Language of document : ECLI:EU:T:2016:226

Vorläufige Fassung

Rechtssache T‑77/15

(auszugsweise Veröffentlichung)

Tronios Group International BV

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum

„Unionsmarke – Nichtigkeitsverfahren – Unionswortmarke SkyTec – Ältere nationale Wortmarke SKY – Relatives Eintragungshindernis – Verwirkung durch Duldung – Art. 54 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Verwechslungsgefahr – Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Vierte Kammer) vom 20. April 2016

1.      Unionsmarke – Verzicht, Verfall und Nichtigkeit – Verwirkung durch Duldung – Verwirkungsfrist – Beginn

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 54 Abs. 2)

2.      Unionsmarke – Beschwerdeverfahren – Klage beim Unionsrichter – Befugnisse des Gerichts – Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der Beschwerdekammern – Erneute Prüfung des Sachverhalts im Licht von Beweisen, die nicht zuvor vor den Spruchkörpern des EUIPO eingebracht wurden – Ausschluss

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 65 Abs. 2 und Art. 76 Abs. 1)

1.      Vier Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Frist für den Eintritt der Verwirkung durch Duldung im Fall der Benutzung einer mit der älteren Marke identischen oder ihr zum Verwechseln ähnlichen jüngeren Marke in Lauf gesetzt wird. Erstens muss die jüngere Marke eingetragen sein, zweitens muss ihr Inhaber sie gutgläubig angemeldet haben, drittens muss sie in dem Mitgliedstaat benutzt werden, in dem die ältere Marke geschützt ist, und viertens muss der Inhaber der älteren Marke Kenntnis von der Benutzung dieser Marke nach ihrer Eintragung haben.

Der Zweck von Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 besteht darin, die Inhaber älterer Marken, die die Benutzung einer jüngeren Unionsmarke während eines zusammenhängenden Zeitraums von fünf Jahren in Kenntnis dieser Benutzung geduldet haben, mit dem Verlust der Nichtigkeits- und der Widerspruchsklage gegen diese Marke zu strafen. Die Regelung bezweckt also einen Ausgleich zwischen dem Interesse des Markeninhabers am Erhalt der wesentlichen Funktion seiner Marke und dem Interesse der anderen Wirtschaftsteilnehmer an der freien Verfügbarkeit von Zeichen, die ihre Waren und Dienstleistungen bezeichnen können. Dies setzt voraus, dass der Inhaber der älteren Marke, um sich diese wesentliche Funktion zu erhalten, in der Lage ist, der Benutzung der mit seiner Marke identischen oder ihr ähnlichen jüngeren Marke zu widersprechen. Erst ab dem Zeitpunkt, in dem der Inhaber der älteren Marke von der Benutzung der jüngeren Unionsmarke weiß, hat er nämlich die Möglichkeit, dies nicht zu dulden und folglich Widerspruch einzulegen oder die Nichtigerklärung der jüngeren Marke zu beantragen, so dass erst dann die Frist für den Eintritt der Verwirkung durch Duldung zu laufen beginnt.

Eine teleologische Auslegung von Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 ergibt somit, dass für die Berechnung der Verwirkungsfrist der Zeitpunkt, zu dem Kenntnis von der Benutzung der jüngeren Marke erlangt wird, maßgeblich ist.

Diese Auslegung erfordert ebenfalls, dass der Inhaber der jüngeren Marke den Beweis dafür erbringt, dass der Inhaber der älteren Marke von der Benutzung der jüngeren Marke tatsächlich Kenntnis hatte, ohne die er nicht in der Lage wäre, der Benutzung der jüngeren Marke zu widersprechen. Insoweit ist nämlich die entsprechende Regelung der Verwirkung durch Duldung heranzuziehen, die in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 89/104 über die Marken, ersetzt durch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95 über die Marken, enthalten ist. Bezüglich dieser Regelung heißt es im elften Erwägungsgrund der Richtlinie 89/104 (bzw. im zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/95), dass der Einwand der Verwirkung nur anwendbar ist, wenn der Inhaber der älteren Marke deren Benutzung während einer längeren Zeit wissentlich „geduldet“ [„knowingly tolerated“ in der englischen, „sciemment toléré“ in der französischen Sprachfassung] hat, d. h. „bewusst“ oder „in Kenntnis der Tatsachen“. Dies gilt entsprechend für Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009, dessen Wortlaut dem von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinien 89/104 und 2008/95 entspricht.

(vgl. Rn. 30-33)

2.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 36)