Language of document : ECLI:EU:T:2015:473

Rechtssache T‑677/13

Axa Versicherung AG

gegen

Europäische Kommission

„Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Dokumente betreffend ein Verfahren zur Durchführung der Wettbewerbsregeln – Antrag, der sich auf eine ganze Reihe von Dokumenten bezieht – Verweigerung des Zugangs – Antrag, der sich auf ein einziges Dokument bezieht – Inhaltsverzeichnis – Pflicht zur Vornahme einer konkreten und individuellen Prüfung – Ausnahme zum Schutz der geschäftlichen Interessen eines Dritten – Ausnahme zum Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten – Überwiegendes öffentliches Interesse – Schadensersatzklage – Begründungspflicht“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Dritte Kammer) vom 7. Juli 2015

1.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten – Schutz geschäftlicher Interessen – Anwendung auf Verwaltungsakten im Rahmen von Verfahren zur Kontrolle der Einhaltung der Wettbewerbsregeln – Allgemeine Vermutung, dass der Schutz der in einem solchen Verfahren auf dem Spiel stehenden Interessen durch die Verbreitung bestimmter Dokumente aus diesen Akten beeinträchtigt wird

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 2 erster und dritter Gedankenstrich)

2.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Auf mehrere Ausnahmen gestützte Verweigerung – Zulässigkeit

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4)

3.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Verweigerung des Zugangs – Verpflichtung des Organs zu einer konkreten und individuellen Prüfung der Dokumente – Möglichkeit, sich auf allgemeine Vermutungen zu stützen, die für bestimmte Kategorien von Dokumenten gelten – Grenzen

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 2 und 7)

4.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Umfang – Anwendung auf Verwaltungsakten im Rahmen von Verfahren zur Kontrolle der Einhaltung der Wettbewerbsregeln – Mitteilung an eine Person, die beabsichtigen könnte, auf Schadensersatz wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV zu klagen – Verpflichtung des Antragstellers, die Notwendigkeit des Zugangs zu Dokumenten nachzuweisen – Umfang

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 2)

5.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Verweigerung des Zugangs – Verpflichtung des Organs zu einer konkreten und individuellen Prüfung der Dokumente – Umfang

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4)

6.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Verweigerung des Zugangs – Verpflichtung des Organs zu einer konkreten und individuellen Prüfung der Dokumente – Möglichkeit, sich auf allgemeine Vermutungen zu stützen, die für bestimmte Kategorien von Dokumenten gelten – Rückgriff auf eine allgemeine Vermutung bei einem Antrag, der ein einziges Dokument betrifft – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 2)

7.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten – Anwendung auf Verwaltungsakten im Rahmen von Verfahren zur Kontrolle der Einhaltung der Wettbewerbsregeln – Allgemeine Vermutung, dass der Schutz der in einem Kronzeugenverfahren auf dem Spiel stehenden Interessen durch die Verbreitung bestimmter Dokumente aus diesen Akten beeinträchtigt wird – Grenzen – Verpflichtung zur Abwägung der Gefahr einer Beeinträchtigung der Wirksamkeit des Kronzeugenprogramms und des Schadensersatzanspruchs eines sich durch einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln geschädigt fühlenden Antragstellers

(Art. 101 AEUV und 102 AEUV; Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 2; Mitteilung 2006/C 298/11 der Kommission)

8.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz der Privatsphäre und der Integrität des Einzelnen – Anwendbarkeit der Vorschriften der Verordnung Nr. 45/2001 in vollem Umfang – Verpflichtung des Antragstellers, die Notwendigkeit der Übermittlung der fraglichen personenbezogenen Daten nachzuweisen –Umfang

(Verordnungen des Europäischen Parlaments und des Rates Nr. 45/2001, Art. 8 Buchst. b, und Nr. 1049/2001, Art. 4 Abs. 1 Buchst. b)

9.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz geschäftlicher Interessen – Anwendung auf Informationen in Dokumenten, die fünf Jahre alt oder älter sind – Zulässigkeit

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich)

1.      Dem betreffenden Organ steht es frei, sich zur Rechtfertigung für die Verweigerung des Zugangs zu einem Dokument, dessen Verbreitung nach der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission beantragt wurde, auf allgemeine Vermutungen zu stützen, die für bestimmte Kategorien von Dokumenten gelten, da für Anträge, die Dokumente gleicher Art betreffen, vergleichbare Erwägungen gelten können.

In dem Fall, dass ein Antrag eine ganze Reihe von Dokumenten der Akte eines Verfahrens zur Durchführung der Wettbewerbsregeln betrifft, ist die Kommission daher ohne konkrete und individuelle Prüfung jedes einzelnen Dokuments zu der Annahme berechtigt, dass deren Verbreitung grundsätzlich sowohl den Schutz des Zwecks der Inspektions- und Untersuchungstätigkeiten als auch den Schutz der geschäftlichen Interessen der an diesem Verfahren beteiligten Unternehmen, die in diesen Verfahren in einem engen Zusammenhang stehen, beeinträchtigt. Auf eine Vermutung dieser Art kann weder nur in dem Fall zurückgegriffen werden, dass sich der Antrag auf „die Gesamtheit“ der in der Akte eines Verfahrens zur Durchführung der Wettbewerbsregeln enthaltenen Dokumente bezieht, noch nur in dem Fall, dass er „pauschal und undifferenziert“ eine ganze Reihe von Dokumenten der Akte betrifft. Die Vermutung kann vielmehr auch in einem Fall zur Anwendung gelangen, in dem sich der Antrag auf eine spezifischere Reihe von Dokumenten der Akte bezieht, die durch Bezugnahme auf ihre gemeinsamen Merkmale oder ihre Zugehörigkeit zu einer oder mehreren allgemeinen Kategorien identifiziert werden.

Ferner kann die Kommission auf eine solche allgemeine Vermutung zurückgreifen, solange das fragliche Verfahren nicht als abgeschlossen angesehen werden kann, weil es entweder noch nicht zur Annahme einer Entscheidung geführt hat oder Nichtigkeitsklagen gegen diese Entscheidung erhoben worden und an dem Tag, an dem die Kommission den Antrag auf Zugang zu Dokumenten in der entsprechenden Akte erhält und hierzu Stellung nimmt, noch anhängig sind. Darüber hinaus bedeutet die der Kommission eingeräumte Möglichkeit, auf eine allgemeine Vermutung zurückzugreifen, um einen Zugangsantrag zu behandeln, der sich selbst auf eine Reihe von Dokumenten bezieht, dass die fraglichen Dokumente nicht von der Verpflichtung zur vollständigen oder teilweisen Verbreitung erfasst sind.

(vgl. Rn. 36, 37, 39-42)

2.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 56)

3.      Was einer Entscheidung über die Verweigerung des Zugriffs auf ein Dokument betrifft, dessen Verbreitung gemäß der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission beantragt wurde, schließt der Rückgriff auf eine allgemeine Vermutung nicht die Möglichkeit aus, diese Vermutung für ein bestimmtes Dokument, um dessen Freigabe ersucht wird, zu widerlegen oder ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung des fraglichen Dokuments gemäß Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung nachzuweisen. Hierzu hat der Antragsteller konkret Umstände anzuführen, die die Verbreitung des in Rede stehenden Dokuments rechtfertigen.

Dagegen kann das Erfordernis der Nachprüfung, ob die betreffende allgemeine Vermutung tatsächlich Anwendung findet, nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass das betroffene Organ alle von ihr verlangten Dokumente individuell prüfen müsste. Ein solches Erfordernis nähme der allgemeinen Vermutung ihre praktische Wirksamkeit, nämlich es dem betroffenen Organ zu ermöglichen, auf einen allgemeinen Antrag auch allgemein zu antworten.

Darüber hinaus ist der Umstand, dass die verlangten Dokumente älter als fünf Jahre sind, an sich nicht geeignet, eine allgemeine Vermutung der Nichtverbreitung zu widerlegen, da nach Art. 4 Abs. 7 der Verordnung Nr. 1049/2001 die Ausnahmen in dieser Verordnung für einen Zeitraum von 30 Jahren und erforderlichenfalls noch länger gelten.

(vgl. Rn. 59, 60, 63)

4.      Auch wenn jedermann berechtigt ist, Ersatz des Schadens zu verlangen, der ihm durch einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln der Union entstanden sein soll und ein solches Recht die Durchsetzungskraft dieser Regeln erhöht, da es geeignet ist, der Bildung von Zusammenschlüssen und anderen häufig versteckten Praktiken entgegenzuwirken, die den Wettbewerb beeinträchtigen oder verfälschen können, und damit zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Union beiträgt, können derart allgemeine Erwägungen als solche nicht schwerer wiegen als die Gründe, die eine Verweigerung des Zugangs zu Dokumenten in der Akte eines Verfahrens zur Durchführung der Wettbewerbsregeln rechtfertigen, die damit begründet wird, dass diese Dokumente in ihrer Gesamtheit von der allgemeinen Vermutung erfasst werden, dass durch ihre Verbreitung grundsätzlich u. a. der Schutz des Zwecks von Inspektions- und Untersuchungstätigkeiten beeinträchtigt würde.

Um nämlich eine wirksame Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs zu gewährleisten, muss demjenigen, der zum Zweck der Erhebung einer Schadensersatzklage gemäß der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission Zugang zu einem in der Akte eines solchen Verfahrens enthaltenen Schriftstück verlangt, nicht jedes solche Schriftstück zugänglich gemacht werden, denn es ist wenig wahrscheinlich, dass eine solche Klage auf alle Bestandteile der Akte dieses Verfahrens gestützt werden müsste. Dies gilt auch, wenn derjenige, der Zugang zu Dokumenten dieser Akte beantragt, bereits eine Schadensersatzklage erhoben hat, da es auch dann wenig wahrscheinlich ist, dass diese Klage auf alle Bestandteile der Akte gestützt werden müsste.

Somit obliegt einem jeden, der Schadensersatz wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Union begehrt, der Nachweis, dass für ihn die Notwendigkeit des Zugangs zu dem einen oder anderen Dokument der Kommissionsakte besteht, damit die Kommission die Interessen, die die Übermittlung solcher Dokumente rechtfertigen, gegen die Interessen, die den Schutz dieser Dokumente rechtfertigen, Fall für Fall unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte der Sache abwägen kann. Ist eine solche Notwendigkeit nicht gegeben, kann das Interesse an der Erlangung von Schadensersatz wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Union kein überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 darstellen.

(vgl. Rn. 66-70, 163)

5.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 92, 93)

6.      Es steht einem Organ, bei dem ein Antrag auf Zugang zu Dokumenten gemäß der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission gestellt wird, frei, sich auch dann auf eine allgemeine Vermutung der Verweigerung des Zugangs zu stützen, wenn sich der in Rede stehende Antrag nur auf ein einziges Dokument bezieht. In diesem Fall, in dem mit dem Rückgriff auf eine allgemeine Vermutung nicht ein seinerseits allgemeiner Antrag allgemein behandelt werden soll, muss sich das Organ, das auf die Vermutung zurückgreifen will, vergewissern, ob die allgemeinen Erwägungen, die normalerweise für einen bestimmten Dokumententypus gelten, tatsächlich auf das Dokument Anwendung finden, dessen Verbreitung beantragt wird.

Dies setzte nicht notwendigerweise voraus, dass das betroffene Organ eine konkrete Beurteilung des in Rede stehenden Dokuments vornimmt; auch kann die ihm auferlegte Verpflichtung, sich zu vergewissern, ob die allgemeine Vermutung, auf die es für die Behandlung eines auf eine ganze Reihe von Dokumenten gerichteten Antrags zurückgreifen möchte, tatsächlich Anwendung findet, nicht dahin ausgelegt werden, dass es alle Dokumente, zu denen Zugang bei ihm beantragt wird, individuell prüfen müsste. Es bleibt jedoch notwendig, dass das betroffene Organ seine Zugangsverweigerung tatsächlich und rechtlich hinreichend dadurch begründet, dass es sich auf eine bei vernünftiger Betrachtungsweise absehbare Gefahr der konkreten und tatsächlichen Beeinträchtigung eines oder mehrerer der durch die in Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 aufgeführten Ausnahmen geschützten Interessen beruft.

Darüber hinaus ist das betroffene Organ selbst im Fall des Rückgriffs auf eine allgemeine Vermutung, um einen Zugangsantrag zu behandeln, der auf ein einziges Dokument gerichtet ist, verpflichtet, das von dem Antrag erfasste Dokuments insgesamt oder zu einem Teil zu verbreiten, sollte es feststellen, dass dies aufgrund der Merkmale des entsprechenden Verfahrens möglich ist.

(vgl. Rn. 94, 100, 101, 116)

7.      Was einen Antrag gemäß der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission auf Zugang zu Dokumenten in Bezug auf ein Kronzeugenprogramm betrifft, kann die Kommission im Wesentlichen die Ansicht vertreten, dass durch die Übermittlung der Verweise auf den Schriftverkehr mit Unternehmen, die einen Antrag auf Anwendung der Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen gestellt hätten, die Wirksamkeit ihres Kronzeugenprogramms beeinträchtigt werden könnte, soweit sie dazu führen würde, Dritten sensible geschäftliche Informationen oder in diesen Unterlagen enthaltene vertrauliche Angaben zur Zusammenarbeit der Beteiligten zugänglich zu machen. Die von der Kommission eingeführten Kronzeugenprogramme sind nämlich nützliche Instrumente, um Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln aufzudecken und zu beenden, und dienen damit der wirksamen Anwendung der Art. 101 AEUV und 102 AEUV. Die Wirksamkeit dieser Programme könnte durch die Übermittlung von Dokumenten eines Kronzeugenverfahrens an Personen, die eine Schadensersatzklage erheben wollen, beeinträchtigt werden. Insoweit darf nämlich angenommen werden, dass sich ein an einer wettbewerbsrechtlichen Zuwiderhandlung Beteiligter von der Aussicht auf eine solche Übermittlung davon abhalten lässt, solche Programme zu nutzen.

Solche Erwägungen können zwar eine Verweigerung des Zugangs zu bestimmten Dokumenten in der Akte eines Verfahrens zur Durchführung der Wettbewerbsregeln rechtfertigen, es jedoch nicht verlangen, dass dieser Zugang systematisch verweigert werden kann; denn jeder Antrag auf Einsicht in die fraglichen Dokumente unterliegt einer Einzelfallbeurteilung, bei der alle Gesichtspunkte der Rechtssache berücksichtigt werden müssen. Weil nämlich eine Verweigerung des Zugangs die Erhebung von Schadensersatzklagen bei den nationalen Gerichten verhindern könnte, wodurch sich die betreffenden Unternehmen, denen möglicherweise bereits ein – zumindest teilweiser – Geldbußenerlass gewährt wurde, außerdem ihrer Verpflichtung zum Ersatz der Schäden, die sich aus dem Verstoß gegen Art. 101 AEUV ergeben, zum Nachteil der Geschädigten entziehen könnten, ist zu verlangen, dass diese Verweigerung bei jedem einzelnen Dokument, für das die Einsichtnahme abgelehnt wird, auf zwingende Gründe in Bezug auf den Schutz des geltend gemachten Interesses gestützt ist.

Daher kann die Nichtweitergabe eines bestimmten Schriftstücks nur dann gerechtfertigt sein, wenn Gefahr besteht, dass dieses Schriftstück konkret das öffentliche Interesse an der Wirksamkeit des in Rede stehenden Kronzeugenprogramms beeinträchtigen könnte. Insoweit sind die verschiedenen Interessen, die die Zugänglichmachung oder den Schutz der fraglichen Dokumente rechtfertigen, Fall für Fall gegeneinander abzuwägen. Im Rahmen einer solchen Abwägung sind alle maßgeblichen Gesichtspunkte der Rechtssache, insbesondere das Interesse des Antragstellers an der Einsichtnahme in die Dokumente, deren Übermittlung er zur Substantiierung seiner Schadensersatzklage begehrt, unter Beachtung anderer möglicherweise zu Gebote stehender Möglichkeiten auf der einen Seite und die tatsächlich nachteiligen Auswirkungen, die ein solcher Zugang für das öffentliche Interesse oder die berechtigten Interessen anderer Personen haben könnte, auf der anderen Seite zu berücksichtigen. Diese Erwägungen gelten erst recht, wenn eine Person, die sich für durch wettbewerbswidrige Verhaltensweisen geschädigt hält und bereits eine Schadensersatzklage bei einem nationalen Gericht erhoben hat, bei der Kommission Zugang nicht zu den Kronzeugenunterlagen in der Akte des Verfahrens, das zu dem Beschluss über das Vorliegen dieses Verstoßes geführt hat, sondern nur zu den Verweisen auf diese Unterlagen im Inhaltsverzeichnis der Akte beantragt.

Eine vollständige Verweigerung des Zugangs zu solchen Verweisen, einschließlich ihrer neutralsten oder unbedeutendsten Bestandteile, kann nämlich jede Identifizierung der in dem Inhaltsverzeichnis aufgeführten Kronzeugenunterlagen praktisch unmöglich machen oder zumindest übermäßig erschwerten und den Antragsteller daran hindern, sich auf der Grundlage dieser Bescheide eine Meinung darüber zu bilden, ob diese Dokumente möglicherweise zur Substantiierung ihrer Schadensersatzklage notwendig sind, sowie erst recht, eine solche Notwendigkeit zu begründen. Von der Einhaltung dieser Anforderung sind jedoch nicht nur die Freigabe dieser Dokumente und ihre Vorlage vor Gericht im Rahmen von den bei nationalen Gerichten angestrengten Schadensersatzklagen abhängig, sondern auch die Anerkennung eines überwiegenden öffentlichen Interesses durch die Kommission in dem Fall, dass bei ihr ein Antrag nach der Verordnung Nr. 1049/2001 gestellt wird. Damit kann eine allgemeine und absolute Zugangsverweigerung den Betroffenen praktisch an der effektiven Geltendmachung des ihm nach dem Vertrag zustehenden Schadensersatzanspruchs hindern.

(vgl. Rn. 114, 118, 119, 121-124, 134)

8.      Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, der eine spezifische, verstärkte Schutzregelung für Personen begründet, deren personenbezogene Daten gegebenenfalls veröffentlicht werden könnten, verlangt, dass eine etwaige Beeinträchtigung ihrer Privatsphäre und ihrer Integrität stets insbesondere nach der Verordnung Nr. 45/2001 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr geprüft und beurteilt wird.

Art. 8 Buchst. b der Verordnung Nr. 45/2001 sieht insoweit vor, dass die personenbezogenen Daten an einen Empfänger nur übermittelt werden, wenn dieser die Notwendigkeit der Datenübermittlung nachweist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass die berechtigten Interessen der betroffenen Personen beeinträchtigt werden könnten. Diese Vorschrift gilt für alle Anträge nach der Verordnung Nr. 1049/2001 auf Zugang zu Dokumenten, die personenbezogene Daten enthalten. Wenn die Person, die Zugang zu Dokumenten begehrt, die personenbezogene Daten enthalten, dem betroffenen Organ keine ausdrückliche rechtliche Begründung und kein überzeugendes Argument vorträgt, das geeignet ist, die Notwendigkeit der Übermittlung solcher Daten an sie darzutun, ist das Organ daher nicht in der Lage, die verschiedenen beteiligten Interessen gegeneinander abzuwägen.

(vgl. Rn. 139, 141, 143)

9.      Zwar hat der Umstand, dass Informationen, die ein Geschäftsgeheimnis preisgeben oder einen vertraulichen Charakter aufweisen konnten, mindestens fünf Jahre alt sind, zur Folge, dass sie nicht mehr als aktuell anzusehen sind, wenn nicht ausnahmsweise nachgewiesen wird, dass sie trotzdem noch wesentlicher Bestandteil der geschäftlichen Stellung des betroffenen Unternehmens sind. Ebenso sind die negativen Auswirkungen, die aus der Verbreitung einer sensiblen geschäftlichen Information folgen können, umso weniger bedeutsam, je älter diese ist. Dies schließt jedoch nicht aus, dass solche Informationen noch immer unter die Ausnahme nach Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission fallen können.

(vgl. Rn. 154)