Language of document : ECLI:EU:T:2016:242

Vorläufige Fassung

Rechtssache T‑221/08

(auszugsweise Veröffentlichung)

Guido Strack

gegen

Europäische Kommission

„Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Zu einer Untersuchungsakte des OLAF gehörende Dokumente – Nichtigkeitsklage – Stillschweigende und ausdrückliche Verweigerungen des Zugangs – Ausnahme zum Schutz der Privatsphäre und der Integrität des Einzelnen – Ausnahme zum Schutz der geschäftlichen Interessen eines Dritten – Ausnahme zum Schutz des Entscheidungsprozesses – Begründungspflicht – Außervertragliche Haftung“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Erste Kammer) vom 26. April 2016

1.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Antrag auf Zugang zu nicht der Geheimhaltungspflicht unterliegenden Dokumenten, die sich bereits im Besitz des Antragstellers befinden – Zulässigkeit – Begründungspflicht – Fehlen

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates)

2.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz des Entscheidungsprozesses – Umfang

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2)

3.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Verweigerung des Zugangs – Möglichkeit, sich auf allgemeine Vermutungen zu stützen, die je nach Art der betreffenden Dokumente gelten

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4)

4.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz des Entscheidungsprozesses – Umfang – Anwendung auf Dokumente, die zu einer Untersuchung des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) gehören – Allgemeine Vermutung, dass der Schutz der mit einer solchen Untersuchung verbundenen Interessen durch die Offenlegung der Dokumente beeinträchtigt wird

(Art. 324 AEUV; Verordnung Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 8 Abs. 2; Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2)

5.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Anwendungsbereich – Antrag auf Zugang zu Dokumenten, die die internen Untersuchungsverfahren des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) betreffen – Einbeziehung

(Verordnungen Nr. 1073/1999 und Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 1 Buchst. a)

6.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung von Dokumenten – Abgrenzung zum Transparenzgrundsatz

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2)

7.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Verpflichtung, teilweisen Zugang zu den nicht von den Ausnahmen gedeckten Informationen zu gewähren – Anwendung auf Dokumente einer Kategorie, für die eine allgemeine Vermutung zugunsten einer Verweigerung des Zugangs gilt – Ausschluss

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 6)

8.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz der Privatsphäre und der Integrität des Einzelnen – Umfang – Anwendung auf ausschließlich den Antragsteller betreffende Dokumente – Ausschluss

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 1 Buchst. b)

9.      Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Begriff „Dokument“– Tragweite – Berücksichtigung des Interesses des Antragstellers an der Offenlegung – Ausschluss

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Buchst. a)

10.    Kommission – Wiederverwendung der im Besitz der Kommission befindlichen Dokumente – Beschluss 2006/291 – Genehmigungsverfahren – Abgrenzung von dem in der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Verfahren

(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 16; Beschluss 2006/291 der Kommission, Art. 2 Abs. 1 und 4)

1.      Mit der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission sollen die Dokumente der Organe der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, und die gemäß dieser Verordnung offengelegten Dokumente gelangen in die Öffentlichkeit. Insoweit verhindert eine Entscheidung, mit der auf der Grundlage dieser Verordnung der Zugang verweigert wird, dass die von dem Zugangsantrag betroffenen Dokumente als öffentlich angesehen werden können.

Infolgedessen ist der Umstand, dass der Antragsteller die von seinem Zugangsantrag erfassten Dokumente bereits im Besitz hat und das Ziel dieses Antrags somit nicht darin bestand, es ihm zu ermöglichen, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen, sondern vielmehr darin, sie Dritten offenzulegen, irrelevant, zumal die Gründe für die Entscheidung des Antragstellers, einen solchen Antrag zu stellen, unerheblich sind, da die Verordnung Nr. l049/2001 weder vorsieht, dass der Betroffene seinen Antrag auf Zugang zu den Dokumenten begründen muss, noch, dass die Gründe für einen solchen Antrag bei der Frage, ob ihm stattzugeben ist oder ob er abzulehnen ist, eine Rolle spielen dürfen. Folglich kann sich das Organ, bei dem ein solcher Antrag auf Zugang gestellt wird, nicht allein darauf stützen, dass der Steller des Zugangsantrags die angeforderten Dokumente bereits im Besitz hatte oder sie im Besitz haben sollte, wenn auch auf einer anderen Rechtsgrundlage, um sich zu weigern, den Antrag auf Zugang auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1049/2001 zu prüfen.

(vgl. Rn. 128, 131, 132, 135)

2.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 148)

3.      Durch die Anerkennung einer allgemeinen Vermutung, nach der die Verbreitung von Dokumenten einer bestimmten Art grundsätzlich den Schutz eines der in Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission aufgezählten Interessen beeinträchtigen würde, wird dem jeweiligen Organ ermöglicht, einen allgemeinen Antrag entsprechend zu behandeln und zu bescheiden.

(vgl. Rn. 150)

4.      Hinsichtlich eines Antrags auf Zugang zu Aktenvermerken der für eine Untersuchung des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) zuständigen Untersuchungsbeauftragten, die sich auf rechtliche und verwaltungstechnische Aspekte der Untersuchungsdurchführung und -leitung beziehende Gedankenprozesse und Analysen der Untersuchungsbeauftragten enthalten, kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, gestützt auf Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission den Zugang zu solchen Dokumenten verweigert zu haben.

Ein Zugang der Öffentlichkeit zu solchen Dokumenten wäre nämlich der Fähigkeit der Kommission und insbesondere des OLAF, ihrer Aufgabe der Betrugsbekämpfung im öffentlichen Interesse nachzukommen, in besonderem Maß abträglich. Die Offenlegung der betreffenden Dokumente würde dem Entscheidungsprozess der Kommission und des OLAF erheblich schaden, da sie die volle Unabhängigkeit künftiger Untersuchungen des OLAF und deren Ziele dadurch ernsthaft gefährden würde, dass die Strategie und die Vorgehensweise des OLAF enthüllt würden und dessen Möglichkeit eingeschränkt würde, von seinen Mitarbeitern unabhängige Einschätzungen zu erhalten und die Dienststellen der Kommission zu hochsensiblen Themen zu befragen. Sie wäre auch mit der Gefahr verbunden, dass Einzelpersonen davon abgehalten würden, Informationen über mögliche Betrugsfälle zu übermitteln, so dass dem OLAF und der Kommission nützliche Informationen für die Einleitung von Untersuchungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Union vorenthalten würden. Diese Schlussfolgerung ist umso zwingender, als die namentlich in Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 enthaltenen Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten, wenn die fraglichen Dokumente einem bestimmten Bereich des Unionsrechts zuzuordnen sind, nicht ausgelegt werden können, ohne die speziellen Regeln für den Zugang zu diesen Dokumenten zu berücksichtigen.

Insoweit ergibt sich aufgrund der besonderen Vertraulichkeit, die den mit einer Untersuchung des OLAF zusammenhängenden Dokumenten nach der Verordnung Nr. 1073/1999 über die Untersuchungen des OLAF zugutekommt, dass sich hinsichtlich der gemäß dieser Verordnung geführten internen Untersuchungsverfahren des OLAF insbesondere aus den Bestimmungen dieser Verordnung eine allgemeine Vermutung zugunsten einer Verweigerung des Zugangs zu den mit der Untersuchung zusammenhängenden Dokumenten und insbesondere zu denen, die Stellungnahmen zum internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb des OLAF enthalten, ergeben kann. Diese Vermutung, die gerechtfertigt ist, um die Gefahr einer ernstlichen Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 auszuschließen, gilt unabhängig davon, ob der Antrag auf Zugang ein bereits abgeschlossenes oder ein laufendes Untersuchungsverfahren betrifft.

(vgl. Rn. 151, 153, 154, 157, 160, 162, 169)

5.      Da die Verordnungen Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission und Nr. 1073/1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) keine Bestimmung enthalten, die ausdrücklich den Vorrang der einen gegenüber der anderen vorsähe, ist sicherzustellen, dass jede dieser Verordnungen in einer Weise angewandt wird, die mit der Anwendung der jeweils anderen vereinbar ist und somit ihre kohärente Anwendung erlaubt.

Im Übrigen ist die Verordnung Nr. 1049/2001 auf das OLAF anwendbar, da für die Zwecke dieser Verordnung das OLAF als Teil der Kommission anerkannt ist, die in Art. 1 Buchst. a der Verordnung bei den Organen genannt ist, auf die sie Anwendung findet.

(vgl. Rn. 158, 164)

6.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 167)

7.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 168)

8.      Im Bereich des Zugangs zu Dokumenten darf die Verbreitung persönlicher Daten, die ausschließlich die Person betreffen, die den fraglichen Zugang beantragt hat, nicht mit der Begründung verweigert werden, sie beeinträchtige den Schutz der Privatsphäre und der Integrität des Einzelnen.

(vgl. Rn. 198)

9.      Die weite Definition des Begriffs „Dokument“ in Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission beruht im Wesentlichen auf dem Vorhandensein eines aufgezeichneten Inhalts, der nach seiner Erstellung reproduziert oder konsultiert werden kann, wobei darauf hinzuweisen ist, dass zum einen die Art des Datenträgers und die Art und Natur der gespeicherten Inhalte ebenso wie Umfang, Länge, Bedeutung und Darstellung eines Inhalts für die Frage, ob der Inhalt unter die Definition fällt oder nicht, unerheblich sind und zum anderen die Inhalte, die von der Definition erfasst sein können, allein der Einschränkung unterliegen, dass sie im Zusammenhang mit den Politiken, Maßnahmen oder Entscheidungen des fraglichen Organs stehen müssen.

Da der Steller des Zugangsantrags seinen Antrag auf Zugang zu den Dokumenten nicht zu rechtfertigen braucht, ist zudem für die Zwecke der Verordnung Nr. 1049/2001 auch das wirkliche Interesse unerheblich, das der Antragsteller an der Offenlegung der in Rede stehenden Dokumente haben kann.

(vgl. Rn. 249, 250, 252)

10.    Der Beschluss 2006/291 über die Weiterverwendung von Informationen der Kommission sieht hinsichtlich der Weiterverwendung von in ihrem Besitz befindlichen öffentlichen Dokumenten, wie sie in Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses definiert sind, ein anderes Genehmigungsverfahren als dasjenige vor, das in der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission für den Zugang zu denselben Dokumenten vorgesehen ist. Die Anwendung dieses Beschlusses setzt voraus, dass die fraglichen Dokumente genau angegeben und veröffentlicht werden.

(vgl. Rn. 265, 267)