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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

2. Mai 2019(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Auftragsvergabe – Richtlinie 2014/24/EU – Arbeitskosten – Automatischer Ausschluss des Bieters, der diese Kosten im Angebot nicht gesondert angegeben hat – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache C‑309/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht für Latium, Italien) mit Entscheidung vom 20. März 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Mai 2018, in dem Verfahren

Lavorgna Srl

gegen

Comune di Montelanico,

Comune di Supino,

Comune di Sgurgola,

Comune di Trivigliano,

Beteiligte:

Gea Srl,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter S. Rodin (Berichterstatter) und N. Piçarra,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Gea Srl, vertreten durch E. Potena, avvocato,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Santoro, avvocato dello Stato,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara, P. Ondrůšek und L. Haasbeek als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65) sowie der Rechtsgrundsätze der Union im Bereich des öffentlichen Auftragswesens.

2        Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Lavorgna Srl auf der einen Seite und der Comune di Montelanico (Gemeinde Montelanico, Italien), der Comune di Supino (Gemeinde Supino, Italien), der Comune de Sgurgola (Gemeinde Sgurgola, Italien) und der Comune di Trivigliano (Gemeinde Trivigliano, Italien) auf der anderen Seite über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags an eine Gesellschaft, die es unterlassen hat, in ihrem wirtschaftlichen Angebot die Arbeitskosten gesondert anzugeben.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        In den Erwägungsgründen 40 und 98 der Richtlinie 2014/24 heißt es:

„(40)      Die Überprüfung der Einhaltung [der] arbeitsrechtlichen Bestimmungen sollte in den relevanten Phasen des Vergabeverfahrens erfolgen, also bei Anwendung der allgemeinen Grundsätze für die Auswahl der Teilnehmer und die Auftragsvergabe, bei der Anwendung der Ausschlusskriterien und bei der Anwendung der Bestimmungen bezüglich ungewöhnlich niedriger Angebote. …

(98)      … Anforderungen hinsichtlich der in der Richtlinie 96/71/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1)] geregelten grundlegenden Arbeitsbedingungen, wie Mindestlöhne, [sollten] auf dem Niveau bleiben, das durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften oder durch Tarifverträge, die im Einklang mit dem Unionsrecht im Kontext der genannten Richtlinie angewandt werden, festgelegt wurde.“

4        Art. 18 der Richtlinie 2014/24 bestimmt:

„(1)      Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nichtdiskriminierender Weise und handeln transparent und verhältnismäßig.

Das Vergabeverfahren darf nicht mit der Absicht konzipiert werden, es vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie auszunehmen oder den Wettbewerb künstlich einzuschränken. Eine künstliche Einschränkung des Wettbewerbs gilt als gegeben, wenn das Vergabeverfahren mit der Absicht konzipiert wurde, bestimmte Wirtschaftsteilnehmer auf unzulässige Weise zu bevorzugen oder zu benachteiligen.

(2)      Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um dafür zu sorgen, dass die Wirtschaftsteilnehmer bei der Ausführung öffentlicher Aufträge die geltenden umwelt‑, sozial- und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen einhalten, die durch Rechtsvorschriften der Union, einzelstaatliche Rechtsvorschriften, Tarifverträge oder die in Anhang X aufgeführten internationalen umwelt‑, sozial- und arbeitsrechtlichen Vorschriften festgelegt sind.“

5        Art. 56 Abs. 3 dieser Richtlinie lautet:

„Sind von Wirtschaftsteilnehmern zu übermittelnde Informationen oder Unterlagen unvollständig oder fehlerhaft oder scheinen diese unvollständig oder fehlerhaft zu sein oder sind spezifische Unterlagen nicht vorhanden, so können die öffentlichen Auftraggeber, sofern in den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie nichts anderes vorgesehen ist, die betreffenden Wirtschaftsteilnehmer auffordern, die jeweiligen Informationen oder Unterlagen innerhalb einer angemessenen Frist zu übermitteln, zu ergänzen, zu erläutern oder zu vervollständigen, sofern diese Aufforderungen unter voller Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung erfolgen.“

 Italienisches Recht

6        Art. 83 Abs. 9 des Decreto legislativo n. 50 – Codice dei contratti pubblici (gesetzesvertretendes Dekret Nr. 50 – Gesetzbuch über die öffentliche Auftragsvergabe) vom 18. April 2016 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 91 vom 19. April 2016 in der durch das Decreto legislativo n. 56 gesetzesvertretendes Dekret Nr. 56] vom 19. April 2017 [Supplemento ordinario zur GURI Nr. 103 vom 5. Mai 2017] geänderten Fassung, im Folgenden: Vergabegesetzbuch) lautet:

„Mängel, die einen formalen Bestandteil des Antrags betreffen, können nach dem Mängelbehebungsverfahren dieses Absatzes geheilt werden. Insbesondere räumt der öffentliche Auftraggeber bei Fehlen, Unvollständigkeit oder sonstigen wesentlichen Mängeln der Unterlagen und der in Art. 85 genannten Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung – mit Ausnahme der Mängel, die sich auf das wirtschaftliche und auf das technische Angebot beziehen – dem Bieter eine Frist von höchstens zehn Tagen ein, um die fehlenden Erklärungen vorzulegen, zu vervollständigen oder zu berichtigen, und gibt ihren Inhalt und die zu ihrer Abgabe verpflichteten Personen an. …“

7        Art. 95 Abs. 10 des Vergabegesetzbuchs lautet:

„Im wirtschaftlichen Angebot gibt der Teilnehmer seine Arbeitskosten und die Betriebskosten betreffend die Einhaltung der Bestimmungen über die Gesundheit und die Sicherheit am Arbeitsplatz an, wobei Lieferungen ohne Installation, geistige Dienstleistungen und Aufträge im Sinne von Art. 36 Abs. 2 Buchst. a ausgenommen sind. Vor der Auftragsvergabe überprüfen die öffentlichen Auftraggeber die Einhaltung der Bestimmungen von Art. 97 Abs. 5 Buchst. d über die Arbeitskosten.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

8        Mit Bekanntmachung vom 29. September 2017 leitete die Gemeinde Montelanico ein offenes Verfahren zur Vergabe eines Auftrags ein, dessen Volumen über den in Art. 4 der Richtlinie 2014/24 vorgesehenen Schwellenwert hinausging. In dieser Bekanntmachung wurde auf die in Art. 95 Abs. 10 des Vergabegesetzbuchs vorgesehene Pflicht der Teilnehmer, in ihrem wirtschaftlichen Angebot die Arbeitskosten anzugeben, nicht ausdrücklich hingewiesen.

9        Sechs Bieter, darunter die Gea Srl und Lavorgna, gaben ein Angebot ab.

10      Nach Ablauf der Frist für die Abgabe von Angeboten forderte der Vergabeausschuss nach dem in Art. 83 Abs. 9 des Vergabegesetzbuchs vorgesehenen Verfahren der Mängelbehebung („soccorso istruttorio“) einige Bieter, darunter Gea, auf, ihre Arbeitskosten anzugeben.

11      Mit Entscheidung vom 22. Dezember 2017 vergab die Gemeinde Montelanico den öffentlichen Auftrag an Gea.

12      Lavorgna, die zweitplatzierte Bieterin im Auswahlverfahren, erhob beim vorlegenden Gericht Klage u. a. auf Aufhebung dieser Entscheidung, da Gea wegen des Versäumnisses, in ihrem Angebot die Arbeitskosten anzugeben, von dem Vergabeverfahren hätte ausgeschlossen werden müssen, ohne dass ihr das Verfahren der Mängelbehebung hätte zugutekommen können.

13      Das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht für Latium, Italien) weist darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil vom 2. Juni 2016, Pizzo (C‑27/15, EU:C:2016:404), und im Beschluss vom 10. November 2016, Edra Costruzioni und Edilfac (C‑140/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:868), zu der Frage Stellung genommen habe, ob Wettbewerber von einer öffentlichen Ausschreibung ausgeschlossen werden könnten, weil sie die Ausgaben für die Sicherheit am Arbeitsplatz nicht im Einzelnen angegeben hätten, und ob ein solches Versäumnis nachträglich behoben werden könne. In diesem Zusammenhang habe der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass in dem Fall, dass eine Bedingung für die Teilnahme an dem Vergabeverfahren nicht ausdrücklich unter Androhung des Ausschlusses des Bieters bei Nichterfüllung in den Vergabeunterlagen vorgesehen sei und die Bedingung nur durch eine richterliche Auslegung des nationalen Rechts festgestellt werden könne, der Auftraggeber dem ausgeschlossenen Bieter eine hinreichende Frist zur Bereinigung seiner Situation gewähren könne.

14      Mit der Annahme des Vergabegesetzbuchs zur Umsetzung der Richtlinie 2014/24 in italienisches Recht habe der nationale Gesetzgeber den Bietern ausdrücklich die Pflicht auferlegt, im wirtschaftlichen Angebot ihre Arbeitskosten anzugeben, ohne dass für den öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit bestünde, die Bieter, die dieser Verpflichtung nicht nachgekommen seien, im Mängelbehebungsverfahren zur Bereinigung ihrer Situation aufzufordern.

15      Das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht für Latium) hat Zweifel an der Vereinbarkeit der in Rede stehenden nationalen Vorschriften mit den allgemeinen Grundsätzen des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit, und zwar insbesondere dann, wenn, wie in der bei ihm anhängigen Rechtssache, das wirtschaftliche Angebot, das keine Angabe der Arbeitskosten enthalte, von dem an der Ausschreibung teilnehmenden Unternehmen auf der Grundlage der vom öffentlichen Auftraggeber zu diesem Zweck erstellten Unterlagen verfasst worden sei und es nicht darum gehe, ob die Vorschriften über die Arbeitskosten inhaltlich befolgt worden seien.

16      Die Anwendung dieser nationalen Vorschriften könne zu Diskriminierungen von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen führen, die an der Ausschreibung einer italienischen Behörde teilnehmen wollten, da sie nicht auf die Richtigkeit der vom öffentlichen Auftraggeber erstellten Vordrucke vertrauen könnten.

17      Unter diesen Umständen hat das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht für Latium) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Stehen die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit zusammen mit den Grundsätzen der Warenverkehrsfreiheit, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit des AEU-Vertrags sowie die davon abgeleiteten Grundsätze wie die der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung, der gegenseitigen Anerkennung, der Verhältnismäßigkeit und der Transparenz im Sinne der Richtlinie 2014/24 der Anwendung einer nationalen Regelung wie der italienischen entgegen, die sich aus Art. 95 Abs. 10 in Verbindung mit Art. 83 Abs. 9 des Vergabegesetzbuchs ergibt, wonach die unterlassene gesonderte Angabe der Arbeitskosten in den wirtschaftlichen Angeboten eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge in jedem Fall zum Ausschluss des bietenden Unternehmens ohne die Möglichkeit zur Mängelbehebung führt, und zwar auch dann, wenn die Verpflichtung zur gesonderten Angabe nicht in den Ausschreibungsunterlagen spezifiziert ist, und auch unabhängig davon, dass das Angebot inhaltlich und im Einklang mit einer vom Bieter zu diesem Zweck abgegebenen Erklärung die Mindestarbeitskosten tatsächlich berücksichtigt?

 Zur Vorlagefrage

18      Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Gleichbehandlung und der Transparenz im Sinne der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach die unterlassene gesonderte Angabe der Arbeitskosten in einem wirtschaftlichen Angebot eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge zum Ausschluss dieses Angebots ohne die Möglichkeit zur Mängelbehebung führt, und zwar auch dann, wenn die Verpflichtung zur gesonderten Angabe dieser Kosten nicht in den Ausschreibungsunterlagen spezifiziert war.

19      Insoweit verlangt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs zum einen der Grundsatz der Gleichbehandlung, dass die Bieter bei der Abfassung ihrer Angebote die gleichen Chancen haben müssen, was voraussetzt, dass die Angebote aller Bieter den gleichen Bedingungen unterworfen sein müssen. Zum anderen soll das damit einhergehende Transparenzgebot die Gefahr von Günstlingswirtschaft oder von willkürlichen Entscheidungen des Auftraggebers ausschließen. Es verlangt, dass alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens in der Bekanntmachung oder im Lastenheft klar, genau und eindeutig formuliert sind, damit, erstens, alle durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt deren genaue Bedeutung verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können und, zweitens, der Auftraggeber imstande ist, tatsächlich zu überprüfen, ob die Angebote der Bieter die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllen (Urteil vom 2. Juni 2016, Pizzo, C‑27/15, EU:C:2016:404, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20      In Anbetracht dieser Erwägungen hat der Gerichtshof entschieden, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung und das Transparenzgebot dahin auszulegen sind, dass sie dem Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers vom Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags wegen Nichterfüllung einer Verpflichtung entgegenstehen, die sich nicht ausdrücklich aus den Unterlagen dieses Verfahrens oder den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften ergibt, sondern aus einer Auslegung dieser Rechtsvorschriften und dieser Unterlagen sowie der Schließung von Lücken in diesen Unterlagen durch die Behörden oder die nationalen Verwaltungsgerichte (Urteil vom 2. Juni 2016, Pizzo, C‑27/15, EU:C:2016:404, Rn. 51, vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 10. November 2016, Spinosa Costruzioni Generali und Melfi, C‑162/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:870, Rn. 32).

21      Dagegen können diese Grundsätze dem Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers vom Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags wegen Nichterfüllung einer in den Unterlagen dieses Verfahrens oder den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften unter Androhung des Ausschlusses ausdrücklich festgelegten Verpflichtung grundsätzlich nicht entgegenstehen.

22      Dies gilt erst recht, als der öffentliche Auftraggeber nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs dann, wenn in den Ausschreibungsunterlagen unter Androhung des Ausschlusses eindeutig Verpflichtungen vorgesehen waren, keine Behebung der Mängel hinsichtlich dieser Verpflichtungen zulassen kann (vgl. entsprechend Urteile vom 6. November 2014, Cartiera dell’Adda, C‑42/13, EU:C:2014:2345, Rn. 46 und 48, vom 2. Juni 2016, Pizzo, C‑27/15, EU:C:2016:404, Rn. 49, und vom 10. November 2016, Ciclat, C‑199/15, EU:C:2016:853, Rn. 30).

23      Insoweit ist hinzuzufügen, dass Art. 56 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 die Mitgliedstaaten ermächtigt, die Fälle zu begrenzen, in denen die öffentlichen Auftraggeber die betreffenden Wirtschaftsteilnehmer auffordern können, die vermeintlich unvollständigen, fehlerhaften oder fehlenden Unterlagen innerhalb einer angemessenen Frist zu übermitteln, zu ergänzen, zu erläutern oder zu vervollständigen.

24      Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, darf schließlich eine nationale Regelung über öffentliche Auftragsvergabeverfahren, die es bezweckt, die Gleichbehandlung der Bieter zu wahren, nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Februar 2018, Lloyd’s of London, C‑144/17, EU:C:2018:78, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Im vorliegenden Fall lässt sich den Ausführungen des vorlegenden Gerichts entnehmen, dass sich die unter Androhung des Ausschlusses auferlegte Verpflichtung, die Arbeitskosten gesondert anzugeben, eindeutig aus Art. 95 Abs. 10 in Verbindung mit Art. 83 Abs. 9 des Vergabegesetzbuchs ergibt, das zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Auftragsbekanntmachung in Kraft war. Auf der Grundlage von Art. 56 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 hat der italienische Gesetzgeber in Art. 83 Abs. 9 dieses Gesetzbuchs beschlossen, das Verfahren der Mängelbehebung u. a. dann auszuschließen, wenn die fehlenden Angaben die Arbeitskosten betreffen.

26      Darüber hinaus ergibt sich, auch wenn das vorlegende Gericht darauf hinweist, dass in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftragsbekanntmachung nicht ausdrücklich auf die in Art. 95 Abs. 10 des Vergabegesetzbuchs vorgesehene Pflicht der potenziellen Bieter verwiesen wurde, im wirtschaftlichen Angebot ihre Arbeitskosten anzugeben, jedoch aus den dem Gerichtshof vorliegenden Verfahrensunterlagen, dass nach dieser Bekanntmachung „für alles, was in dieser Bekanntmachung, den Unterlagen und dem Lastenheft der Ausschreibung nicht ausdrücklich vorgesehen ist, die Vorschriften [des Vergabegesetzbuchs] Anwendung finden“.

27      Daraus folgt, dass alle gebührend informierten und mit der üblichen Sorgfalt handelnden Bieter grundsätzlich in der Lage waren, von den für das fragliche Ausschreibungsverfahren geltenden einschlägigen Vorschriften, einschließlich der Verpflichtung, im wirtschaftlichen Angebot die Arbeitskosten anzugeben, Kenntnis zu nehmen.

28      Unter diesen Umständen stehen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegen, wonach die unterlassene Angabe der Arbeitskosten zum Ausschluss des betreffenden Bieters führt, ohne dass die Möglichkeit bestünde, das Mängelbehebungsverfahren zuzulassen, und zwar auch dann nicht, wenn in der Auftragsbekanntmachung nicht ausdrücklich auf die rechtliche Verpflichtung zu dieser Angabe verwiesen wurde.

29      Jedoch ließ nach den beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen von Gea der Vordruck, den die Bieter der fraglichen Ausschreibung zwingend verwenden mussten, ihnen keinen Raum, um darin die Arbeitskosten gesondert anzugeben. Zudem hieß es im Lastenheft dieser Ausschreibung, dass die Bieter keine Unterlagen vorlegen dürften, die vom öffentlichen Auftraggeber nicht eigens verlangt worden seien.

30      Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, das ausschließlich zuständig ist, über den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und die Unterlagen im Zusammenhang mit der fraglichen Ausschreibungsbekanntmachung zu entscheiden, zu prüfen, ob den Bietern die Angabe der Arbeitskosten im Einklang mit Art. 95 Abs. 10 des Vergabegesetzbuchs tatsächlich faktisch unmöglich war, und zu beurteilen, ob diese Unterlagen daher trotz des ausdrücklichen Verweises auf die eindeutigen Vorschriften dieses Gesetzbuchs bei den Bietern zu Unklarheit führten.

31      Sollte das Gericht zu dem Ergebnis kommen, das dies tatsächlich der Fall war, ist ferner hinzuzufügen, dass in einem solchen Fall der öffentliche Auftraggeber einem solchen Bieter angesichts der Grundsätze der Rechtssicherheit, der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit die Möglichkeit geben kann, seine Situation zu bereinigen und den in den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Verpflichtungen innerhalb einer vom Auftraggeber festgelegten Frist nachzukommen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juni 2016, Pizzo, C‑27/15, EU:C:2016:404, Rn. 51, sowie Beschluss vom 10. November 2016, Spinosa Costruzioni Generali und Melfi, C‑162/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:870, Rn. 32).

32      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Gleichbehandlung und der Transparenz im Sinne der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, wonach die unterlassene gesonderte Angabe der Arbeitskosten in einem wirtschaftlichen Angebot eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge zum Ausschluss dieses Angebots ohne die Möglichkeit zur Mängelbehebung führt, und zwar auch dann, wenn die Verpflichtung zur gesonderten Angabe dieser Kosten in den Ausschreibungsunterlagen nicht spezifiziert war, soweit diese Bedingung und diese Ausschlussmöglichkeit in den nationalen Rechtsvorschriften über öffentliche Vergabeverfahren, auf die darin ausdrücklich verwiesen wurde, eindeutig vorgesehen sind. Sollten jedoch die Ausschreibungsbestimmungen die Bieter daran hindern, in ihrem wirtschaftlichen Angebot diese Kosten anzugeben, sind die Grundsätze der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen, dass sie es nicht verwehren, den Bietern zu gestatten, ihre Situation zu bereinigen und den in den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Verpflichtungen innerhalb einer vom Auftraggeber festgelegten Frist nachzukommen.

 Kosten

33      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

Die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Gleichbehandlung und der Transparenz im Sinne der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, wonach die unterlassene gesonderte Angabe der Arbeitskosten in einem wirtschaftlichen Angebot eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge zum Ausschluss dieses Angebots ohne die Möglichkeit zur Mängelbehebung führt, und zwar auch dann, wenn die Verpflichtung zur gesonderten Angabe dieser Kosten in den Ausschreibungsunterlagen nicht spezifiziert war, soweit diese Bedingung und diese Ausschlussmöglichkeit in den nationalen Rechtsvorschriften über öffentliche Vergabeverfahren, auf die darin ausdrücklich verwiesen wurde, eindeutig vorgesehen sind. Sollten jedoch die Ausschreibungsbestimmungen die Bieter daran hindern, in ihrem wirtschaftlichen Angebot diese Kosten anzugeben, sind die Grundsätze der Transparenz und der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen, dass sie es nicht verwehren, den Bietern zu gestatten, ihre Situation zu bereinigen und den in den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Verpflichtungen innerhalb einer vom Auftraggeber festgelegten Frist nachzukommen.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Italienisch.