Language of document : ECLI:EU:T:2017:529

Rechtssache T752/14

Combaro SA

gegen

Europäische Kommission

„Zollunion – Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Lettland – Art. 239 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 – Erstattung und Erlass von Einfuhrabgaben – Einfuhr von Leinengewebe aus Lettland – Billigkeitsklausel – Besonderer Fall – Betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit – Beschluss der Kommission, mit dem festgestellt wird, dass der Erlass der Einfuhrabgaben nicht gerechtfertigt ist“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Zweite Kammer) vom 19. Juli 2017

1.      Eigenmittel der Europäischen Union – Erstattung oder Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben – Billigkeitsklausel gemäß Art. 239 des Zollkodex der Gemeinschaften – Voraussetzungen – Vorliegen eines besonderen Falles – Fehlen von Umständen, bei denen eine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt – Kumulativer Charakter

(Verordnung Nr. 2913/92 des Rates, Art. 239; Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission, Art. 905)

2.      Eigenmittel der Europäischen Union – Erstattung oder Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben – Billigkeitsklausel gemäß Art. 239 des Zollkodex der Gemeinschaften – Voraussetzungen – Vorliegen eines besonderen Falles – Begriff – Mangelhafte Kontrolle der ordnungsgemäßen Durchführung des Assoziierungsabkommens EWG–Lettland durch die Kommission – Einbeziehung

(Art. 17 Abs. 1 EUV; Protokoll Nr. 3 zum Assoziierungsabkommen EWG–Lettland, Art. 32 Abs. 3; Verordnung Nr. 2913/92 des Rates, Art. 239)

3.      Eigenmittel der Europäischen Union – Erstattung oder Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben – Billigkeitsklausel gemäß Art. 239 des Zollkodex der Gemeinschaften – Voraussetzungen – Vorliegen eines besonderen Falles – Beurteilungskriterien

(Verordnung Nr. 2913/92 des Rates, Art. 239)

4.      Eigenmittel der Europäischen Union – Erstattung oder Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben – Billigkeitsklausel gemäß Art. 239 des Zollkodex der Gemeinschaften – Voraussetzungen – Fehlen von Umständen, bei denen eine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt – Beweislast

(Verordnung Nr. 2913/92 des Rates, Art. 239)

5.      Eigenmittel der Europäischen Union – Erstattung oder Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben – Billigkeitsklausel gemäß Art. 239 des Zollkodex der Gemeinschaften – Voraussetzungen – Fehlen von Umständen, bei denen eine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt – Begriff der offensichtlichen Fahrlässigkeit – Enge Auslegung – Kriterien

(Verordnung Nr. 2913/92 des Rates, Art. 239)

6.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Heilung eines Begründungsmangels im gerichtlichen Verfahren – Unzulässigkeit

(Art. 296 AEUV)

1.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 39-41)

2.      Die mangelhafte Kontrolle der ordnungsgemäßen Durchführung eines Assoziierungsabkommens seitens der Kommission kann einen besonderen Fall begründen, bei dem weder offensichtliche Fahrlässigkeit noch eine betrügerische Absicht des Beteiligten im Sinne von Art. 239 der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vorliegt. Zwar verfügt die Kommission bei der Anwendung dieser Vorschrift über einen Wertungsspielraum; dies entbindet sie jedoch nicht von ihrer Verpflichtung, zum einen das Interesse der Union an der vollen Beachtung der Zollvorschriften – einerlei, ob es sich um Unionsbestimmungen handelt oder um solche, die die Union binden – und zum anderen das Interesse des gutgläubigen Importeurs daran, keine Nachteile zu erleiden, die über das normale Geschäftsrisiko hinausgehen, tatsächlich gegeneinander abzuwägen. Folglich darf sich die Kommission bei der Prüfung eines Antrags auf Erstattung oder Erlass von Einfuhrabgaben nicht damit begnügen, das Verhalten und die Handlungen des Importeurs und des Exporteurs zu werten. Sie muss im Rahmen ihrer Pflicht zur Überwachung und Kontrolle insbesondere auch die Auswirkungen ihres eigenen Verhaltens auf die konkrete Situation im betreffenden Fall berücksichtigen.

Als Hüterin des Vertrags und der auf seiner Grundlage abgeschlossenen Abkommen ist die Kommission verpflichtet, mit den Mitteln, die ein Abkommen zwischen einem Drittland und der Union oder die auf seiner Grundlage gefassten Beschlüsse vorsehen, dafür Sorge zu tragen, dass das betreffende Land die in dem Abkommen eingegangenen Verpflichtungen erfüllt. Diese Verpflichtung ergibt sich auch aus dem Assoziierungsabkommen sowie den Protokollen zu diesem Abkommen. Insoweit obliegt es der Kommission, umfassend von den Befugnissen Gebrauch zu machen, über die sie aufgrund des Assoziierungsabkommens und der zu seiner Durchführung erlassenen Beschlüsse und Protokolle verfügt, um ihrer Verpflichtung, die ordnungsgemäße Durchführung des Assoziierungsabkommens zu überwachen und zu kontrollieren, nachzukommen. Dies ist erst recht geboten, wenn es Indizien dafür gibt, dass die nationalen Zollbehörden an der Ausstellung der Warenverkehrsbescheinigungen, die die Herkunft der Waren ausweisen, mitgewirkt haben. Unter solchen Umständen obliegt es der Kommission, zur Aufklärung des Sachverhalts genauere Auskünfte zu den von den betreffenden nationalen Behörden durchgeführten Untersuchungen einzuholen.

Die der Kommission obliegende Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass das Assoziierungsabkommen ordnungsgemäß durchgeführt wird, erfordert, dass die Kommission und über sie die Zollbehörden der Mitgliedstaaten jederzeit über alle Angaben verfügen, die ihnen eine wirksame Kontrolle ermöglichen; Muster der in den betreffenden Zollämtern verwendeten Stempel und Unterschriften stellen unbestreitbar solche Angaben dar. Insoweit geht aus Art. 32 Abs. 3 des Protokolls Nr. 3 zum Assoziierungsabkommen in der Fassung des Beschlusses Nr. 4/98 des Assoziationsrates zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Republik Lettland hervor, dass die Zollbehörden des Ausfuhrlandes berechtigt sind, die Vorlage von Beweismitteln zu verlangen und jede Art von Überprüfung der Buchführung des Ausführers oder sonstige von ihnen für zweckdienlich erachtete Kontrollen durchzuführen. Demnach muss die Kommission, wenn ihr entsprechende Informationen seitens der betreffenden Zollbehörden fehlen, insbesondere wenn eine Prüfung der Stempelabdrücke und Unterschriften nicht möglich ist, diese Behörden fragen, ob solche Kontrollen durchgeführt wurden, und, wenn nein, warum nicht.

Folglich verletzt die Kommission ihre Pflicht, die ordnungsgemäße Durchführung des Assoziierungsabkommens zu überwachen und zu kontrollieren, soweit, wenn sie von den Befugnissen, über die sie im Rahmen des Assoziierungsabkommens im Hinblick auf dessen ordnungsgemäße Durchführung verfügt, umfassend Gebrauch gemacht hätte, die Echtheit oder Unechtheit der Warenverkehrsbescheinigungen mit größerer Sicherheit hätte festgestellt werden können.

(vgl. Rn. 43-45, 67, 68, 74, 75, 77, 80, 81, 83, 85)

3.      Bei der Prüfung, ob Pflichtverletzungen der Behörden von Drittstaaten und der Kommission vorliegen, die besondere Fälle im Sinne von Art. 239 der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften darstellen könnten, ist in jedem Einzelfall die tatsächliche Natur der diesen Behörden und der Kommission jeweils durch die anwendbare Regelung auferlegten Pflichten zu untersuchen.

(vgl. Rn. 48)

4.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 100)

5.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 102)

6.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 110)