Language of document : ECLI:EU:T:2012:90

Verbundene Rechtssachen T‑268/08 und T‑281/08

Land Burgenland (Österreich) und

Republik Österreich

gegen

Europäische Kommission

„Staatliche Beihilfen – Beihilfe, die der Versicherungsgruppe Grazer Wechselseitige (GRAWE) von den österreichischen Behörden im Rahmen der Privatisierung der Bank Burgenland gewährt wurde – Entscheidung, mit der die Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt und ihre Rückforderung angeordnet wird – Kriterium des marktwirtschaftlich handelnden privaten Kapitalgebers – Geltung bei Auftreten des Staates als Verkäufer – Ermittlung des Marktpreises“

Leitsätze des Urteils

1.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Verkauf eines Gegenstands durch die öffentliche Hand zu Vorzugsbedingungen an eine Privatperson – Einbeziehung – Beurteilung nach dem Kriterium des privaten Kapitalgebers

(Art. 87 Abs. 1 EG)

2.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Beurteilung nach dem Kriterium des privaten Kapitalgebers – Verkauf eines Unternehmens – Ermittlung des Preises – Vorrangige Berücksichtigung des Ergebnisses eines offenen, transparenten und bedingungsfreien Ausschreibungsverfahrens gegenüber einem Gutachten

(Art. 87 Abs. 1 EG)

3.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Beurteilung nach dem Kriterium des privaten Kapitalgebers – Verkauf eines Unternehmens – Ungewisser Ausgang und Dauer eines Genehmigungsverfahrens, das nicht von vornherein den Ausschluss eines Käufers durch einen privaten Kapitalgeber impliziert

(Art. 87 Abs. 1 EG)

4.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Beurteilung nach dem Kriterium des privaten Kapitalgebers – Verkauf eines Unternehmens – Notwendigkeit, Auswirkungen der Regeln, die der öffentlichen Hand auferlegt sind, wenn sie Hoheitsrechte ausübt, auf die Entscheidungen auszuschließen, die sie in Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu treffen hat

(Art. 87 Abs. 1 EG)

5.      Staatliche Beihilfen – Begriff – Beurteilung nach dem Kriterium des privaten Kapitalgebers – Berücksichtigung des durch das Bestehen einer gesetzlichen Garantieregelung zugunsten eines zu veräußernden Unternehmens vorliegenden Risikos bei der Festlegung des Preises für den Verkauf dieses Unternehmens – Ausschluss

(Art. 87 Abs. 1 EG)

1.      Die Lieferung von Gegenständen oder die Erbringung von Dienstleistungen zu Vorzugsbedingungen kann eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG darstellen. Im Fall des Verkaufs eines Gegenstands an eine Privatperson durch die öffentliche Hand hat dieser Grundsatz zur Folge, dass insbesondere zu klären ist, ob der Kaufpreis dieses Gegenstands dem Marktpreis gleichsteht, da er dem entspricht, was der Erwerber unter normalen Marktbedingungen hätte erzielen können. Demgemäß hat die Kommission das Kriterium des unter Marktbedingungen handelnden privaten Wirtschaftsteilnehmers heranzuziehen, um festzustellen, ob der Preis, den der vermeintliche Beihilfeempfänger gezahlt hat, dem Preis entspricht, den ein privater, unter normalen Wettbewerbsbedingungen handelnder Wirtschaftsteilnehmer hätte festsetzen können. Die konkrete Anwendung dieses Kriteriums setzt grundsätzlich eine komplexe wirtschaftliche Beurteilung voraus.

(vgl. Randnrn. 47-48)

2.      Der Marktpreis eines Unternehmens, der im Allgemeinen durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage gebildet wird, entspricht dem höchsten Preis, den ein privater Investor unter normalen Wettbewerbsbedingungen für das Unternehmen zu zahlen bereit wäre. Beabsichtigt die öffentliche Hand, ein ihr gehörendes Unternehmen zu verkaufen, und bedient sie sich hierfür eines offenen, transparenten und bedingungsfreien Ausschreibungsverfahrens, kann daher vermutet werden, dass der Marktpreis dem höchsten Angebot entspricht, wobei erstens festzustellen ist, ob dieses Angebot verpflichtend und verlässlich ist, und zweitens, ob es nicht gerechtfertigt ist, andere wirtschaftliche Faktoren als den Preis, wie zwischen den Angeboten bestehende außerbilanzielle Risiken, zu berücksichtigen. Daher begeht die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler, wenn sie davon ausgeht, dass das Beihilfeelement anhand des Marktpreises bewertet werden kann, der seinerseits grundsätzlich anhand der im Rahmen einer Ausschreibung konkret abgegebenen Angebote gebildet wird. Unter diesen Umständen kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, unabhängige Wertgutachten nicht berücksichtigt zu haben.

Die Heranziehung solcher Gutachten zur Bestimmung des Marktpreises eines Unternehmens hätte nämlich nur dann einen Sinn, wenn im Hinblick auf deren Verkauf gar kein Ausschreibungsverfahren durchgeführt worden wäre, oder möglicherweise auch dann, wenn man zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass das durchgeführte Ausschreibungsverfahren nicht offen, transparent und bedingungsfrei gewesen sei. Insoweit lässt sich nicht bestreiten, dass Angebote, die im Rahmen des zur Privatisierung eines bestimmten Unternehmens eingeleiteten Ausschreibungsverfahrens gültig und tatsächlich abgegeben wurden, grundsätzlich einen besseren Näherungswert für den Marktpreis dieser Einrichtung bilden als unabhängige Wertgutachten. Solche Gutachten beruhen nämlich unabhängig davon, welche Methode und Parameter für ihre Erstellung gewählt werden, auf einer prognostischen Prüfung und führen daher zu einer Ermittlung des Marktpreises des betreffenden Unternehmens von geringerer Wertigkeit als der, die sich aus im Rahmen eines regelgerecht durchgeführten Ausschreibungsverfahrens konkret und gültig eingereichten Angeboten ergibt. Aus den gleichen Gründen kann der Kommission weder vorgeworfen werden, dass sie es nicht für erforderlich hielt, durch einen unabhängigen Gutachter eine Ex-post-Analyse erstellen zu lassen, noch eine Versäumnis ihrer Pflicht, die Maßnahmen, über die sie zu befinden hat, sorgfältig und unvoreingenommen zu prüfen.

Im Übrigen sind aus der Sicht des marktwirtschaftlich handelnden privaten Verkäufers die subjektiven strategischen Gründe, die einen bestimmten Bieter veranlassen, ein Gebot in bestimmter Höhe abzugeben, nicht ausschlaggebend. Der marktwirtschaftlich handelnde private Verkäufer wird sich grundsätzlich für das höchste Kaufangebot entscheiden, und zwar unabhängig von den Gründen, die die potenziellen Käufer dazu bewogen haben, Angebote in bestimmter Höhe abzugeben.

(vgl. Randnr. 69-73, 89)

3.      In Bezug auf das Kriterium des privaten Kapitalgebers ist im Hinblick auf die Feststellung, ob der Verkauf eines Unternehmens an eine Privatperson durch die öffentliche Hand eine staatliche Beihilfe darstellt, davon auszugehen, dass sich ein nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen handelnder Verkäufer für das niedrigere Angebot entscheiden kann, wenn offensichtlich ist, dass der Verkauf an den Meistbietenden nicht durchführbar ist. Insoweit würde sich ein marktwirtschaftlich handelnder Verkäufer nicht für einen Käufer entscheiden, der aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die erforderlichen Genehmigungen der zuständigen Behörden erhalten wird.

Jedoch rechtfertigt weder der ungewisse Ausgang noch die voraussichtliche Dauer des Genehmigungsverfahrens den Ausschluss eines Kaufbewerbers als Käufer. Beim Verkauf eines Unternehmens im Rahmen einer Privatisierung ist dies insbesondere dann der Fall, wenn keine besondere Dringlichkeit gegeben ist, die den Verkauf des Unternehmens an einen anderen Käufer rechtfertigt, und nicht dargetan ist, dass die Dauer des Genehmigungsverfahrens die Chancen der Privatisierung stark gefährdet hätte.

(vgl. Randnrn. 107, 132-133)

4.      Im Rahmen der Feststellung, ob ein Vorteil im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG vorliegt, ist eine Unterscheidung zwischen den Verpflichtungen, die der Staat als ein eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübendes Unternehmen zu übernehmen hat, und den Verpflichtungen, die ihm als Träger der öffentlichen Gewalt obliegen können, vorzunehmen. Tritt der Staat im Rahmen einer Entscheidung über einen Verkauf in der Eigenschaft als marktwirtschaftlich handelnder privater Wirtschaftsteilnehmer auf, nimmt er seine Hoheitsrechte wahr, soweit er als mit der aufsichtsrechtlichen Beurteilung des Erwerbs und der Erhöhung von Beteiligungen im Finanzsektor zuständige Behörde handelt.

In einem solchen Fall stützt die Kommission ihre Ablehnung der Auffassung, dass die möglicherweise längere Dauer des Genehmigungsverfahrens vor der zuständigen Behörde im Fall des Verkaufs des Unternehmens an einen bestimmten Bieter geeignet wäre, ein Hindernis für einen solchen Verkauf zu bilden, zu Unrecht auf die bestehende Gefahr einer Ungleichbehandlung der Bieter. Es ist nämlich widersprüchlich, auf der einen Seite das Verhalten des Staates anhand des Kriteriums des marktwirtschaftlich handelnden privaten Wirtschaftsteilnehmers zu prüfen und auf der anderen Seite ihm die Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung wegen der unterschiedlichen Dauer des Genehmigungsverfahrens bei einem Verkauf des Unternehmens an einen Bieter und bei einem Verkauf an einen anderen Bieter entgegenzuhalten.

(vgl. Randnrn. 128-130)

5.      Eine gesetzliche Garantieregelung, die für die staatlichen, insbesondere regionalen Behörden die Verpflichtung umfasst, im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder Liquidation des betreffenden Kreditinstituts einzutreten und nach der die Gläubiger der Banken gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Garantiegeber direkte Ansprüche geltend machen können, wenn sich das Kreditinstitut in Liquidation befindet oder zahlungsunfähig ist und seine Vermögenswerte nicht ausreichen, um die Forderungen der Gläubiger zu befriedigen, kann nicht berücksichtigt werden, wenn es darum geht, eine bestimmte Transaktion am Maßstab des marktwirtschaftlich handelnden privaten Wirtschaftsteilnehmers zu messen.

Ausschlaggebend ist im Rahmen der Anwendung des Kriteriums des privaten Wirtschaftsteilnehmers nämlich die Frage, ob die betreffenden Maßnahmen solche sind, die ein marktwirtschaftlich handelnder privater Wirtschaftsteilnehmer, der auf mehr oder weniger lange Sicht Gewinne erzielen möchte, hätte treffen können. Damit stellt sich unabhängig davon, wie die streitigen Verpflichtungen hätten eingestuft werden können, die grundlegende Frage, ob es sich dabei um solche Verpflichtungen handelt, die ein marktwirtschaftlich handelnder privater Wirtschaftsteilnehmer hätte eingehen können. Eine gesetzliche Garantieregelung mit den oben dargestellten Merkmalen wurde mithin nicht unter normalen Marktbedingungen eingegangen und kann daher bei der Würdigung des Verhaltens nationaler Behörden am Maßstab des Kriteriums des marktwirtschaftlich handelnden privaten Kapitalgebers nicht berücksichtigt werden.

(vgl. Randnrn. 149, 157-158)