Language of document : ECLI:EU:T:2011:363

Rechtssachen T141/07, T142/07, T145/07 und T146/07

General Technic-Otis Sàrl u. a.

gegen

Europäische Kommission

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für die Montage und Wartung von Aufzügen und Fahrtreppen – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Manipulation von Ausschreibungen – Aufteilung der Märkte –Festsetzung der Preise“

Leitsätze des Urteils

1.      Wettbewerb – Unionsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Wirtschaftliche Einheit – Beurteilungskriterien – Vermutung, dass eine Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf Tochtergesellschaften ausübt, deren Kapital sie zu 100 % hält

(Art. 81 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

2.      Wettbewerb – Unionsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Wirtschaftliche Einheit – Beurteilungskriterien – Vermutung, dass eine Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf Tochtergesellschaften ausübt, deren Kapital sie zu 100 % hält – Verstoß gegen den Grundsatz der individuellen Zumessung von Strafen – Fehlen – Verstoß gegen die Unschuldsvermutung – Fehlen

(Art. 81 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

3.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Implizite Begründung – Zulässigkeit

(Art. 253 EG)

4.      Wettbewerb – Unionsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Vermutung, dass eine Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf Tochtergesellschaften ausübt, deren Kapital sie zu 100 % hält – Von einer Zwischenholding gehaltene Tochtergesellschaft – Zur Widerlegung der Vermutung unzureichender Umstand

(Art. 81 EG)

5.      Wettbewerb – Unionsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Vermutung, dass eine Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf Tochtergesellschaften ausübt, deren Kapital sie zu 100 % hält – Unabhängigkeit des Verhaltens der Arbeitnehmer der Tochtergesellschaften gegenüber diesen – Fehlen

(Art. 81 EG)

6.      Wettbewerb – Unionsvorschriften – Adressaten – Unternehmen – Begriff – Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit – Einheit, die Kontrollbeteiligungen an einer Gesellschaft hält und auf deren Verwaltung Einfluss nimmt – Einbeziehung

(Art. 81 Abs. 1 EG)

7.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Unterbliebene Übermitteilung eines Schriftstücks, das zur Untermauerung eines Beschwerdepunkts nicht entscheidend ist – Beweislast

8.      Wettbewerb – Geldbußen – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – Rechtsnatur

(Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

9.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Beurteilung – Verpflichtung zur Berücksichtigung der konkreten Auswirkungen auf den Markt – Fehlen – Vorrangige Rolle des Kriteriums der Art der Zuwiderhandlung

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A)

10.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Verpflichtung zur Berücksichtigung der Größe des Marktes – Fehlen

(Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A Abs. 2 dritter Gedankenstrich)

11.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Berücksichtigung der tatsächlichen wirtschaftlichen Fähigkeit des Unternehmens, einen Schaden zu verursachen

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A)

12.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Dauer der Zuwiderhandlung – Zuwiderhandlungen von langer Dauer – Automatische Erhöhung des Ausgangsbetrags um 10 % pro Jahr

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 B Abs. 1 erster bis dritter Gedankenstrich)

13.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Abschreckender Charakter – Kriterien für die Beurteilung des Abschreckungsfaktors – Berücksichtigung der Größe und der Gesamtressourcen des mit einer Sanktion belegten Unternehmens

Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A)

14.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Niedrigere Festsetzung der Geldbuße als Gegenleistung für eine Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens – Voraussetzungen – Erheblicher Mehrwert der vom betreffenden Unternehmen vorgelegten Beweismittel

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2002/C 45/03 der Kommission)

15.    Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Kurze Darstellung der Klagegründe – In einer Fußnote der Klageschrift angeführtes Argument – Unzulässigkeit

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 44 § 1 Buchst. c)

16.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Nichtfestsetzung oder niedrigere Festsetzung der Geldbuße als Gegenleistung für die Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens – Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit – Herabsetzung wegen Nichtbestreitens außerhalb dieser Mitteilung

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilungen 96/C 207/04 und 2002/C 45/03 der Kommission)

17.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Nichtfestsetzung oder niedrigere Festsetzung der Geldbuße als Gegenleistung für die Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens – Herabsetzung wegen Nichtbestreitens außerhalb der Mitteilung über Zusammenarbeit – Verhältnismäßigkeit

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2002/C 45/03 der Kommission)

18.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Ermessensspielraum der Kommission – Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Voraussetzungen

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

1.      Einer Muttergesellschaft kann das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft insbesondere dann zugerechnet werden, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt, und zwar vor allem wegen der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen, die die beiden Rechtssubjekte verbinden. In einem solchen Fall sind nämlich die Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft Teil ein und derselben wirtschaftlichen Einheit und bilden damit ein Unternehmen. Weil eine Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft ein Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG bilden, kann die Kommission demnach eine Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden, an die Muttergesellschaft richten, ohne dass deren persönliche Beteiligung an der Zuwiderhandlung nachgewiesen werden müsste

Dabei kann sich die Kommission nicht mit der Feststellung begnügen, dass ein Unternehmen einen entscheidenden Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausüben kann, ohne dass zu prüfen wäre, ob dieser Einfluss tatsächlich ausgeübt wurde. Vielmehr hat sie grundsätzlich einen solchen entscheidenden Einfluss anhand einer Reihe tatsächlicher Umstände zu beweisen, zu denen insbesondere auch das etwaige Weisungsrecht eines dieser Unternehmen gegenüber dem anderen gehört.

In dem besonderen Fall, dass eine Muttergesellschaft 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft hält, die gegen die Wettbewerbsregeln der Union verstoßen hat, kann zum einen diese Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten dieser Tochtergesellschaft ausüben und besteht zum anderen eine widerlegbare Vermutung, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübt.

Unter diesen Umständen braucht die Kommission zur Begründung der Vermutung, dass die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik des Tochterunternehmens ausübt, lediglich nachzuweisen, dass die Muttergesellschaft das gesamte Kapital dieser Tochtergesellschaft hält. Die Kommission kann in der Folge die Muttergesellschaft für die Zahlung der gegen ihre Tochtergesellschaft verhängten Geldbuße gesamtschuldnerisch zur Haftung heranziehen, sofern die Muttergesellschaft, der es obliegt, diese Vermutung zu widerlegen, keine ausreichenden Beweise dafür erbringt, dass ihre Tochtergesellschaft auf dem Markt eigenständig auftritt.

Das eventuelle Bestehen einer gemeinsamen Kontrolle einer Tochtergesellschaft durch Muttergesellschaften ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Folglich lässt sich die von der Kommission in früheren Fällen vorgenommene Würdigung von Sachverhalten nicht auf jeden Einzelfall übertragen; Entscheidungen in früheren Fällen können nur Hinweischarakter haben, da die tatsächlichen Gegebenheiten in den Wettbewerbssachen nicht die gleichen sind.

Daraus folgt, dass, wenn eine Muttergesellschaft im Zuwiderhandlungszeitraum unmittelbar 100 % des Kapitals einer ihrer Tochtergesellschaften und mittelbar – über diese – 100 % des Kapitals anderer in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässiger Tochtergesellschaften hält, die Kommission zu Recht vermutet, dass die Muttergesellschaft in diesem Zeitraum einen bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik der letztgenannten Gesellschaften ausgeübt hat.

(vgl. Randnrn. 56-60, 69-70, 108, 381)

2.      Nach dem Grundsatz der individuellen Zumessung von Strafen, der für jedes Verwaltungsverfahren gilt, das zur Verhängung von Sanktionen nach den Wettbewerbsregeln der Union führen kann, darf ein Unternehmen nur für die Handlungen bestraft werden, die ihm individuell zur Last gelegt worden sind. Dieser Grundsatz muss jedoch mit dem Unternehmensbegriff in Einklang gebracht werden. Denn nicht ein zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft in Bezug auf die Zuwiderhandlung bestehendes Anstiftungsverhältnis und schon gar nicht eine Beteiligung der Ersteren an dieser Zuwiderhandlung, sondern der Umstand, dass sie ein einziges Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG bilden, verleiht der Kommission die Befugnis, eine Entscheidung über die Verhängung von Geldbußen an die Muttergesellschaft einer Unternehmensgruppe zu richten.

Der Grundsatz der Unschuldsvermutung, der sich namentlich aus Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, gehört zu den Grundrechten, die im Unionsrecht anerkannt sind, und ist im Übrigen durch Art. 6 Abs. 2 EU und durch Art. 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigt worden. Angesichts der Art der fraglichen Zuwiderhandlungen sowie der Art und Schwere der ihretwegen verhängten Sanktionen gilt der Grundsatz der Unschuldsvermutung auch in Verfahren wegen Verletzung der für Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln, in denen Geldbußen oder Zwangsgelder verhängt werden können.

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass eine Bestimmung über die Zurechenbarkeit einer Zuwiderhandlung wie die Vermutung, dass eine Muttergesellschaft, die 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaften hält, bestimmenden Einfluss auf diese ausübt, nicht gegen die Unschuldsvermutung verstoßen kann. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat nämlich die Auffassung vertreten, dass Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention den in Strafgesetzen enthaltenen Tatsachen- oder Rechtsvermutungen nicht entgegensteht, sondern fordert, diese unter Berücksichtigung der schwerwiegenden Auswirkungen und der Wahrung der Rechte der Verteidigung in angemessenen Grenzen zu halten. Ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung scheidet somit aus, wenn in Wettbewerbsverfahren aus typischen Geschehensabläufen nach Erfahrungssätzen bestimmte Schlussfolgerungen gezogen werden und die betroffenen Unternehmen die Möglichkeit behalten, diese Schlussfolgerungen zu entkräften.

(vgl. Randnrn. 71, 73, 77)

3.      Die durch Art. 253 EG vorgeschriebene Begründung muss die Überlegungen des Unionsorgans, das den streitigen Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann.

Ob die Begründung einer Entscheidung den Erfordernissen dieser Bestimmung genügt, ist nicht nur nach ihrem Wortlaut zu beurteilen, sondern auch anhand ihres Zusammenhangs sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet.

Im Übrigen kann die Begründung auch implizit erfolgen, sofern sie es den Betroffenen ermöglicht, die Gründe für die getroffenen Maßnahmen zu erfahren, und dem zuständigen Gericht ausreichende Angaben an die Hand gibt, damit es seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann.

(vgl. Randnrn. 80, 97, 301-302)

4.      Die Vermutung einer Haftung der Muttergesellschaft, die 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaften hält, wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union wird auch nicht durch die Behauptung widerlegt, dass die Muttergesellschaft als Holdinggesellschaft eines diversifizierten Konglomerats die Tätigkeiten einer ihrer Tochtergesellschaften nur insoweit überwacht habe, als sie nach dem anwendbaren Recht ihren eigenen Aktionären gegenüber dazu verpflichtet gewesen sei. Denn eine Holding ist im Rahmen einer Unternehmensgruppe eine Gesellschaft, die die Beteiligungen an verschiedenen Gesellschaften bündeln und als deren Leitungsinstanz fungieren soll.

5.      Was die Vermutung der Haftung einer Muttergesellschaft, die 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaften hält, für von diesen begangene Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Union angeht, so lässt sich die Vermutung der mangelnden Eigenständigkeit der betreffenden Tochtergesellschaften nicht damit widerlegen, dass bestimmte Angestellte dieser Tochtergesellschaften gegen die Weisungen der Muttergesellschaft verstoßen und insbesondere ihr Verhalten vor ihren Vorgesetzten und der Muttergesellschaft geheim gehalten hätten. Die Unterscheidung zwischen den Tochtergesellschaften und ihren Angestellten, die die Zuwiderhandlungen begangen und dabei ihr Verhalten vor ihren Vorgesetzten und der Muttergesellschaft geheim gehalten hätten, ist gekünstelt. Zwischen diesen Angestellten und den Tochtergesellschaften, bei denen sie beschäftigt sind, besteht ein Verhältnis, das dadurch gekennzeichnet ist, dass sie für das betreffende Unternehmen und unter seiner Leitung arbeiten und während der Dauer dieses Verhältnisses in diese Unternehmen integriert sind und somit mit jedem von ihnen eine wirtschaftliche Einheit bilden.

(vgl. Randnr. 87)

6.      Der Begriff des Unternehmens im Wettbewerbsrecht umfasst jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Der bloße Besitz von Beteiligungen, auch von Kontrollbeteiligungen, stellt nicht schon eine wirtschaftliche Tätigkeit der Einheit dar, die diese Beteiligungen hält, wenn mit ihm nur die Ausübung der Rechte, die mit der Eigenschaft eines Aktionärs oder Mitglieds verbunden sind, und gegebenenfalls der Bezug von Dividenden einhergeht, die bloß die Früchte des Eigentums an einem Gut sind. Dagegen ist eine Einheit, die Kontrollbeteiligungen an einer Gesellschaft hält, als an der wirtschaftlichen Tätigkeit des kontrollierten Unternehmens beteiligt anzusehen, wenn sie diese Kontrolle tatsächlich durch unmittelbare oder mittelbare Einflussnahme auf die Verwaltung der Gesellschaft ausübt. Um im Rahmen der Untersuchung der Frage, ob mehrere zu einer Gruppe gehörende Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit bilden, zu prüfen, ob eine solche Kontrolle tatsächlich ausgeübt wird, kann berücksichtigt werden, ob das Mutterunternehmen die Preispolitik, die Herstellungs- und Vertriebsaktivitäten, die Verkaufsziele, die Bruttomargen, die Verkaufskosten, den Cash-flow, die Lagerbestände und das Marketing beeinflussen konnte. Zu berücksichtigen sind aber auch sämtliche im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Verbindungen zwischen den Gesellschaften relevanten Gesichtspunkte, die von Fall zu Fall variieren und daher nicht abschließend aufgezählt werden können.

(vgl. Randnrn. 101, 103)

7.      Die Beachtung der Verteidigungsrechte stellt in allen Verfahren, die zu Sanktionen, namentlich zu Geldbußen oder Zwangsgeldern, führen können, einen fundamentalen Grundsatz des Unionsrechts dar, der auch in einem Verwaltungsverfahren beachtet werden muss. Insoweit stellt die Mitteilung der Beschwerdepunkte eine Verfahrensgarantie dar, die Ausdruck dieses fundamentalen Grundsatzes ist. Diesem Grundsatz zufolge muss die Mitteilung der Beschwerdepunkte, die die Kommission an ein Unternehmen richtet, gegen das sie eine Sanktion wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln zu verhängen beabsichtigt, insbesondere die wesentlichen diesem Unternehmen zur Last gelegten Gesichtspunkte wie den ihm vorgeworfenen Sachverhalt, dessen Einstufung und die von der Kommission herangezogenen Beweismittel enthalten, damit sich das Unternehmen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens, das gegen es eingeleitet worden ist, sachgerecht äußern kann.

In diesem Zusammenhang stellt die unterbliebene Übermittlung eines belastenden Schriftstücks nur dann eine Verletzung der Verteidigungsrechte dar, wenn das betreffende Unternehmen dartut, dass sich die Kommission zur Untermauerung des Vorwurfs einer Zuwiderhandlung auf dieses Schriftstück gestützt hat und dass dieser Vorwurf nur durch die Heranziehung des Schriftstücks belegt werden kann. Gibt es andere Belege, von denen die Parteien im Verwaltungsverfahren Kenntnis hatten und die speziell die Schlussfolgerungen der Kommission stützen, würde der Wegfall des dem Betroffenen nicht übermittelten Belegs als Beweismittel die Begründetheit der in der angefochtenen Entscheidung erhobenen Vorwürfe nicht beeinträchtigen. Das betroffene Unternehmen muss somit dartun, dass das Ergebnis, zu dem die Kommission in ihrer Entscheidung gekommen ist, anders ausgefallen wäre, wenn ein nicht übermitteltes Schriftstück, auf das die Kommission ihre Vorwürfe gegen dieses Unternehmen gestützt hat, als belastendes Beweismittel ausgeschlossen werden müsste.

(vgl. Randnrn. 122-124, 197)

8.      Die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, können zwar nicht als Rechtsnorm qualifiziert werden, die die Verwaltung auf jeden Fall zu beachten hat, sie stellen jedoch eine Verhaltensnorm dar, die einen Hinweis auf die zu befolgende Verwaltungspraxis enthält und von der die Verwaltung im Einzelfall nicht ohne Angabe von Gründen abweichen kann, die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar sind. Die Kommission hat dadurch, dass sie derartige Verhaltensnormen erlassen und durch ihre Veröffentlichung angekündigt hat, dass sie sie von nun an auf die von ihnen erfassten Fälle anwenden werde, die Ausübung ihres Ermessens beschränkt und kann nicht von diesen Normen abweichen, ohne dass dies gegebenenfalls wegen eines Verstoßes gegen allgemeine Rechtsgrundsätze wie die der Gleichbehandlung oder des Vertrauensschutzes geahndet würde. Sodann legen diese Leitlinien allgemein und abstrakt die Methode fest, die sich die Kommission zur Festsetzung der Geldbußen auferlegt hat, und schaffen damit Rechtssicherheit für die Unternehmen.

(vgl. Randnrn. 137-139)

9.      Die Schwere der Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union ist anhand einer Vielzahl von Faktoren zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten.

Nach Abschnitt 1 A Absatz 1 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, muss die Kommission im Rahmen der Beurteilung der Schwere des Verstoßes die konkreten Auswirkungen auf den Markt nur dann untersuchen, wenn diese Auswirkungen messbar sind. Bei deren Beurteilung muss sich die Kommission auf den Wettbewerb beziehen, der normalerweise ohne eine Zuwiderhandlung geherrscht hätte. Wenn die Klägerinnen demnach nicht nachweisen, dass die konkreten Auswirkungen der Kartelle messbar waren, ist die Kommission nicht verpflichtet, die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlungen bei der Beurteilung ihrer Schwere zu berücksichtigen. Die Auswirkungen einer wettbewerbswidrigen Praxis sind nämlich kein ausschlaggebendes Kriterium für die Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung. Gesichtspunkte, die die Intention eines Verhaltens betreffen, können größere Bedeutung haben als solche, die seine Wirkungen betreffen, vor allem, wenn es sich dem Wesen nach um schwere Zuwiderhandlungen wie die Marktaufteilung handelt. Die Art der Zuwiderhandlungen spielt somit insbesondere bei deren Einstufung als „besonders schwer“ eine vorrangige Rolle. Aus der Beschreibung der besonders schweren Verstöße in den genannten Leitlinien ergibt sich, dass Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die die Aufteilung von Märkten bezwecken, allein aufgrund ihrer Art als besonders schwere Verstöße angesehen werden können, ohne dass es erforderlich wäre, sie durch bestimmte Auswirkungen oder einen besonderen räumlichen Umfang zu kennzeichnen. Dieses Ergebnis wird dadurch bestätigt, dass zwar in der Beschreibung der schweren Verstöße ausdrücklich erwähnt wird, dass sie Auswirkungen auf den Markt haben und in einem größeren Teil des Gemeinsamen Marktes zum Tragen kommen, die Beschreibung der besonders schweren Verstöße aber kein Erfordernis konkreter Auswirkungen auf den Markt oder auf ein besonderes geografisches Gebiet enthält.

Diese Verstöße werden außerdem in Art. 81 Abs. 1 Buchst. c EG unter den Beispielen für Absprachen genannt, die ausdrücklich für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt werden. Außer der schweren Störung des Wettbewerbs, die diese Absprachen mit sich bringen, bewirken sie, da sie die Parteien dazu verpflichten, gesonderte, oft durch Staatsgrenzen abgegrenzte Märkte zu respektieren, eine Abschottung dieser Märkte und konterkarieren so das Hauptziel des Vertrags, die Integration des Gemeinschaftsmarkts. Daher werden derartige Zuwiderhandlungen, insbesondere wenn es sich um horizontale Absprachen handelt, von der Rechtsprechung als „besonders schwer“ oder als „offenkundige Zuwiderhandlungen“ qualifiziert.

Zudem ist der Umfang des räumlichen Marktes nach diesen Leitlinien nur eines der drei einschlägigen Kriterien für die Gesamtbeurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung. Unter diesen miteinander zusammenhängenden Kriterien ist der Umfang des räumlichen Marktes kein eigenständiges Kriterium in dem Sinne, dass nur Zuwiderhandlungen, die mehrere Mitgliedstaaten betreffen, als „besonders schwer“ eingestuft werden könnten. Weder der Vertrag noch die Erzieherinnen Ansari Verordnung Nr. 1/2003, noch diese Leitlinien, noch die Rechtsprechung lassen die Annahme zu, dass nur räumlich sehr ausgedehnte Beschränkungen so eingestuft werden könnten. Im Übrigen stellt das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, auch wenn es im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten relativ klein ist, jedenfalls einen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes dar.

(vgl. Randnrn. 135, 151-152, 156, 158-160, 163-164, 180, 182-184, 195, 202, 206)

10.    Im Bereich von Entscheidungen, mit denen die Kommission eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union feststellt und Geldbußen verhängt, ist die Größe des betroffenen Marktes bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung grundsätzlich kein obligatorischer, sondern nur ein relevanter Faktor unter anderen, wobei die Kommission im Übrigen nicht zur Abgrenzung des betroffenen Marktes oder der Beurteilung seiner Größe verpflichtet ist, wenn die betreffende Zuwiderhandlung einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt. Denn die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, sehen zwar nicht vor, dass die Höhe von Geldbußen anhand des Gesamtumsatzes oder des Umsatzes der Unternehmen auf dem betreffenden Markt berechnet wird. Sie schließen jedoch auch nicht aus, dass diese Umsätze bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt werden, damit die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts gewahrt bleiben und wenn die Umstände es erfordern.

Außerdem setzt die Kommission die allgemeinen Ausgangsbeträge der Geldbußen für in mehreren Mitgliedstaaten begangene Zuwiderhandlungen kohärent fest, wenn sie unter Berücksichtigung der Größe der betroffenen Märkte umso höhere Ausgangsbeträge ansetzt, je größer diese Märkte sind, ohne dabei jedoch eine genaue mathematische Formel anzuwenden.

Unter diesen Umständen ist weder der allgemeine Ausgangsbetrag einer für eine in Luxemburg begangene Zuwiderhandlung festgesetzten Geldbuße, der der Hälfte des Mindestbetrags entspricht, der in den genannten Leitlinien für eine als besonders schwer angesehene Zuwiderhandlung normalerweise vorgesehen ist, herabzusetzen noch davon auszugehen, dass dieser Betrag überhöht wäre.

(vgl. Randnrn. 168-172, 174, 176-177, 180, 203)

11.    Eine differenzierte Behandlung der betroffenen Unternehmen bei der Bemessung der nach Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 verhängten Geldbußen ergibt sich unmittelbar aus der Ausübung der der Kommission nach dieser Vorschrift zustehenden Befugnisse. Die Kommission hat nämlich in Ausübung ihres Ermessens die Sanktion entsprechend den für die betroffenen Unternehmen kennzeichnenden Verhaltensweisen und Eigenschaften individuell festzulegen, um in jedem Einzelfall die volle Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln der Union sicherzustellen. Demgemäß bestimmen die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, dass bei Verstößen von einer bestimmten Schwere in Fällen, in denen wie bei Kartellen mehrere Unternehmen beteiligt sind, der allgemeine Ausgangsbetrag gewichtet und ein spezifischer Ausgangsbetrag festgesetzt werden sollte, der das Gewicht und damit die tatsächliche Auswirkung des Verstoßes jedes einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb berücksichtigt, vor allem, wenn an einem Verstoß derselben Art Unternehmen von sehr unterschiedlicher Größe beteiligt waren. Insbesondere muss die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Verstöße berücksichtigt werden, Wettbewerber und den Verbraucher wirtschaftlich in erheblichem Umfang zu schädigen.

Nach diesen Leitlinien kann außerdem der Grundsatz der Strafgleichheit bei gleicher Verhaltensweise dazu führen, dass abgestufte Beträge gegenüber den beteiligten Unternehmen festgesetzt werden, wobei dieser Abstufung keine arithmetische Formel zugrunde liegt.

Daher beachtet die Kommission den Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn sie die unterschiedlichen Situationen eines Unternehmens, das nur an einem Teil eines für wettbewerbswidrig angesehenen Kartells teilgenommen hat, einerseits und von Unternehmen, die an mehreren Teilen dieser Zuwiderhandlung teilgenommen haben, andererseits berücksichtigt und demgemäß unterschiedliche Umsätze für die beiden betroffenen Unternehmenskategorien zugrunde legt.

(vgl. Randnrn. 210-212, 220-221)

12.    Nach Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 ist die Dauer der Zuwiderhandlung einer der Gesichtspunkte, die bei der Bemessung der Geldbuße für Unternehmen, die gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen haben, zu berücksichtigen sind; insoweit unterscheiden die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, zwischen Verstößen von kurzer Dauer (in der Regel weniger als ein Jahr), bei denen der anhand der Schwere festgesetzte Ausgangsbetrag nicht erhöht werden sollte, Verstößen von mittlerer Dauer (in der Regel zwischen einem und fünf Jahren), bei denen dieser Betrag um bis zu 50 % erhöht werden kann, und Verstößen von langer Dauer (in der Regel mehr als fünf Jahre), bei denen dieser Betrag für jedes Jahr um 10 % erhöht werden kann. Die Kommission kann daher in Anwendung der Regeln, die sie sich selbst in diesen Leitlinien gesetzt hat, den Ausgangsbetrag der Geldbuße wegen der Dauer eines Verstoßes, der sich über mehr als acht Jahre erstreckt hat, um 80 %, nämlich um 10 % für jedes Jahr, erhöhen, ohne dass diese Erhöhung angesichts der langen Dauer der Zuwiderhandlung als offensichtlich unverhältnismäßig angesehen werden kann.

Überdies ist die Kommission angesichts einer einzigen fortgesetzten Zuwiderhandlung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die daran Beteiligten während der gesamten Dauer des Verstoßes ein gemeinsames Ziel verfolgten, indem sie namentlich Projekte untereinander aufteilten und ihr jeweiliges Bieterverhalten bei Ausschreibungen beschränkten, und bei der es sich daher um einen besonders schweren Verstoß handelt, berechtigt, für dessen gesamte Dauer denselben Erhöhungssatz anzuwenden.

(vgl. Randnrn. 225-226, 228-229, 232)

13.    Die Notwendigkeit, eine hinreichende Abschreckungswirkung der Geldbuße sicherzustellen – wenn sie nicht schon einen Grund für eine allgemeine Erhöhung der Geldbußen im Rahmen der Durchführung einer Wettbewerbspolitik bildet –, gebietet es, die Höhe der Geldbuße individuell anzupassen, um die angestrebte Wirkung für das Unternehmen, gegen das sie verhängt wird, zu erzielen, damit die Geldbuße – nach den Erfordernissen, die sich zum einen aus der Notwendigkeit, ihre Wirksamkeit zu gewährleisten, und zum anderen aus der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ergeben – insbesondere im Hinblick auf die Finanzkraft des betreffenden Unternehmens nicht zu niedrig oder aber zu hoch ausfällt.

Insoweit kann die Kommission den Gesamtumsatz jedes an einem Kartell beteiligten Unternehmens als relevantes Kriterium für die Festsetzung eines Abschreckungsmultiplikators heranziehen. So sind die Größe und die Gesamtressourcen eines Unternehmens die maßgeblichen Kriterien im Hinblick auf das angestrebte Ziel, die Wirksamkeit der Geldbuße zu gewährleisten durch Anpassung ihrer Höhe nach Maßgabe der Gesamtressourcen des Unternehmens und seiner Fähigkeit, die notwendigen Mittel zur Zahlung dieser Geldbuße aufzubringen. Mit der Festlegung des Erhöhungssatzes des Ausgangsbetrags zur Gewährleistung einer hinreichenden Abschreckungswirkung der Geldbuße soll nämlich in erster Linie die Wirksamkeit der Geldbuße sichergestellt und weniger die Schädlichkeit der Zuwiderhandlung für den freien Wettbewerb und damit die Schwere dieser Zuwiderhandlung berücksichtigt werden.

Auch berührt der Umstand, dass die Wahrscheinlichkeit erneuter Verstöße des betreffenden Unternehmens nicht geprüft wurde, die Rechtmäßigkeit des Multiplikationsfaktors in keiner Weise. Der Zusammenhang zwischen der Größe und den Gesamtressourcen der Unternehmen und der Notwendigkeit, die abschreckende Wirkung der Geldbuße sicherzustellen, lässt sich nämlich nicht bestreiten. Ein großes Unternehmen, das verglichen mit den übrigen Mitgliedern eines Kartells über beträchtliche finanzielle Ressourcen verfügt, kann insoweit die zur Zahlung seiner Geldbuße erforderlichen Mittel leichter aufbringen; dies rechtfertigt es im Hinblick auf eine hinreichende Abschreckungswirkung der Geldbuße, insbesondere durch Anwendung eines Multiplikators eine entsprechend höhere Geldbuße festzusetzen als für die gleiche Zuwiderhandlung eines Unternehmens, das nicht über derartige Ressourcen verfügt.

Da die Erhöhung des Ausgangsbetrags zur Gewährleistung einer hinreichend abschreckenden Wirkung der Geldbuße namentlich die Wirksamkeit der Geldbuße unter Berücksichtigung der Finanzkraft des Unternehmens sicherstellen soll, ist die Kommission schließlich nicht verpflichtet, bei der Festsetzung des anwendbaren Multiplikationsfaktors die Aufstellung eines Programms zur Befolgung der Wettbewerbsregeln durch das betreffende Unternehmen zu berücksichtigen.

(vgl. Randnrn. 239-242, 245, 247)

14.    Die Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (Mitteilung über Zusammenarbeit) ist ein Instrument, mit dem unter Beachtung des höherrangigen Rechts die Kriterien präzisiert werden sollen, die die Kommission bei der Ausübung ihres Ermessens anzuwenden gedenkt, wenn sie die wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union verhängten Geldbußen festsetzt. Daraus ergibt sich eine Selbstbeschränkung dieses Ermessens, die jedoch mit dem Fortbestand ihres erheblichen Wertungsspielraums nicht unvereinbar ist.

Somit verfügt die Kommission über einen weiten Wertungsspielraum, wenn sie zu prüfen hat, ob Beweismittel, die von einem Unternehmen vorgelegt worden sind, das erklärt hat, es wolle die Mitteilung über Zusammenarbeit in Anspruch nehmen, einen erheblichen Mehrwert im Sinne von Randnr. 21 dieser Mitteilung darstellen.

Ebenso verfügt die Kommission, nachdem sie festgestellt hat, dass Beweismittel einen erheblichen Mehrwert im Sinne von Randnr. 21 der Mitteilung über Zusammenarbeit darstellen, über einen Wertungsspielraum, wenn sie den genauen Umfang der dem betreffenden Unternehmen zu gewährenden Ermäßigung der Geldbuße zu bestimmen hat. Randnr. 23 Buchst. b Abs. 1 dieser Mitteilung sieht nämlich für die verschiedenen Kategorien von Unternehmen, auf die er sich bezieht, jeweils Bandbreiten vor, innerhalb deren Geldbußen für die verschiedenen Kategorien von betroffenen Unternehmen ermäßigt werden können.

Unter diesen Umständen überschreitet die Kommission mit der Gewährung einer sich in dieser Bandbreite bewegenden Geldbußenermäßigung nicht offensichtlich ihren Wertungsspielraum, wenn die Beweismittel unabhängig von ihrer Qualität und Nützlichkeit zu einem Zeitpunkt übermittelt wurden, zu dem die Kommission bereits über die für die Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG erforderlichen Informationen verfügte, bereits eine Reihe von Nachprüfungen durchgeführt hatte und bereits einen Antrag eines anderen Unternehmens nach dieser Mitteilung erhalten hatte.

(vgl. Randnrn. 260-261, 263-265, 270, 273-274, 278, 282-284, 289, 291, 295, 298, 309-312, 322-323, 326, 328-332, 345-349, 375, 377)

15.    Ein in einer Fußnote der Klageschrift geltend gemachtes Argument, das die Klägerinnen in keiner Weise erläutert haben, erfüllt nicht die Voraussetzungen des Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung und ist deshalb unzulässig.

(vgl. Randnr. 338)

16.    Auf den Vertrauensschutz kann sich jeder berufen, bei dem die Unionsverwaltung durch bestimmte Zusicherungen begründete Erwartungen geweckt hat. Dagegen kann niemand eine Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes geltend machen, dem die Verwaltung keine bestimmten Zusicherungen gegeben hat. Präzise, nicht an Bedingungen geknüpfte und übereinstimmende Auskünfte von zuständiger und zuverlässiger Seite stellen solche Zusicherungen dar.

Im Rahmen der Bemessung einer Geldbuße wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union kann die Ankündigung der Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte, sie werde prüfen, ob eine Ermäßigung außerhalb der Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen gewährt werden könne, keine bestimmte Zusicherung hinsichtlich des Umfangs oder den Satz der Ermäßigung darstellen, der den betreffenden Unternehmen gegebenenfalls gewährt würde. Eine solche Äußerung kann daher keinesfalls ein irgendwie geartetes berechtigtes Vertrauen hierauf begründen.

Eine frühere Entscheidungspraxis der Kommission kann nicht den rechtlichen Rahmen für Geldbußen in Wettbewerbssachen bilden.

(vgl. Randnrn. 359-364)

17.    Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen die Handlungen der Unionsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist, wobei, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und die dadurch bedingten Nachteile in einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen müssen.

Insoweit verletzt eine Entscheidung der Kommission, mit der nur eine geringfügige Ermäßigung der Geldbuße um 1 % wegen Nichtbestreitens des Sachverhalts gewährt wird, angesichts des geringen Werts einer nach Erhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte angebotenen Zusammenarbeit nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn diese Ermäßigung zu denjenigen hinzutritt, die schon im Rahmen der Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen gewährt wurden.

(vgl. Randnrn. 366, 370, 383)

18.    Was die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Bemessung von Geldbußen wegen Verstößen gegen die Wettbewerbsregeln der Union angeht, dürfen solche Geldbußen nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen – Beachtung der Wettbewerbsregeln – stehen und ist die einem Unternehmen wegen einer solchen Zuwiderhandlung im Bereich des Wettbewerbs auferlegte Geldbuße so zu bemessen, dass sie bei einer Gesamtwürdigung der Zuwiderhandlung unter besonderer Berücksichtigung ihrer Schwere in angemessenem Verhältnis zu ihr steht. Zudem kann die Kommission bei der Bemessung der Geldbußen die Notwendigkeit berücksichtigen, ihre abschreckende Wirkung sicherzustellen.

(vgl. Randnr. 384)