und nach dessen Rechtsvorschriften gewährt. Die Leistungen werden vom Träger des Wohnorts und zu seinen Lasten gewährt.“

11.      In Anhang X („Besondere beitragsunabhängige Geldleistungen“) der Verordnung Nr. 883/2004 werden unter der Rubrik „DEUTSCHLAND“ angeführt:

„…

b)      Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitssuchende, soweit für diese Leistungen nicht dem Grunde nach die Voraussetzungen für den befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld (§ 24 Absatz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch) erfüllt sind.“

3.      Richtlinie 2004/38

12.      Die Erwägungsgründe 10, 16 und 21 der Richtlinie 2004/38 sehen vor:

„(10) Allerdings sollten Personen, die ihr Aufenthaltsrecht ausüben, während ihres ersten Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. Daher sollte das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen für eine Dauer von über drei Monaten bestimmten Bedingungen unterliegen.

(16)      Solange die Aufenthaltsberechtigten die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen, sollte keine Ausweisung erfolgen. Die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen sollte daher nicht automatisch zu einer Ausweisung führen. Der Aufnahmemitgliedstaat sollte prüfen, ob es sich bei dem betreffenden Fall um vorübergehende Schwierigkeiten handelt, und die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen Umstände und den gewährten Sozialhilfebetrag berücksichtigen, um zu beurteilen, ob der Leistungsempfänger die Sozialhilfeleistungen unangemessen in Anspruch genommen hat, und in diesem Fall seine Ausweisung zu veranlassen. In keinem Fall sollte eine Ausweisungsmaßnahme gegen Arbeitnehmer, Selbstständige oder Arbeitssuchende in dem vom Gerichtshof definierten Sinne erlassen werden, außer aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit.

(21)      Allerdings sollte es dem Aufnahmemitgliedstaat überlassen bleiben, zu bestimmen, ob er anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, die diesen Status beibehalten, und ihren Familienangehörigen Sozialhilfe während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder im Falle von Arbeitssuchenden für einen längeren Zeitraum gewährt oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Unterhaltsbeihilfen für die Zwecke des Studiums, einschließlich einer Berufsausbildung, gewährt.“

13.      Art. 6 („Recht auf Aufenthalt bis zu drei Monaten“) Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 sieht vor:

„Ein Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, wobei er lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht.“

14.      Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 bestimmt:

„Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a)      Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

b)      für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen …

…“

15.      Art. 8 („Verwaltungsformalitäten für Unionsbürger“) der Richtlinie 2004/38 bestimmt in Abs. 4:

„Die Mitgliedstaaten dürfen keinen festen Betrag für die Existenzmittel festlegen, die sie als ausreichend betrachten, sondern müssen die persönliche Situation des Betroffenen berücksichtigen. Dieser Betrag darf in keinem Fall über dem Schwellenbetrag liegen, unter dem der Aufnahmemitgliedstaat seinen Staatsangehörigen Sozialhilfe gewährt, oder, wenn dieses Kriterium nicht anwendbar ist, über der Mindestrente der Sozialversicherung des Aufnahmemitgliedstaats.“

16.      Art. 14 der Richtlinie 2004/38 behandelt die „Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts“ und hat folgenden Wortlaut:

„(1)      Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen steht das Aufenthaltsrecht nach Artikel 6 zu, solange sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen.

(3)      Die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen durch einen Unionsbürger oder einen seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat darf nicht automatisch zu einer Ausweisung führen.

(4)      Abweichend von den Absätzen 1 und 2 und unbeschadet der Bestimmungen des Kapitels VI darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen auf keinen Fall eine Ausweisung verfügt werden, wenn

a)      die Unionsbürger Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder

b)      die Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist sind, um Arbeit zu suchen. In diesem Fall dürfen die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht ausgewiesen werden, solange die Unionsbürger nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden.“

17.      Art. 24 („Gleichbehandlung“) der Richtlinie 2004/38 lautet:

„(1)      Vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Das Recht auf Gleichbehandlung erstreckt sich auch auf Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt genießen.

(2)      Abweichend von Absatz 1 ist der Aufnahmemitgliedstaat jedoch nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe b) einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren.“

B –    Deutsches Recht

1.      Sozialgesetzbuch

18.      § 19a Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs Erstes Buch (im Folgenden: SGB I) beschreibt die beiden Arten von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende wie folgt:

„(1)      Nach dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende können in Anspruch genommen werden

1.       Leistungen zur Eingliederung in Arbeit,

2.       Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

…“

19.      § 1 („Aufgabe und Ziel der Grundsicherung für Arbeitsuchende“) des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (im Folgenden: SGB II) bestimmt in den Abs. 1 und 3:

„(1)      Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll es Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.

(3)      Die Grundsicherung für Arbeitsuchende umfasst Leistungen

1.      zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Eingliederung in Arbeit und

2.       zur Sicherung des Lebensunterhalts.“

20.      § 7 („Leistungsberechtigte“) SGB II lautet:

„(1)      Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.       das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,

2.       erwerbsfähig sind,

3.       hilfebedürftig sind und

4.       ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Ausgenommen sind

1.      Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,

2.      Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen,

Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

…“

21.      § 8 („Erwerbsfähigkeit“) SGB II sieht vor:

„(1)      Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

…“

22.      § 9 SGB II bestimmt:

„(1)      Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

…“

23.      § 20 SGB II enthält ergänzende Bestimmungen über den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts, § 21 SGB II über Mehrbedarfe und § 22 SGB II über Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Schließlich behandeln die §§ 28 bis 30 SGB II Leistungen für Bildung und Teilhabe.

24.      § 1 des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (im Folgenden: SGB XII), das die Sozialhilfe betrifft, bestimmt:

„Aufgabe der Sozialhilfe ist es, den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. …“

25.      § 21 SGB XII bestimmt:

„Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt. …“

26.      § 23 („Sozialhilfe für Ausländerinnen und Ausländer“) SGB XII lautet wie folgt:

„(1)      Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(3)      Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Sind sie zum Zweck einer Behandlung oder Linderung einer Krankheit eingereist, soll Hilfe bei Krankheit insoweit nur zur Behebung eines akut lebensbedrohlichen Zustandes oder für eine unaufschiebbare und unabweisbar gebotene Behandlung einer schweren oder ansteckenden Erkrankung geleistet werden.

(4)      Ausländer, denen Sozialhilfe geleistet wird, sind auf für sie zutreffende Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme hinzuweisen; in geeigneten Fällen ist auf eine Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken.

…“

2.      Freizügigkeitsgesetz/EU

27.      Der Anwendungsbereich des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (im Folgenden: FreizügG/EU) wird in § 1 dieses Gesetzes geregelt:

„Dieses Gesetz regelt die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Unionsbürger) und ihrer Familienangehörigen.“

28.      § 2 FreizügG/EU sieht, was das Recht auf Einreise und Aufenthalt betrifft, vor:

„(1)      Freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes.

(2)      Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind:

1.       Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen,

5.       nicht erwerbstätige Unionsbürger unter den Voraussetzungen des § 4,

6.       Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4,

…“

29.      § 4 FreizügG/EU bestimmt in Bezug auf nicht erwerbstätige Freizügigkeitsberechtigte:

„Nicht erwerbstätige Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, haben das Recht nach § 2 Abs. 1, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Hält sich der Unionsbürger als Student im Bundesgebiet auf, haben dieses Recht nur sein Ehegatte, Lebenspartner und seine Kinder, denen Unterhalt gewährt wird.“

II – Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits

30.      Frau Dano, die 1989 geboren wurde, und ihr Sohn Florin, der am 2. Juli 2009 in Saarbrücken (Deutschland) geboren wurde, sind beide rumänische Staatsangehörige. Nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts reiste Frau Dano zuletzt am 10. Oktober 2010 nach Deutschland ein.

31.      Die Stadt Leipzig stellte ihr am 19. Juli 2011 eine unbefristete Freizügigkeitsbescheinigung für EU-Bürger aus und setzte dabei als Datum der Einreise in das Bundesgebiet den 27. Juni 2011 fest. Am 28. Januar 2013 wurde ihr außerdem eine Zweitausfertigung dieser Bescheinigung ausgestellt.

32.      Frau Dano und ihr Sohn leben seit ihrer Ankunft in Leipzig in der Wohnung einer Schwester von Frau Dano, die sie mit Naturalien versorgt.

33.      Frau Dano bezieht für ihren Sohn Florin Kindergeld in Höhe von monatlich 184 Euro, das von der Familienkasse Leipzig im Namen der Bundesagentur für Arbeit ausgezahlt wird. Außerdem zahlt das Jugendamt Leipzig für dieses Kind einen Unterhaltsvorschuss in Höhe von monatlich 133 Euro.

34.      Frau Dano hat in Rumänien drei Jahre lang die Schule besucht und besitzt keinen Schulabschluss. Sie versteht Deutsch und kann sich einfach in dieser Sprache ausdrücken. Hingegen kann sie in dieser Sprache nicht schreiben und ist zum Leseverständnis deutscher Texte nur eingeschränkt in der Lage. Sie hat keinen erlernten oder angelernten Beruf und war bislang weder in Deutschland noch in Rumänien erwerbstätig(5).

35.      Frau Dano und ihr Sohn stellten einen ersten Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Das Jobcenter Leipzig wies ihn mit Bescheid vom 28. September 2011 auf der Grundlage von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ab. Die Kläger des Ausgangsverfahrens fochten diese Entscheidung nicht an, die daraufhin bestandskräftig wurde.

36.      Die Kläger stellten am 25. Januar 2012 einen neuen Antrag. Nach der Ablehnung dieses zweiten Antrags durch das Jobcenter Leipzig legten die Kläger gegen die entsprechende, am 23. Februar 2012 ergangene Entscheidung Widerspruch ein. Ihr Widerspruch stützte sich auf die Art. 18 AEUV und 45 AEUV und auf das Urteil Vatsouras und Koupatantze(6). Dieser Widerspruch wurde mit Bescheid vom 1. Juni 2012 zurückgewiesen.

37.      Gegen diesen Bescheid erhoben die Kläger des Ausgangsverfahrens am 1. Juli 2012 Klage beim Sozialgericht Leipzig (Deutschland). In diesem Rahmen begehren sie erneut die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, und zwar existenzsichernde Regelleistung, Sozialgeld und anteilige Kosten der Unterkunft und Heizung (im Folgenden: Leistungen der Grundsicherung) nach dem SGB II für den Zeitraum ab dem 25. Januar 2012.

III – Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof

38.      Das Sozialgericht Leipzig ist der Auffassung, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und § 23 Abs. 3 SGB XII keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung hätten. Dieses Gericht stellt sich jedoch die Frage, ob nicht die unionsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004, der allgemeine Grundsatz der Nichtdiskriminierung aus Art. 18 AEUV und das allgemeine Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV den oben genannten Bestimmungen des deutschen Rechts entgegenstehen.

39.      Daher hat das Sozialgericht Leipzig mit Entscheidung vom 3. Juni 2013, die am 19. Juni 2013 beim Gerichtshof eingegangen ist, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist der persönliche Anwendungsbereich von Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 für Personen eröffnet, die keine Leistung sozialversicherungsrechtlicher oder familienfördernder Art im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung, sondern eine besondere beitragsunabhängige Leistung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 und Art. 70 der Verordnung in Anspruch nehmen wollen?

2.      Falls die Frage zu 1 bejaht wird: Ist es den Mitgliedstaaten durch Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 verwehrt, zur Vermeidung einer unangemessenen Inanspruchnahme von existenzsichernden beitragsunabhängigen Sozialleistungen im Sinne des Art. 70 der Verordnung bedürftige Unionsbürger vom Bezug derartiger Leistungen, die eigenen Staatsbürgern in gleicher Lage gewährt werden, ganz oder teilweise auszuschließen?

3.      Falls die Fragen zu 1 oder 2 verneint werden: Ist es den Mitgliedstaaten nach a) Art. 18 AEUV und/oder b) Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a AEUV in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 3 AEUV und Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 verwehrt, zur Vermeidung einer unangemessenen Inanspruchnahme von existenzsichernden beitragsunabhängigen Sozialleistungen im Sinne von Art. 70 der Verordnung Nr. 883/2004 bedürftige Unionsbürger vom Bezug derartiger Leistungen, die eigenen Staatsbürgern in gleicher Lage gewährt werden, ganz oder teilweise auszuschließen?

4.      Falls nach Beantwortung der vorgenannten Fragen der teilweise Ausschluss von existenzsichernden Leistungen europarechtskonform ist: Darf sich die Gewährung beitragsunabhängiger existenzsichernder Leistungen für Unionsbürger außerhalb akuter Notfälle auf die Bereitstellung der erforderlichen Mittel zur Rückkehr in den Heimatstaat beschränken, oder gebieten die Art. 1, 20 und 51 der Grundrechtecharta weiter gehende Leistungen, die einen dauerhaften Aufenthalt ermöglichen?

40.      Schriftliche Erklärungen haben die deutsche Regierung, die österreichische Regierung (nur zur zweiten Frage), Irland, die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Europäische Kommission eingereicht.

41.      Sie haben sich zudem alle in der mündlichen Verhandlung geäußert, die am 18. März 2014 stattgefunden hat. Die Vertreter der Kläger des Ausgangsverfahrens sowie der dänischen und der französischen Regierung, die keine schriftlichen Erklärungen eingereicht hatten, haben ebenfalls ihre Argumente bei dieser Verhandlung vortragen können.

IV – Würdigung

A –    Natur der Leistungen der Grundsicherung im Hinblick auf die Verordnung Nr. 883/2004 und die Richtlinie 2004/38

42.      Wie ich bereits in meinen einleitenden Bemerkungen dargelegt habe, betreffen die Vorlagefragen nicht ausdrücklich die Qualifizierung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Leistungen der Grundsicherung im Hinblick auf die Verordnung Nr. 883/2004 und die Richtlinie 2004/38. Jedoch befragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof zu der Gültigkeit der deutschen Regelung insbesondere im Hinblick auf den in Art. 4 dieser Verordnung genannten Grundsatz der Gleichbehandlung und die in Art. 24 Abs. 2 dieser Richtlinie geforderten ausreichenden Existenzmittel. Da die Anwendungsbereiche dieser beiden Normen indessen von der Natur der in Rede stehenden Maßnahmen abhängen, kann sich der Gerichtshof meines Erachtens diese Arbeit nicht ersparen, wenn er dem vorlegenden Gericht eine nützliche Antwort geben will.

43.      Ich werde mich daher in einem ersten Schritt damit befassen, die Natur der Leistungen der Grundsicherung zu bestimmen, die die Kläger des Ausgangsverfahrens beanspruchen und deren Versagungsgründe zu dem Vorabentscheidungsersuchen geführt haben.

1.      Besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Hinblick auf die Verordnung Nr. 883/2004

a)      Theoretischer Begriff

44.      Der Begriff der besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen – bzw. der, wie es in der deutschen Fassung ursprünglich hieß, „beitragsunabhängigen Sonderleistungen in bar“ – wurde durch die Verordnung (EWG) Nr. 1247/92 des Rates vom 30. April 1992 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern(7), in das Unionsrecht eingeführt, um der Rechtsprechung des Gerichtshofs Rechnung zu tragen, wonach bestimmte von den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehene Leistungen gleichzeitig unter die soziale Sicherheit und die Sozialhilfe fallen können(8).

45.      Der Begriff, der das Ergebnis der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist, ist also nicht neu, und seine Definition ist nunmehr beständig. Eine besondere beitragsunabhängige Geldleistung wird durch ihren Zweck definiert. Sie muss erstens eine Leistung der sozialen Sicherheit ersetzen oder ergänzen, sich zugleich aber von dieser unterscheiden, sie muss zweitens den Charakter einer Sozialhilfeleistung haben, die aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen gerechtfertigt ist, und es muss drittens nach einer Regelung, die objektive Kriterien festlegt, über sie entschieden werden(9). Zudem muss sie viertens in dem Sinne beitragsunabhängig sein, dass die fragliche Leistung nicht unmittelbar oder mittelbar durch Sozialbeiträge sichergestellt werden darf, sondern durch öffentliche Mittel sichergestellt werden muss(10), und fünftens muss sie gemäß Art. 70 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 883/2004 in deren Anhang X genannt werden.

46.      Diese Definition ist dem vom Gerichtshof unter dem Einfluss der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung entwickelten Grundsatz anzunähern, dem zufolge „[d]ie Ausnahmen vom Grundsatz der Exportierbarkeit von Leistungen der sozialen Sicherheit, die in Art. 10a der Verordnung Nr. 1408/71 festgelegt wurden, … eng auszulegen [sind]. [Das bedeutet, dass d]iese Vorschrift … folglich nur die Leistungen [erfasst], die den Tatbestand des Artikels 4 Absatz 2a dieser Verordnung erfüllen, d. h. Leistungen, die sowohl Sonderleistungscharakter haben als auch beitragsunabhängig sind und die zudem in Anhang IIa dieser Verordnung aufgeführt sind“(11).

47.      Die entsprechenden Bestimmungen der Verordnung Nr. 883/2004, nämlich deren Art. 3 Abs. 3 und Art. 70 sowie Anhang X, können an dieser Beurteilung nichts ändern(12).

48.      Im Ergebnis muss, wie es Generalanwalt Wahl in Fn. 8 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Brey perfekt zusammengefasst hat, „eine solche [besondere beitragsunabhängige Geld-]Leistung [einen ergänzenden oder subsidiären] Schutz gegen eines der in Art. 3 Abs. 1 [der Verordnung Nr. 883/2004] aufgeführten Risiken gewähren. Sie muss dem Leistungsempfänger ein Grundeinkommen vorsehen, dessen Höhe sich nach dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld in dem betreffenden Mitgliedstaat bestimmt. Sie muss auch durch allgemeine Steuermittel finanziert werden, nicht aber durch Beiträge des Leistungsempfängers. Schließlich muss sie in Anhang X aufgeführt sein …“(13).

b)      Leistungen der Grundsicherung des SGB II

49.      Die vom SGB II vorgesehenen Leistungen der Grundsicherung umfassen die existenzsichernden Leistungen für Frau Dano sowie Sozialgeld und anteilige Kosten für Unterkunft und Heizung für ihren Sohn.

50.      Alle Parteien stimmen darin überein, sie als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne der Verordnung Nr. 883/2004 zu qualifizieren.

51.      Sie werden nämlich – wenn wir die fünf in Nr. 45 der vorliegenden Schlussanträge aufgezählten Voraussetzungen heranziehen – in Anhang X der Verordnung Nr. 883/2004 genannt (fünfte Voraussetzung). Es steht fest, dass sie beitragsunabhängig sind (vierte Voraussetzung)(14), und aus § 7 (Bestimmung der Leistungsberechtigten), § 8 (Definition der Erwerbsfähigkeit), § 9 (Definition der Hilfebedürftigkeit) und § 1 Abs. 1 und 3 (Aufgabe und Ziele der Grundsicherung) SGB II ergibt sich, dass ihnen der Charakter einer durch wirtschaftliche und soziale Gründe gerechtfertigten Sozialhilfeleistung zugeschrieben werden kann (zweite Voraussetzung) und dass im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs nach einer Regelung, die objektive Kriterien festlegt, über sie entschieden wird(15).

52.      Die erste Voraussetzung, d. h. der ergänzende oder subsidiäre Schutzcharakter dieser Leistungen in Bezug auf eines der in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 abschließend aufgezählten Risiken, scheint hingegen weniger eindeutig bestimmbar.

53.      Nach Ansicht der Kommission beziehen sich die Leistungen der Grundsicherung auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung Nr. 883/2004. Es handele sich nämlich um Leistungen, die ein nicht vorhandenes Arbeitsentgelt einer eigentlich erwerbsfähigen arbeitslosen Person ersetzen sollten und damit für den Unterhalt dieser Person bestimmt seien.

54.      Die deutsche Regierung ist hingegen der Auffassung, dass die vom SGB II vorgesehene Grundsicherung keinem der in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 genannten Zweige der sozialen Sicherung zugeordnet werden könne. Das System der Grundsicherung knüpfe nicht an das Risiko der Arbeitslosigkeit an, sondern gewähre Leistungen an Personen, die, obwohl sie erwerbsfähig seien, hilfebedürftig seien. Dies hindere jedoch nicht daran, sie den besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen zuzuordnen(16).

55.      Den Erklärungen der deutschen Regierung entnehme ich, dass das vom SGB II eingeführte System aus der Zusammenlegung von zwei früheren Regelungen hervorgegangen ist (Arbeitslosenhilfe auf der einen und Sozialhilfe auf der anderen Seite) und dass es für erwerbsfähige Personen und ihre Familienmitglieder bestimmt ist.

56.      Ich stelle auch fest, dass die deutsche Regierung erläutert hat, dass eine andere Sozialhilferegelung neben dem SGB II weiterhin besteht, nämlich die im SGB XII definierte Sozialhilfe im engeren Sinn.

57.      Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass der Mischcharakter des vom SGB II eingerichteten Systems (das aus der Fusion von zwei früheren Regelungen hervorgegangen ist, wovon eine ausschließlich der Arbeitslosenhilfe gewidmet war), die Beibehaltung einer vom SGB II getrennten Sozialhilferegelung und die Aufnahme der Grundsicherung in Anhang X der Verordnung Nr. 883/2004 mich dazu bewegen, in dieser Regelung ebenfalls eine besondere beitragsunabhängige Geldleistung zu sehen.

2.      Leistungen der Sozialhilfe im Hinblick auf die Richtlinie 2004/38

a)      Theoretischer Begriff: Unabhängigkeit in Bezug auf die Verordnung Nr. 883/2004

58.      Weil eine Leistung im Hinblick auf die Verordnung Nr. 883/2004 keine Sozialhilfeleistung ist, heißt das nicht, dass sie nicht unter das Sozialhilfesystem im Sinne der Richtlinie 2004/38 fallen kann.

59.      Die Möglichkeit, dass eine besondere beitragsunabhängige Geldleistung im Sinne der Verordnung Nr. 883/2004 ebenfalls unter den Begriff „Sozialhilfeleistung“ im Sinne der Richtlinie 2004/38 fallen kann, stand im Übrigen in der Rechtssache Brey(17) im Mittelpunkt.

60.      Generalanwalt Wahl kam, als er die mit diesen beiden Instrumenten (wovon sich das erste im Wesentlichen auf die soziale Sicherheit und das zweite in seiner Gesamtheit auf die Verkehrsfreiheiten, die Nichtdiskriminierung und die Unionsbürgerschaft bezieht) verfolgten Ziele prüfte, zu dem Ergebnis, dass der Begriff „Sozialhilfe“ in diesen beiden Rechtsakten nicht derselbe sein könne(18).

61.      Der Gerichtshof ist diesem Ansatz gefolgt, als er die Ansicht vertrat, dass „der Begriff der ‚Sozialhilfeleistungen‘ in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 … nicht auf die sozialen Fürsorgeleistungen reduziert werden [kann], die nach Art. 3 Abs. 5 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 nicht in deren Anwendungsbereich fallen“(19).

62.      Vielmehr ist der Begriff „Sozialhilfeleistungen“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 nach Ansicht des Gerichtshofs anhand des mit dieser Bestimmung verfolgten Ziels zu bestimmen und nicht anhand von formalen Kriterien(20). Er ist daher so zu verstehen, „dass er sich auf sämtliche von öffentlichen Stellen eingerichteten Hilfssysteme bezieht, die auf nationaler, regionaler oder örtlicher Ebene bestehen und die ein Einzelner in Anspruch nimmt, der nicht über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung seiner Grundbedürfnisse und derjenigen seiner Familie verfügt und deshalb während seines Aufenthalts möglicherweise die öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats belasten muss, was Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben kann, die dieser Staat gewähren kann“(21).

63.      Aus dem Urteil Vatsouras und Koupatantze(22) ergibt sich jedoch, dass finanzielle Leistungen, die unabhängig von ihrer Einstufung nach nationalem Recht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, nicht als „Sozialhilfe“ im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 angesehen werden können.

64.      Diese Klarstellung scheint mir insofern wichtig, als Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in seinen Schlussanträgen eine genau gegenteilige Auffassung vertreten hatte, wonach „es Maßnahmen der ‚Sozialhilfe‘ der in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 angesprochenen Art geben kann, die die Eingliederung in den Arbeitsmarkt fördern“(23).

b)      Leistungen der Grundsicherung des SGB II

65.      In Rn. 43 seines Urteils Vatsouras und Koupatantze(24) hat der Gerichtshof die Hypothese aufgestellt, dass die in § 7 Abs. 1 SGB II vorgesehene Voraussetzung (wonach eine Person in der Lage sein musste, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, um Leistungen der Grundsicherung des SGB II zu erhalten) ein Hinweis darauf sein könnte, dass die fraglichen Leistungen den Zugang zur Beschäftigung erleichtern sollen.

66.      Wenn dies der Fall sein sollte, könnten die Leistungen der Grundsicherung des SGB II angesichts der in Nr. 63 der vorliegenden Schlussanträge wiedergegebenen Klarstellung nicht als Sozialhilfeleistungen im Sinne der Richtlinie 2004/38 angesehen werden.

67.      Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob das Kriterium der Erwerbsfähigkeit als für die Qualifizierung der Leistungen im Hinblick auf diese Richtlinie allein ausschlaggebend anzusehen ist.

68.      Gemäß dem vom Gerichtshof im Urteil Brey herangezogenen methodologischen Kriterium ist der Begriff „Sozialhilfeleistungen“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 nämlich anhand des mit dieser Bestimmung verfolgten Ziels zu bestimmen und nicht anhand von formalen Kriterien(25).

69.      Zwar sieht § 19a SGB I in diesem Zusammenhang vor, dass nach dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende sowohl Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als auch Leistungen zur Eingliederung in Arbeit in Anspruch genommen werden können, § 1 („Aufgabe und Ziel der Grundsicherung für Arbeitsuchende“) Abs. 1 SGB II stellt aber klar, dass „[d]ie Grundsicherung für Arbeitsuchende … es Leistungsberechtigten ermöglichen [soll], ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht“.

70.      § 1 Abs. 3 SGB II weist ebenfalls darauf hin, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Eingliederung in Arbeit und zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst.

71.      Zudem decken gemäß § 19 SGB II die in Rede stehenden Leistungen „den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung“ ab. Die Hilfeleistungen für die berufliche Eingliederung, um die es im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende geht, sind hingegen hauptsächlich im Rahmen des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch beschrieben. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts sind diese Bestimmungen jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits, da die Anträge der Kläger des Ausgangsverfahrens keine Eingliederungsleistungen betreffen.

72.      Die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Leistungen der Grundsicherung scheinen mir daher der vom Gerichtshof im Urteil Brey herangezogenen Definition der „Sozialhilfeleistungen“ im Sinne der Richtlinie 2004/38 zu entsprechen, d. h. im Rahmen eines von öffentlichen Stellen eingerichteten Hilfssystems gewährt zu werden, das ein Einzelner in Anspruch nimmt, der nicht über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung seiner Grundbedürfnisse und derjenigen seiner Familie verfügt und deshalb während seines Aufenthalts möglicherweise die öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats belasten muss, was Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben kann, die dieser Staat gewähren kann(26).

3.      Zwischenergebnis zur Natur der Leistungen der Grundsicherung

73.      Am Ende dieser einleitenden Prüfung komme ich zu dem Ergebnis, dass die Leistungen der Grundsicherung zum einen besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne der Verordnung Nr. 883/2004 und zum anderen Sozialhilfeleistungen im Sinne der Richtlinie 2004/38 darstellen.

74.      Sollte der Gerichtshof dagegen die Leistungen der Grundsicherung als „Sozialhilfe“-Leistungen im Sinne der Verordnung Nr. 883/2004 auffassen und so die Qualifizierung als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen zurückweisen, würde sich die Beantwortung der ersten Vorlagefrage erübrigen. Diese Frage betrifft nämlich nur die Anwendbarkeit von Art. 4 dieser Verordnung auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen. Die Sinnlosigkeit einer Antwort wäre zudem umso offensichtlicher, als Art. 3 Abs. 5 dieser Verordnung Leistungen der sozialen Fürsorge ausdrücklich aus ihrem Anwendungsbereich ausschließt.

B –    Zur ersten Vorlagefrage

75.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne von Art. 3 Abs. 3 und Art. 70 dieser Verordnung gilt.

76.      Art. 3 dieser Verordnung definiert ihren sachlichen Geltungsbereich. Er stellt in Abs. 3 ausdrücklich klar, dass sie „auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Artikel 70 [gilt]“.

77.      Dieser Art. 70 umfasst vier Absätze. Abs. 1 definiert den Anwendungsbereich dieses Artikels, indem er die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen definiert. Abs. 2 präzisiert die Definition durch eine Aufzählung der geforderten Tatbestandsvoraussetzungen. Abs. 4 stellt den Grundsatz auf, wonach die Leistungen im Wohnsitzmitgliedstaat des Betroffenen und nach den Rechtsvorschriften dieses Staates gewährt werden. Abs. 3 sieht schließlich vor, dass „Artikel 7 und die anderen Kapitel dieses Titels … nicht für die in Absatz 2 des vorliegenden Artikels genannten Leistungen [gelten]“.

78.      Aus Art. 3 Abs. 3 und Art. 70 Abs. 3 der Verordnung Nr. 883/2004 geht somit unbestreitbar hervor, dass Art. 4 dieser Verordnung für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen gilt.

79.      Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 883/2004 schreibt nämlich ausdrücklich und ausnahmslos vor, dass diese Verordnung für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Art. 70 gilt. Zwar finden nach diesem Artikel gewisse Bestimmungen der Verordnung auf diese Leistungen ausnahmsweise keine Anwendung, Art. 4 befindet sich jedoch nicht darunter.

80.      Diese Auslegung entspricht außerdem dem Willen des Gesetzgebers, wie er im siebten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1247/92 zum Ausdruck kommt; mit dieser wurde, wie ich zuvor erläutert habe, die Verordnung Nr. 1408/71 geändert, um die Bestimmungen zu den besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen einzufügen.

81.      Gemäß diesem Erwägungsgrund sind die Leistungen, die gleichzeitig sowohl in die Kategorie der sozialen Sicherheit als auch in die der Sozialhilfe fallen, d. h. die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen, „ausschließlich nach den Rechtsvorschriften des Wohnlandes der betreffenden Person oder ihrer Familienangehörigen zu gewähren, wobei … jedwede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit entfällt“ (27).

82.      Es liefe folglich nicht nur dem Wortlaut der Verordnung Nr. 883/2004, sondern auch dem Willen des Gesetzgebers zuwider, die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen vom in Art. 4 dieser Verordnung verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz auszuschließen.

83.      Da nichts in der Verordnung, um den Wortlaut von Art. 4 der Verordnung zu übernehmen, die Behauptung zulässt, dass etwas „anderes bestimmt ist“, bin ich der Auffassung, dass grundsätzlich „Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte [auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen] und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates [haben]“.

84.      Ich schlage daher dem Gerichtshof vor, auf die erste Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, dass der persönliche Anwendungsbereich von Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 für Personen eröffnet ist, die eine besondere beitragsunabhängige Geldleistung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 und Art. 70 der Verordnung Nr. 883/2004 beanspruchen.

85.      Allerdings weise ich gleich darauf hin, dass diese Schlussfolgerung nicht zwangsläufig bedeutet, dass die im Ausgangsverfahren geltend gemachte Diskriminierung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt, wie er in Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 vorgesehen ist.

86.      Diese Überlegung steht im Zentrum der zweiten und der dritten Frage des vorlegenden Gerichts. Ich werde sie daher gemeinsam prüfen.

C –    Zur zweiten und zur dritten Vorlagefrage

1.      Gegenstand der zweiten und der dritten Frage und anwendbare Vorschriften

87.      Mit der zweiten und der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, ganz oder teilweise von bestimmten besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne der Verordnung Nr. 883/2004 ausgeschlossen sind, obwohl diese Leistungen den Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats, die sich in der gleichen Lage befinden, gewährt werden müssten.

88.      Neben dem in Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 vorgesehenen Gleichbehandlungsgrundsatz beruft sich das vorlegende Gericht auch auf Art. 18 AEUV, Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Unterabs. 2 AEUV sowie auf Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38.

89.      Art. 18 AEUV verbietet „[u]nbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge … in ihrem Anwendungsbereich“ jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit. Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV stellt ausdrücklich klar, dass die Rechte, die dieser Artikel den Unionsbürgern verleiht, „unter den Bedingungen und innerhalb der Grenzen ausgeübt [werden], die in den Verträgen und durch die in Anwendung der Verträge erlassenen Maßnahmen festgelegt sind“. Außerdem macht Art. 21 Abs. 1 AEUV auch das Recht der Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, von der Beachtung der „in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen“ abhängig.

90.      Die Verordnung Nr. 883/2004 und die Richtlinie 2004/38 stellen jedoch solche Bedingungen oder Beschränkungen dar, die in Ausführung der Verträge oder zur Sicherstellung ihrer Anwendung erlassen wurden(28).

91.      Sie scheinen mir daher die einzigen Instrumente zu sein, die für die Beantwortung der zweiten und der dritten Frage von Nutzen sind, wobei allerdings meiner Ansicht nach Art. 24 Abs. 2 dieser Richtlinie in dem dem vorlegenden Gericht unterbreiteten Rechtsstreit irrelevant ist.

92.      Aus den Akten scheint nämlich hervorzugehen, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens nicht nach Deutschland eingereist ist, um Arbeit zu suchen, und dass sie sich nicht darum bemüht, dort eine Beschäftigung zu finden. Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 gestattet es den Mitgliedstaaten indessen, „anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen“ keinen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren, und dies während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder während des Zeitraums der Arbeitsuche, der sich über diesen ersten Zeitraum hinaus verlängert(29). Da Frau Dano seit mehr als drei Monaten in Deutschland ist, sie keine Arbeit sucht und nicht nach Deutschland eingereist ist, um eine Arbeit zu finden, fällt sie nicht in den persönlichen Anwendungsbereich dieser Bestimmung. Ihre Situation wird dagegen von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 über das Erfordernis ausreichender Existenzmittel – so dass keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch genommen werden müssen – erfasst.

2.      Tragweite der zweiten und der dritten Vorlagefrage im Hinblick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs

a)      Möglichkeit, die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu beschränken

93.      Das eventuelle Vorliegen einer Ungleichbehandlung zwischen den Unionsbürgern, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt Gebrauch gemacht haben, und den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats ist eine unvermeidliche Folge der Richtlinie 2004/38.

94.      Wie bereits Generalanwalt Wahl in Nr. 38 seiner Schlussanträge in der Rechtssache Brey festgestellt hat, besteht, „[w]ährend das vorrangige Ziel der Richtlinie die Vereinfachung und die Stärkung des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts aller Unionsbürger ist, … das besondere Ziel des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b [der Richtlinie] darin, sicherzustellen, dass Personen, die ihr Aufenthaltsrecht ausüben, während ihres ersten Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. Das zeigt, dass die genannte Bestimmung nicht erwerbstätige Unionsbürger daran hindern soll, das Vorsorgesystem des Aufnahmemitgliedstaats zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch zu nehmen“(30).

95.      Der Gerichtshof teilt die Analyse von Generalanwalt Wahl. Er vertritt nämlich in Rn. 57 seines Urteils(31) die Auffassung, dass „die Verordnung Nr. 883/2004 zwar den Unionsbürgern, die von ihrem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch gemacht haben, die Beibehaltung des Anspruchs auf bestimmte Leistungen der sozialen Sicherheit, die in ihrem Ursprungsmitgliedstaat gewährt wurden, garantieren soll, aber es die Richtlinie 2004/38 ihrerseits dem Aufnahmemitgliedstaat erlaubt, Unionsbürgern, wenn sie die Arbeitnehmereigenschaft nicht oder nicht mehr besitzen, rechtmäßige Beschränkungen in Bezug auf die Gewährung von Sozialleistungen aufzuerlegen, damit diese die Sozialhilfeleistungen dieses Staates nicht unangemessen in Anspruch nehmen“.

96.      In diesem Rahmen ergibt sich aus dem Verhältnis, das der Unionsgesetzgeber in Art. 7 der Richtlinie 2004/38 zwischen dem Erfordernis ausreichender Existenzmittel als Voraussetzung für den Aufenthalt und dem Anliegen, keine Belastung für die Sozialhilfesysteme der Mitgliedstaaten hervorzurufen, geschaffen hat, zwangsläufig ein Ungleichbehandlungspotenzial bei der Gewährung der Sozialhilfeleistungen im Verhältnis zwischen den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats und den anderen Unionsbürgern.

97.      Die Frage, die in der vorliegenden Rechtssache im Mittelpunkt steht, scheint mir daher die der Rechtmäßigkeit – im Hinblick auf die Richtlinie 2004/38 und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – eines allgemeinen Ausschlusses der Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten von der Sozialhilfe zu sein, die, um den Wortlaut von § 23 Abs. 3 SGB XII aufzugreifen, in das Staatsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist sind, „um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt“.

b)      Versuch einer Synthese der bestehenden Rechtsprechung des Gerichtshofs

98.      Als er in der Rechtssache Brey mit einem ähnlichen Problem konfrontiert war – die in jener Rechtssache in Rede stehenden nationalen Vorschriften machten den Anspruch auf eine Sozialhilfeleistung von einem rechtmäßigen Aufenthalt in dem betreffenden Mitgliedstaat abhängig –, erwies sich Generalanwalt Wahl als kategorisch, indem er ausführte, dass es „[n]ach der Richtlinie … gerechtfertigt [erscheint], dass ein Mitgliedstaat sein Sozialhilfesystem in Bezug auf nicht erwerbstätige Unionsbürger, die noch kein Daueraufenthaltsrecht erworben haben, schützen kann. … [J]edoch … [sind] Vorschriften, die das Aufenthaltsrecht davon abhängig machen, dass Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht in Anspruch genommen werden, und die keine individuelle Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unionsbürgers vorsehen, mit den Art. 8 Abs. 4 und 14 Abs. 3 der Richtlinie nicht vereinbar …“(32).

99.      Der Gerichtshof ist dieser Auslegung der Richtlinie 2004/38 gefolgt, als er in Rn. 77 des Urteils Brey(33) entschieden hat, dass ein „automatischer Ausschluss der wirtschaftlich nicht aktiven Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten von der Gewährung einer bestimmten Sozialhilfeleistung durch den Aufnahmemitgliedstaat … es den zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats nicht erlaubt, im Einklang mit den Anforderungen, die sich insbesondere aus den Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und 8 Abs. 4 dieser Richtlinie sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben, in Fällen, in denen die Existenzmittel des Betroffenen geringer sind als der Richtsatz für die Gewährung dieser Leistung, eine umfassende Beurteilung der Frage vorzunehmen, welche Belastung die Gewährung dieser Leistung nach Maßgabe der die Lage des Betroffenen kennzeichnenden individuellen Umstände konkret für das gesamte Sozialhilfesystem darstellen würde“.

100. Das Ergebnis, zu dem der Gerichtshof im Urteil Brey kommt, fügt sich in die Kontinuität seiner vorherigen Rechtsprechung zur Frage der Sozialhilfeleistungen ein.

101. Im Urteil Grzelczyk(34) hat der Gerichtshof u. a. entschieden, dass es mit den Art. 6 EG und 8 EG (jetzt Art. 18 AEUV und 20 AEUV) nicht vereinbar war, dass die Gewährung einer beitragsunabhängigen Sozialleistung bei Angehörigen anderer Mitgliedstaaten als des Aufnahmemitgliedstaats, in dem sie sich rechtmäßig aufhalten, von der Voraussetzung abhängt, dass sie in den Anwendungsbereich der Verordnung über die Arbeitnehmerfreizügigkeit fallen, während für die Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaats eine derartige Voraussetzung nicht gilt.

102. Das extremste Ergebnis dieser Rechtsprechung findet sich zweifellos im Urteil Trojani(35), in dem der Gerichtshof, nachdem er bekräftigt hatte, dass einem Unionsbürger, der im Aufnahmemitgliedstaat nicht kraft Art. 45 AEUV, Art. 49 AEUV oder Art. 56 AEUV ein Aufenthaltsrecht besitzt, dort bereits aufgrund seiner Unionsbürgerschaft in unmittelbarer Anwendung von Art. 20 Abs. 1 AEUV ein Aufenthaltsrecht zustehen kann, weiter entschieden hat, dass, „[s]obald eine Person, die sich in einer Situation wie der des Klägers befindet, … eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, … sie unter Berufung auf [Art. 18 AEUV] eine Leistung der Sozialhilfe … beanspruchen [kann]“.

c)      Gegenüberstellung der Rechtsprechung mit dem vorliegenden Fall, der ratio legis und dem Text der Richtlinie 2004/38

103. Die Gegenüberstellung der Rechtsprechung mit dem vorliegenden Fall, der ratio legis und dem Text der Richtlinie 2004/38 beschäftigt mich(36).

104. Die Richtlinie 2004/38 macht das Recht eines Unionsbürgers, der nicht (als Arbeitnehmer oder Selbständiger) erwerbstätig ist, auf einen Aufenthalt von mehr als drei Monaten ausdrücklich von der doppelten Voraussetzung abhängig, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen(37).

105. Es erscheint mir daher – sofern man nicht die Gültigkeit der Richtlinie 2004/38 im Hinblick auf die Art. 18 AEUV, 20 AEUV und 21 AEUV in Frage stellt – legitim, dass ein Mitgliedstaat Bürgern die Gewährung von Sozialhilfeleistungen verweigern kann, soweit diese ihre Freizügigkeit einzig und allein mit dem Ziel ausüben, Sozialhilfe in einem anderen Mitgliedstaat zu erhalten, obwohl sie nicht über ausreichende Existenzmittel verfügen, um ein Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten zu beanspruchen.

106. Den Mitgliedstaaten dieses Recht zu verweigern, würde zur Folge haben, dass ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der bei seiner Ankunft im Staatsgebiet eines anderen Mitgliedstaats keine ausreichenden Existenzmittel hat, um für seinen Lebensunterhalt aufzukommen, automatisch und de facto darüber verfügen würde, und zwar durch die Gewährung einer besonderen beitragsunabhängigen Geldleistung, deren Ziel darin besteht, den Lebensunterhalt des Empfängers sicherzustellen, indem es ihm ermöglicht wird, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.

107. Die kumulative Anwendung der beiden sekundärrechtlichen Normen – der Verordnung Nr. 883/2004 und der Richtlinie 2004/38 – würde, wenn sie so ausgelegt würden, dass sie den allgemeinen Ausschluss der Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten als des Aufnahmemitgliedstaats von der Gewährung einer Sozialhilfeleistung dieser Art verhindern, dazu führen, den vom Gesetzgeber in dieser Richtlinie ausgedrückten Willen zunichtezumachen.

108. Gemäß dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 sollten nämlich Personen, die ihr Aufenthaltsrecht ausüben, die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen, was bedeutet, dass „das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen für eine Dauer von über drei Monaten [daher] bestimmten Bedingungen unterliegen [sollte]“. Im 21. Erwägungsgrund wird ergänzt, dass es dem Aufnahmemitgliedstaat folglich „überlassen bleiben [sollte], zu bestimmen, ob er anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, die diesen Status beibehalten, und ihren Familienangehörigen Sozialhilfe während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder im Falle von Arbeitssuchenden für einen längeren Zeitraum gewährt“.

109. Ich füge hinzu, dass Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 zwar das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen auf Aufenthalt während der ersten drei Monate(38) vorsieht, „solange sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen“, ihr Art. 7 Abs. 1 Buchst. b von dem Unionsbürger, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat und länger als drei Monate im Staatsgebiet des Aufnahmestaats bleiben möchte, aber verlangt, dass er über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass er keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen muss, ohne zu verlangen, dass die entsprechende Inanspruchnahme „unangemessen“ wäre.

110. Der 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38, der die Idee verdeutlicht, die der Voraussetzung ausreichender Existenzmittel – die für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts erforderlich sind – zugrunde liegt, verknüpft im Übrigen den Ausdruck der „unangemessenen“ Inanspruchnahme bzw. – wie es in anderen Sprachfassungen heißt – Belastung der Sozialhilfesysteme mit sämtlichen „Aufenthaltsberechtigten“. Diese werden somit gemeinsam betrachtet.

111. Ich teile in dieser Hinsicht die Meinung von Generalanwalt Wahl, soweit er feststellt, dass „[d]er bloße Antrag auf Sozialhilfe … für sich genommen keine unverhältnismäßige Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen eines Mitgliedstaats darstellen und zum Verlust des Aufenthaltsrechts führen [kann]“(39). Es ist nämlich schwer vorstellbar, dass die einem einzigen Antragsteller gewährte Hilfe für einen Mitgliedstaat – und sei er noch so klein – untragbar sein kann. Der Gesetzgeber hatte daher notwendigerweise die eventuelle globale Folge aller einzelnen Anträge vor Augen, als er es den Mitgliedstaaten gestattete, von jedem Antragsteller auf Aufenthalt zu verlangen, dass er nachweist, dass er über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt, um sich länger als drei Monate im Staatsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als dem, dessen Staatsangehöriger er ist, aufzuhalten.

112. Ich habe daher einige Schwierigkeiten, diese Erwägungen mit der in derselben Nummer der Schlussanträge in der Rechtssache Brey entwickelten Idee in Einklang zu bringen, wonach „Vorschriften, die das Aufenthaltsrecht davon abhängig machen, dass Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht in Anspruch genommen werden, und die keine individuelle Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unionsbürgers vorsehen, mit … der Richtlinie [2004/38] nicht vereinbar sind“.

113. Diese Argumentation scheint mir nämlich in eine Sackgasse führen zu können. Die Richtlinie 2004/38 macht das Aufenthaltsrecht von der doppelten objektiven Voraussetzung abhängig, dass ausreichende Existenzmittel und ein umfassender Krankenversicherungsschutz vorhanden sind. Entweder – oder: Entweder verfügt der Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel und kann sich somit im Staatsgebiet des Mitgliedstaats seiner Wahl aufhalten und wird wegen der Tatsache, dass er über ausreichende Existenzmittel verfügt, Sozialhilfeleistungen, deren Gegenstand darin besteht, das Existenzminimum sicherzustellen, nicht in Anspruch nehmen müssen – oder er verfügt nicht über ausreichende Existenzmittel und erfüllt damit theoretisch die Voraussetzungen, um diese Art von Sozialhilfeleistungen zu erhalten, kann sich dann aber in Anbetracht von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 nicht in einem anderen Mitgliedstaat als dem aufhalten, dessen Staatsangehöriger er ist. Die Mitgliedstaaten daran zu hindern, diese Art von Situationen vom Bezug von Sozialhilfe auszuschließen, führt dazu, dass die Voraussetzung ausreichender Existenzmittel bei dem Unionsbürger, der sich einzig und allein mit dem Ziel fortbewegt, Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaats als dem, dessen Staatsangehöriger er ist, zu erhalten, künstlich erfüllt wird.

114. Eine Auslegung der Verordnung Nr. 883/2004 und der Richtlinie 2004/38 in der Linie der Rechtsprechung des Gerichtshofs(40) scheint mir auch zu einer paradoxen Situation im Hinblick auf Art. 24 Abs. 2 dieser Richtlinie führen zu können.

115. Zwar proklamiert Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie den Grundsatz der Gleichbehandlung, Abs. 2 weicht jedoch davon ab, indem er es dem Aufnahmemitgliedstaat ausdrücklich gestattet, Arbeitsuchenden den Anspruch auf Sozialhilfeleistungen abzusprechen.

116. Sollte der Gerichtshof eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende als mit dem Unionsrecht unvereinbar ansehen, kämen wir folglich zu einer Situation, in der sich der Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, der als Unionsbürger sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, ohne sich in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats integrieren zu wollen, in einer günstigeren Lage befände als der Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, der sein Herkunftsland verlassen hat, um sich in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung zu suchen. Dem Zweitgenannten könnte nämlich die Gewährung einer Sozialhilfeleistung auf der Grundlage einer im Einklang mit Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 erlassenen Regelung verweigert werden, während dies bei dem Erstgenannten nur auf der Grundlage einer eingehenden Prüfung seiner persönlichen Situation möglich wäre(41).

117. Ich werde diese Überlegungen zur Kohärenz des mit der Richtlinie 2004/38 eingerichteten Systems damit beenden, dass ich die Idee in den Raum stelle, dass die Gewährung einer Sozialhilfeleistung zwangsläufig auf dem Sozialhilfesystem lastet. Diese Folge ergibt sich nämlich aus der Definition des Sozialhilfesystems selbst, die der Gerichtshof zugrunde legt, der es als „sämtliche von öffentlichen Stellen eingerichteten Hilfssysteme [auffasst], die auf nationaler, regionaler oder örtlicher Ebene bestehen und die ein Einzelner in Anspruch nimmt, der nicht über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung seiner Grundbedürfnisse und derjenigen seiner Familie verfügt und deshalb während seines Aufenthalts möglicherweise die öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats belasten muss, was Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben kann, die dieser Staat gewähren kann“(42).

118. In Anbetracht dieser Erwägungen scheint mir die Regelung eines Mitgliedstaats wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die von einer besonderen beitragsunabhängigen Geldleistung im Sinne der Verordnung Nr. 883/2004 (die außerdem eine Sozialhilfeleistung im Sinne der Richtlinie 2004/38 darstellt) die Personen ausschließt, die sich in das Staatsgebiet dieses Mitgliedstaats nur mit dem Ziel begeben, in den Genuss dieser Maßnahme zu kommen oder eine Beschäftigung zu suchen, weder gegen Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 noch gegen das mit der Richtlinie 2004/38 eingerichtete System zu verstoßen.

119. Sie erlaubt vielmehr, zu verhindern, wie es Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 vorschreibt, dass ein Unionsbürger „Sozialhilfeleistungen … in Anspruch nehmen [muss]“ bzw. eine Belastung für das Sozialhilfesystem wird, weil er nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt, um mit seinen eigenen Mitteln für seinen Lebensunterhalt aufzukommen.

3.      Ist es möglich, die Rechtssache Brey von der vorliegenden Ausgangsrechtssache zu unterscheiden?

120. In der vorliegenden Rechtssache haben sich die Erörterungen auf die Folgen des Urteils Brey konzentriert. Wäre es in Anbetracht der vorhergehenden Überlegungen nicht angebracht, diese beiden Rechtssachen zu unterscheiden?

121. In der Rechtssache Brey machte das österreichische Gesetz die Gewährung der Sozialhilfeleistung von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts abhängig, die, worauf ich bereits hingewiesen habe, jenseits der ersten drei Monate voraussetzt, dass der Betreffende im Aufnahmemitgliedstaat entweder als Arbeitnehmer oder Selbständiger erwerbstätig ist oder über ausreichende Existenzmittel verfügt, um während seines Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen zu müssen, und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt(43).

122. In einem solchen Fall drängte sich in Anbetracht der allgemeinen Systematik der Richtlinie 2004/38 das Erfordernis einer Einzelfallprüfung auf. Es liefe ihr nämlich zuwider, einen automatischen Ausschluss von einer Sozialleistung durch einen allgemeinen und abstrakten Verweis auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts zuzulassen, während Art. 8 dieser Richtlinie es den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Beurteilung dieser Rechtmäßigkeit ausdrücklich verbietet, einen festen Betrag für die Existenzmittel festzulegen, die sie als ausreichend betrachten, sondern sie verpflichtet, die persönliche Situation des Betroffenen zu berücksichtigen, und Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie klarstellt, dass die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen durch einen Unionsbürger nicht automatisch zu einer Ausweisung führen darf.

123. Umgekehrt nehmen § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und § 23 Abs. 3 SGB XII nicht auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Antragstellers Bezug, sondern verweigern Personen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche oder dem Bezug von Sozialhilfe ergibt, die Gewährung von Sozialhilfeleistungen.

124. Die Gewährung der Sozialhilfeleistung ist bei einer solchen Regelung von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Antragstellers im Hinblick auf die Richtlinie 2004/38 unabhängig. Um den Wortlaut des Urteils Grzelczyk(44) aufzugreifen, hängt sie stricto sensu nicht von der Voraussetzung ab, dass er in den „Anwendungsbereich“ der Richtlinie 2004/38 fällt.

125. Diese Unterscheidung scheint mir allerdings wenn nicht künstlich, so doch zumindest schwach. Auch wenn, wie der Vertreter der deutschen Regierung in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, die deutsche Regelung die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts und die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung formal nicht miteinander verknüpft, ist es nämlich wahrscheinlich, dass der Aufenthalt der Kläger des Ausgangsverfahrens prekär würde, falls sie von den Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen würden.

4.      Legitimes Erfordernis einer tatsächlichen Verbindung mit dem Aufnahmemitgliedstaat

126. Eine letzte Prüfung ist meines Erachtens allerdings im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz durchzuführen. Man muss sich nämlich nach dem Verhältnis fragen, das das allgemeine von den deutschen Rechtsvorschriften verwendete Kriterium und das Bestehen einer „tatsächlichen“ Verbindung zwischen den von ihrem Anwendungsbereich erfassten Personen und dem Aufnahmemitgliedstaat miteinander verknüpft.

127. Ich stelle fest, dass der Gerichtshof z. B. im Bereich der Unterhaltskosten für Studierende mehrfach anerkannt hat, dass die Mitgliedstaaten zwar aufgerufen sind, bei der Organisation und Anwendung ihres Sozialhilfesystems eine gewisse finanzielle Solidarität mit den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten zu zeigen, es jedem Mitgliedstaat aber freisteht, darauf zu achten, dass die Gewährung solcher Beihilfen an Studierende aus anderen Mitgliedstaaten nicht zu einer übermäßigen Belastung wird, die Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben könnte, die dieser Staat gewähren kann. Unter diesem Gesichtspunkt war der Gerichtshof der Auffassung, dass es legitim ist, dass ein Mitgliedstaat diese Art von Beihilfen nur den Studierenden gewährt, die nachgewiesen haben, dass sie sich bis zu einem gewissen Grad in die Gesellschaft dieses Staates integriert haben(45).

128. Der Gerichtshof hat einen ähnlichen Standpunkt eingenommen, was Überbrückungsgeld an erstmals arbeitsuchende Schulabgänger oder eine Beihilfe für Arbeitsuchende betrifft. In diesen Fällen hat der Gerichtshof nämlich ebenfalls entschieden, dass es ein legitimes Anliegen des nationalen Gesetzgebers ist, sich einer tatsächlichen Verbindung zwischen demjenigen, der Leistungen beantragt, und dem betroffenen räumlichen Arbeitsmarkt vergewissern zu wollen(46).

129. Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass das Recht der nicht erwerbstätigen Unionsbürger auf Sozialhilfeleistungen im Allgemeinen ein gewisses Erfordernis der Integration in den Aufnahmemitgliedstaat verlangt.

130. Diese legitimen Sorgen spiegeln sich in den oben in Erinnerung gerufenen Erwägungsgründen 10 und 21 der Richtlinie 2004/38 wider, wonach „Personen, die ihr Aufenthaltsrecht ausüben, während ihres ersten Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen [sollten]“ und „es dem Aufnahmemitgliedstaat überlassen bleiben [sollte], zu bestimmen, ob er anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, die diesen Status beibehalten, und ihren Familienangehörigen Sozialhilfe während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder im Falle von Arbeitssuchenden für einen längeren Zeitraum gewährt“.

131. Im vorliegenden Fall fügt sich meines Erachtens die nationale Regelung, indem sie Personen, die einzig und allein mit dem Ziel nach Deutschland kommen, Nutzen aus dem Sozialhilfesystem dieses Mitgliedstaats zu ziehen, und sich in keiner Weise darum bemühen, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, in den Willen des Unionsgesetzgebers ein. Damit kann verhindert werden, dass die Personen, die von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machen, ohne sich integrieren zu wollen, eine Belastung für das Sozialhilfesystem werden. Sie steht außerdem mit dem den Mitgliedstaaten überlassenen Gestaltungsspielraum in diesem Bereich in Einklang. Sie erlaubt es mit anderen Worten, Missbräuche und eine gewisse Form von „Sozialtourismus“ zu verhindern(47).

132. Außerdem hat der Gerichtshof, wenn auch in einem anderen Bereich, entschieden, dass „in der Regel nicht verlangt werden [kann], dass eine Maßnahme … vorschreibt, dass jeder Einzelfall individuell geprüft wird, … da die fragliche Regelung in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht handhabbar bleiben muss“(48). Er hat ferner anerkannt, dass eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts eines Systems der sozialen Sicherheit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen kann, der bestimmte Beschränkungen der Grundfreiheiten rechtfertigen kann(49). Derselbe Gedanke steht auch hinter der den Mitgliedstaaten belassenen Möglichkeit, darauf zu achten, dass die Gewährung von Beihilfen zur Deckung des Unterhalts von Studierenden aus anderen Mitgliedstaaten nicht zu einer übermäßigen Belastung wird, die Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben könnte, die dieser Staat gewähren kann(50).

133. Das vorlegende Gericht übermittelt uns zwar keine genauen Angaben zum Bestehen eines solchen Risikos, es beruft sich jedoch auf die Grenzen der von den Steuerzahlern finanzierten Grundsicherungssysteme – angesichts der auf dem Spiel stehenden Summen, die für Unionsbürger mit einem weitaus niedrigeren durchschnittlichen Einkommen einen Anreiz zur Einwanderung darstellen könnten.

134. Es ist zudem wahrscheinlich, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Inanspruchnahme des Sozialhilfesystems nicht vorübergehend ist, sondern sich auf unbestimmte Zeit verlängert, weil überhaupt nicht nach Arbeit gesucht wird.

135. Im Ergebnis ist das von den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsvorschriften gewählte Kriterium – dass sich der Betroffene in das deutsche Staatsgebiet einzig und allein mit dem Ziel begibt, eine Beschäftigung zu suchen oder Sozialhilfe zu beziehen – geeignet, das Fehlen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Gebiet des Aufnahmemitgliedstaats und einer Integration in diesen darzulegen. Es erlaubt es, die wirtschaftliche Lebensfähigkeit des Systems sicherzustellen und sein finanzielles Gleichgewicht nicht zu gefährden. Die Vorschriften verfolgen daher ein legitimes Ziel im Sinne der angeführten Rechtsprechung.

136. Die gewählte Voraussetzung steht meines Erachtens außerdem im Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitim verfolgten Ziel.

137. Um die Gewährung der Leistungen der Grundsicherung zu verweigern, müssen die Behörden des Mitgliedstaats zwangsläufig in gewissem Maße die persönliche Situation des Antragstellers prüfen, um zu bestimmen, ob er unter die in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II oder § 23 Abs. 3 SGB XII vorgesehene Ausnahme fällt.

138. Der begrenzte Anwendungsbereich dieser Ausnahme beseitigt auch das Risiko einer automatischen Ausweisung nur wegen des Antrags auf eine Sozialhilfeleistung, was eine nach Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 verbotene Maßnahme ist.

139. Daher bin ich nach alledem der Auffassung, dass auf die zweite und die dritte Vorlagefrage zu antworten ist, dass die Verordnung Nr. 883/2004 und die Richtlinie 2004/38 der Entscheidung eines nationalen Gesetzgebers nicht entgegenstehen, die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten auf der Grundlage eines allgemeinen Kriteriums – wie dem Grund der Ankunft im Staatsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats –, das geeignet ist, das Fehlen einer tatsächlichen Verbindung mit diesem Staat nachzuweisen, vom Bezug einer besonderen beitragsunabhängigen Geldleistung auszuschließen, um eine übermäßige Belastung für sein Sozialhilfesystem zu verhindern.

140. Ich weise für alle Fälle noch darauf hin, dass diese Feststellung nicht die Möglichkeit der Mitgliedstaaten berührt, Leistungen wie die von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Grundsicherung vorgesehenen unter günstigeren Bedingungen zu gewähren, wenn sie dies wünschen.

D –    Zur vierten Vorlagefrage

141. Mit seiner vierten und letzten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 1, 20 und 51 der Charta den Mitgliedstaaten auferlegen, Unionsbürgern besondere beitragsunabhängige Geldleistungen zu zahlen, die geeignet sind, einen ständigen Aufenthalt möglich zu machen.

142. Art. 1 der Charta proklamiert die Unverletzlichkeit der Menschenwürde und Art. 20 die Gleichheit vor dem Gesetz.

143. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV das Unionsrecht nur in den Grenzen der der Europäischen Union verliehenen Zuständigkeiten auslegen kann(51).

144. Gemäß ihrem Art. 51 Abs. 1 gilt die Charta „für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“. Zudem werden nach Art. 6 Abs. 1 EUV, der der Charta einen verbindlichen Charakter verleiht, durch die Charta keine neuen Zuständigkeiten für die Union begründet und deren Zuständigkeiten nicht geändert(52).

145. Hier soll, wie der Gerichtshof im Urteil Brey bestätigt hat, Art. 70 der Verordnung Nr. 883/2004, der den Begriff der besonderen beitragsunabhängigen Geldleistung definiert, „als solche[r] nicht die inhaltlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anspruchs auf [solche Leistungen] festlegen. Es ist [vielmehr] Sache der Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats, diese Voraussetzungen festzulegen“(53). Art. 70 Abs. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 enthält nur eine „Kollisionsnorm“(54).

146. Wenn die Mitgliedstaaten für die Festlegung der Voraussetzungen für die Gewährung der besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen zuständig sind, sind sie meines Erachtens auch dafür zuständig, zu definieren, wie weit die mit dieser Art von Leistungen sichergestellte soziale Absicherung geht.

147. Wenn die Mitgliedstaaten die Voraussetzungen und den Umfang von besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen festlegen, setzen sie folglich kein Unionsrecht um.

148.  Daraus folgt, dass die Zuständigkeit des Gerichtshofs zur Beantwortung der vierten Frage nicht gegeben ist.

149. Zudem wird der in Art. 20 der Charta genannte Gleichbehandlungsgrundsatz auch in den Art. 20 AEUV und 21 AEUV genannt. Wie ich bereits in Nr. 90 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, präzisieren die Verordnung Nr. 883/2004 und die Richtlinie 2004/38 den Sinn und die Bedeutung des in diesen Bestimmungen niedergelegten Gleichheitsgrundsatzes.

150. Nach Art. 52 Abs. 2 der Charta erfolgt die Ausübung der durch sie anerkannten Rechte, die in den Verträgen geregelt sind, im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Bedingungen und Grenzen.

151. Da sich die zweite und die dritte Vorlagefrage auf sekundärrechtliche Normen beziehen, die die Bedingungen und Grenzen der von den Art. 20 AEUV und 21 AEUV geschützten Rechte definieren, ist ihre Prüfung meines Erachtens ausreichend, um dem vorlegenden Gericht eine nützliche Antwort zu geben(55).

V –    Ergebnis

152. Angesichts der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Fragen des Sozialgerichts Leipzig wie folgt zu beantworten:

1.      Der persönliche Geltungsbereich von Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 geänderten Fassung ist für Personen eröffnet, die eine besondere beitragsunabhängige Geldleistung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 und Art. 70 dieser Verordnung beanspruchen.

2.      Die Verordnung Nr. 883/2004 in der durch die Verordnung Nr. 988/2009 geänderten Fassung und die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG stehen der Entscheidung des nationalen Gesetzgebers nicht entgegen, die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten auf der Grundlage eines allgemeinen Kriteriums – wie dem Grund der Ankunft im Staatsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats –, das geeignet ist, das Fehlen einer tatsächlichen Verbindung mit diesem Staat nachzuweisen, vom Bezug einer besonderen beitragsunabhängigen Geldleistung auszuschließen, um eine übermäßige Belastung für sein Sozialhilfesystem zu verhindern.

3.      Der Gerichtshof der Europäischen Union ist für die Beantwortung der vierten Vorlagefrage nicht zuständig.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – ABl. L 166, S. 1, und – Berichtigung – L 200, S. 1.


3 –      ABl. L 284, S. 43.


4 – ABl. L 158, S. 77, und – Berichtigung – ABl. L 229, S. 35.


5 – Das vorlegende Gericht weist noch darauf hin, dass Frau Dano wegen Vermögens- und Eigentumsdelikten verurteilt worden ist, im Höchstmaß zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Ich bin allerdings der Auffassung, dass diese Tatsachen keine Auswirkung auf die Antworten haben, die auf die Vorlagefragen zu geben sind.


6 –      C‑22/08 und C‑23/08, EU:C:2009:344.


7 – ABl. L 136, S. 1.


8 – Vgl. in diesem Sinne den dritten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1247/92.


9 – Vgl. unter den zahlreichen Beispielen Urteile Skalka (C‑160/02, EU:C:2004:269, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung) sowie Kommission/Parlament und Rat (C‑299/05, EU:C:2007:608, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).


10 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Skalka (EU:C:2004:269, Rn. 28) und – für ein Anwendungsbeispiel – Urteil Jauch (C‑215/99, EU:C:2001:139, Rn. 33).


11 – Urteile Jauch (EU:C:2001:139, Rn. 21) sowie Skalka (EU:C:2004:269, Rn. 19).


12 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Brey (C‑140/12, EU:C:2013:565, Rn. 36).


13 –      C‑140/12, EU:C:2013:337, Fn. 8. Hervorhebung nur hier.


14 – Gemäß den schriftlichen Erklärungen der deutschen Regierung werden diese Leistungen unabhängig von der vorherigen Ausübung einer Tätigkeit oder der Zahlung von Beiträgen gewährt.


15 – Siehe oben, Nr. 45.


16 – In ein wenig paradoxer Weise kommt die deutsche Regierung zu dem Ergebnis, dass die Leistungen der Grundsicherung zwar Personen ohne Beschäftigung gewährt werden könnten und so a priori die Eigenschaften der in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 genannten Rechtsvorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit aufweisen könnten, es sich aber in Wirklichkeit um besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne von Art. 3 Abs. 3 dieser Verordnung handele.


17 – Urteil Brey (EU:C:2013:565).


18 – Schlussanträge des Generalanwalts Wahl in der Rechtssache Brey (EU:C:2013:337, Nr. 56).


19 – Urteil Brey (EU:C:2013:565, Rn. 58).


20 – Ebd. (Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).


21 – Ebd. (Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).


22 – EU:C:2009:344, Rn. 45.


23 – Schlussanträge in den Rechtssachen Vatsouras und Koupatantze (C‑22/08 und C‑23/08, EU:C:2009:150, Nr. 57).


24 –      EU:C:2009:344.


25 – EU:C:2013:565, Rn. 60.


26 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Brey (EU:C:2013:565, Rn. 61).


27 – Hervorhebung nur hier.


28 – Vgl. in diesem Sinne zu Art. 21 AEUV und Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 Urteil Brey (EU:C:2013:565, Rn. 46 und 47).


29 – Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 verweist auf Art. 14 Abs. 4 Buchst. b dieser Richtlinie, wonach gegen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen keine Ausweisung verfügt werden darf (vorbehaltlich der in Kapitel VI dieser Richtlinie niedergelegten Beschränkungen des Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit), wenn sie in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist sind, um Arbeit zu suchen, und zwar solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden.


30 –      EU:C:2013:337. Hervorhebung nur hier.


31 – Urteil Brey (EU:C:2013:565).


32 – EU:C:2013:337, Nr. 81.


33 – EU:C:2013:565.


34 – C‑184/99, EU:C:2001:458, Rn. 46.


35 – C‑456/02, EU:C:2004:488, Rn. 46. Zwar wurde das Urteil nach dem Erlass der Richtlinie 2004/38 erlassen, der in jener Rechtssache in Rede stehende Sachverhalt und das Vorabentscheidungsersuchen lagen jedoch weit vor ihr.


36 – Das Schrifttum hat sich ebenfalls mit diesem Thema beschäftigt. Zur Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Art. 18 AEUV und 21 AEUV und der Richtlinie 2004/38 hat O. Golynker u. a. geschrieben: „The peculiar consequence of this line of reasoning is that once the construct of lawful residence becomes disjointed from the requirement to meet the conditions to which the right of residence is subject, the conditional nature of the right to residence under Art. [21 TFEU] becomes neutralised by the right to equal treatment under Art. [18 TFEU]. As a result, the coherence of the concept of the right to free movement and residence in Community law is called into question. The Court’s generous interpretation of the right to equal treatment for Union citizens lawfully resident in the territory of another Member State seems to be in conflict with the conditional nature of the right to free movement and residence under Art. [21 TFEU]“ (Golynker, O., „Jobseekers’ rights in the European Union: challenges of changing the paradigm of social solidarity“, European Law Review, 2005, 30 [1], S. 111 bis 122, insbesondere S. 120).


37 – Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38.


38 –      Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 verweist nämlich auf deren Art. 6, der das Recht auf Aufenthalt bis zu drei Monaten regelt.


39 – EU:C:2013:337, Nr. 81, Hervorhebung von Generalanwalt Wahl.


40 –      Hauptsächlich vor dem Erlass der Richtlinie 2004/38.


41 – Zum Verhältnis zwischen Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 und der Rechtsprechung des Gerichtshofs (insbesondere dem Urteil Collins, C‑138/02, EU:C:2004:172), schreibt O. Golynker: „The above provision is not in tune with the ruling in Collins and shows that the generous interpretation by the Court of Justice of the consequences of Union citizenship for social solidarity in general and the rights of jobseekers in particular does not accord with what the Member States assumed when they signed the Maastricht Treaty“ (O. Golynker, a. a. O., S. 119; Hervorhebung nur hier.)


42 – Urteil Brey (EU:C:2013:565, Rn. 61). Hervorhebung nur hier.


43 – Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38.


44 – EU:C:2001:458, Rn. 46.


45 – Vgl. in diesem Sinne Urteile Bidar (C‑209/03, EU:C:2005:169, Rn. 56 und 57) sowie Förster (C‑158/07, EU:C:2008:630, Rn. 48 und 49).


46 – Vgl. in diesem Sinne Urteile Collins (C‑138/02, EU:C:2004:172, Rn. 67) sowie Vatsouras und Koupatantze (EU:C:2009:344, Rn. 38).


47 – „In essence, this requirement of genuine integration is used by Union institutions to manage tension between the right of migrant citizens to transnational solidarity and the power of Member States to shape their social security system and prevent ‘abuses of host law’ in the form of benefit tourism“ (Sayde, A., „One Law, two Competitions: An Enquiry into the Contradictions of Free Movement Law“, Cambridge Yearbook of European Legal Studies, 2010-2011, Band 13, S. 365 ff. insbesondere S. 395).


48 – Urteil Dansk Jurist- og Økonomforbund (C‑546/11, EU:C:2013:603, Rn. 70). Es handelte sich in jenem Fall um eine Regelung über ein Freistellungsgehalt, von dem die Beamten, die das Alter erreicht hatten, das sie zum Bezug einer Altersrente berechtigte, nur aufgrund dieses Umstands ausgeschlossen waren.


49 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Kohll (C‑158/96, EU:C:1998:171, Rn. 41).


50 – Vgl. in diesem Sinne Urteile Bidar (EU:C:2005:169, Rn. 59) sowie Förster (EU:C:2008:630, Rn. 48).


51 – Vgl. in diesem Sinne und unter vielen Beispielen Beschluss Vino (C‑161/11, EU:C:2011:420, Rn. 25 und 37).


52 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 17 und 23).


53 – Urteil Brey (EU:C:2013:565, Rn. 41).


54 – Ebd. (Rn. 39).


55 – Vgl. in diesem Sinne und zur Wirkung der Verankerung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Art. 15 Abs. 2 der Charta und Art. 45 AEUV auf die auf ein Vorabentscheidungsersuchen zu gebende Antwort Urteil Gardella (C‑233/12, EU:C:2013:449, Rn. 39 und 41).