Language of document : ECLI:EU:T:2023:539


URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

13. September 2023(*)

„Rechtsangleichung – Richtlinie 95/16/EG – Richtlinie 2014/33/EU – Schutzklausel – Nationale Maßnahme, mit der das Inverkehrbringen eines Aufzugsmodells verboten wird – Grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen – Beschluss der Kommission, mit dem die Maßnahme für nicht gerechtfertigt erklärt wird – Offensichtlicher Beurteilungsfehler“

In der Rechtssache T‑349/21,

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch J. Möller, R. Kanitz und N. Scheffel als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch P. Ondrůšek und R. Pethke als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Königreich Spanien, vertreten durch I. Herranz Elizalde als Bevollmächtigten,

Streithelfer,

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten F. Schalin (Berichterstatter), des Richters I. Nõmm und der Richterin G. Steinfatt,

Kanzler: P. Cullen, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2023

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragt die Bundesrepublik Deutschland, den Beschluss (EU) 2021/534 der Kommission vom 24. März 2021 zur Feststellung gemäß Artikel 39 Absatz 1 der Richtlinie 2014/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates, ob eine Maßnahme Deutschlands im Hinblick auf die Untersagung des Inverkehrbringens eines von Orona hergestellten Aufzugsmodells gerechtfertigt ist oder nicht (ABl. 2021, L 106, S. 60, im Folgenden: angefochtener Beschluss), für nichtig zu erklären.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Die Orona Sociedad Cooperativa (im Folgenden: Orona) ist eine spanische Herstellerin von Aufzügen.

3        Am 17. Juli 2012 stellte Liftinstituut – eine in den Niederlanden ansässige Zertifizierungsstelle, die von Orona gemäß Anhang V der Richtlinie 95/16/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 1995 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Aufzüge (ABl. 1995, L 213, S. 1) als benannte Stelle ausgewählt worden war – eine EG‑Baumusterprüfbescheinigung aus, die am 15. März 2013 überarbeitet worden ist, und bescheinigte, dass das von Orona hergestellte Aufzugsmodell M33v3 (im Folgenden: Aufzug M33v3) die Anforderungen der Richtlinie erfülle.

4        Am 7. August 2014 stellte der deutsche TÜV Süd nach Prüfung der Konformität eines eingebauten Aufzugs des Typs M33v3 mit der vom Liftinstituut ausgestellten EG‑Baumusterprüfbescheinigung gemäß Art. 8 Abs. 2 Ziff. ii und Anhang VI Nr. 4 der Richtlinie 95/16 eine Endabnahmebescheinigung aus.

5        Im Oktober 2014 leiteten die örtlichen deutschen Marktüberwachungsbehörden Ermittlungen zum von Orona hergestellten Aufzugsmodell M33v3 ein. Die Ermittlungen sind anschließend von der Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik (im Folgenden: Zentralstelle der Länder) übernommen worden.

6        Nach einer Dokumentenprüfung im Januar und Februar 2015 und einer anschließenden Überprüfung einer mit dem Aufzug M33v3 versehenen Anlage in München (Deutschland) am 23. März 2015 kam die Zentralstelle der Länder zu dem Ergebnis, dass der Aufzug M33v3 weder den Anforderungen der harmonisierten Norm EN 81‑1:1998+A3:2009 mit der Bezeichnung „Sicherheitsregeln für die Konstruktion und den Einbau von Aufzügen – Teil 1: Elektrisch betriebene Personen- und Lastenaufzüge“, die im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2010, C 52, S. 5) veröffentlicht worden ist (im Folgenden: Norm EN 81‑1), noch den Anforderungen der harmonisierten Norm EN 81‑21:2009 mit der Bezeichnung „Sicherheitsregeln für die Konstruktion und den Einbau von Aufzügen – Aufzüge für den Personen- und Gütertransport – Teil 28: Fern-Notruf für Personen- und Lastenaufzüge“, die im Amtsblatt veröffentlicht worden ist (ABl. 2009, C 263, S. 3) (im Folgenden zusammen: harmonisierte Normen), entspreche. Begründet wurde dies damit, dass der im Aufzug M33v3 vorgesehene obere Abstand von 0,5 Metern (m) zwischen Fahrkorbdach und Schachtkopfdecke nicht ausreichend sei, da gemäß Abschnitt 5.7.1.1 der Norm EN 81‑1 ein Abstand von 1 m erforderlich sei. Die Zentralstelle der Länder stellte fest, dass die alternativen Sicherheitsmaßnahmen, die bei Entwurf und Bau des Aufzugs M33v3 ergriffen worden seien, nicht dem durch die harmonisierten Normen festgelegten Stand der Technik entsprächen, in denen technische Spezifikationen festgelegt seien, die als geeignet oder ausreichend angesehen würden, um die technischen Anforderungen der Unionsrechtsvorschriften zu erfüllen, und dass diese Maßnahmen somit gegen die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen aus Nr. 2.2 des Anhangs I der Richtlinie 95/16 (im Folgenden: grundlegende Anforderungen) verstießen.

7        Am 10. März 2016 teilte die Bundesrepublik Deutschland der Europäischen Kommission die Maßnahme mit, die sie am 26. November 2015 gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 95/16 erlassen hatte (im Folgenden: Schutzmaßnahme). Durch diese Maßnahme wurde das Inverkehrbringen des Aufzugs M33v3 untersagt, und es wurden Bedingungen für das Inverkehrbringen dieser Geräte eingeführt.

8        Die Bundesrepublik Deutschland begründete den Erlass der Schutzmaßnahme mit vorherigen Marktüberwachungstätigkeiten der Zentralstelle der Länder. Insbesondere habe die Zentralstelle der Länder festgestellt, dass der Aufzug M33v3 nicht den grundlegenden Anforderungen entspreche.

9        Bereits am 11. Dezember 2015 hatte Orona der Kommission ihre Einwände gegen die Schutzmaßnahme übermittelt und dabei vorgetragen, dass der Aufzug vom Typ M33v3 alternative Sicherheitssysteme aufweise, die einem Sicherheitsniveau entsprächen, das dem jedes gemäß den einschlägigen harmonisierten Normen konstruierten Aufzugs mindestens gleichwertig sei: Somit erfülle er die grundlegenden Anforderungen. Ferner hatte Orona hierbei geltend gemacht, dass die Zentralstelle der Länder der Kommission die nationale Maßnahme mitteilen müsse.

10      Am 15. März 2016 übermittelte Orona der Kommission eine von der Einrichtung IK4‑Ikerlan erstellte Studie mit dem Titel „Messung der Reaktionszeit für die Einnahme einer Schutzposition auf dem Dach des Aufzugs M33v3“. Mit dieser Studie sollte u. a. geprüft werden, ob sich das Wartungspersonal im Schutzraum auf dem Fahrkorbdach des Aufzugs M33v3 aufhalten kann, und es sollten Vergleiche zwischen diesem Aufzug und einem Aufzug nach den Standards der Norm EN 81‑1 und der Norm EN 81-20:2014 angestellt werden. Letztere Norm ist mit „Sicherheitsregeln für die Konstruktion und den Einbau von Aufzügen – Aufzüge für den Personen- und Gütertransport – Teil 20: Personen- und Lastenaufzüge“ betitelt und im Amtsblatt veröffentlicht worden (ABl. 2016, C 293, S. 64) (im Folgenden: Norm EN 81-20).

11      Im April 2016 nahm die Kommission Konsultationen mit den Mitgliedstaaten und Orona im Hinblick auf eine Bewertung der Schutzmaßnahme auf.

12      Mit Schreiben vom 20. April 2016 forderte die Kommission Orona auf, sich zu der Schutzmaßnahme zu äußern, was Orona mit Schreiben vom 18. Mai 2016 tat, das ausführliche Feststellungen und Nachweise enthielt. Am 9. Juni 2016 fand ein Folgetreffen zwischen der Kommission und Orona statt.

13      Mit gesondertem Schreiben vom 20. April 2016 forderte die Kommission auch Liftinstituut zur Stellungnahme auf. Da Liftinstituut der Kommission jedoch bereits in einem Schreiben vom 20. Januar 2016 ausführliche Feststellungen und Nachweise übermittelt hatte, die im Einklang mit der Stellungnahme von Orona standen, legte Liftinstituut keine weiteren wesentlichen Anmerkungen vor.

14      Bei einer Sitzung der Arbeitsgruppe der nationalen Aufzugsmarktüberwachungsbehörden vom 16. Juni 2016 unter dem Vorsitz der Mitgliedstaaten (im Folgenden: Sitzung vom 16. Juni 2016) präsentierte die Zentralstelle der Länder die Schutzmaßnahme den Aufzugsmarktüberwachungsbehörden der Mitgliedstaaten. Die Kommission nahm als Mitglied dieser Arbeitsgruppe an der Sitzung teil.

15      Die Kommission ließ außerdem eine unabhängige Expertenstudie durchführen (im Folgenden: unabhängige Studie). Diese war ursprünglich am 29. November 2016 in Auftrag gegeben worden, und am 9. Februar 2017 nahmen die Zentralstelle der Länder, Orona, der unabhängige Sachverständige und die Kommission an einer Vor-Ort-Prüfung des Aufzugs M33v3 teil. Der zwischen der Kommission und dem unabhängigen Sachverständigen geschlossene Vertrag wurde jedoch in der Folge gekündigt, und es wurde ein zweiter Sachverständiger herangezogen. Dieser Sachverständige führte die unabhängige Studie durch und legte am 10. Dezember 2018 einen Abschlussbericht vor. Im Abschlussbericht kam der Sachverständige zu dem Schluss, dass der Aufzug „eindeutig die grundlegende Anforderung gemäß Abschnitt 2 Satz 2 [des Anhangs I der Richtlinie 95/16] erfüllt, da er zum Zeitpunkt des Einbaus ein der harmonisierten Norm mindestens gleichwertiges Sicherheitsniveau erreicht hat, was die Vermutung der Konformität mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen gemäß Abschnitt 2 Satz 2 des Anhangs I der Richtlinie 95/16 … begründet“. Am 17. Dezember 2018 forderte die Kommission die Zentralstelle der Länder, Orona und Liftinstituut auf, zu der unabhängigen Studie Stellung zu nehmen. Bei der Kommission gingen die Stellungnahmen von Liftinstituut am 14. Januar 2019, von Orona am 15. Januar 2019 und von der Zentralstelle der Länder am 28. Februar 2019 ein.

16      Am 16. Mai 2019 fand ein Treffen zwischen der Kommission, der Zentralstelle der Länder, Orona und Liftinstituut statt, das der Klarstellung der Stellungnahmen zu der unabhängigen Studie diente und in dessen Anschluss neue Stellungnahmen abgegeben wurden.

17      Am 24. März 2021 erließ die Kommission den angefochtenen Beschluss. Nach Art. 1 des angefochtenen Beschlusses ist die Schutzmaßnahme, mit der das Inverkehrbringen des von Orona hergestellten Aufzugsmodells M33v3 untersagt wurde, nicht gerechtfertigt. Die Kommission befand, dass der Aufzug M33v3 nach ihrer durch die Ergebnisse der unabhängigen Studie bestätigten Analyse die grundlegenden Anforderungen erfülle und sein Sicherheitsniveau mindestens dem eines Aufzugs nach der Norm EN 81‑1 entspreche.

 Anträge der Parteien

18      Die Bundesrepublik Deutschland beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären,

–        der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

19      Die Kommission und das Königreich Spanien beantragen,

–        die Klage als unbegründet abzuweisen,

–        der Bundesrepublik Deutschland die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

20      Zur Stützung ihrer Klage hat die Bundesrepublik Deutschland einen einzigen Klagegrund vorgetragen, mit dem sie einen Verstoß gegen Nr. 2.2 des Anhangs I der Richtlinie 95/16 rügt. Dieser Klagegrund besteht aus fünf Teilen, die im Wesentlichen auf offensichtliche Beurteilungs‑, Rechts- und Tatsachenfehler gestützt werden, und zwar erstens auf die Verkennung der Bedeutung der Anforderung des senkrechten Abstands zwischen Fahrkorbdach und Schachtkopfdecke durch die Kommission, zweitens auf einen Fehler der Kommission bei der Ermittlung der für die Beurteilung von Quetschgefahren maßgeblichen Unfallszenarien, drittens auf die Verkennung der Bedeutung des Zeitbedarfs für die Einnahme einer sicheren Position und des Risikos einer unkontrollierten Aufwärtsbewegung des Fahrkorbs durch die Kommission, viertens auf einen fehlerhaften Gesamtvergleich auf der Grundlage der unabhängigen Studie und fünftens auf Fehler der Kommission bei der Beurteilung des Vorliegens der Konformitätsvermutung aus Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 95/16 und auf eine rechtswidrige Verteilung der Beweislast hinsichtlich der Konformität des Aufzugs M33v3.

21      Darüber hinaus hat die Bundesrepublik Deutschland in der mündlichen Verhandlung einen neuen Klagegrund geltend gemacht, mit dem sie einen Verstoß gegen Art. 38 Abs. 7 der Richtlinie 2014/33 rügt.

22      Die Kommission beantragt, die fünf Teile des Klagegrundes eines Verstoßes gegen Nr. 2.2 des Anhangs I der Richtlinie 95/16 als unbegründet zurückzuweisen. Außerdem hält sie den in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten neuen Klagegrund für unzulässig und jedenfalls für unbegründet.

23      Das Königreich Spanien hat in seinem Streithilfeschriftsatz eine Argumentation vorgetragen, die im Wesentlichen speziell darauf abzielt, den zweiten und den fünften Teil des Klagegrundes eines Verstoßes gegen Nr. 2.2 des Anhangs I der Richtlinie 95/16 zu widerlegen. Diese Argumentation enthält aber auch allgemeine Erwägungen zur Gefahr der Fragmentierung des Binnenmarkts. Ferner beantragt das Königreich Spanien, den in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten neuen Klagegrund als unzulässig, jedenfalls aber als unbegründet zurückzuweisen.

24      Vorab ist hinsichtlich der im vorliegenden Fall anwendbaren materiell-rechtlichen Vorschriften festzustellen, dass die Richtlinie 95/16 anwendbar ist, da sie zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Aufzugs M33v3 und des Erlasses der Schutzmaßnahme in Kraft war.

25      Die Richtlinie 95/16 wurde durch die Richtlinie 2014/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Aufzüge und Sicherheitsbauteile für Aufzüge (ABl. 2014, L 96, S. 251) mit Wirkung vom 20. April 2016 aufgehoben, so dass zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses die Richtlinie 2014/33 in Kraft war und die Verfahrensregeln für die Prüfung der Rechtfertigung der Schutzmaßnahme durch die Kommission regelte.

26      Des Weiteren ist festzustellen, dass die Norm EN 81‑1 in ihrer ursprünglichen Fassung 1998 in Kraft trat und bis zum 31. August 2017 in Kraft blieb, als sie durch die Norm EN 81‑20 ersetzt wurde. Somit galten zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Aufzugs M33v3 die Vorgaben der Norm EN 81‑1, die Aufzüge betrafen, die in neuen Gebäuden installiert waren. Die Norm EN 81‑21:2009, die zum Zeitpunkt des genannten Inverkehrbringens ebenfalls in Kraft war, betraf demgegenüber Aufzüge, die in bestehenden Gebäuden installiert waren.

27      Im vorliegenden Fall hält das Gericht es für zweckmäßig, zunächst den in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten neuen Klagegrund, dann den fünften Teil des einzigen Klagegrundes und schließlich die übrigen Teile dieses Klagegrundes zu prüfen.

 Zu dem in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten neuen Klagegrund eines Verstoßes gegen Art. 38 Abs. 7 der Richtlinie 2014/33

28      In der mündlichen Verhandlung hat die Bundesrepublik Deutschland dargelegt, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses durch die Kommission die Schutzmaßnahme bereits als genehmigt gegolten habe und nicht mehr habe in Frage gestellt werden können. Denn damals sei eine dreimonatige Frist gemäß Art. 38 Abs. 7 der Richtlinie 2014/33 bereits verstrichen gewesen. Deren Lauf habe mit dem Zeitpunkt begonnen, zu dem die Zentralstelle der Länder – anlässlich der Sitzung vom 16. Juni 2016, an der auch die Kommission teilgenommen habe – die die Schutzmaßnahme betreffenden Informationen den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission zur Kenntnis gebracht habe. Da jedoch weder ein Mitgliedstaat noch die Kommission Einwände erhoben hätten, sei die Schutzmaßnahme am 16. September 2016 unangreifbar geworden. Ein Vertreter der Kommission habe im Übrigen in einer an einen Vertreter der Zentralstelle der Länder gerichteten E‑Mail vom 31. August 2016 (im Folgenden: E‑Mail vom 31. August 2016) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten keine Einwände gegen die Schutzmaßnahme oder deren Rechtmäßigkeit erhoben hätten. Daher habe die Kommission nach dem 16. September 2016 nicht mehr die Möglichkeit gehabt, diese Maßnahme durch den Erlass des angefochtenen Beschlusses in Frage zu stellen.

29      Nach Ansicht der Bundesrepublik Deutschland kommt der Erlass des angefochtenen Beschlusses einem Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften gleich, den das Gericht von Amts wegen zu prüfen habe und dessen Bejahung zur Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses führen müsse, entsprechend der Lösung, die in den Rechtssachen gewählt worden sei, in denen die Urteile vom 4. September 2014, Spanien/Kommission (C‑192/13 P, EU:C:2014:2156, Rn. 103), und vom 24. Juni 2015, Deutschland/Kommission (C‑549/12 P und C‑54/13 P, EU:C:2015:412, Rn. 92), ergangen seien.

30      Die Kommission und das Königreich Spanien, das sie unterstützt, haben sich sowohl zur Zulässigkeit als auch zur etwaigen Begründetheit des in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten neuen Klagegrundes geäußert, und ihre Erklärungen sind der Bundesrepublik Deutschland zur Kenntnis gebracht worden, die daraufhin mit einer eigenen Stellungnahme hat reagieren können. Die Kommission und das Königreich Spanien treten der Argumentation der Bundesrepublik Deutschland entgegen.

31      Es ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht vor der Entscheidung über die Zulässigkeit vorab über die Begründetheit befinden kann, wenn es dies im Interesse einer geordneten Rechtspflege und der Verfahrensökonomie für angebracht hält (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteile vom 26. Februar 2002, Rat/Boehringer, C‑23/00 P, EU:C:2002:118, Rn. 52, und vom 22. Mai 2007, Mebrom/Kommission, T‑216/05, EU:T:2007:148, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Nach Ansicht des Gerichts ist unter den Umständen des vorliegenden Falles aus Gründen der Verfahrensökonomie zunächst die Begründetheit des von der Bundesrepublik Deutschland in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten neuen Klagegrundes zu prüfen, ohne zuvor über seine Zulässigkeit zu entscheiden, da dieser Klagegrund aus den nachstehend dargelegten Gründen jedenfalls unbegründet ist.

33      Nach Art. 38 Abs. 7 der Richtlinie 2014/33 gelten dann, wenn weder ein Mitgliedstaat noch die Kommission innerhalb von drei Monaten nach Erhalt der Informationen über die vorläufigen Maßnahmen, die die nationalen Marktüberwachungsbehörden insbesondere zur Einschränkung oder zum Verbot des Inverkehrbringens eines Aufzugs getroffen haben, einen Einwand gegen diese Maßnahmen erhebt, diese als gerechtfertigt.

34      Wie die Bundesrepublik Deutschland in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat und oben in Rn. 14 ausgeführt worden ist, brachte die Zentralstelle der Länder die Schutzmaßnahme in der Sitzung vom 16. Juni 2016 den anderen Mitgliedstaaten in der Arbeitsgruppe der nationalen Aufzugsmarktüberwachungsbehörden zur Kenntnis, an der auch die Kommission teilnahm.

35      Aus dem Protokoll der Sitzung vom 16. Juni 2016 (das die Kommission als Anlage Z.1 ihrer Stellungnahme zu dem in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten neuen Klagegrund vorgelegt hat) geht jedoch hervor, dass das Königreich Spanien und die Kommission gegen die Schutzmaßnahme Einwände erhoben haben, nachdem die Zentralstelle der Länder ihnen die die fragliche Maßnahme betreffenden Informationen zur Kenntnis gebracht hatte.

36      Ausweislich der Rubrik Nr. 13 C des Protokolls des genannten Treffens hat das Königreich Spanien nämlich nach der kurzen Präsentation der Schutzmaßnahme durch die Bundesrepublik Deutschland erklärt, dass es gegen sie Einwände erhebe. In Bezug auf die Kommission wird darauf hingewiesen, dass sie erklärt habe, dass der fragliche Fall untersucht werde, sobald eine neutrale Partei gefunden worden sei.

37      In Anbetracht der sowohl vom Königreich Spanien als auch von der Kommission erhobenen Einwände – insbesondere insoweit, als Letztere erklärt hat, dass der fragliche Fall untersucht werde, sobald eine neutrale Partei gefunden worden sei – ist festzustellen, dass die Schutzmaßnahme die in Art. 38 Abs. 7 der Richtlinie 2014/33 vorgesehene Vermutung der Rechtfertigung nach Ablauf einer Frist von drei Monaten nach ihrer Präsentation nicht für sich beanspruchen konnte, so dass die Schutzmaßnahme zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses durch die Kommission nicht gemäß dieser Bestimmung unangreifbar geworden war. Unter diesen Umständen kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, die sich aus der Richtlinie 2014/33 ergebenden und für den Erlass des angefochtenen Beschlusses geltenden wesentlichen Formvorschriften verkannt zu haben.

38      Insoweit ist das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland in ihren nach der mündlichen Verhandlung eingereichten schriftlichen Erklärungen zurückzuweisen, mit dem im Wesentlichen die Ansicht vertreten wird, dass keine Einwände gegen die Schutzmaßnahme erhoben worden seien und die Voraussetzungen, unter denen die Einwände des Königreichs Spanien und der Kommission erhoben worden seien, jedenfalls nicht hätten verhindern können, dass die Schutzmaßnahme die Vermutung der Rechtfertigung hätte für sich beanspruchen können.

39      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Bundesrepublik Deutschland zwar geltend macht, sie habe die Kommission bereits am 10. März 2016 durch Zusendung eines Schreibens ihrer Ständigen Vertretung bei der Union über den Erlass der Schutzmaßnahme informiert, doch hat sie nicht dargetan, dass die diese Maßnahme betreffenden Informationen den anderen Mitgliedstaaten unter anderen Umständen als anlässlich der Sitzung vom 16. Juni 2016 zur Kenntnis gebracht worden wären, was zur Folge gehabt hätte, dass die Dreimonatsfrist zu einem anderen Zeitpunkt als demjenigen dieser Sitzung zu laufen begonnen hätte.

40      Es ist festzustellen, dass die Richtlinie 2014/33 keine besondere Form für die Unterrichtung der anderen Mitgliedstaaten und der Kommission über eine Schutzmaßnahme vorschreibt. Unter den Umständen des vorliegenden Falles zeigt sich, dass diese Unterrichtung der anderen Mitgliedstaaten erst am 16. Juni 2016 erfolgte, wie aus dem Protokoll der Sitzung der Arbeitsgruppe der nationalen Aufzugsmarktüberwachungsbehörden hervorgeht. Da die Richtlinie 2014/33 hinsichtlich der Art und Weise, in der Einwände von der Kommission oder einem Mitgliedstaat erhoben werden können, kein besonderes Formerfordernis vorsieht, war es ohne Weiteres zulässig, dass die Kommission und das Königreich Spanien in dieser Sitzung Einwände mündlich erhoben und diese in das Protokoll aufgenommen wurden, ohne dass dadurch gegen die Grundsätze der Transparenz und der Rechtssicherheit verstoßen worden wäre.

41      Sodann macht die Bundesrepublik Deutschland zwar im Wesentlichen geltend, dass der Kommission und nicht den nationalen Aufzugsmarktüberwachungsbehörden die Pflicht zur Unterrichtung der anderen Mitgliedstaaten über die Schutzmaßnahme ab dem Zeitpunkt oblegen habe, zu dem sie Kenntnis von der Existenz der Schutzmaßnahme erlangt habe, doch erklärt die Bundesrepublik Deutschland nicht, wie die Bestimmungen der Richtlinie 2014/33 die Kommission auf diese Weise verpflichtet haben sollen. Vielmehr ist festzustellen, dass Art. 38 Abs. 4 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/33 ausdrücklich „[die nationalen] Marktüberwachungsbehörden [verpflichtet], die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten unverzüglich über diese Maßnahmen [zu unterrichten]“. Zudem müssen diese Informationen nach Art. 38 Abs. 5 der Richtlinie 2014/33 vollständig sein und alle verfügbaren Angaben enthalten. Dass den betreffenden nationalen Aufsichtsbehörden eine solche Pflicht obliegt, ist völlig folgerichtig, da nur diese Behörden, die die fraglichen Maßnahmen veranlasst haben, über genaue Informationen über diese Maßnahmen verfügen, während die Kommission, die zwar über die Existenz dieser Maßnahmen informiert sein kann, nicht notwendigerweise über die betreffenden Informationen verfügt.

42      Des Weiteren ist hervorzuheben, dass aus dem Wortlaut von Art. 38 Abs. 4 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/33 entgegen dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland klar hervorgeht, dass die Unterrichtung der anderen Mitgliedstaaten und der Kommission in die Zuständigkeit der Zentralstelle der Länder als Marktüberwachungsbehörde fiel, und zwar ungeachtet dessen, welche etwaigen Befugnisse der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Union im Übrigen übertragen worden sind.

43      Schließlich geht aus der E‑Mail vom 31. August 2016 zwar hervor, dass ein Vertreter der Kommission eingeräumt hat, dass die Kommission am 1. April 2016 ein offizielles Schreiben von der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Union erhalten habe, in dem sie über den Erlass der Schutzmaßnahme informiert worden sei, doch erklärt dieser Vertreter darin auch, dass die Vertreter der Mitgliedstaaten in der Sitzung vom 16. Juni 2016 über die Schutzmaßnahme informiert worden seien. In dieser E‑Mail heißt es weiter, dass die Kommission zwar bereits mit der Prüfung der Schutzmaßnahme begonnen habe, die Sitzungsteilnehmer aber auch darauf hingewiesen habe, dass sie – da sie intern nicht über die technischen Kompetenzen verfüge – die Dienste eines unabhängigen technischen Sachverständigen in Anspruch nehmen müsse, um zu beurteilen, ob die Schutzmaßnahme gerechtfertigt sei. Dieser Hinweis bestätigt indessen den Wortlaut des Protokolls der Sitzung vom 16. Juni 2016, wonach die Kommission befunden hat, dass der fragliche Fall untersucht werden müsse, sobald eine neutrale Partei gefunden worden sei, wobei die Erklärung, dass die Hinzuziehung eines Sachverständigen erforderlich sei, im vorliegenden Fall einem Einwand und nicht einer stillschweigenden Zustimmung gleichzusetzen ist. Im Übrigen zeigen diese Feststellungen, dass die Kommission einen Einwand gegenüber der Schutzmaßnahme erhoben hat, nachdem sie über diese unterrichtet worden war, und zwar noch vor der Sitzung vom 16. Juni 2016.

44      Ferner trifft es zu, dass ein Vertreter der Kommission in der E‑Mail vom 31. August 2016 einem Vertreter der Zentralstelle der Länder, der sich die Frage stellte, ob ein anderer Mitgliedstaat bislang offiziell einen Einwand erhoben habe, geantwortet hat, dass die anderen Mitgliedstaaten offiziell keine Einwände gegenüber der Schutzmaßnahme erhoben hätten.

45      Wie die Kommission geltend macht, ist die E‑Mail vom 31. August 2016 jedoch allenfalls dahin auszulegen, dass bei der Sitzung vom 16. Juni 2016 kein anderer Mitgliedstaat als das Königreich Spanien Einwände erhoben hat.

46      Denn in Anbetracht der im vorliegenden Fall vorgelegten Beweisstücke, die dem Anschein nach Widersprüche aufweisen, ist dem Protokoll der Sitzung vom 16. Juni 2016 ein größerer und insofern entscheidender Beweiswert beizumessen, als es sich dabei um ein Dokument handelt, das eine weite Verbreitung finden sollte, das im Nachgang zu einer Sitzung erstellt wurde, an der eine erhebliche Zahl von Teilnehmern teilgenommen hatte, und bei dem in keiner Weise nachgewiesen ist, dass es Informationen enthielte, die falsch wären oder nach seiner Verteilung von einigen seiner Empfänger bestritten worden wären. Insoweit ist auch darauf hinzuweisen, dass das Gericht im Rahmen seiner Befugnis zur Beweiswürdigung berechtigt ist, die Beweisstücke zu gewichten, indem es unter Beachtung der Regeln über die Beweiserhebung und die Beweislast einer Kategorie von Beweisstücken entscheidendes Gewicht und anderen Beweisstücken einen begrenzten oder gar keinen Beweiswert beimisst (Urteil vom 14. Juli 2022, SGI Studio Galli Ingegneria/Kommission, C‑371/21 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:566, Rn. 66).

47      Folglich ist festzustellen, dass der in der mündlichen Verhandlung von der Bundesrepublik Deutschland geltend gemachte neue Klagegrund eines Verstoßes gegen Art. 38 Abs. 7 der Richtlinie 2014/33 in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend ist, so dass er als unbegründet zurückzuweisen ist, ohne dass seine Zulässigkeit geprüft zu werden braucht.

 Zum fünften Teil: Fehler der Kommission bei der Beurteilung des Bestehens der Konformitätsvermutung aus Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 95/16 und rechtswidrige Verteilung der Beweislast hinsichtlich der Konformität des Aufzugs M33v3

48      Die Bundesrepublik Deutschland vertritt die Ansicht, dass die Kommission – wie sich insbesondere aus der unabhängigen Studie ergebe – nicht ausreichend berücksichtigt habe, dass die von Orona und Liftinstituut vorgelegten Konformitätsnachweise in wesentlichen Punkten nicht vollständig gewesen seien, so dass die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen nicht habe bejaht werden können. Außerdem gehe aus der Begründung des angefochtenen Beschlusses hervor, dass die Kommission in unzutreffender Weise die nationale Marktüberwachungsbehörde in der Beweislast sehe, wenn sich im Fall der Abweichung von den harmonisierten Normen die Frage stelle, ob die Sicherheitsanforderungen durch eine alternative, gleichwertige Lösung erfüllt werden könnten. Grundsätzlich sei es jedoch Sache des Herstellers, die Konformität seiner Produkte mit den grundlegenden Anforderungen der harmonisierten Normen nachzuweisen, wie sich aus den Leitlinien der Kommission ergebe, die in ihrer Bekanntmachung vom 26. Juli 2016 mit dem Titel „Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU 2016 (‚Blue Guide‘)“ (ABl. 2016, C 272, S. 1) enthalten seien, sowie aus dem Standpunkt des Rates der Europäischen Union, den er in seiner Entschließung vom 7. Mai 1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung (ABl. 1985, C 136, S. 1) vertreten habe.

49      Zudem könne der fehlende Nachweis der Konformität des Aufzugs M33v3 durch den Hersteller Orona und Liftinstituut nicht dadurch überwunden werden, dass ins Feld geführt werde, dass durch den TÜV Süd eine Endabnahmebescheinigung vor dem Inverkehrbringen des Aufzugs nach Durchführung einer EG‑Baumusterprüfung gemäß Art. 8 Abs. 2 Ziff. ii und Anhang VI Nr. 4 der Richtlinie 95/16 ausgestellt worden sei oder dass die niederländischen Aufzugsmarktüberwachungsbehörden Untersuchungen durchgeführt hätten.

50      In der Erwiderung hebt die Bundesrepublik Deutschland zum einen hervor, dass die in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 95/16 geregelte Konformitätsvermutung keinesfalls absolute Geltung beanspruchen könne, und zum anderen, dass in der unabhängigen Studie ausgeführt worden sei, dass die Konformität des Aufzugs M33v3 mit den grundlegenden Anforderungen weder von Orona noch von Liftinstituut ausreichend nachgewiesen worden sei. Insbesondere erweise sich die von Liftinstituut durchgeführte EG‑Baumusterprüfung in vielen Punkten als mangelhaft, und ihre Existenz allein reiche nicht aus, um eine Verlagerung der Beweislast auf die nationale Stelle zu begründen. Zudem habe Orona bestimmte wesentliche Angaben zu sicherheitsrelevanten Aspekten – insbesondere zu der Zeit, die eine Person auf dem Fahrkorbdach für die Einnahme einer Schutzposition benötige –, die dazu dienten, dass die Zentralstelle der Länder die Konformität des Aufzugs M33v3 mit den grundlegenden Anforderungen überprüfen könne, nicht vorgelegt. Schließlich suggeriere die Kommission, dass die Endabnahme eines Aufzugs nach Anhang VI der Richtlinie 95/16 den gleichen Umfang habe wie eine EG‑Baumusterprüfung nach Anhang IV der Richtlinie, was nicht der Fall sei.

51      In ihrer Stellungnahme zum Streithilfeschriftsatz des Königreichs Spanien trägt die Bundesrepublik Deutschland vor, dass in Bezug auf die Beweislast der eine Schutzmaßnahme erlassenden Mitgliedstaaten weder die Rechtsprechung noch Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 95/16 dahin ausgelegt werden könnten, dass sie diese Staaten dazu verpflichteten, die Gefährdung der Sicherheit und Gesundheit von Personen mit absoluter Sicherheit nachzuweisen. Eine solche Pflicht ergebe sich auch nicht aus der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates (ABl. 2008, L 218, S. 30) in ihrer zum Zeitpunkt des Erlasses der Schutzmaßnahme geltenden Fassung.

52      Ferner trägt die Bundesrepublik Deutschland vor, dass sowohl die Kommission als auch das Königreich Spanien die vom TÜV Süd gemäß Anhang VI der Richtlinie 95/16 durchgeführte Endabnahme falsch ausgelegt hätten. Denn da der Abgleich der EG‑baumustergeprüften Ausführung des Aufzugs M33v3 mit dem vor Ort kontrollierten Aufzug zu Erprobungen geführt habe, die ohne Beanstandungen abgelaufen seien, habe der TÜV Süd zwingend eine Endabnahmebescheinigung nach Anhang VI Nr. 6 der Richtlinie 95/16 ausstellen müssen.

53      Die Kommission und das Königreich Spanien treten dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland entgegen.

54      Vorliegend wurde die Richtlinie 95/16 auf der Grundlage von Art. 100a des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (später Art. 95 EG, jetzt Art. 114 AEUV) erlassen, der die Organe der Union dazu ermächtigt, Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu erlassen, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben. Diese Richtlinie zielt insbesondere darauf ab, die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen von allgemeiner Tragweite festzulegen und den Herstellern den Nachweis der Konformität mit diesen Anforderungen zu erleichtern, wenn die Aufzüge oder einige ihrer Sicherheitsbauteile mit der CE‑Kennzeichnung versehen sind und zu ihnen die EG‑Konformitätserklärung abgegeben worden ist.

55      Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 95/16 treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit Aufzüge, für die diese Richtlinie gilt, sowie die in diese Aufzüge eingebauten Sicherheitsbauteile nur in Verkehr gebracht und in Betrieb genommen werden dürfen, wenn sie die Sicherheit und Gesundheit von Personen und gegebenenfalls die Sicherheit von Gütern nicht gefährden können, sofern sie sachgemäß eingebaut und gewartet sowie bestimmungsgemäß betrieben werden.

56      Art. 3 der Richtlinie 95/16 sieht vor, dass Aufzüge im Sinne dieser Richtlinie die in ihrem Anhang I aufgeführten grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen erfüllen müssen.

57      Hierzu heißt es in Nr. 2.2 des Anhangs I der Richtlinie 95/16 u. a., dass die Aufzüge so auszulegen und zu bauen sind, dass Quetschgefahren in den Endstellungen des Fahrkorbs ausgeschaltet werden, und dass dieses Ziel erreicht ist, wenn sich jenseits der Endstellungen ein Freiraum oder eine Schutznische befindet.

58      Wie die Kommission im 44. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses im Wesentlichen ausführte, galt im Hinblick auf Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 95/16 für einen nach der Norm EN 81‑1 in der zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Aufzugs M33v3 geltenden Fassung hergestellten Aufzug bei diesem Inverkehrbringen eine Vermutung der Konformität mit den grundlegenden Anforderungen. Diese Norm sieht u. a. vor, dass zwischen dem Fahrkorbdach und der Schachtkopfdecke ein Freiraum von 1 m besteht, wenn sich der Aufzug im Schacht in der obersten Position befindet.

59      Es ist jedoch festzustellen, dass in Anbetracht dessen, dass die Bestimmungen der Richtlinie 95/16 den Rückgriff auf diese Konformitätsvermutung nicht verbindlich vorschreiben, ein Aufzughersteller nicht zwingend verpflichtet ist, sich zur Erfüllung der grundlegenden Anforderungen auf die harmonisierten Normen zu stützen. Es steht ihm frei, eine alternative technische Lösung zu wählen, mit der er im Hinblick auf die Sicherheit ein gleichwertiges Ergebnis erreichen kann.

60      Nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 95/16 gehen die Mitgliedstaaten bei Aufzügen und Sicherheitsbauteilen, die mit der CE‑Kennzeichnung versehen sind und zu denen die EG‑Konformitätserklärung abgegeben worden ist, davon aus, dass sie mit allen Bestimmungen dieser Richtlinie, einschließlich der Konformitätsbewertungsverfahren, übereinstimmen. Insoweit ist festzustellen, dass nach Anhang V („EG-Baumusterprüfung“) der Richtlinie 95/16 die EG‑Baumusterprüfung das Verfahren ist, bei dem eine benannte Stelle feststellt und bescheinigt, dass ein Aufzug, bei dem gegebenenfalls eine Erweiterung oder eine Ausführungsart vorliegt, oder ein repräsentatives Muster eines Sicherheitsbauteils, das an einem Aufzug angebracht wird, den Bestimmungen dieser Richtlinie entspricht.

61      Gemäß Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 95/16 muss ein EG‑zertifizierter Aufzug vor dessen Inverkehrbringen auch erfolgreich einem von einer benannten Stelle durchgeführten Konformitätsbewertungsverfahren unterzogen worden sein. Den Aufzug M33v3 hat der TÜV Süd einem solchen Bewertungsverfahren unterzogen (siehe oben, Rn. 4).

62      Gemäß Art. 4 der Richtlinie 95/16 dürfen die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Aufzügen und/oder von Sicherheitsbauteilen in ihrem Hoheitsgebiet nicht verbieten, beschränken oder behindern, wenn diese den Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechen.

63      Gleichwohl gestattet es Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 95/16 einem Mitgliedstaat, wenn er feststellt, dass ein Aufzug oder ein Sicherheitsbauteil, der bzw. die die CE‑Kennzeichnung trägt und bestimmungsgemäß verwendet wird, die Sicherheit und Gesundheit von Personen und gegebenenfalls die Sicherheit von Gütern gefährden kann, alle zweckdienlichen Maßnahmen zu treffen, um den Aufzug oder das Sicherheitsbauteil aus dem Verkehr zu ziehen, das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme zu verbieten oder den freien Verkehr für diesen Aufzug oder dieses Sicherheitsbauteil einzuschränken, wobei diese Maßnahmen einem Kontrollverfahren der Union unterliegen (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 15. Juli 2015, CSF/Kommission, T‑337/13, EU:T:2015:502, Rn. 45).

64      Zwar gestattet es Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 95/16 einem Mitgliedstaat, eine Schutzmaßnahme zu erlassen, doch hat dieser seine Entscheidung angemessen zu begründen – dies gilt insbesondere dann, wenn es auf die Nichterfüllung der grundlegenden Anforderungen, auf die mangelhafte Anwendung der Normen oder auf einen Mangel der Normen selbst zurückzuführen ist, dass eine Abweichung von den Anforderungen vorliegt –, während die von der Kommission durchzuführende Kontrolle nur die Prüfung zum Gegenstand hat, ob die von dem fraglichen Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen gerechtfertigt sind (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 15. Juli 2015, CSF/Kommission, T‑337/13, EU:T:2015:502, Rn. 101).

65      Insoweit ist festzustellen, dass der Kommission in einem Bereich, in dem sie komplexe technische Beurteilungen vorzunehmen hat, um insbesondere zu beurteilen, ob die gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 95/16 erlassenen nationalen Maßnahmen gerechtfertigt sind, in Bezug auf diese Bewertungen ein weites Ermessen zuzuerkennen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juli 2007, Industrias Químicas del Vallés/Kommission, C‑326/05 P, EU:C:2007:443, Rn. 74 und 75, und vom 15. Juli 2015, CSF/Kommission, T‑337/13, EU:T:2015:502, Rn. 80).

66      Bei der Kontrolle eines weiten Ermessensspielraums muss der Unionsrichter im Rahmen der ihm unterbreiteten Klagegründe prüfen, ob die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind, ob der Sachverhalt von der Kommission zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung dieses Sachverhalts und kein Ermessensmissbrauch vorliegen (vgl. Urteil vom 15. Juli 2015, CSF/Kommission, T‑337/13, EU:T:2015:502, Rn. 81 und die dort angegebene Rechtsprechung).

67      Im vorliegenden Fall nahm die Zentralstelle der Länder – wie die Kommission im 48. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausführte – beim Erlass der Schutzmaßnahme an, dass die von Orona als Herstellerin des Aufzugs M33v3 umgesetzte technische Lösung nicht die grundlegenden Anforderungen erfülle, insbesondere da der Aufzug insofern von der Norm EN 81‑1 abweiche, als er nur einen senkrechten Abstand von 0,5 m anstelle von 1 m vom Fahrkorbdach bis zur Schachtkopfdecke aufweise.

68      Die Zentralstelle der Länder wollte nicht als solche eine Abweichung von der Norm EN 81‑1 ahnden, vertrat aber die Ansicht, dass diese Norm den Stand der Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Aufzugs M33v3 widerspiegele und die von Orona gewählten technischen Lösungen es nicht gestattet hätten, das Anforderungsniveau dieses Stands der Technik zu erreichen.

69      Wie sich aus den Erwägungsgründen 49 und 50 des angefochtenen Beschlusses ergibt, nahm die deutsche Behörde insoweit an, dass Abschnitt 5.7.1.1 der Norm EN 81‑1 zwar einen senkrechten Abstand von 1 m in dem Freiraum bzw. der Schutznische insgesamt vom Fahrkorbdach bis zur Schachtkopfdecke verlange, doch war es nicht der senkrechte Abstand von 0,5 m per se, den sie für mit den grundlegenden Anforderungen unvereinbar betrachtet hat, sondern vielmehr wie viel Zeit eine auf dem Fahrkorbdach befindliche Person zur Einnahme einer Schutzposition benötigt, wenn der Aufzug ungewollt in die oberste Endposition fährt.

70      In der als Anlage 2 zur Klageschrift vorgelegten Schutzmaßnahme wird hervorgehoben, dass dieser zeitliche Aspekt weder von Orona noch von Liftinstituut bei der EG‑Baumusterprüfung berücksichtigt worden sei, wobei die Zentralstelle der Länder das Argument für nicht überzeugend gehalten hat, dass sich eine Person bei der gewählten technischen Lösung ebenso schnell wie bei einer der Norm EN 81‑1 entsprechenden Konfiguration auf dem Fahrkorbdach in Sicherheit bringen könne.

71      Wie die Bundesrepublik Deutschland geltend macht und wie sich aus Abschnitt 4.1.3 der Bekanntmachung der Kommission mit dem Titel „Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU 2016 (‚Blue Guide‘)“ sowie aus der Entschließung des Rates über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung (siehe oben, Rn. 48) im Wesentlichen ergibt, trifft es zu, dass der Hersteller eines Aufzugs, der sich dafür entscheidet, keine harmonisierten Normen zu befolgen, die Pflicht hat, nachzuweisen, dass der Aufzug unter Verwendung anderer Mittel seiner Wahl die grundlegenden Anforderungen erfüllt.

72      Wie die Kommission in den Erwägungsgründen 45, 46 und 51 bis 60 des angefochtenen Beschlusses festgestellt hat, hat Orona ungeachtet ihres Entschlusses, sich zur Erfüllung der grundlegenden Anforderungen nicht auf die Norm EN 81‑1 zu stützen, vor der Zentralstelle der Länder gleichwohl den Nachweis erbracht, dass der Aufzug M33v3 diesen Anforderungen entsprach.

73      Erstens hat die Kommission im 45. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses festgestellt, dass der Aufzug M33v3 nach der von Liftinstituut ausgestellten EG‑Baumusterprüfbescheinigung über einen Mindestfreiraum auf dem Fahrkorbdach zur Ausschaltung von Quetschgefahren verfüge, der zwar keinen senkrechten Abstand von 1 m aufweise, aber dennoch ein größeres Quadervolumen als der gemäß der Norm EN 81-1 zur Ausschaltung von Quetschgefahren in den Endstellungen des Fahrkorbs erforderliche Mindestfreiraum in der Schachtgrube aufgewiesen habe.

74      Zweitens hat die Kommission im 45. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses im Wesentlichen außerdem festgestellt, dass eine auf dem Fahrkorbdach befindliche Person jedenfalls durch den Einsatz zuverlässiger Zusatzeinrichtungen geschützt sei, die einen 1,8 m hohen vertikalen temporären Raum gewährleisteten. Im Wesentlichen handele es sich um drei Einrichtungen, nämlich die Verwendung von zwei zusätzlichen Sicherheitskontakten, die den Aufzug anhielten, wenn er sich 1,8 m entfernt von der Schachtkopfdecke befinde, eine redundante Bremse, deren Zuverlässigkeit dadurch belegt sei, dass es sich um ein EG‑zertifiziertes Sicherheitsbauteil handele, welches das tatsächliche Anhalten des Fahrkorbs gewährleisten und eine unbeabsichtigte Aufwärtsbewegung sowie Übergeschwindigkeit verhindern könne, und eine Vorrichtung zur Überwachung des Betretens des Fahrkorbdaches, die den Normalbetrieb des Aufzugs unmittelbar unterbreche, wenn eine Person das Fahrkorbdach über eine Schachttür betrete.

75      Dass diese Einrichtungen vorhanden sind, wird von der Bundesrepublik Deutschland nicht per se in Abrede gestellt, sondern nur insoweit, als die Einrichtungen zusammen genommen nicht geeignet seien, die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen zu gewährleisten, insbesondere im Fall einer Wartung des Aufzugs M33v3, wenn alle diese zusätzlichen Zusatzeinrichtungen gleichzeitig ausfielen.

76      Es ist jedoch festzustellen, dass das von Liftinstituut im Rahmen des EG-Baumusterprüfverfahrens durchgeführte Bescheinigungsverfahren bestätigt, dass der Aufzug M33v3 die grundlegenden Anforderungen erfüllte, wobei hinzuzufügen ist, dass der TÜV Süd vor der Inbetriebnahme auch geprüft hatte, ob ein Aufzug des Typs M33v3 den Spezifikationen der EG‑Baumusterprüfbescheinigung entsprach. Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Rolle des TÜV Süd darin bestand, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sich zu vergewissern, dass der in Betrieb genommene Aufzug dem in der EG‑Baumusterprüfbescheinigung von Liftinstituut beschriebenen Musteraufzug entsprach und die für ihn geltenden grundlegenden Anforderungen erfüllte, wie in Anhang VI Nr. 2 der Richtlinie 95/16 vorgeschrieben ist.

77      Somit hat die Kommission entgegen dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland nicht gegen die Beweislastregeln verstoßen, sondern festgestellt, dass Orona das Homologationsverfahren dadurch eingehalten hat, dass sie den Nachweis erbracht hat, dass der Aufzug M33v3 die grundlegenden Anforderungen erfüllte. Die Bundesrepublik Deutschland hat lediglich die sehr unwahrscheinliche Hypothese eines gleichzeitigen Ausfalls der Sicherheitseinrichtungen des Aufzugs M33v3 in Betracht gezogen, die ihm im Übrigen – wie die Kommission ausführt – ein höheres Sicherheitsniveau verliehen als das eines Aufzugs, der nur die Anforderungen der Norm EN 81‑1 erfüllt.

78      Der von der Zentralstelle der Länder gewählte Ansatz reicht indes nicht aus, um die Feststellung der Konformität des Aufzugs M33v3 in Frage zu stellen.

79      Insoweit ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland betont, wie wichtig es sei, darauf abzustellen, wie viel Zeit eine auf dem Fahrkorbdach befindliche Person zur Einnahme einer Schutzposition benötige, obgleich weder in den grundlegenden Anforderungen in Nr. 2.2 des Anhangs I der Richtlinie 95/16 noch in der Norm EN 81‑1 dieser zeitliche Faktor ausdrücklich genannt wird, der – soweit er isoliert betrachtet werden sollte – nicht als für die Beurteilung dessen als relevant angesehen werden kann, ob im Rahmen der technischen Konfiguration des Aufzugs M33v3 die grundlegenden Anforderungen erfüllt sind.

80      Schließlich ist festzustellen, dass Abschnitt 9.7.2 der Ergebnisse der unabhängigen Studie bestätigt, dass der Aufzug M33v3 ein Sicherheitsniveau bietet, das die grundlegenden Anforderungen erfüllt, und zwar deutlich über dem in der Norm EN 81‑1 vorgeschriebenen Niveau.

81      Ferner kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, außer Acht gelassen zu haben, dass Orona nicht alle erforderlichen Angaben und Informationen zur Verfügung gestellt habe, die die Zentralstelle der Länder von ihr verlangt habe. Denn es zeigt sich vielmehr, dass Orona der Homologation für den Aufzug M33v3 vollumfänglich genügt hat und in diesem Rahmen sämtliche zum Nachweis der Konformität des Aufzugs M33v3 mit den grundlegenden Anforderungen erforderlichen Angaben vorgelegt hat, wobei diese Angaben der Zentralstelle der Länder unmittelbar oder über Liftinstituut zur Kenntnis gebracht wurden. Die Bundesrepublik Deutschland kann daher nicht behaupten, dass weiterhin ergänzende Angaben erforderlich wären.

82      Insoweit ist festzustellen, dass das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland im Wesentlichen darauf hinausläuft, davon auszugehen, dass nur der Nachweis der Durchführung von Sicherheitsmaßnahmen, die mit denen der Norm EN 81‑1 identisch seien, die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen gewährleisten könne. Dieser Ansatz, mit dem Orona vorgeschrieben würde, dass unter allen Umständen auf dem Fahrkorbdach ein Schutzraum von mindestens 1 m vorhanden sein müsste, würde aber dazu führen, dass jegliche alternative Maßnahme, so wirksam und sicher sie auch sein möge, nicht als den in der Norm EN 81‑1 vorgeschriebenen Maßnahmen gleichwertig angesehen werden könnte, um die grundlegenden Anforderungen zu erfüllen. Dies widerspräche offensichtlich den Zielen der Richtlinie 95/16, die es einem Aufzughersteller gestattet, gleichwertige alternative Lösungen zu wählen, und würde jegliche technische Innovation behindern, die nicht einer strikten Einhaltung der harmonisierten Normen entspräche. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass in Nr. 5.10.1 der unabhängigen Studie von mangelnder Klarheit der Norm EN 81‑1 in Bezug auf die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen die Rede ist, was ebenfalls darauf hindeutet, dass die Vorgaben dieser Norm nicht eindeutig als Stand der Technik berücksichtigt werden können.

83      Somit zeigt sich, dass die Kommission zum einen nicht die Tatsachen verkannt hat, als sie befunden hat, dass Orona – ohne direkte Bezugnahme auf die Norm EN 81‑1 – der Zentralstelle der Länder stichhaltig Beweise vorgelegt habe, die die Konformität des Aufzugs M33v3 mit den grundlegenden Anforderungen belegen könnten, und zum anderen keinen Rechtsfehler hinsichtlich der Beweislast begangen hat, als sie befunden hat, dass es daher Sache der Bundesrepublik Deutschland sei, die Begründetheit der Schutzmaßnahme nachzuweisen.

84      Folglich ist der fünfte Teil als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum ersten Teil: Verkennung der Bedeutung der Anforderung eines senkrechten Abstands zwischen Fahrkorbdach und Schachtkopfdecke durch die Kommission

85      Die Bundesrepublik Deutschland wirft der Kommission vor, die Bedeutung des senkrechten Abstands zwischen dem Fahrkorbdach und der Schachtkopfdecke verkannt zu haben, obgleich dieser permanente Mindestabstand von 1 m bereits in der ursprünglichen Fassung der Norm EN 81‑1 vorgeschrieben und in deren aktualisierter Fassung, hier der Norm EN 81-20, sogar noch hervorgehoben worden sei. Dieser senkrechte Abstand sei immer dann zu bemessen, wenn das Gegengewicht auf den vollständig zusammengedrückten Puffern ruhe, ohne sich auf den temporären senkrechten Abstand von 1,8 m zwischen dem Fahrkorbdach des Aufzugs M33v3 und der Schachtkopfdecke zu beziehen.

86      Im angefochtenen Beschluss habe die Kommission die Bemessung des senkrechten Mindestabstands grundlegend verkannt, indem sie angenommen habe, dass für die Bewertung der grundlegenden Anforderungen entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 95/16 in erster Linie nicht der senkrechte Abstand, sondern das Volumen der Schutznische oberhalb des Fahrkorbs entscheidend sei. Außerdem vergleiche die Kommission fehlerhaft die Anforderungen an Schutznischen und Freiräume im Schachtkopf mit denen an Schutznischen in der Schachtgrube, wie es in Abschnitt 5.7.3.3 der Norm EN 81‑1 vorgesehen sei.

87      In der Erwiderung betont die Bundesrepublik Deutschland, dass im Fall eines „Absturzes des Aufzugs M33v3 nach oben“, der von den oberen Etagen aus erfolge, der Schutzraum eines der Norm EN 81‑1 entsprechenden Aufzugs in jedem Fall eine größere Sicherheit als die von Orona gewählte Lösung biete. Liftinstituut habe dies im Übrigen selbst in einem Schreiben vom 21. April 2015 bestätigt.

88      Die Kommission tritt dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland entgegen.

89      Im vorliegenden Fall ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen einen Freiraum zwischen dem Fahrkorbdach des Aufzugs M33v3 und dem Kopf des Schachtes erfordert, in den der Aufzug einfährt.

90      Auf diese Anforderung wird im 43. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausdrücklich hingewiesen, in dem es heißt, dass „[die] grundlegenden Anforderungen … in Abschnitt 2.2 des Anhangs I der [Richtlinie 95/16] dargelegt [sind], wonach der Aufzug so zu entwerfen und zu bauen ist, dass Quetschgefahren in den Endstellungen des Fahrkorbs ausgeschaltet werden, und dass dieses Ziel erreicht ist, wenn sich jenseits der Endstellungen ein Freiraum bzw. eine Schutznische befindet“.

91      Das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland läuft jedoch im Wesentlichen auf die Annahme hinaus, dass ein Freiraum nur anhand der Vorgaben der Norm EN 81‑1, insbesondere hinsichtlich der Höhe dieses Raums, berücksichtigt werden könne.

92      Wie sich aus der Prüfung des fünften Teils (siehe oben, Rn. 59) jedoch ergibt, ist zu berücksichtigen, dass der Hersteller eines Aufzugs entscheiden kann, die grundlegenden Anforderungen nicht nur dadurch zu erfüllen, dass er ihn entsprechend der harmonisierten Normen konzipiert, sondern auch dadurch, dass er gleichwertige alternative Lösungen wählt.

93      Insoweit stellte die Kommission im 45. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses fest: „Auch wenn der Mindestfreiraum im Schachtkopf von den Anforderungen abweicht, die in Abschnitt 5.7.1.1 Buchstabe a der Norm EN 81‑1 festgelegt sind, so ist gemäß der EG‑Baumusterprüfbescheinigung …, die von Liftinstituut ausgestellt wurde, der Freiraum auf dem Fahrkorb ein größerer Mindestfreiraum (Quadervolumen) als der gemäß [der Norm] EN 81‑1 zur Ausschaltung von Quetschgefahren in den Endstellungen des Fahrkorbs erforderliche Mindestfreiraum in der Schachtgrube.“

94      Des Weiteren hat die Kommission im 45. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses auch darauf hingewiesen, dass Liftinstituut im Bescheinigungsverfahren festgestellt habe, dass der Freiraum auf dem Fahrkorbdach des Aufzugs M33v3 zwar andere Abmessungen als die in der Norm EN 81‑1 festgelegten aufweise, aber ebenfalls die grundlegenden Anforderungen erfülle, da zuverlässige zusätzliche Schutzeinrichtungen vorlägen, die drei Hauptelemente – darunter eine zuverlässige EG‑zertifizierte redundante Bremse – umfassten und einen temporären Raum auf dem Fahrkorbdach gewährleisteten, der größer sei als der nach der Norm EN 81‑1 vorgeschriebene Raum.

95      Unter diesen Umständen zeigt sich, dass die Kommission gebührend berücksichtigt hat, dass die von Orona konzipierten alternativen Lösungen einen senkrechten Abstand zwischen dem Fahrkorbdach und der Schachtkopfdecke des Aufzugs M33v3 ermöglichten, der im Hinblick auf die grundlegenden Anforderungen ausreichend war.

96      Daher kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler dadurch begangen zu haben, dass sie die Bedeutung der Anforderung eines senkrechten Abstands zwischen dem Fahrkorbdach und der Schachtkopfdecke des Aufzugs M33v3 verkannt hätte, so dass der erste Teil als unbegründet zurückzuweisen ist.

 Zum zweiten Teil: Fehler der Kommission bei der Ermittlung der für die Beurteilung von Quetschgefahren maßgeblichen Unfallszenarien

97      Die Bundesrepublik Deutschland trägt vor, dass die Kommission in den Erwägungsgründen 17 und 55 des angefochtenen Beschlusses die Anforderungen von Nr. 2.2 des Anhangs I der Richtlinie 95/16 fehlerhaft bewertet habe, da sie sich nur auf den Ausfall der redundanten Bremse als für die Ausschaltung von Quetschgefahren maßgebliches Unfallszenario bezogen habe. Somit habe die Kommission im angefochtenen Beschluss den entscheidungserheblichen Sachverhalt falsch dargestellt, denn in Wirklichkeit hätten mehr Ausfallmöglichkeiten bestanden als die im angefochtenen Beschluss berücksichtigten, nämlich insbesondere ein Bremsversagen, ein Steuerungsversagen und ein Sicherheitsschalterversagen, die im Fall des Zusammenwirkens – und nicht nur bei einem alleinigen Versagen der redundanten Bremse – dazu führen könnten, dass der senkrechte Abstand zwischen dem Fahrkorbdach und der Schachtkopfdecke auf 0,5 m verringert werde.

98      In ihrer Stellungnahme zum Streithilfeschriftsatz des Königreichs Spanien beanstandet die Bundesrepublik Deutschland dessen Auslegung der Norm ISO 14798:2013‑04 „Aufzüge, Fahrtreppen und Fahrsteige – Verfahren zur Risikobeurteilung und ‑minderung“. Zwar lege diese Norm nicht ausdrücklich einen Grundsatz absoluter Sicherheit fest, doch könne die Sicherheit eines Aufzugs nur dann bejaht werden, wenn und soweit dieser keine inakzeptablen Risiken aufweise.

99      Die Kommission und das Königreich Spanien treten dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland entgegen.

100    Es ist darauf hinzuweisen, dass ein Mitgliedstaat dann, wenn er eine auf die Nichterfüllung der grundlegenden Anforderungen gestützte Schutzmaßnahme erlässt, seine Entscheidung angemessen begründen muss, während die Aufgabe der Kommission nur in der Prüfung besteht, ob die von dem fraglichen Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen gerechtfertigt sind (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 15. Juli 2015, CSF/Kommission, T‑337/13, EU:T:2015:502, Rn. 101).

101    Im vorliegenden Fall wirft die Bundesrepublik Deutschland der Kommission im Wesentlichen vor, nicht befunden zu haben, dass der Aufzug M33v3 die grundlegenden Anforderungen nicht erfüllt habe, indem er nicht gewährleiste, dass bei einem gleichzeitigen Ausfall der verschiedenen Sicherheitseinrichtungen des Aufzugs – insbesondere der redundanten Bremse, der beiden zusätzlichen Sicherheitskontakte und der Vorrichtung zur Überwachung des Betretens des Fahrkorbdaches, der möglicherweise noch mit einem menschlichen Versagen im Zusammenhang mit der Nichtaktivierung des „Inspektionsmodus“ während eines Eingriffs auf dem Aufzugsdach zusammenfallen könnte – jegliche Gefahr der Quetschung einer auf dem Fahrkorbdach befindlichen Person völlig ausgeschlossen sei.

102    Abgesehen davon, dass dieses Szenario bei einem Aufzugsmodell, das über eine EG‑Baumusterprüfbescheinigung verfügt, offensichtlich eine sehr geringe Eintrittswahrscheinlichkeit hat, ist indessen festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland lediglich Unfallszenarien darstellt, ohne konkret zu erläutern, unter welchen spezifischen Bedingungen sie im technischen Kontext des Aufzugs M33v3 eintreten können.

103    Würde von der Kommission der Nachweis verlangt, dass die fraglichen Szenarien nicht eintreten können, liefe dies darauf hinaus, die Beweislast umzukehren und letztlich von ihr zu verlangen, eine der Bundesrepublik Deutschland obliegende Analysetätigkeit vorzunehmen.

104    Folglich kann dies nicht zur Feststellung eines Versäumnisses der Kommission beim Erlass des angefochtenen Beschlusses führen.

105    Jedenfalls ist festzustellen, dass die Kommission in den Erwägungsgründen 51 bis 56 des angefochtenen Beschlusses ungeachtet dessen, dass sie hierzu nicht verpflichtet war, gleichwohl die möglichen Ursachen für einen Vorfall im Aufzug M33v3 geprüft hat, der dazu führen könnte, dass sich der senkrechte Abstand von 1,8 m auf 0,5 m verkürzt, wenn der Aufzug M33v3 ordnungsgemäß arbeitet.

106    Nachdem sie die drei von ihr identifizierten möglichen Ursachen für einen Vorfall, nämlich ein Bremsversagen, ein menschliches Versagen und ein Versagen der Endschalter, geprüft hatte, kam die Kommission u. a. auf der Grundlage der Ergebnisse der unabhängigen Studie zu dem Schluss, dass die Gefahr des Eintretens eines solchen Vorfalls sehr gering sei oder so gut wie gar nicht bestehe.

107    Insoweit ist festzustellen, dass die grundlegenden Anforderungen – wie sie in Nr. 2.2 des Anhangs I der Richtlinie 95/16 formuliert sind – vorsehen, dass Aufzüge so auszulegen und zu bauen sind, dass Quetschgefahren in den Endstellungen des Fahrkorbs ausgeschaltet werden, doch kann vernünftigerweise nicht davon ausgegangen werden, dass sie darauf abzielen, eine solche Gefahr vollständig und absolut auszuschließen.

108    Außerdem soll die Norm ISO 14798:2013‑04 „Aufzüge, Fahrtreppen und Fahrsteige – Verfahren zur Risikobeurteilung und ‑minderung“, auf die sich die Bundesrepublik Deutschland beruft, Grundsätze beschreiben und Verfahren zur kohärenten und systematischen Risikobewertung bei Aufzügen, Fahrtreppen und Fahrsteigen festlegen, ohne jedoch die Möglichkeit einer Ausschaltung sämtlicher Risiken vorzusehen.

109    Daher kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, dem von der Bundesrepublik Deutschland befürworteten Ansatz nicht gefolgt zu sein, der im Wesentlichen darin bestanden hätte, Orona für das Inverkehrbringen eines Aufzugmodells abzustrafen, für das nicht sichergestellt werden konnte, dass es 100 % der Unfallrisiken ausschließt.

110    Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler bei der Ermittlung der für die Beurteilung von Quetschgefahren maßgeblichen Unfallszenarien begangen hat.

111    Da sich der zweite Teil nicht als begründet erweist, ist er zurückzuweisen.

 Zum dritten Teil: Verkennung der Bedeutung des Zeitbedarfs für die Einnahme einer sicheren Position und des Risikos einer unkontrollierten Aufwärtsbewegung des Fahrkorbs durch die Kommission

112    Die Bundesrepublik Deutschland beanstandet die von der Kommission in den Erwägungsgründen 55 bis 57 des angefochtenen Beschlusses vorgenommene Gesamtbewertung, insbesondere im Hinblick auf die dieser Bewertung zugrunde liegenden Annahmen zur Gefährlichkeit des Aufzugs M33v3, zur Wahrscheinlichkeit des Vorkommnisses einer Quetschung des Technikers auf dem Fahrkorbdach und zur unkontrollierten Aufwärtsbewegung des Fahrkorbs, insbesondere in Bezug auf die im Rahmen der von der Einrichtung IK4‑Ikerlan erstellten Studie untersuchte Variante des Aufzugs M33v3 mit verkürztem Schachtkopf. Insoweit habe die Kommission weder die Zeit berücksichtigt, die eine auf dem Fahrkorbdach befindliche Person benötige, um rechtzeitig eine angemessene Schutzposition einzunehmen, noch habe sie die verringerte Eintrittswahrscheinlichkeit einer unkontrollierten Aufwärtsbewegung des Aufzugs M33v3 angemessen bewertet.

113    In der Erwiderung trägt die Bundesrepublik Deutschland vor, dass der Zeitbedarf entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht als bedeutungslos angesehen werden könne, da er ein Faktor für die Beurteilung der Frage sei, ob auf dem Fahrkorbdach arbeitende Personen keiner Quetschgefahr ausgesetzt seien, während diese Gefahr nach Nr. 2.2 des Anhangs I der Richtlinie 95/16 ausgeschlossen sein müsse. Die Norm EN 81‑1 zeige gerade einen Weg auf, dieses Ziel zu erreichen, da sie vorsehe, dass Personen auf dem Fahrkorbdach im Gefahrfall rechtzeitig eine geeignete Schutzhaltung einnehmen könnten, solange und soweit die in den Abschnitten 5.7.1.1 sowie 8.13.2 genannten Maße oberhalb des Fahrkorbs eingehalten würden.

114    Des Weiteren habe sich die Zentralstelle der Länder nicht auf die bestehenden Abweichungen von der harmonisierten Norm EN 81‑1 an sich, sondern – auf der Grundlage der von Orona und dem Liftinstituut vorgelegten Dokumente und Informationen – darauf gestützt, dass das von der harmonisierten Norm EN 81‑1 vermittelte Schutzniveau – und damit die grundlegenden Anforderungen – bei der Lösung von Orona offensichtlich nicht erreicht werde. Insbesondere biete die im Aufzug M33v3 verbaute Bremse keinen größeren Schutz als EG‑zertifizierte Bremssysteme, die in der Norm EN 81‑1 entsprechenden Aufzügen eingebaut seien, u. a. deshalb, weil selbst dann, wenn die Bremse nicht als zertifiziertes Sicherheitsbauteil ausgeführt sei, Abschnitt 12.4.2.1 der Norm EN 81‑1 ausdrücklich hervorhebe, dass elektromechanische Bremsvorrichtungen in Aufzügen grundsätzlich redundant sein müssten. Außerdem sei das System der Rucksackaufhängung, mit dem der Aufzug M33v3 ausgestattet sei, bei der Norm EN 81‑1 entsprechenden Aufzügen üblich.

115    Desgleichen sei festzustellen, dass es sich bei dem im Aufzug M33v3 verbauten Bremssystem um das einzige Sicherheitsbauteil handele, welches eine unkontrollierte Aufwärtsbewegung des Fahrkorbs auf mechanischem Wege unterbinden könne, und wie sich aus einer von Orona erstellten Risikoanalyse aus dem Jahr 2012 ergebe, halte sie selbst das Szenario eines Bremsversagens nicht für ausgeschlossen. Ferner könne ein Ausbleiben der Bremswirkung auch auftreten, ohne dass die Bremse selbst defekt sei, etwa bei Elektronik- oder Softwarefehlern.

116    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland entgegen.

117    Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, die Kommission habe den Faktor der Zeit, die eine auf dem Fahrkorbdach befindliche Person für die Einnahme einer Schutzposition benötige, sowie die Gefahr einer unkontrollierten Aufwärtsbewegung des Fahrkorbs des Aufzugs M33v3 nicht berücksichtigt, im Wesentlichen auf eine Wiederholung der im Rahmen des ersten Teils gegen den Ansatz der Kommission vorgebrachten Kritik hinausläuft.

118    Nichts vermag jedoch die Feststellung der Kommission in Frage zu stellen, dass die von Orona durchgeführten alternativen Maßnahmen es ermöglichten, die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen zu gewährleisten.

119    Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass – wie sich aus der Prüfung des fünften Teils ergibt – weder in Nr. 2.2 des Anhangs I der Richtlinie 95/16 noch in der Norm EN 81‑1 zur Beurteilung der Erfüllung der grundlegenden Anforderungen durch einen Aufzug ein zeitlicher Faktor ausdrücklich genannt wird, wobei ein solcher Faktor nur insoweit von gewisser Bedeutung sein kann, als er zusammen mit dem auf dem Fahrkorbdach des Aufzugs verfügbaren Freiraum berücksichtigt wird.

120    Ferner ist auch darauf hinzuweisen, dass die grundlegenden Anforderungen zwar ein sehr hohes Sicherheitsziel festlegen, aber nicht auf die absolute Ausschaltung jeder Gefahr abzielen.

121    Allerdings stellte die Kommission im 55. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses fest, dass gemäß der Schutzmaßnahme zwar eine Quetschgefahr bestehe, wenn der senkrechte Abstand 0,5 m betrage, da die Zeit für das Einnehmen einer sicheren Position nicht ausreiche; doch erreiche der Freiraum bzw. die Schutznische im Aufzug M33v3 nur dann einen senkrechten Abstand von 0,5 m, wenn die Bremse versage.

122    Insoweit ist zum einen festzustellen, dass die am Aufzug M33v3 eingebaute redundante Bremse über eine EG‑Zertifizierung verfügte und diese von der Bundesrepublik Deutschland nicht angefochten wurde, so dass die fragliche Bremse als eine Vorrichtung mit einem sehr hohen Zuverlässigkeitsgrad anzusehen ist, und dass eine solche Vorrichtung, die über eine EG‑Zertifizierung verfügt, entgegen dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland nicht zwingend nur in einem Aufzug eingebaut wird, der die Norm EN 81‑1 erfüllt. Denn selbst wenn – wie die Bundesrepublik Deutschland geltend macht – die gemäß der Norm EN 81‑1 konzipierten Aufzüge ebenfalls mit redundanten Bremsen ausgestattet sein sollten, besteht für den Hersteller solcher Aufzüge keine Pflicht, dass die Bremsen EG-zertifiziert sein müssen.

123    Die EG‑Zertifizierung eines Sicherheitsbauteils gemäß Anhang V der Richtlinie 95/16 bescheinigt aber, dass dieses Sicherheitsbauteil nach Abschluss eines geeignete Kontrollen umfassenden Verfahrens seine Funktion erfüllt, wenn es am Aufzug sachgemäß eingebaut ist. Das Verfahren zur Erteilung einer EG‑Zertifizierung für ein Sicherheitsbauteil bietet grundsätzlich Garantien, die ein gleichwertiges Sicherheitsbauteil, das nicht zertifiziert ist und in einem der Norm EN 81‑1 entsprechenden Aufzug eingebaut wird, nicht aufweist.

124    Folglich ist das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland zurückzuweisen, mit dem im Wesentlichen geltend gemacht wird, dass der Aufzug M33v3 keinen größeren Schutz als ein Aufzug biete, der nur der Norm EN 81‑1 entspreche.

125    Außerdem trifft es zwar zu, dass ein gemäß der Norm EN 81‑1 konzipierter Aufzug auch mit EG‑zertifizierten Bremsen ausgestattet sein kann, wie die Bundesrepublik Deutschland geltend macht, doch geht dieses Vorbringen dann ins Leere, wenn es – wie hier – um die Beurteilung der Frage geht, ob die alternativen Sicherheitsmaßnahmen, die im Rahmen der Konzeption und des Baus des Aufzugs M33v3 ergriffen wurden, dem durch die Norm EN 81‑1 festgelegten Stand der Technik gleichwertig waren.

126    Zum anderen ist auch festzustellen, dass nichts die Feststellung der Kommission im 56. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses in Frage zu stellen vermag, wonach bei einem Bremsversagen im Aufzug M33v3 und in einem gemäß der Norm EN 81‑1 konzipierten Aufzug die Quetschgefahr trotz des Bestehens eines Freiraums auf dem Fahrkorbdach im Hinblick darauf als identisch anzusehen ist, dass in beiden Fällen ein Aufzugsfahrkorb nicht angehalten werden könnte, so dass eine auf dem Fahrkorbdach befindliche Person höchstwahrscheinlich eingequetscht würde.

127    Auch die Gefahr einer unkontrollierten Aufwärtsbewegung des Fahrkorbs wurde von der Kommission im 53. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses geprüft. Insoweit hat die Kommission festgestellt, dass der Aufzug M33v3 mit einer überwachten, redundanten Sicherheitsbremse ausgestattet sei und jeder Bremskreis ausreichend Kraft habe, um den Aufzug allein anzuhalten. Beide Bremskreise bremsten, wenn die Federn betätigt würden, d. h., im aktiven Betriebszustand sei die elektromagnetische Bremse offen und bei einem unvorhersehbaren Stromausfall schlössen beide Bremskreise automatisch, ausgelöst durch Federkraft, so dass ein statisches Halten oder eine dynamische Abbremsung des sich bewegenden Aufzugfahrkorbs in jeder Betriebssituation zuverlässig gewährleistet sei.

128    Es ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland keine stichhaltige Erklärung vorbringt, mit der sich die Feststellungen der Kommission in Frage stellen ließen, sondern dass ihr Vorbringen wiederum darin besteht, den Grundsatz zu Unrecht in Frage zu stellen, dass sich mit ordnungsgemäß geprüften und zertifizierten alternativen Maßnahmen die grundlegenden Anforderungen nicht unter Bedingungen erfüllen ließen, die denen eines gemäß der Norm EN 81‑1 konzipierten Aufzugs zumindest gleichwertig seien.

129    Das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland kann keinen Erfolg haben, da der Kommission nicht vorgeworfen werden kann, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen zu haben. Folglich ist der dritte Teil als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum vierten Teil: fehlerhafter Gesamtvergleich auf der Grundlage der unabhängigen Studie

130    Die Bundesrepublik Deutschland beanstandet den von der Kommission vorgenommenen Gesamtvergleich, wie er auf der unabhängigen Studie beruht. Ihrer Ansicht nach ist die in der Studie angeführte Annahme unzutreffend, wonach der Aufzug M33v3 einen größeren Schutzraum als den Schutzraum entsprechend der Vorgaben der Norm EN 81‑1 aufweise. Es ließen weder der Verfasser der unabhängigen Studie noch die Kommission erkennen, wie und mit welcher Methodik die jeweiligen Risiken rechnerisch ermittelt und zueinander vergleichend in Bezug gesetzt würden.

131    Demgegenüber macht die Kommission geltend, dass sie ihre eigene Analyse durchgeführt habe, deren Ergebnisse lediglich durch die Ergebnisse der unabhängigen Studie bestätigt worden seien, wie sich insbesondere aus dem 62. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ergebe. Entgegen dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland habe sie die Frage eines etwaigen Versagens der redundanten Bremse oder der verbauten Endschalter analysiert. Jedoch hätten weder die deutsche Regierung noch die Zentralstelle der Länder im Rahmen des Schutzverfahrens stichhaltige technische Argumente vorgetragen, um ihren Standpunkt zu untermauern.

132    Im vorliegenden Fall sollte mit der unabhängigen Studie festgestellt werden, ob in Anbetracht des Stands der Technik davon ausgegangen werden konnte, dass die von Orona gewählten technischen Lösungen in Bezug auf den Freiraum auf dem Fahrkorbdach des Aufzugs M33v3 ein Sicherheitsniveau bieten, das dem eines gemäß den einschlägigen harmonisierten Normen konzipierten Aufzugs gleichwertig ist.

133    Wie im neunten Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, kommt die unabhängige Studie zu dem Schluss, dass der Aufzug M33v3 unter normalen Wartungsbedingungen die grundlegenden Anforderungen eindeutig erfülle und er zum Zeitpunkt seines Einbaus ein der Norm EN 81‑1 mindestens gleichwertiges Sicherheitsniveau erreicht habe.

134    In Abschnitt 9.7.2.3 der unabhängigen Studie heißt es außerdem, dass das Freiraumvolumen des Aufzugs M33v3 (mit einer Höhe von 1,8 m multipliziert mit der Fläche des Fahrkorbdaches) eine Lösung biete, die Ergonomie und Zugänglichkeit beachte, was bei der Norm EN 81‑1 nicht der Fall sei.

135    Unter Übernahme der Schlussfolgerungen der unabhängigen Studie befand die Kommission nach Abschluss ihrer Gesamtanalyse im 62. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses, dass unter Berücksichtigung der Ergebnisse der unabhängigen Studie, die ihre eigene Analyse bestätigten, der Schluss gezogen werden könne, dass der Aufzug M33v3 die grundlegenden Anforderungen erfülle und ein Sicherheitsniveau erreiche, das mindestens dem Sicherheitsniveau eines Aufzugs nach der Norm EN 81‑1 entspreche, deren Einhaltung zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Aufzugs M33v3 eine Konformitätsvermutung begründet habe.

136    Es zeigt sich, dass der angefochtene Beschluss, dessen Beurteilungen durch die Schlussfolgerungen der unabhängigen Studie bestätigt werden, entgegen dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland detaillierte und überzeugende Erläuterungen enthält, welche die Feststellung erlauben, dass der Aufzug M33v3 die grundlegenden Anforderungen erfüllt.

137    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Aufzug M33v3 unter normalen Umständen auf dem Fahrkorbdach über einen senkrechten Freiraum von 1,8 m verfügt, was einer Person, die auf das Dach gelangt, die sichere Vornahme von Wartungsarbeiten ermöglicht.

138    Die Kommission hat erläutert, dass drei verschieden hohe Abstände zwischen Fahrkorbdach und Schachtkopfdecke, nämlich 1,8 m, 1 m und 0,5 m, zu berücksichtigen seien, und die Voraussetzungen erläutert, unter denen diese Abstände auftreten könnten. Somit zeigt sich, dass die unabhängige Studie den Umfang des Freiraums auf der Grundlage des senkrechten Abstands von 1,8 m berechnet hat, der der normalen Betriebssituation des Aufzugs M33v3 bei Wartungsarbeiten entspricht. Der angefochtene Beschluss enthält Erläuterungen, anhand deren sich nachvollziehen lässt, wie dieser senkrechte Abstand von 1,8 m durch zuverlässige technische Vorrichtungen beibehalten wird und unter welchen außergewöhnlichen Umständen er auf 1 m oder gar auf 0,5 m reduziert werden kann.

139    Es ist jedoch festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland erneut bestrebt ist, die Beweislast dadurch umzukehren, dass sie lediglich die Stichhaltigkeit der sowohl im Rahmen der unabhängigen Studie als auch von der Kommission vorgenommenen Bewertung des Volumens der Schutznische auf dem Dach des Aufzugs M33v3 im Normalbetrieb beanstandet und von der Kommission eine Rechtfertigung für die Methode verlangt, nach der die jeweiligen Risiken in mathematischer Hinsicht bewertet worden sind. Ferner ist festzustellen, dass das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, wonach die Kommission hätte angeben müssen, wie und nach welcher Methode die jeweiligen Risiken berechnet und zueinander vergleichend in Bezug gesetzt worden seien, vage und durch nichts belegt ist.

140    Der von der Bundesrepublik Deutschland vertretene Argumentationsansatz ist zurückzuweisen, und es ist vielmehr festzustellen, dass die Gesichtspunkte, die von der Kommission im angefochtenen Beschluss dargelegt und durch die Feststellungen in der unabhängigen Studie bestätigt wurden, nach der der Aufzug M33v3 die wesentlichen Anforderungen an das Vorhandensein eines Schutzraums auf dem Fahrkorbdach erfülle, durch die von der Bundesrepublik Deutschland vorgebrachten Argumente nicht in Frage gestellt werden können.

141    Daher ist der vierte Teil als unbegründet zurückzuweisen, mit dem im Wesentlichen ein fehlerhafter Gesamtvergleich auf der Grundlage der unabhängigen Studie gerügt wird, und damit der einzige Klagegrund, den die Bundesrepublik Deutschland in ihren Schriftsätzen geltend gemacht hat. Folglich ist die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

142    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission ihre eigenen Kosten und die Kosten der Kommission aufzuerlegen.

143    Ferner tragen nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Folglich trägt das Königreich Spanien seine eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Europäischen Kommission.

3.      Das Königreich Spanien trägt seine eigenen Kosten.

Schalin

Nõmm

Steinfatt

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 13. September 2023.

Der Kanzler

 

Der Präsident

V. Di Bucci

 

S. Papasavvas


*      Verfahrenssprache: Deutsch.