Language of document : ECLI:EU:T:2013:423

Rechtssache T‑566/08

Total Raffinage Marketing

gegen

Europäische Kommission

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für Paraffinwachse − Markt für Gatsch − Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird − Festsetzung der Preise und Aufteilung der Märkte − Nachweis des Bestehens des Kartells − Begriff der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung − Dauer der Zuwiderhandlung − Unterbrechung der Zuwiderhandlung − Leitlinien von 2006 über die Festsetzung von Geldbußen – Gleichbehandlung – Unschuldsvermutung − Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung − Haftung einer Muttergesellschaft für die von ihren Tochtergesellschaften begangenen Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln − Bestimmender Einfluss der Muttergesellschaft − Vermutung im Fall einer 100%igen Beteiligung – Verhältnismäßigkeit – Rundungsmethode − Unbeschränkte Ermessensnachprüfung“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Vierte Kammer) vom 13. September 2013

1.      Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Begriff – Willensübereinstimmung bezüglich des künftigen Marktverhaltens – Preisabsprache – Einbeziehung – Voraussetzungen – Abweichendes Verhalten eines oder mehrerer Beteiligter – Keine Auswirkung – Beweis der Nichtumsetzung eines Kartells durch einen Beteiligten – Öffentliche Distanzierung

(Art. 81 Abs. 1 EG)

2.      Kartelle – Abgestimmte Verhaltensweise – Begriff – Mit der Pflicht jedes Unternehmens, sein Marktverhalten autonom zu bestimmen, unvereinbare Koordinierung und Zusammenarbeit – Informationsaustausch unter Wettbewerbern – Vermutung, dass die Informationen verwendet werden, um das Marktverhalten zu bestimmen – Voraussetzungen

(Art. 81 Abs. 1 EG)

3.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Beweis – Nachweis durch eine Reihe einzelner Ausprägungen der Zuwiderhandlung – Zulässigkeit – Rückgriff auf ein Indizienbündel – Bei jedem einzelnen Indiz erforderlicher Grad der Beweiskraft – Nachweis durch Urkunden – Kriterien – Glaubhaftigkeit der Beweismittel – Beweispflichten der Unternehmen, die das Vorliegen der Zuwiderhandlung bestreiten

(Art. 81 Abs. 1 EG)

4.      Unionsrecht – Grundsätze – Grundrechte – Unschuldsvermutung – Verfahren in Wettbewerbssachen – Anwendbarkeit – Umfang – Folgen

(Art. 81 Abs. 1 EG)

5.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Beweislast der Kommission für die Zuwiderhandlung und ihre Dauer – Beweiskraft freiwilliger Angaben, mit denen die Hauptteilnehmer an einem Kartell ein Unternehmen belasten, um in den Genuss der Mitteilung über die Zusammenarbeit zu gelangen – Den Interessen des genannten Unternehmens zuwiderlaufende Erklärungen – Hoher Beweiswert

(Art. 81 Abs. 1 EG; Mitteilung 2002/C 45/03 der Kommission)

6.      Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Beweis – Antwort eines Unternehmens auf ein Auskunftsverlangen der Kommission – Erklärung eines Unternehmens, die von anderen Unternehmen bestritten wird – Pflicht, einen derartigen Beweis durch weitere zuverlässige Beweise zu ergänzen

(Art. 81 EG)

7.      Kartelle – Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die eine einheitliche Zuwiderhandlung darstellen – Beteiligung eines Unternehmens an einem Gesamtkartell – Beurteilungskriterien – Keine direkte Beteiligung – Keine Auswirkung

(Art. 81 EG)

8.      Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Begriff – Teilnahme an Zusammenkünften mit wettbewerbswidrigem Zweck – Einbeziehung – Voraussetzung – Fehlen einer Distanzierung von den getroffenen Beschlüssen – Beurteilungskriterien

(Art. 81 Abs. 1 EG)

9.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Beurteilung der Anforderungen an die Begründungspflicht anhand der jeweiligen Umstände

(Art. 253 EG)

10.    Gerichtliches Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Kurze Darstellung der Klagegründe – Pauschale Verweisung auf andere, der Klageschrift als Anlage beigefügte Schriftstücke – Unzulässigkeit – Vorbringen neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens – Angriffsmittel, das erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen wird – Unzulässigkeit

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 44 § 1 Buchst. c und Art. 48 § 2)

11.    Kartelle – Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die eine einheitliche Zuwiderhandlung darstellen – Begriff – Kriterien – Einheitliches Ziel und Gesamtplan – Querverbindungen zwischen den Vereinbarungen – Vertikale Verbindung zwischen den betroffenen Märkten und erhebliche Übereinstimmung der Teilnehmer

(Art. 81 Abs. 1 EG)

12.    Kartelle – Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die eine einheitliche Zuwiderhandlung darstellen – Begriff – Mangelnde Übereinstimmung der Teilnehmer an den einzelnen Teilen der Zuwiderhandlung – Unterschiedliche Dauer der einzelnen Teile der Zuwiderhandlung – Keine Auswirkung

(Art. 81 Abs. 1 EG)

13.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Zulässige Beweismittel – Konzentration der Ermittlungen auf bestimmte Aspekte der wettbewerbswidrigen Praktiken – Umstand, der die Kommission nicht hindert, sämtliche ihr im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung zur Verfügung stehenden Beweismittel zu verwenden

(Art. 81 Abs. 1 EG)

14.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Berücksichtigter Umsatz – Referenzjahr – Letztes vollständiges Jahr der Zuwiderhandlung – Außerordentlicher Charakter derselben im Hinblick auf bestimmte Teilnehmer – Gleichartige Berücksichtigung eines längeren Zeitraums bei allen Teilnehmern – Zulässigkeit – Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung – Fehlen – Beurteilungsfehler – Fehlen

(Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 13)

15.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung – Von mehreren Unternehmen begangene Zuwiderhandlung – Relative Schwere der Beteiligung jedes von ihnen – Anwendung eines Multiplikators – Beurteilung – Keine Möglichkeit für ein Unternehmen, sich auf den Grundsatz der Gleichbehandlung zu berufen, um einen rechtswidrigen Nachlass zu erhalten

(Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 20 und 21)

16.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Bemessung – Ermessen der Kommission – Automatische Einbeziehung eines zusätzlichen Betrags gemäß den Leitlinien zur Festsetzung von Geldbußen – Verstoß gegen den Grundsatz der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen – Fehlen – Berücksichtigung des Ziels der Generalprävention – Zulässigkeit – Berücksichtigung des Ziels der Abschreckung in den verschiedenen Stufen des Prozesses der Bemessung der Höhe der Geldbuße – Zulässigkeit

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 25)

17.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Dauer der Zuwiderhandlung – Abschreckungswirkung der Geldbuße – Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Verpflichtung, die Höhe der Geldbuße im Verhältnis zum Jahresumsatz auf den betroffenen Märkten festzusetzen – Fehlen

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3)

18.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Gesamtumsatz des betroffenen Unternehmens – Mit den Waren, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, erzielter Umsatz – Jeweilige Berücksichtigung – Grenzen – Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Verpflichtung der Kommission, sich an ihre frühere Entscheidungspraxis zu halten – Fehlen

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 30)

19.    Wettbewerb – Vorschriften der Union – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Wirtschaftliche Einheit – Beurteilungskriterien – Vermutung, dass die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf Tochtergesellschaften ausübt, deren Anteile sie zu 100 % hält – Widerlegbare Vermutung – Verstoß gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung – Fehlen – Verstoß gegen den Grundsatz der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen – Fehlen

(Art. 81 Abs. 1 EG)

20.    Wettbewerb – Vorschriften der Union – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Wirtschaftliche Einheit – Beurteilungskriterien – Vermutung, dass die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf Tochtergesellschaften ausübt, deren Anteile sie zu 100 % hält – Beweisrechtliche Obliegenheiten der Gesellschaft, die diese Vermutung widerlegen will – Für eine Widerlegung der Vermutung unzureichende Erkenntnisse

(Art. 81 Abs. 1 EG)

21.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Bemessung – Ermessen der Kommission – Gerichtliche Nachprüfung – Befugnis des Unionsrichters zu unbeschränkter Nachprüfung – Umfang – Berücksichtigung der Leitlinien zur Festsetzung von Geldbußen – Grenzen – Wahrung der allgemeinen Rechtsgrundsätze – Berechnung der Dauer der Beteiligung an der Zuwiderhandlung – Rundung der Zahl der Monate der Beteiligung – Betrag, der nicht die tatsächliche Dauer der Beteiligung zum Ausdruck bringt – Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit

(Art. 81 Abs. 1 EG und 226 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 24)

22.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Ermessen der Kommission – Gerichtliche Nachprüfung – Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung – Wirkung

(Art. 229 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 31)

23.    Gerichtliches Verfahren – Kosten – Tragung – Klageschrift, deren Seitenzahl über die für Schriftsätze geltende Obergrenze hinausgeht – Beurteilung

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 87 § 3; Praktische Anweisungen für die Parteien Nr. 15)

1.      Eine Vereinbarung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG liegt schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Vom Abschluss einer Vereinbarung im Sinne dieser Vorschrift kann ausgegangen werden, wenn hinsichtlich der Wettbewerbsbeschränkung als solcher ein übereinstimmender Wille vorliegt, selbst wenn die einzelnen Bestandteile der beabsichtigten Beschränkung noch Gegenstand von Verhandlungen sind.

Insbesondere ist eine Vereinbarung über die Beibehaltung der Preise auch eine Preisabsprache, denn es liegt ein übereinstimmender Wille der Beteiligten vor, ein von ihnen gemeinsam festgelegtes Preisniveau anzuwenden. Dies bedeutet nicht, dass alle Beteiligten tatsächlich einen einheitlichen Preis anwenden. Das gemeinsame Ziel, sich über das Preisniveau zu einigen, ist nämlich bereits eine Vereinbarung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG, wenn hinsichtlich einer Wettbewerbsbeschränkung eine grundsätzliche Willensübereinstimmung besteht. Außerdem genügt bereits der Umstand, dass die Unternehmen die vereinbarten Preiserhöhungen tatsächlich angekündigt und dass die angekündigten Preise als Grundlage für die Bestimmung der individuellen tatsächlichen Verkaufspreise gedient haben, für die Feststellung, dass die Preisabsprache eine schwere Wettbewerbsbeschränkung sowohl bezweckt als auch bewirkt hat. Die Kommission ist in einem solchen Fall nicht verpflichtet, das Vorbringen der Parteien – und insbesondere eine von ihnen vorgelegte wirtschaftliche Analyse –, womit sie nachzuweisen versuchen, dass die fraglichen Vereinbarungen keine Erhöhung der Preise bewirkt haben, die über das Maß hinausgeht, das unter normalen Wettbewerbsbedingungen erreicht worden wäre, im Einzelnen zu prüfen und Punkt für Punkt zu beantworten.

Im Übrigen entfällt ein Verstoß nicht durch die bloße Tatsache, dass sich einige Teilnehmer nicht an die Absprache halten oder andere Teilnehmer täuschen. Ein Unternehmen, das trotz der Absprache mit seinen Konkurrenten eine mehr oder weniger unabhängige Marktpolitik verfolgt, versucht nämlich möglicherweise nur, das Kartell zu seinem Vorteil auszunutzen. Sporadische und vereinzelte Fälle einer Täuschung oder Nichtanwendung des Kartells durch einen bestimmten Teilnehmer, insbesondere bei einer Absprache von langer Dauer, sind nämlich als solche nicht geeignet, zu beweisen, dass dieser Teilnehmer das Kartell nicht angewandt oder sich wettbewerbskonform verhalten hat. In dieser Hinsicht kann nur dann auf eine endgültige Beendigung der Zugehörigkeit eines Unternehmens zum Kartell geschlossen werden, wenn es sich öffentlich vom Inhalt dieser Absprache distanziert hat.

(vgl. Randnrn. 30-32, 89, 99, 147, 184, 236, 238, 243, 254, 372)

2.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 33, 34, 154, 187, 188, 255, 256)

3.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 33-35, 39-48, 79-83, 177, 201, 214, 224-226, 323)

4.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 36-38)

5.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 63-71, 322)

6.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 73, 74)

7.      Ein Unternehmen kann für ein Gesamtkartell zur Verantwortung gezogen werden, auch wenn es nachweislich nur an einem oder mehreren Bestandteilen dieses Kartells unmittelbar mitgewirkt hat, sofern es zum einen wusste oder zwangsläufig wissen musste, dass die Absprache, an der es insbesondere durch die Teilnahme an regelmäßig über mehrere Jahre stattfindenden Zusammenkünften beteiligt war, Teil eines auf die Verfälschung des normalen Wettbewerbs gerichteten Gesamtsystems war, und dieses System sich zum anderen auf sämtliche Bestandteile des Kartells erstreckte.

(vgl. Randnrn. 108, 187)

8.      Ein Verstoß gegen Art. 81 EG liegt vor, wenn die Zusammenkünfte konkurrierender Unternehmen die Einschränkung, Verhinderung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken und damit der künstlichen Regulierung des Marktes dienen. In einem solchen Fall genügt es zum Nachweis der Teilnahme eines Unternehmens am Kartell, wenn die Kommission dartut, dass das Unternehmen an Treffen teilnahm, bei denen wettbewerbswidrige Vereinbarungen geschlossen wurden. Ist die Teilnahme an solchen Zusammenkünften erwiesen, obliegt es dem fraglichen Unternehmen, Indizien vorzutragen, die zum Beweis seiner fehlenden wettbewerbswidrigen Einstellung bei der Teilnahme an den Zusammenkünften geeignet sind, und nachzuweisen, dass es seine Wettbewerber darauf hingewiesen hatte, dass es mit einer anderen Zielsetzung als sie an den Zusammenkünften teilnahm. Diese Regel beruht auf der Erwägung, dass das Unternehmen, indem es an dem fraglichen Treffen teilnahm, ohne sich offen von dessen Inhalt zu distanzieren, den anderen Teilnehmern Anlass zu der Annahme gab, dass es dem Ergebnis des Treffens zustimme und sich daran halten werde.

(vgl. Randnrn. 156, 157, 184, 242-244, 254, 372-374, 384, 387, 388)

9.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 239, 447)

10.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 247, 536)

11.    Der in Art. 81 EG enthaltene Begriff der einheitlichen Zuwiderhandlung setzt eine Reihe von Verhaltensweisen auf Seiten mehrerer Parteien voraus, die dasselbe wettbewerbswidrige Ziel verfolgen. Für das Vorliegen einer einheitlichen Zuwiderhandlung ist entscheidend, dass sich die verschiedenen Handlungen wegen ihres identischen Zwecks der Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes in einen „Gesamtplan“ einfügen. In diesem Zusammenhang können bei der Beurteilung der Einheitlichkeit der Zuwiderhandlung und des Bestehens eines Gesamtplans die zumindest teilweise Übereinstimmung der beteiligten Unternehmen und die Tatsache, dass diese sich der Beteiligung am gemeinsamen Zweck des rechtswidrigen Verhaltens bewusst waren, berücksichtigt werden.

Außerdem ist bei der Einstufung verschiedener Handlungen als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zu prüfen, ob zwischen ihnen insofern eine Querverbindung besteht, als jede von ihnen eine oder mehrere Folgen des normalen Wettbewerbs beseitigen soll und durch Interaktion zur Verwirklichung aller wettbewerbswidrigen Wirkungen beiträgt, die ihre Urheber im Rahmen eines auf ein einziges Ziel gerichteten Gesamtplans anstreben.

Selbst wenn sich die wettbewerbswidrigen Praktiken auf zwei separate Produktmärkte beziehen, kann die Kommission auf das Vorliegen einer einheitlichen Zuwiderhandlung schließen, sofern sich die Handlungen, die verschiedene Märkte betreffen, in einen Gesamtplan fügen, dessen sich die Beteiligten bewusst sind. Das gilt insbesondere für vertikal verbundene Märkte, da die über Rohstoffe getroffene Vereinbarung die Hauptvereinbarung über Derivate unterstützen soll. Die künstlichen Preissteigerungen bei den Rohstoffen können daher die Durchführung von Preiserhöhungen bei den Derivaten fördern, was auf das Bestehen einer Querverbindung zwischen den beiden Teilen einer einheitlichen Zuwiderhandlung schließen lässt, trotz der Tatsache, dass sich die den Rohstoff betreffenden wettbewerbswidrigen Praktiken auf das Gebiet eines einzigen Mitgliedstaats beschränkt haben, wenn feststeht, dass sich der die Derivate betreffende Teil der Zuwiderhandlung auf den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum erstreckt hat.

(vgl. Randnrn. 265-267, 271, 272, 281, 283, 303, 312)

12.    Die Beurteilung eines Verstoßes gegen Art. 81 Abs. 1 EG als eine einzige, fortlaufende Zuwiderhandlung ist nicht von vornherein dadurch ausgeschlossen, dass die Teilnehmer der wettbewerbswidrigen Praktiken nicht übereinstimmen und die genannten Handlungen verschiedene Märkte betreffen. Bei einer solchen Beurteilung ist das Ausmaß der Überschneidung der an den genannten Praktiken beteiligten Unternehmen zu berücksichtigen. Wenn diejenigen, die an Praktiken beteiligt sind, die einen bestimmten Markt betreffen, auch an Praktiken mitwirken, die ein mit diesem erstgenannten Markt vertikal verbundenes Produkt betreffen, schließt das völlige Fehlen einer Übereinstimmung der an den beiden Teilen der Zuwiderhandlung Beteiligten eine Qualifizierung als einheitliche Zuwiderhandlung nicht aus.

Soweit sich die die beiden verschiedenen Produkte betreffenden Praktiken in ein und denselben Gesamtplan fügen, wird diese Schlussfolgerung auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass diese Praktiken von unterschiedlicher Dauer waren.

(vgl. Randnrn. 296-300, 306-309)

13.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnr. 339)

14.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 409-419)

15.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 431-435)

16.    Aus dem Wortlaut und der Systematik der Leitlinien zur Festsetzung von nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 verhängten Geldbußen ergibt sich eindeutig, dass sich die Kommission bei der Bemessung der Geldbuße zum einen auf Faktoren stützt, bei denen auf alle Beteiligten derselbe Satz zur Anwendung kommt. Dies bringt zum Ausdruck, dass diese Unternehmen an denselben rechtswidrigen Praktiken beteiligt waren, und die Kommission achtet somit den Grundsatz der Gleichbehandlung. Zum anderen stützt sie sich auf Faktoren mit einem Satz, bei dem der Koeffizient unter Berücksichtigung der besonderen Situation jedes einzelnen Teilnehmers angepasst wird, um so dem Grundsatz der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen Rechnung zu tragen. Für die Einhaltung des Grundsatzes der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen genügt es daher, wenn der Endbetrag der Geldbuße die unterschiedliche Situation der einzelnen Beteiligten zum Ausdruck bringt, wobei es nicht erforderlich ist, dass die Kommission für diese Beteiligten in jedem Abschnitt der Bemessung der Geldbuße eine differenzierte Behandlung vornimmt.

Im Übrigen ergibt sich aus dem Wortlaut und der Systematik der genannten Leitlinien, dass die in Nr. 25 derselben enthaltene Regelung, in den Grundbetrag der Geldbuße einen zusätzlichen Betrag als abschreckende Wirkung einzubeziehen, die Teilnahme an den gravierendsten wettbewerbswidrigen Praktiken zum Ausdruck bringt. Der aus diesem Grund hinzugefügte zusätzliche Betrag bezieht sich auf die Merkmale der Praktiken sämtlicher Beteiligten und nicht auf die individuelle Situation jedes Einzelnen. Der genannte Grundsatz steht deshalb der Rechtmäßigkeit dieser Vorschrift und ihrer Anwendung nicht entgegen.

Im Übrigen beschränkt sich die abschreckende Wirkung der Geldbuße nicht bloß darauf, das fragliche Unternehmen von einer Wiederholung der Tat abzuhalten. Die Kommission ist befugt, Geldbußen zum Zweck ihrer generalpräventiven Wirkung heraufzusetzen. Deshalb kann sich ein Kläger nicht wirksam darauf berufen, dass er auf dem fraglichen Markt nicht mehr präsent ist und dass sein Verhaltenskodex die Einhaltung der Wettbewerbsregeln vorsieht. Die Abschreckungserfordernisse sind schließlich nicht Gegenstand einer punktuellen Beurteilung, die während eines bestimmten Abschnitts der Berechnung der Geldbuße vorzunehmen ist, sondern müssen dem gesamten Prozess der Bemessung der Geldbuße zugrunde liegen.

(vgl. Randnrn. 453-456, 460, 461, 463, 464)

17.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 466-473)

18.    Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße können sowohl der Gesamtumsatz des Unternehmens, der – wenn auch nur annähernd und unvollständig – etwas über dessen Größe und Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Teil dieses Umsatzes berücksichtigt werden, der mit den Waren erzielt wurde, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, und der somit einen Anhaltspunkt für das Ausmaß dieser Zuwiderhandlung liefern kann. Weder dem einen noch dem anderen dieser Umsätze darf eine im Verhältnis zu den anderen Faktoren der Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung übermäßige Bedeutung zugemessen werden, und folglich kann die Festsetzung einer angemessenen Geldbuße nicht das Ergebnis eines bloßen, auf den Gesamtumsatz gestützten Rechenvorgangs sein. Das gilt insbesondere dann, wenn die betroffenen Waren nur einen geringen Teil dieses Umsatzes ausmachen. Schließlich enthält das Unionsrecht keinen allgemein anwendbaren Grundsatz, wonach die Sanktion in angemessenem Verhältnis zur Bedeutung des Unternehmens auf dem Markt für die Erzeugnisse, die Gegenstand der Zuwiderhandlung sind, stehen müsste.

(vgl. Randnrn. 475, 477, 478, 481, 482)

19.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 487-508)

20.    Was die Vermutung angeht, dass eine Muttergesellschaft auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft, deren Kapital sie zu 100 % hält, einen bestimmenden Einfluss ausübt, beweist der Umstand, dass eine Tochtergesellschaft ihre eigene örtliche Geschäftsleitung hat und über eigene Mittel verfügt, für sich genommen nicht, dass sie ihr Marktverhalten gegenüber ihrer Muttergesellschaft eigenständig bestimmt. Im Fall einer 100%igen oder fast 100%igen Beteiligung am Kapital einer in einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln der Union direkt verwickelten Tochtergesellschaft sind die Beweise, die im Hinblick auf die Aufgabenverteilung zwischen den Tochtergesellschaften und ihren Muttergesellschaften vorgebracht wurden, und insbesondere die Tatsache, dass die Geschäftsleitung einer 100%igen Tochtergesellschaft übertragen wurde, was eine gängige Praxis großer Unternehmen ist, die aus einer Vielzahl von Tochtergesellschaften bestehen, die letztlich von derselben Konzernobergesellschaft gehalten werden, nicht geeignet, die Vermutung, dass die Muttergesellschaft und die Konzernobergesellschaft tatsächlich bestimmenden Einfluss auf das Verhalten der Tochtergesellschaft ausgeübt haben, zu widerlegen.

Ebenso weist auch der Umstand, dass sich die Muttergesellschaft mit Dingen befasst – wie z. B. der Personalpolitik, den konsolidierten Abschlüssen, der Festlegung der Steuerpolitik des Konzerns und einigen anderen horizontalen operationellen Aufgaben wie dem Geheimschutz in der Wirtschaft, Umweltangelegenheiten, der Mittelverwaltung unter ethischen Gesichtspunkten und Finanzgeschäften –, die der Tochtergesellschaft für den gesamten Konzern obliegen, darauf hin, dass die Tochtergesellschaft im Rahmen des Konzerns keine vollständige organisatorische Eigenständigkeit besitzt.

Der Umstand schließlich, dass der von der Zuwiderhandlung betroffene Bereich oder die von ihr betroffene Tätigkeit nur einen geringen Prozentsatz sämtlicher Tätigkeiten des Konzerns oder der Muttergesellschaft ausmacht, kann nicht die Eigenständigkeit der genannten Tochtergesellschaft gegenüber ihrer Muttergesellschaft beweisen und ist daher für die Vermutung, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf die Tochtergesellschaft ausübt, unerheblich.

(vgl. Randnrn. 518-520, 522)

21.    Hinsichtlich der Bemessung von Geldbußen wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln ist die sich aus dem Erlass der Leitlinien zur Festsetzung von Geldbußen nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 ergebende Selbstbeschränkung des Ermessens der Kommission nicht unvereinbar mit dem Fortbestand eines erheblichen Ermessens der Kommission. Bei der Ausübung dieses Ermessens ist die Kommission jedoch an die allgemeinen Rechtsgrundsätze, insbesondere an die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit, gebunden. Außerdem lassen das Ermessen der Kommission und die Grenzen, die sie diesem Ermessen in ihren Leitlinien gesetzt hat, die Ausübung der Befugnis des Unionsrichters zu unbeschränkter Nachprüfung grundsätzlich unberührt.

In dieser Hinsicht verstößt die Kommission gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn sie einem Unternehmen für eine beträchtliche Anzahl von Tagen, für die eine Beteiligung am Verstoß nicht erwiesen ist, die Verantwortung gibt, denn die Höhe der so berechneten Geldbuße bringt die Dauer des Verstoßes nicht in angemessener Weise zum Ausdruck.

Außerdem verstößt die Kommission gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, und zwar ohne objektive Rechtfertigung, wenn sie einem solchen Unternehmen im Rahmen seiner Beteiligung an einem derartigen Verstoß eine Zeit der Beteiligung anlastet, für die diesem Unternehmen keinerlei rechtswidriges Verhalten nachgewiesen wurde, obwohl im Rahmen der Bemessung der Geldbuße anderen Unternehmen, die in dieselbe Zuwiderhandlung verwickelt waren, der effektiven Beteiligungsdauer eine wesentlich geringere Zeit hinzugerechnet wurde.

(vgl. Randnrn. 543-545, 548, 551, 553, 554, 559, 560)

22.    Die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der Kommission wird durch die dem Unionsrichter durch Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 gemäß Art. 229 EG eingeräumte Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ergänzt. Diese Befugnis ermächtigt den Richter über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Zwangsmaßnahme hinaus dazu, die Beurteilung der Kommission durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen und demgemäß die verhängte Geldbuße oder das verhängte Zwangsgeld aufzuheben, herabzusetzen oder zu erhöhen. Allerdings entspricht die Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung nicht einer Prüfung von Amts wegen, und das Verfahren vor den Gerichten der Union ist ein streitiges Verfahren.

(vgl. Randnrn. 562, 564)

23.    Hinsichtlich der Verteilung der Kosten durch das Gericht sind in einem Fall, in dem jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, die Zahl der Klagegründe, denen gefolgt wurde, und der Umfang der Klageschrift zu berücksichtigen. In einem Fall, in dem von elf Klagegründen der Klägerin einem einzigen Klagegrund gefolgt wurde und der Umfang der Klageschrift die für die Länge der Schriftsätze geltende Obergrenze um 40 % überschreitet, erscheint es daher bei angemessener Würdigung der konkreten Umstände geboten, der Klägerin neun Zehntel ihrer eigenen Kosten und neun Zehntel der Kosten der Kommission aufzuerlegen.

(vgl. Randnrn. 569, 570)