Language of document : ECLI:EU:C:2011:573

Rechtssache C‑447/09

Reinhard Prigge u. a.

gegen

Deutsche Lufthansa AG

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts)

„Richtlinie 2000/78/EG – Art. 2 Abs. 5, Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 – Verbot der Diskriminierung wegen des Alters – Verkehrsflugzeugführer – Tarifvertrag – Klausel zur automatischen Beendigung der Arbeitsverträge bei Vollendung des 60. Lebensjahres“

Leitsätze des Urteils

1.        Sozialpolitik – Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Richtlinie 2000/78 – Verbot der Diskriminierung wegen des Alters – Zulässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung, die sich aus durch das innerstaatliche Recht vorgesehenen Maßnahmen ergibt, die für die öffentliche Sicherheit oder den Schutz der Gesundheit notwendig sind – Begriff „innerstaatliches Recht“ – Durch einen Tarifvertrag vorgesehene Maßnahmen – Einbeziehung

(Richtlinie 2000/78 des Rates, Art. 2 Abs. 5)

2.        Sozialpolitik – Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Richtlinie 2000/78 – Verbot der Diskriminierung wegen des Alters – Zulässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung, die auf einem Merkmal beruht, das eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt – Voraussetzungen

(Richtlinie 2000/78 des Rates, Art. 4 Abs. 1)

3.        Sozialpolitik – Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Richtlinie 2000/78 – Verbot der Diskriminierung wegen des Alters – Möglichkeit der Mitgliedstaaten, eine unterschiedliche Behandlung vom Begriff der Diskriminierung auszunehmen, wenn sie objektiv und angemessen durch einen legitimen Zweck gerechtfertigt ist – Umfang

(Richtlinie 2000/78 des Rates, Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1)

1.        Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten über Ermächtigungsvorschriften den Sozialpartnern gestatten können, Maßnahmen im Sinne dieses Art. 2 Abs. 5 auf den in dieser Bestimmung genannten Gebieten, die in den Anwendungsbereich von Tarifverträgen fallen, zu treffen, vorausgesetzt, diese Ermächtigungsvorschriften sind hinreichend genau, damit gewährleistet wird, dass die genannten Maßnahmen die in Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie genannten Anforderungen beachten. Eine Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die die Altersgrenze, ab der Piloten ihrer beruflichen Tätigkeit nicht mehr nachgehen dürfen, auf 60 Jahre festlegt, während die nationale und die internationale Regelung dieses Alter auf 65 Jahre festlegen, ist keine Maßnahme, die für die öffentliche Sicherheit und den Schutz der Gesundheit im Sinne dieses Art. 2 Abs. 5 notwendig ist.

(vgl. Randnr. 83 und Tenor)

2.        Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass er einer tarifvertraglichen Klausel entgegensteht, die die Altersgrenze, ab der Piloten als körperlich nicht mehr fähig zur Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gelten, auf 60 Jahre festlegt, während die nationale und die internationale Regelung dieses Alter auf 65 Jahre festlegen.

Der genannte Art. 4 Abs. 1 ist nämlich, soweit er es ermöglicht, vom Diskriminierungsverbot abzuweichen, eng auszulegen. Auch wenn jedoch das Vorhandensein besonderer körperlicher Fähigkeiten für die Ausübung des Berufs des Verkehrspiloten als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann und das mit der genannten Maßnahme verfolgte Ziel, die Sicherheit des Flugverkehrs zu gewährleisten, ein rechtmäßiger Zweck im Sinne des Art. 4 Abs. 1 ist, stellt die Festlegung der Altersgrenze, ab der Piloten als körperlich nicht mehr fähig zur Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gelten, auf 60 Jahre unter diesen Umständen und in Anbetracht der nationalen und der internationalen Regelung eine unverhältnismäßige Anforderung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 dar.

(vgl. Randnrn. 67-69, 72, 75, 83 und Tenor)

3.        Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass die Flugsicherheit kein legitimes Ziel im Sinne dieser Vorschrift ist.

Auch wenn die Aufzählung der in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 aufgeführten rechtmäßigen Ziele nicht erschöpfend ist, sind nämlich die Ziele, die als legitim im Sinne dieser Bestimmung und damit als geeignet angesehen werden können, eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierungen aus Gründen des Alters zu rechtfertigen, sozialpolitische Ziele wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung. Ein Ziel wie die Flugsicherheit gehört daher nicht zu den in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 genannten Zielen.

(vgl. Randnrn. 80-83 und Tenor)