Language of document : ECLI:EU:C:2020:957

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

25. November 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2011/98/EU – Rechte von Arbeitnehmern aus Drittländern, die Inhaber einer kombinierten Erlaubnis sind – Art. 12 – Recht auf Gleichbehandlung – Soziale Sicherheit – Regelung eines Mitgliedstaats, die für die Bestimmung des Anspruchs auf eine Familienleistung die sich nicht im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats aufhaltenden Familienangehörigen des Inhabers einer kombinierten Erlaubnis unberücksichtigt lässt“

In der Rechtssache C‑302/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 5. Februar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 11. April 2019, in dem Verfahren

Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS)

gegen

WS

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter M. Ilešič, E. Juhász, C. Lycourgos und I. Jarukaitis (Berichterstatter),

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Februar 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        des Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS), vertreten durch A. Coretti, V. Stumpo und M. Sferrazza, avvocati,

–        von WS, vertreten durch A. Guariso und L. Neri, avvocati,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von D. Del Gaizo, P. Gentili und A. Giordano, avvocati dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga, A. Azéma und B.‑R. Killmann als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Juni 2020

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über ein einheitliches Verfahren zur Beantragung einer kombinierten Erlaubnis für Drittstaatsangehörige, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten und zu arbeiten, sowie über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsarbeitnehmer, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten (ABl. 2011, L 343, S. 1).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Istituto Nazionale della Previdenza Sociale (INPS) (Nationales Institut für Sozialfürsorge, Italien) und WS über die Ablehnung eines Antrags auf Familienzulage für Zeiträume, in denen sich die Ehefrau und die Kinder des Betroffenen in ihrem Drittherkunftsland aufhielten.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        In den Erwägungsgründen 2, 19, 20, 24 und 26 der Richtlinie 2011/98 heißt es:

„(2)      Der Europäische Rat hat auf seiner Sondertagung vom 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere anerkannt, dass eine Harmonisierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über die Bedingungen für die Zulassung und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen erforderlich ist. Insbesondere erklärte er in diesem Zusammenhang, dass die Europäische Union eine gerechte Behandlung von Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhalten, sicherstellen muss und eine energischere Integrationspolitik darauf ausgerichtet sein sollte, ihnen vergleichbare Rechte und Pflichten wie Unionsbürgern zuzuerkennen. Der Europäische Rat ersuchte daher den Rat, auf der Grundlage von Vorschlägen der Kommission entsprechende Beschlüsse zu fassen. Wie wichtig es ist, dass die in Tampere vorgegebenen Ziele erreicht werden, wurde im Stockholmer Programm, das vom Europäischen Rat auf seiner Tagung vom 10. und 11. Dezember 2009 verabschiedet wurde, bekräftigt.

(19)      In Ermangelung horizontaler Unionsvorschriften sind die Rechte von Drittstaatsangehörigen unterschiedlich, je nachdem, in welchem Mitgliedstaat sie arbeiten und welche Staatsangehörigkeit sie besitzen. Im Hinblick auf die Weiterentwicklung einer kohärenten Einwanderungspolitik und um die Ungleichheit zwischen Unionsbürgern und rechtmäßig in einem Mitgliedstaat arbeitenden Drittstaatsangehörigen zu verringern und den geltenden Besitzstand auf dem Gebiet der Zuwanderung zu ergänzen, sollte ein Bündel von Rechten niedergelegt werden, um insbesondere festzulegen, in welchen Bereichen solche Arbeitnehmer aus Drittstaaten, die noch keinen langfristigen Aufenthaltsstatus erworben haben, die Inländergleichbehandlung zuteilwerden soll. Solche Bestimmungen sollen gleiche Mindestbedingungen innerhalb der Union schaffen, und sie sollen anerkennen, dass solche Drittstaatsangehörige durch ihre Arbeit und die von ihnen entrichteten Steuern einen Beitrag zur Wirtschaft der Union leisten, und sie sollen den unlauteren Wettbewerb zwischen inländischen Staatsangehörigen und Drittstaatsangehörigen aufgrund der möglichen Ausbeutung Letzterer verringern. Nach der Begriffsbestimmung der vorliegenden Richtlinie sollte ein ‚Drittstaatsarbeitnehmer‘ – unbeschadet der Auslegung des Begriffs des Arbeitsverhältnisses in anderen Vorschriften des Unionsrechts – jeder Drittstaatsangehörige sein, der in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zugelassen wurde, der sich dort rechtmäßig aufhält und der im Rahmen eines unselbstständigen Beschäftigungsverhältnisses im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht oder den einzelstaatlichen Gepflogenheiten arbeiten darf.

(20)      Alle Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig in den Mitgliedstaaten aufhalten und dort arbeiten, sollten nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung zumindest ein gemeinsames Bündel gleicher Rechte wie die Staatsangehörigen des jeweiligen Aufnahmemitgliedstaates genießen, ungeachtet des ursprünglichen Zwecks bzw. der Grundlage ihrer Zulassung. Das Recht auf Gleichbehandlung in den in dieser Richtlinie geregelten Bereichen sollte nicht nur jenen Drittstaatsangehörigen zuerkannt werden, die zu Beschäftigungszwecken in einem Mitgliedstaat zugelassen wurden, sondern auch denjenigen, die für andere Zwecke zugelassen wurden und denen der Zugang zum Arbeitsmarkt in jenem Mitgliedstaat im Rahmen anderer Vorschriften des Unionsrechts oder des einzelstaatlichen Rechts gewährt wurde, einschließlich der Familienangehörigen eines Drittstaatsarbeitnehmers, die gemäß der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung [(ABl. 2003, L 251, S. 12)] in dem Mitgliedstaat zugelassen werden …

(24)      Drittstaatsarbeitnehmer sollten ein Recht auf Gleichbehandlung in Bezug auf die soziale Sicherheit haben. Die Zweige der sozialen Sicherheit sind in der der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit [(ABl. 2004, L 166, S. 1, berichtigt im ABl. 2004, L 200, S. 1)] definiert. Die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit sollten auch für Arbeitnehmer, die direkt aus einem Drittstaat in einem Mitgliedstaat zugelassen wurden, gelten. Allerdings sollte diese Richtlinie Drittstaatsarbeitnehmern nicht mehr Rechte verleihen, als das bestehende Unionsrecht auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für Drittstaatsangehörige in grenzüberschreitenden Fällen bereits vorsieht. Des Weiteren sollten mit dieser Richtlinie keine Rechte in Situationen gewährt werden, die nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fallen, wie beispielsweise in Bezug auf Familienangehörige, die sich in einem Drittstaat aufhalten. Mit dieser Richtlinie sollten Rechte nur in Bezug auf diejenigen Familienangehörigen gewährt werden, die auf der Grundlage der Familienzusammenführung zu den Drittstaatsarbeitnehmern in einen Mitgliedstaat nachziehen, oder in Bezug auf diejenigen Familienangehörigen, die sich bereits rechtmäßig in diesem Mitgliedstaat aufhalten.

(26)      Das Unionsrecht schränkt die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Organisation ihrer Systeme der sozialen Sicherheit nicht ein. Mangels Harmonisierung auf Unionsebene legt jeder Mitgliedstaat die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialleistungen sowie die Höhe solcher Leistungen und den Zeitraum, für den sie gewährt werden, selbst fest. Jedoch sollten die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit das Unionsrecht einhalten.“

4        In Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2011/98 heißt es:

„(1)      Diese Richtlinie bestimmt

b)      ein auf dem Grundsatz der Gleichstellung mit eigenen Staatsangehörigen beruhendes gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsarbeitnehmer, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, unabhängig davon, zu welchen Zwecken die ursprüngliche Zulassung in das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats erteilt wurde.

…“

5        In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a)      ‚Drittstaatsangehöriger‘ jede Person, die nicht Unionsbürger im Sinne von Artikel 20 Absatz 1 AEUV ist;

b)      ‚Drittstaatsarbeitnehmer‘ jeden Drittstaatsangehörigen, der in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zugelassen wurde, sich dort rechtmäßig aufhält und in diesem Mitgliedstaat im Rahmen eines unselbstständigen Beschäftigungsverhältnisses im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht oder den einzelstaatlichen Gepflogenheiten arbeiten darf;

c)      ‚kombinierte Erlaubnis‘ einen von den Behörden eines Mitgliedstaats ausgestellten Aufenthaltstitel, der es einem Drittstaatsangehörigen gestattet, sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats zu Arbeitszwecken aufzuhalten;

…“

6        Art. 3 („Geltungsbereich“) dieser Richtlinie sieht in seinem Abs. 1 vor:

„Diese Richtlinie gilt für

c)      Drittstaatsangehörige, die in einem Mitgliedstaat zu Arbeitszwecken nach Unionsrecht oder einzelstaatlichem Recht zugelassen wurden.“

7        In Art. 12 („Recht auf Gleichbehandlung“) dieser Richtlinie heißt es:

„(1)      Drittstaatsarbeitnehmer im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 Buchstaben b und c haben ein Recht auf Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Mitgliedstaats, in dem sie sich aufhalten, in Bezug auf

e)      Zweige der sozialen Sicherheit nach der Verordnung … Nr. 883/2004;

(2)      Die Mitgliedstaaten können die Gleichbehandlung wie folgt einschränken:

b)      sie können die gemäß Absatz 1 Buchstabe e eingeräumten Rechte für Drittstaatsarbeitnehmer beschränken, wobei solche Rechte nicht für solche Drittstaatsarbeitnehmer beschränkt werden dürfen, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen oder die mindestens sechs Monate beschäftigt waren und als arbeitslos gemeldet sind.

Zusätzlich können die Mitgliedstaaten beschließen, dass Absatz 1 Buchstabe e hinsichtlich Familienleistungen nicht für Drittstaatsangehörige gilt, denen die Erlaubnis erteilt wurde, für einen Zeitraum von höchstens sechs Monaten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu arbeiten, für Drittstaatsangehörige, die zu Studienzwecken zugelassen wurden oder für Drittstaatsangehörige, die aufgrund eines Visums die Erlaubnis haben zu arbeiten;

c)      hinsichtlich Absatz 1 Buchstabe f können sie bezüglich Steuervergünstigungen dessen Anwendung auf Fälle beschränken, in denen der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort der Familienangehörigen des Drittstaatsarbeitnehmers, für die er Leistungen beansprucht, im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats liegt.

…“

8        Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der Verordnung Nr. 883/2004 in der durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 (ABl. 2009, L 284, S. 43) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 883/2004) sieht vor, dass diese Verordnung für alle Rechtsvorschriften über Familienleistungen gilt. Gemäß ihrem Art. 3 Abs. 5 Buchst. a gilt diese Verordnung nicht für soziale und medizinische Fürsorge.

 Italienisches Recht

9        Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass mit dem Decreto legge n. 69 – Norme in materia previdenziale, per il miglioramento delle gestioni degli enti portuali ed altre disposizioni urgenti (Gesetzesdekret Nr. 69 mit Vorschriften im Bereich der Sozialversicherung, zur Verbesserung der Verwaltung von Hafenbehörden und anderen dringenden Bestimmungen) vom 13. März 1988 (GURI Nr. 61 vom 14. März 1988), das in das Gesetz Nr. 153 vom 13. Mai 1988 (GURI Nr. 112 vom 14. Mai 1988) umgewandelt wurde (im Folgenden: Gesetz Nr. 153/1988), eine Familienzulage eingeführt wurde, deren Höhe von der Zahl der zum Haushalt gehörenden Kinder unter 18 Jahren und von den Einkommen des Haushalts abhängt (im Folgenden: Familienzulage).

10      Art. 2 Abs. 6 des Gesetzes Nr. 153/1988 bestimmt:

„Die Familiengemeinschaft besteht aus den Eheleuten unter Ausschluss des gesetzlich und faktisch getrennten Ehepartners und aus den Kindern und diesen Gleichgestellten …, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, oder, ohne Altersbegrenzung, wenn sie aufgrund von Krankheit oder einer körperlichen oder geistigen Behinderung vollständig und dauerhaft erwerbsunfähig sind. Unter denselben Bedingungen wie die Kinder und diesen Gleichgestellten zur Familiengemeinschaft gehören können auch die Geschwister, Nichten, Neffen und Enkelkinder, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, oder, ohne Altersbegrenzung, wenn sie aufgrund von Krankheit oder einer körperlichen oder geistigen Behinderung vollständig und dauerhaft erwerbsunfähig sind, wenn sie Vollwaisen sind und keinen Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente haben.“

11      Gemäß Art. 2 Abs. 6bis des Gesetzes Nr. 153/1988 gehören der Ehepartner sowie die Kinder und diesen Gleichgestellten eines Drittstaatsangehörigen, die nicht im Hoheitsgebiet der Italienischen Republik wohnen, nicht zur Familiengemeinschaft im Sinne dieses Gesetzes, es sei denn, vom Staat, dessen Staatsbürger der Ausländer ist, wird italienischen Staatsbürgern eine auf Gegenseitigkeit beruhende Behandlung gewährt oder es wurde ein internationales Übereinkommen über Familienleistungen abgeschlossen.

12      Die Richtlinie 2011/98 wurde durch das Decreto legislativo n. 40 – Attuazione della direttiva 2011/98/UE relativa a una procedura unica di domanda per il rilascio di un permesso unico che consente ai cittadini di Paesi terzi di soggiornare e lavorare nel territorio di uno Stato membro e a un insieme comune di diritti per i lavoratori di Paesi terzi che soggiornano regolarmente in uno Stato membro (gesetzesvertretendes Dekret Nr. 40 zur Umsetzung der Richtlinie 2011/98) vom 4. März 2014 (GURI Nr. 68 vom 22. März 2014) (im Folgenden: gesetzesvertretendes Dekret Nr. 40/2014), mit dem eine „kombinierte Arbeitserlaubnis“ eingeführt wurde, in innerstaatliches Recht umgesetzt.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

13      WS ist ein Drittstaatsangehöriger, der seit dem 9. Dezember 2011 eine Erlaubnis zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit und seit dem 28. Dezember 2015 eine kombinierte Arbeitserlaubnis gemäß dem gesetzesvertretenden Dekret Nr. 40/2014 besitzt. Von Januar bis Juni 2014 und von Juli 2014 bis Juni 2016 hielten sich seine Ehefrau und seine beiden Kinder in ihrem Herkunftsland Sri Lanka auf.

14      Da das INPS es auf der Grundlage von Art. 2 Abs. 6bis des Gesetzes Nr. 153/1988 ablehnte, ihm für diese Zeiträume die Familienzulage zu zahlen, erhob WS Klage beim Tribunale del lavoro di Alessandria (Arbeitsgericht Alessandria, Italien), vor dem er einen Verstoß gegen Art. 12 der Richtlinie 2011/98 und den diskriminierenden Charakter dieser Ablehnung geltend machte. Das Gericht wies seine Klage ab.

15      WS legte gegen die ablehnende Entscheidung dieses Gerichts Berufung bei der Corte d’appello di Torino (Berufungsgericht Turin, Italien) ein, die der Berufung stattgab und der Auffassung war, dass Art. 12 der Richtlinie 2011/98 nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt worden sei und dass Art. 2 Abs. 6bis des Gesetzes Nr. 153/1988 nicht mit dieser Richtlinie vereinbar sei.

16      Hiergegen wandte sich das INPS mit einer Kassationsbeschwerde an das vorlegende Gericht, die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien), vor der es einen einzigen Kassationsbeschwerdegrund geltend machte, nämlich eine unzutreffende Anwendung von Art. 12 der Richtlinie 2011/98 und des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 40/2014.

17      Das vorlegende Gericht führt aus, dass die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98 und der Frage abhänge, ob nach dieser Bestimmung, obwohl sie sich außerhalb des italienischen Hoheitsgebiets aufhielten, die Familienangehörigen des Drittstaatsangehörigen, der Inhaber einer kombinierten Erlaubnis sei und Anspruch auf die Zahlung der in Art. 2 des Gesetzes Nr. 153/1988 vorgesehenen Familienzulage habe, zum Kreis der Familienangehörigen gehörten, die Begünstigte dieser Leistung seien.

18      Die Familiengemeinschaft im Sinne von Art. 2 des Gesetzes Nr. 153/1988 stelle insoweit nicht nur die Grundlage für die Berechnung der Familienzulage dar, sondern sei auch deren Begünstigte, wobei der Empfänger des Gehalts oder der Altersrente, worauf die Zulage aufbaue, als Zwischenglied fungiere. Es handele sich bei ihr um eine wirtschaftliche Zulage, in deren Genuss insbesondere alle Erbringer von Arbeitsleistungen kämen, die ihre Tätigkeit im italienischen Hoheitsgebiet ausübten, sofern sie einer Familiengemeinschaft angehörten, deren Einkommen eine bestimmte Schwelle nicht überschritten. Für den Zeitraum vom 1. Juli 2018 bis zum 30. Juni 2019 habe ihr voller Satz 137,50 Euro pro Monat für Jahreseinkommen unter 14 541,59 Euro betragen. Sie werde vom Arbeitgeber zeitgleich mit dem Lohn ausgezahlt.

19      Das vorlegende Gericht führt außerdem aus, dass die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) in ihrer Rechtsprechung diese Doppelnatur der Familienzulage bereits hervorgehoben habe. Zum einen gehöre diese Zulage, die an Einkünfte jeglicher Art der Familiengemeinschaft gebunden sei und denjenigen Familien ein ausreichendes Einkommen sicherstellen solle, denen es daran fehle, zu den Leistungen der sozialen Sicherheit. Im Einklang mit den allgemeinen Regeln über die Sozialversicherung, in die sich diese Zulage einfüge, erführen die Familien der berufstätigen Arbeitnehmer Schutz durch eine Zulage zum Lohn für die geleistete Arbeit. Die Familienzulage, die durch die von sämtlichen Arbeitgebern erbrachten Beiträge finanziert werde, zu denen ein vom Staat zusätzlich zur Verfügung gestellter Betrag hinzukomme, werde vom Arbeitgeber ausgezahlt, der insoweit in Vorlage trete und zu einer Aufrechnung gegen seine Beitragsschuld berechtigt sei. Zum anderen falle diese Zulage unter die soziale Fürsorge, da die berücksichtigten Einkommen gegebenenfalls erhöht würden, um Kranke bzw. körperlich oder geistig Behinderte oder Minderjährige mit andauernden Schwierigkeiten, altersgerechte Aufgaben und Tätigkeiten zu bewältigen, zu schützen. Jedenfalls handele es sich um eine Maßnahme, die in den Geltungsbereich von Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98 falle.

20      Das vorlegende Gericht hebt hervor, dass den Mitgliedern der Familiengemeinschaft für die Zulageregelung eine wesentliche Bedeutung zukomme und sie als deren Begünstigte angesehen würden. Allerdings fragt es sich, ob Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98 einer Bestimmung wie Art. 2 Abs. 6bis des Gesetzes Nr. 153/1988 in Anbetracht dessen entgegenstehe, dass die Familienangehörigen, die die Familiengemeinschaft bildeten, vom Gesetz als Begünstigte einer wirtschaftlichen Zuwendung bezeichnet würden, die auf eine Vergütung aufbaue, auf die derjenige, der auch zum Empfang dieser Zulage berechtigt sei, Anspruch habe. Das vorlegende Gericht hat u. a. Zweifel hinsichtlich der Auslegung der genannten Richtlinie im Hinblick auf die in den Erwägungsgründen 20 und 24 dieser Richtlinie genannten Ziele.

21      Unter diesen Umständen hat die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98 sowie der Grundsatz der Gleichbehandlung zwischen Inhabern einer kombinierten Aufenthalts‑/Arbeitserlaubnis und nationalen Staatsangehörigen dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, auf deren Grundlage entgegen dem, was für die Staatsangehörigen des Mitgliedstaats vorgesehen ist, bei der Zählung der zur Familiengemeinschaft gehörenden Personen für die Berechnung der Familienzulage die Familienangehörigen des Arbeitnehmers, der über eine kombinierte Erlaubnis verfügt und Angehöriger eines Drittstaats ist, ausgeschlossen werden, wenn diese im Herkunftsdrittland wohnhaft sind?

 Zur Vorlagefrage

22      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die bei der Bestimmung der Ansprüche auf eine Leistung der sozialen Sicherheit diejenigen Familienangehörigen eines Inhabers einer kombinierten Erlaubnis im Sinne von Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie unberücksichtigt lässt, die sich nicht im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats, sondern in einem Drittstaat aufhalten, während die sich in einem Drittstaat aufhaltenden Familienangehörigen von Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats berücksichtigt werden.

23      Wie im 26. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/98 ausgeführt, schränkt das Unionsrecht nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten ein, ihre Systeme der sozialen Sicherheit zu organisieren. In Ermangelung einer Harmonisierung auf Unionsebene ist es Sache eines jeden Mitgliedstaats, die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialleistungen sowie die Höhe solcher Leistungen und den Zeitraum, für den sie gewährt werden, selbst festzulegen. Gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Unionsrecht beachten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Oktober 2010, Elchinov, C‑173/09, EU:C:2010:581, Rn. 40).

24      Art. 12 Abs. 1 Buchst. e dieser Richtlinie in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten, Drittstaatsangehörigen, die in einem Mitgliedstaat zu Arbeitszwecken nach Unionsrecht oder einzelstaatlichem Recht zugelassen wurden, hinsichtlich der Zweige der sozialen Sicherheit, wie sie in der Verordnung Nr. 883/2004 definiert werden, ein Recht auf Gleichbehandlung zu gewähren. Dies gilt für einen Drittstaatsangehörigen, der Inhaber einer kombinierten Erlaubnis nach Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2011/98 ist, da diese Erlaubnis es einem solchen Drittstaatsangehörigen gestattet, sich rechtmäßig im Gebiet des Mitgliedstaats, der sie erteilt hat, zu Arbeitszwecken aufzuhalten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Juni 2017, Martinez Silva, C‑449/16, EU:C:2017:485, Rn. 27).

25      Nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 der Richtlinie 2011/98 können die Mitgliedstaaten jedoch die gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. e dieser Richtlinie Drittstaatsarbeitnehmern eingeräumten Rechte beschränken, wobei hiervon diejenigen Drittstaatsarbeitnehmer ausgenommen sind, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen oder die mindestens sechs Monate beschäftigt waren und als arbeitslos gemeldet sind. Außerdem können die Mitgliedstaaten nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 2 der Richtlinie beschließen, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. e dieser Richtlinie, der Familienleistungen betrifft, nicht für Drittstaatsangehörige gilt, denen die Erlaubnis erteilt wurde, für einen Zeitraum von höchstens sechs Monaten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu arbeiten, und auch nicht für Drittstaatsangehörige, die zu Studienzwecken in diesem Hoheitsgebiet zugelassen wurden, oder für Drittstaatsangehörige, die aufgrund eines Visums die Erlaubnis haben, dort zu arbeiten (Urteil vom 21. Juni 2017, Martinez Silva, C‑449/16, EU:C:2017:485, Rn. 28).

26      Mithin sieht die Richtlinie 2011/98 ebenso wie die Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44) zugunsten bestimmter Drittstaatsangehöriger ein Recht auf Gleichbehandlung vor, das die allgemeine Regel bildet, und führt die Ausnahmen von diesem Recht auf, die einzuführen die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben und die eng auszulegen sind. Diese Ausnahmen können deshalb nur dann geltend gemacht werden, wenn die für die Durchführung dieser Richtlinie zuständigen Stellen in dem betreffenden Mitgliedstaat eindeutig zum Ausdruck gebracht haben, dass sie diese Ausnahmen in Anspruch nehmen wollten (Urteil vom 21. Juni 2017, Martinez Silva, C‑449/16, EU:C:2017:485, Rn. 29).

27      Hierzu ist festzustellen, dass sich keiner der in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2011/98 vorgesehenen Ausnahmen zu den von Art. 12 Abs. 1 Buchst. e dieser Richtlinie eingeräumten Rechten entnehmen lässt, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit hätten, vom Recht auf Gleichbehandlung einen Arbeitnehmer auszunehmen, der Inhaber einer kombinierten Erlaubnis ist und dessen Familienangehörige sich nicht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats, sondern in einem Drittstaat aufhalten. Vielmehr geht aus dem eindeutigen Wortlaut dieses Art. 12 Abs. 1 Buchst. e, wie er in Rn. 24 des vorliegenden Urteils wiedergegeben wurde, hervor, dass einem solchen Arbeitnehmer ein Recht auf Gleichbehandlung gewährt werden muss.

28      Während Art. 12 Abs. 2 Buchst. c dieser Richtlinie bestimmt, dass die Mitgliedstaaten die Gleichbehandlung bezüglich Steuervergünstigungen auf Fälle beschränken können, in denen der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort der Familienangehörigen des Drittstaatsarbeitnehmers, für die er diese Leistungen beansprucht, im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats liegt, ist für Leistungen der sozialen Sicherheit eine solche Ausnahme nicht vorgesehen. Der Unionsgesetzgeber hat somit offenbar nicht beabsichtigt, den Inhaber einer kombinierten Erlaubnis, dessen Familienangehörige sich nicht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten, von dem in der Richtlinie 2011/98 vorgesehenen Recht auf Gleichbehandlung auszunehmen, und klargestellt, in welchen Fällen dieses Recht mit dieser Begründung von den Mitgliedstaaten beschränkt werden kann.

29      Da das vorlegende Gericht Zweifel an der Auslegung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98 im Hinblick auf deren Erwägungsgründe 20 und 24 hat, ist festzustellen, dass es im 20. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/98 heißt, dass das Recht auf Gleichbehandlung nicht nur jenen Drittstaatsangehörigen zuerkannt werden sollte, die zu Beschäftigungszwecken in einem Mitgliedstaats zugelassen wurden, sondern auch denjenigen, die für andere Zwecke zugelassen wurden – einschließlich der Familienangehörigen gemäß der Richtlinie 2003/86 – und denen in der Folge der Zugang zum Arbeitsmarkt in jenem Mitgliedstaat im Rahmen anderer Vorschriften des Unionsrechts oder des einzelstaatlichen Rechts gewährt wurde.

30      Es ist jedoch zum einen festzustellen, dass aus dem Wortlaut des 20. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2011/98 hervorgeht, dass dieser, wie der Generalanwalt in Nr. 53 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, indem er eine Reihe von Drittstaatsangehörigen aufführt, die für andere Zwecke als Beschäftigungszwecke zugelassen wurden und denen in der Folge der Zugang zum Arbeitsmarkt in jenem Mitgliedstaat im Rahmen anderer Vorschriften des Unionsrechts oder des einzelstaatlichen Rechts gewährt wurde, insbesondere die Situation betrifft, in der die Familienangehörigen eines Drittstaatsarbeitnehmers, der Inhaber einer kombinierten Erlaubnis ist, das in Art. 12 dieser Richtlinie vorgesehene Recht auf Gleichbehandlung unmittelbar geltend machen können. Dieses Recht wird solchen Personen nämlich in ihrer eigenen Eigenschaft als Arbeitnehmer eingeräumt, obwohl ihre Ankunft im Aufnahmemitgliedstaat der Tatsache geschuldet war, dass sie Familienangehörige eines Drittstaatsarbeitnehmers waren.

31      Zum anderen ist in Bezug auf den 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/98 festzustellen, dass mit ihm insbesondere klargestellt werden soll, dass diese Richtlinie Drittstaatsangehörigen, die Inhaber einer kombinierten Erlaubnis sind, über die Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats hinaus selbst keine Rechte im Bereich der sozialen Sicherheit einräumt. Wie der Generalanwalt in Nr. 55 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, verlangt sie somit, für sich genommen, von den Mitgliedstaaten nicht, den sich nicht im Aufnahmemitgliedstaat aufhaltenden Familienangehörigen Leistungen der sozialen Sicherheit zu zahlen. Jedenfalls ist festzustellen, dass der Inhalt dieses Erwägungsgrundes und insbesondere seines letzten Satzes in keine der Bestimmungen dieser Richtlinie Eingang gefunden hat.

32      Die Erwägungsgründe eines Unionsrechtsakts sind indessen rechtlich nicht verbindlich und können weder herangezogen werden, um von den Bestimmungen des betreffenden Rechtsakts abzuweichen, noch, um diese Bestimmungen in einem Sinne auszulegen, der ihrem Wortlaut offensichtlich widerspricht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. November 1998, Nilsson u. a., C‑162/97, EU:C:1998:554, Rn. 54, und vom 19. Dezember 2019, Puppinck u. a./Kommission, C‑418/18 P, EU:C:2019:1113, Rn. 76).

33      Folglich kann aus diesen Erwägungsgründen nicht folgen, dass die Richtlinie 2011/98 dahin auszulegen ist, dass der Inhaber einer kombinierten Erlaubnis, dessen Familienangehörige sich nicht im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats, sondern in einem Drittstaat aufhalten, von dem in dieser Richtlinie vorgesehenen Recht auf Gleichbehandlung ausgenommen ist.

34      Soweit das INPS und die italienische Regierung geltend machen, dass der Ausschluss des Inhabers einer kombinierten Erlaubnis, dessen Familienangehörige sich nicht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhielten, mit dem von der Richtlinie 2011/98 verfolgten Ziel der Integration in Einklang stehe, da die Integration eine Präsenz in diesem Hoheitsgebiet voraussetze, ist ferner festzustellen, wie der Generalanwalt in den Nrn. 62 und 63 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, dass u. a. aus den Erwägungsgründen 2, 19 und 20 sowie aus Art. 1 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie hervorgeht, dass diese darauf abzielt, die Integration von Drittstaatsangehörigen zu fördern, indem für sie durch ein gemeinsames Bündel von Rechten eine gerechte Behandlung sichergestellt wird, die auf der Gleichbehandlung mit den Staatsgehörigen des Aufnahmemitgliedstaats fußt. Mit dieser Richtlinie wird außerdem das Ziel verfolgt, gleiche Mindestbedingungen innerhalb der Union zu schaffen, anzuerkennen, dass Drittstaatsangehörige durch ihre Arbeit und die von ihnen entrichteten Steuern einen Beitrag zur Wirtschaft der Union leisten, und den unlauteren Wettbewerb zwischen inländischen Staatsangehörigen und Drittstaatsangehörigen aufgrund der möglichen Ausbeutung Letzterer zu verringern.

35      Daraus folgt, dass es entgegen dem Vorbringen des INPS und der italienischen Regierung nicht als mit diesen Zielen in Einklang stehend angesehen werden kann, dass der Inhaber einer kombinierten Erlaubnis vom Recht auf Gleichbehandlung ausgenommen wird, wenn seine Familienangehörigen sich während eines Zeitraums, der vorübergehend sein kann, wie der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zeigt, nicht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten.

36      Das INPS und die italienische Regierung machen ferner geltend, dass der Ausschluss des Inhabers einer kombinierten Erlaubnis, dessen Familienangehörige sich nicht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhielten, von dem in der Richtlinie 2011/98 vorgesehenen Recht auf Gleichbehandlung seine Bestätigung in Art. 1 der Verordnung Nr. 1231/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Ausdehnung der Verordnung Nr. 883/2004 und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Verordnungen fallen (ABl. 2010, L 344, S. 1), finde; dieser Artikel sieht vor, dass die Verordnung Nr. 883/2004 und die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung Nr. 883/2004 (ABl. 2009, L 284, S. 1) für Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter die genannten Verordnungen fallen, sowie für ihre Familienangehörigen und ihre Hinterbliebenen gelten, wenn sie ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben und sich in einer Lage befinden, die nicht ausschließlich einen einzigen Mitgliedstaat betrifft.

37      Wie der Generalanwalt in den Nrn. 58 und 59 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, soll indessen mit Art. 1 der Verordnung Nr. 1231/2010 zwar ausdrücklich zugunsten derjenigen Familienangehörigen eines Drittstaatsangehörigen, die sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten und die sich in einer von dieser Verordnung erfassten Situation befinden, ein Recht auf Gleichbehandlung geschaffen werden, woraus aber keineswegs geschlossen werden kann, dass der Unionsgesetzgeber beabsichtigt hätte, den Inhaber einer kombinierten Erlaubnis, dessen Familienangehörige sich nicht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten, von dem in der Richtlinie 2011/98 vorgesehenen Recht auf Gleichbehandlung auszunehmen.

38      Entgegen dem Vorbringen des INPS und der italienischen Regierung kann ein solcher Ausschluss nicht auf die bloße Tatsache gestützt werden, dass die Richtlinie 2003/109 für langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige, die einen privilegierten Status haben, in ihrem Art. 11 Abs. 2 für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vorsieht, die Gleichbehandlung, was die soziale Sicherheit betrifft, auf die Fälle zu beschränken, in denen der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort der Familienangehörigen im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats liegt. Wie aus Rn. 26 des vorliegenden Urteils hervorgeht, sind die Ausnahmen zu dem von der Richtlinie 2011/98 vorgesehenen Recht auf Gleichbehandlung nämlich eng auszulegen. Die in Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2003/109 enthaltene Ausnahme wird von der Richtlinie 2011/98 jedoch nicht vorgesehen. Daraus folgt, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Ausnahmen der Richtlinie 2011/98 so auszulegen sind, dass sie eine zusätzliche Ausnahme beinhalten, nur weil diese in einem anderen Sekundärrechtsakt enthalten ist.

39      Daraus folgt, dass ein Mitgliedstaat vorbehaltlich der von Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2011/98 gestatteten Ausnahmen die Gewährung einer Leistung der sozialen Sicherheit dem Inhaber einer kombinierten Erlaubnis nicht mit der Begründung verweigern oder herabsetzen darf, dass seine Familienangehörigen oder einige von ihnen sich nicht im Hoheitsgebiet des genannten Mitgliedstaats, sondern in einem Drittstaat aufhalten, wenn der fragliche Mitgliedstaat diese Leistung seinen Staatsangehörigen unabhängig davon gewährt, wo sich deren Familienangehörige aufhalten.

40      In Bezug auf das Ausgangsverfahren ist erstens festzustellen, dass das vorlegende Gericht selbst angibt, dass die Familienzulage ihrer Art nach insbesondere eine Leistung der sozialen Sicherheit ist, die in den Geltungsbereich von Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98 fällt. Es handelt sich nämlich gemäß den von diesem Gericht gemachten Angaben um eine Geldleistung zum Ausgleich von Familienlasten, die ohne jede im Ermessen liegende individuelle Prüfung der persönlichen Bedürfnisse aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands gewährt wird. Eine solche Leistung stellt eine Leistung der sozialen Sicherheit dar, die unter die Familienleistungen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der Verordnung Nr. 883/2004 fällt (vgl. hierzu Urteil vom 21. Juni 2017, Martinez Silva, C‑449/16, EU:C:2017:485, Rn. 20 bis 25).

41      Zweitens führt dieses Gericht aus, dass die Familiengemeinschaft die Grundlage für die Berechnung der Höhe dieser Zulage darstellt. Das INPS und die italienische Regierung tragen hierzu vor, dass sich die Nichtberücksichtigung der sich nicht im Hoheitsgebiet der Italienischen Republik aufhaltenden Familienangehörigen nur auf diese Höhe auswirke; diese Höhe sei gleich null, wie das INPS in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, wenn sich alle Familienangehörigen außerhalb des nationalen Hoheitsgebiets aufhielten.

42      Es ist allerdings festzustellen, dass sowohl die Nichtzahlung der Familienzulage als auch die Herabsetzung ihrer Höhe in Abhängigkeit davon, ob sich alle Familienangehörigen oder einige von ihnen nicht im Hoheitsgebiet der Italienischen Republik aufhalten, gegen das in Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98 vorgesehene Recht auf Gleichbehandlung verstoßen, da sie eine Ungleichbehandlung zwischen Inhabern einer kombinierten Erlaubnis und italienischen Staatsangehörigen begründen.

43      Entgegen dem Vorbringen des INPS kann eine solche Ungleichbehandlung nicht mit der Tatsache gerechtfertigt werden, dass sich die Inhaber einer kombinierten Erlaubnis und die Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats wegen ihrer jeweiligen Bindungen zu diesem Staat in einer unterschiedlichen Situation befänden, denn eine solche Rechtfertigung verstößt gegen Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98, der gemäß den Zielen dieser Richtlinie, auf die in Rn. 34 des vorliegenden Urteils hingewiesen wurde, eine Gleichbehandlung zwischen diesen Personen im Bereich der sozialen Sicherheit gebietet.

44      Ebenso wenig können nach ständiger Rechtsprechung die vom INPS und der italienischen Regierung geltend gemachten etwaigen Schwierigkeiten bei der Kontrolle der Situation der Begünstigten im Hinblick auf die Voraussetzungen für die Gewährung der Familienzulage, wenn sich die Familienangehörigen nicht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten, eine Ungleichbehandlung rechtfertigen (vgl. entsprechend Urteil vom 26. Mai 2016, Kohll und Kohll-Schlesser, C‑300/15, EU:C:2016:361, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Drittens hebt das vorlegende Gericht hervor, dass die Mitglieder der Familiengemeinschaft nach nationalem Recht als Begünstigte der Familienzulage angesehen würden. Mit dieser Begründung darf die Gewährung einer solchen Zulage jedoch dem Inhaber einer kombinierten Erlaubnis, dessen Familienangehörige sich nicht im Hoheitsgebiet der Italienischen Republik aufhalten, nicht verweigert werden. Die Mitglieder der Familiengemeinschaft kommen nämlich zwar in den Genuss dieser Zulage, was gerade der Zweck einer Familienleistung ist; aus den in den Rn. 18 und 19 des vorliegenden Urteils dargestellten Angaben des vorlegenden Gerichts geht jedoch hervor, dass diese Zulage dem Arbeitnehmer oder Rentner, der ebenfalls Mitglied der Familiengemeinschaft ist, gewährt wird.

46      Daraus folgt, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98 einer Bestimmung wie Art. 2 Abs. 6bis des Gesetzes Nr. 153/1988 entgegensteht, wonach, außer wenn von dem Staat, aus dem der Ausländer stammt, italienischen Staatsbürgern eine auf Gegenseitigkeit beruhende Behandlung gewährt wird oder ein internationales Übereinkommen über Familienleistungen abgeschlossen wurde, zur Familiengemeinschaft im Sinne dieses Gesetzes nicht der Ehepartner sowie die Kinder und die diesen Gleichgestellten eines Drittstaatsangehörigen gehören, die sich nicht im Hoheitsgebiet der Italienischen Republik aufhalten.

47      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die bei der Bestimmung der Ansprüche auf eine Leistung der sozialen Sicherheit diejenigen Familienangehörigen eines Inhabers einer kombinierten Erlaubnis im Sinne von Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie unberücksichtigt lässt, die sich nicht im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats, sondern in einem Drittstaat aufhalten, während die sich in einem Drittstaat aufhaltenden Familienangehörigen von Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats berücksichtigt werden.

 Kosten

48      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/98/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über ein einheitliches Verfahren zur Beantragung einer kombinierten Erlaubnis für Drittstaatsangehörige, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten und zu arbeiten, sowie über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsarbeitnehmer, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die bei der Bestimmung der Ansprüche auf eine Leistung der sozialen Sicherheit diejenigen Familienangehörigen eines Inhabers einer kombinierten Erlaubnis im Sinne von Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie unberücksichtigt lässt, die sich nicht im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats, sondern in einem Drittstaat aufhalten, während die sich in einem Drittstaat aufhaltenden Familienangehörigen von Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats berücksichtigt werden.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Italienisch.