Language of document : ECLI:EU:C:2017:788

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 19. Oktober 2017(1)

Rechtssache C270/16

Carlos Enrique Ruiz Conejero

gegen

Ferroser Servicios Auxiliares SA

und

Ministerio Fiscal

(Vorabentscheidungsersuchen des Juzgado de lo Social nº 1 de Cuenca [Sozialgericht Nr. 1, Cuenca, Spanien])

„Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung – Nationale Regelung, nach der ein Beschäftigter unter bestimmten Voraussetzungen wegen wiederholter, obwohl gerechtfertigter, Fehlzeiten entlassen werden kann – Ordnungsgemäß gerechtfertigte Fehlzeiten im Zusammenhang mit der Behinderung des Beschäftigten“






1.        Mit diesem Vorabentscheidungsersuchen wird der Gerichtshof gebeten, zu prüfen, ob das Diskriminierungsverbot gemäß der Richtlinie 2000/78/EG(2) der Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der ein Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag im Anschluss an eine oder mehrere Fehlzeiten ohne Bezugnahme auf eine mögliche Behinderung des betroffenen Beschäftigten kündigen kann.

 Rechtlicher Rahmen

 Richtlinie 2000/78

2.        In den Erwägungsgründen der Richtlinie 2000/78 heißt es:

„(16)      Maßnahmen, die darauf abstellen, den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz Rechnung zu tragen, spielen eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Diskriminierungen wegen einer Behinderung.

(17)      Mit dieser Richtlinie wird unbeschadet der Verpflichtung, für Menschen mit Behinderung angemessene Vorkehrungen zu treffen, nicht die Einstellung, der berufliche Aufstieg, die Weiterbeschäftigung oder die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen einer Person vorgeschrieben, wenn diese Person für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes oder zur Absolvierung einer bestimmten Ausbildung nicht kompetent, fähig oder verfügbar ist.

(20)      Es sollten geeignete Maßnahmen vorgesehen werden, d. h. wirksame und praktikable Maßnahmen, um den Arbeitsplatz der Behinderung entsprechend einzurichten, z. B. durch eine entsprechende Gestaltung der Räumlichkeiten oder eine Anpassung des Arbeitsgeräts, des Arbeitsrhythmus, der Aufgabenverteilung oder des Angebots an Ausbildungs- und Einarbeitungsmaßnahmen.

(21)      Bei der Prüfung der Frage, ob diese Maßnahmen zu übermäßigen Belastungen führen, sollten insbesondere der mit ihnen verbundene finanzielle und sonstige Aufwand sowie die Größe, die finanziellen Ressourcen und der Gesamtumsatz der Organisation oder des Unternehmens und die Verfügbarkeit von öffentlichen Mitteln oder anderen Unterstützungsmöglichkeiten berücksichtigt werden.

…“

3.        Art. 1 („Zweck“) der Richtlinie 2000/78 bestimmt:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“

4.        Art. 2 („Der Begriff ‚Diskriminierung‘“) bestimmt:

„(1)      Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2)      Für die Zwecke des Absatzes 1

a)      liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

b)      liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, eines bestimmten Alters oder mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn:

i)      diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich, oder

ii)      der Arbeitgeber oder jede Person oder Organisation, auf die diese Richtlinie Anwendung findet, ist im Falle von Personen mit einer bestimmten Behinderung aufgrund des einzelstaatlichen Rechts verpflichtet, geeignete Maßnahmen entsprechend den in Artikel 5 enthaltenen Grundsätzen vorzusehen, um die sich durch diese Vorschrift, dieses Kriterium oder dieses Verfahren ergebenden Nachteile zu beseitigen.

…“

5.        In Art. 3 („Geltungsbereich“) der Richtlinie 2000/78 heißt es:

„(1)      Im Rahmen der auf die [Union] übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf

a)      die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position einschließlich des beruflichen Aufstiegs;

c)      die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts;

…“

6.        Art. 5 („Angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung“) der Richtlinie 2000/78 sieht vor:

„Um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, sind angemessene Vorkehrungen zu treffen. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten. Diese Belastung ist nicht unverhältnismäßig, wenn sie durch geltende Maßnahmen im Rahmen der Behindertenpolitik des Mitgliedstaates ausreichend kompensiert wird.“

 Anwendbares nationales Recht

7.        Art. 52 Buchst. d des Real Decreto Legislativo 1/1995 por el que se aprueba el texto refundido de la Ley del Estatuto de los Trabajadores (Real Decreto Legislativo Nr. 1/1995 zur Billigung der Neufassung des Gesetzes über das Arbeitnehmerstatut) vom 24. März 1995 (im Folgenden: Arbeitnehmerstatut)(3) bestimmt:

„Beendigung des Vertrags aus objektiven Gründen

Der Vertrag kann beendet werden

d)      wegen – gerechtfertigter, aber wiederkehrender – Abwesenheiten vom Arbeitsplatz, die 20 % der Arbeitstage in zwei aufeinanderfolgenden Monaten und insgesamt 5 % in den vorangegangenen zwölf Monaten oder aber 25 % in vier nicht aufeinanderfolgenden Monaten innerhalb von zwölf Monaten erreichen.

Nicht als Fehlzeiten im Sinne des vorstehenden Absatzes zu berücksichtigen sind Fehlzeiten aus folgenden Gründen: rechtmäßiger Streik für dessen Dauer, Ausübung von Tätigkeiten der gesetzlichen Arbeitnehmervertretung, Arbeitsunfall, Mutterschutz, Gefährdung während Schwangerschaft und Stillen, durch Schwangerschaft, Entbindung oder Stillen verursachte Krankheiten, Vaterschaft, Erlaubnis, von der Arbeit fernzubleiben, und Urlaub, nicht berufsbedingte Krankheit oder nicht berufsbedingter Unfall bei Genehmigung der Abwesenheit durch die Gesundheitsbehörde und einer Dauer von mehr als 20 aufeinanderfolgenden Tagen sowie von der Sozial- oder der Gesundheitsbehörde bestätigte physische oder psychische Situation, die auf geschlechtsbezogene Gewalt zurückzuführen ist.

Ebenso wenig zu berücksichtigen sind Fehlzeiten wegen der ärztlichen Behandlung einer Krebs- oder einer anderen schweren Erkrankung.“

8.        Art. 4 Abs. 2 Buchst. c des Arbeitnehmerstatuts sieht vor:

„Die Arbeitnehmer haben im Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung das Recht,

c)      bei der Einstellung oder während des Beschäftigungsverhältnisses nicht aufgrund des Geschlechts, des Familienstands, des Alters innerhalb der durch dieses Gesetz festgelegten Grenzen, der Rasse oder der ethnischen Herkunft, der sozialen Stellung, der Religion oder Weltanschauung, der politischen Ideen, der sexuellen Orientierung, der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Gewerkschaft oder aufgrund der Sprache im spanischen Staat unmittelbar oder mittelbar diskriminiert zu werden.

Ebenso wenig dürfen sie aufgrund einer Behinderung diskriminiert werden, sofern sie in der Lage sind, die betreffende Beschäftigung oder Tätigkeit auszuüben.“

9.        Art. 2 Buchst. d des Real Decreto Legislativo 1/2013 por el que se aprueba el Texto Refundido de la Ley General de derechos de las personas con discapacidad y de su inclusión social (Real Decreto Legislativo 1/2013 zur Billigung der Neufassung des Allgemeinen Gesetzes über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und ihre soziale Eingliederung) vom 29. November 2013 (im Folgenden: Allgemeines Gesetz über Behindertenrechte) bestimmt:

„Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieses Gesetzes bezeichnet der Ausdruck

mittelbare Diskriminierung: wenn dem Anschein nach neutrale Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Tarifvertrags- oder Vertragsklauseln, individuelle Vereinbarungen, einseitige Entscheidungen, Kriterien oder Verfahren, Umgebungen, Waren oder Dienstleistungen eine Person in besonderer Weise wegen einer Behinderung gegenüber anderen Personen benachteiligen können, sofern sie nicht objektiv ein rechtmäßiges Ziel verfolgen und die Mittel zu dessen Erreichung nicht angemessen und erforderlich sind.“

10.      Art. 40 Abs. 2 des Allgemeinen Gesetzes über Behindertenrechte sieht vor:

„Die Arbeitgeber sind verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Arbeitsplatz und die Zugänglichkeit des Arbeitsplatzes je nach den Bedürfnissen jeder einzelnen Situation anzupassen, um Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen, Zugang zur Beschäftigung zu erhalten, ihre Arbeit durchzuführen, beruflich voranzukommen und Zugang zur Ausbildung zu erhalten, es sei denn, diese Maßnahmen stellen für den Arbeitgeber eine unverhältnismäßige Belastung dar.

Bei der Feststellung, ob eine Belastung unverhältnismäßig ist, ist zu berücksichtigen, ob sie in ausreichendem Maße erleichtert wird durch Maßnahmen, Beihilfen oder Zuschüsse für behinderte Personen; zu berücksichtigen sind auch die mit diesen Maßnahmen verbundenen finanziellen und sonstigen Kosten sowie die Größe des Unternehmens oder der Organisation und deren Gesamtumsatz.“

 Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefrage

11.      Herr Carlos Enrique Ruiz Conejero arbeitete seit dem 2. Juli 1993 als Reinigungskraft und war in dem maßgebenden Zeitraum bei dem Unternehmen Ferroser Servicios Auxiliares, SA, angestellt, das aufgrund eines Vertrags den Reinigungsdienst im Krankenhaus Virgen de la Luz in Cuenca (das dem Gesundheitsdienst von Kastilien-La Mancha untersteht) versah, in dem er eingesetzt war. Davor hatte er für die Unternehmen gearbeitet, die zuvor mit der Reinigung dieser Räumlichkeiten beauftragt waren. Er hatte keine Schwierigkeiten im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung, und es waren keine Sanktionen gegen ihn verhängt worden.

12.      Mit Bescheid der Direktion Cuenca der Consejería de Salud y Asuntos Sociales de la Junta de Comunidades de Castilla-La Mancha (Verwaltung für Gesundheit und Soziales der Autonomen Region Kastilien-La Mancha) vom 15. September 2014 wurde eine Behinderung von Herrn Ruiz Conejero anerkannt. In dem betreffenden Bescheid wurde der Grad der Behinderung auf 37 % festgesetzt, wovon 32 % auf physische Einschränkungen (24 % wegen endokrin-metabolischer Störungen [Adipositas], 10 % wegen einer Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule) und 5 % auf ergänzende soziale Faktoren entfallen(4).

13.      In den Jahren 2014 und 2015 meldete sich Herr Ruiz Conejero wegen allgemeiner Krankheiten für folgende Zeiträume krank:

–        vom 1. bis zum 17. März 2014 wegen „akuter Schmerzen“, die einen Krankenhausaufenthalt (vom 26. Februar bis zum 1. März 2014) erforderten,

–        vom 26. bis zum 31. März 2014 wegen „Schwindel/Übelkeit“,

–        vom 26. Juni bis zum 11. Juli 2014 wegen „Hexenschuss“,

–        vom 9. bis zum 12. März 2015 wegen „Hexenschuss“,

–        vom 24. März bis zum 7. April 2015 wegen „Hexenschuss“,

–        vom 20. bis zum 23. April 2015 wegen „Schwindel/Übelkeit“.

14.      Nach der Diagnose der Servicios Médicos de la Sanidad Pública (Ärztliche Dienste des Gesundheitsamts) beruhten sowohl „Schwindel/Übelkeit“ als auch „Hexenschuss“ auf einer degenerativen Gelenkerkrankung und einer Polyarthrose, verschärft durch die Adipositas von Herrn Ruiz Conejero, so dass diese Einschränkungen ihren Ursprung in den die anerkannte Behinderung verursachenden Krankheiten hätten.

15.      Herr Ruiz Conejero zeigte seinem Arbeitgeber alle Fehlzeiten form- und fristgerecht an und legte die entsprechenden ärztlichen Bescheinigungen über Grund und Dauer vor. Er unterrichtete ihn jedoch zu keinem Zeitpunkt vor der Kündigung über seine Behinderung und verzichtete freiwillig auf die regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen, die von der Betriebskrankenversicherung durchgeführt werden. Dem Vorlagebeschluss zufolge wusste sein Arbeitgeber bei der Kündigung nicht, dass er behindert war oder behindert sein könnte.

16.      Der Arbeitgeber teilte Herrn Ruiz Conejero mit Schreiben vom 7. Juli 2015 mit, dass er ihm gemäß Art. 52 Buchst. d des Arbeitnehmerstatuts aus objektiven Gründen kündige, weil er die in dieser Bestimmung festgelegten Grenzen für – wenn auch gerechtfertigte – Fehlzeiten überschritten habe, indem er in den Monaten März und April 2015 an mehr als 20 % der Arbeitstage und in den zwölf vorausgehenden Monaten an mehr als 5 % der Arbeitstage gefehlt habe.

17.      Herr Ruiz Conejero klagte gegen seine Kündigung vor dem Juzgado de lo Social nº 1 de Cuenca (Sozialgericht Nr. 1, Cuenca, Spanien). In diesem Verfahren bestreitet er weder diese Fehlzeiten an sich noch ihren prozentualen Anteil. Er macht jedoch geltend, dass sie ausschließlich auf der seine Behinderung verursachenden Krankheit beruhten. Es bestehe folglich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Fehlzeiten und der Behinderung. Die Kündigung sei daher wegen Diskriminierung nichtig.

18.      Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht beschlossen, dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Verbietet es die Richtlinie 2000/78, eine nationale Rechtsvorschrift, nach der ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer aus objektiven Gründen wegen – gerechtfertigten, aber wiederkehrenden – Abwesenheiten vom Arbeitsplatz, die 20 % der Arbeitstage in zwei aufeinanderfolgenden Monaten und insgesamt 5 % in den vorangegangenen zwölf Monaten oder aber 25 % in vier nicht aufeinanderfolgenden Monaten innerhalb von zwölf Monaten erreichen, kündigen darf, auf einen Arbeitnehmer anzuwenden, der als behindert im Sinne dieser Richtlinie anzusehen ist, wenn die Abwesenheit durch die Behinderung verursacht ist?

19.      Herr Ruiz Conejero, Ferroser Servicios Auxiliares, die spanische Regierung und die Europäische Kommission haben Stellungnahmen eingereicht. In der Sitzung vom 22. März 2017 haben diese Beteiligten mündlich verhandelt und Fragen des Gerichtshofs beantwortet.

 Analyse

 Vorfragen

 Adipositas als Behinderung im Sinne der Richtlinie 2000/78

20.      Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass auf nationaler Ebene anerkannt ist, dass Herr Ruiz Conejero eine Behinderung hat, die offenbar im Wesentlichen auf seiner Adipositas beruht.

21.      In der Rechtssache FOA(5) war dem Gerichtshof die Frage vorgelegt worden, ob nach Unionsrecht ein allgemeines Diskriminierungsverbot wegen Adipositas auf dem Arbeitsmarkt im Allgemeinen oder durch einen öffentlichen Arbeitgeber im Besonderen besteht. Der Gerichtshof entschied, dass es keinen solchen Verbotsgrundsatz gibt(6). Er prüfte dann jedoch die Frage, ob Adipositas unter den Begriff der „Behinderung“ im Sinne der Richtlinie 2000/78 fallen kann.

22.      Diese Frage bejahte er und legte hierfür unionsweit geltende Kriterien fest. Er stellte fest, dass „die Adipositas eines Arbeitnehmers, wenn sie unter bestimmten Umständen eine Einschränkung mit sich bringt, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die ihn in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können, und wenn diese Einschränkung von langer Dauer ist, unter den Begriff ‚Behinderung‘ im Sinne der Richtlinie 2000/78 [fällt]“. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Adipositas an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, gehindert wäre, und zwar aufgrund eingeschränkter Mobilität oder des Auftretens von Krankheitsbildern, die ihn an der Verrichtung seiner Arbeit hindern oder zu einer Beeinträchtigung der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit führen(7).

23.      Arbeitnehmer, deren Behinderung nach nationalem Recht anerkannt ist, können – müssen aber nicht notwendigerweise – die vom Unionsrecht festgelegten Anforderungen erfüllen. Ob Herr Ruiz Conejero die Anforderungen erfüllt, hat das vorlegende Gericht anhand der genannten Kriterien zu prüfen. Da allerdings das vorlegende Gericht seine Frage auf der Grundlage formuliert hat, dass dies tatsächlich der Fall ist, werde ich diese Annahme meiner weiteren Analyse zugrunde legen.

 Der Umfang der Frage des vorlegenden Gerichts

24.      Obwohl in der Vorlagefrage lediglich der Wortlaut von Art. 52 Buchst. d des Arbeitnehmerstatuts anklingt, weist das vorlegende Gericht in seiner Vorlageentscheidung doch auch darauf hin, dass Herr Ruiz Conejero seinen Arbeitgeber nicht über seinen Gesundheitszustand informiert hat, was möglicherweise – zumindest implizit – die Anwendung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. ii und Art. 5 der Richtlinie 2000/78 ausschließt. Die Angelegenheit ist in diesem Punkt, wie ich noch erläutern werde(8), nicht so eindeutig, wie sie dem vorlegenden Gericht erscheinen mag. Um diesem Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, werde ich in der nachstehenden Analyse auf diese Vorschriften eingehen.

 Unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung?

25.      Mit Art. 2 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/78 soll so gut wie jede Art von unmittelbarer Diskriminierung verboten werden(9).

26.      Gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, „wenn eine Person [u. a. wegen ihrer Behinderung] in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“.

27.      Die nationale Rechtsvorschrift, auf die sich das vorlegende Gericht in seiner Frage bezieht, nämlich Art. 52 Buchst. d des Arbeitnehmerstatuts, gilt für alle Arbeitnehmer gleichermaßen. Durch sie werden Behinderte nicht weniger günstig behandelt als Nichtbehinderte, und sie beinhaltet somit keine unmittelbare Diskriminierung im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78.

28.      Es ist sodann zu prüfen, ob ihre Anwendung zu einer mittelbaren Diskriminierung gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. b führen kann. Dies bezieht sich auf „dem Anschein nach neutrale“ Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die aber u. a. Personen mit einer bestimmten Behinderung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können.

29.      Wie der Gerichtshof im Urteil HK Danmark(10) festgestellt hat, ist ein behinderter Arbeitnehmer einem höheren Risiko ausgesetzt, dass ihm gegenüber die verkürzte Kündigungsfrist angewandt wird, als ein nicht behinderter Arbeitnehmer. Er trägt nämlich ein zusätzliches Risiko, an einer mit seiner Behinderung zusammenhängenden Krankheit zu erkranken, und ist somit einem höheren Risiko ausgesetzt, krankheitsbedingte Fehltage anzusammeln(11). Die in Rede stehende Rechtsvorschrift ist somit auf den ersten Blick als mittelbar diskriminierend anzusehen.

30.      Demgemäß ist weiterhin zu prüfen, ob und, wenn ja, in welchem Umfang die Ausnahmen nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i oder ii der Richtlinie 2000/78 Anwendung finden.

31.      Als Erstes fragt sich, in welchem Verhältnis beide Ausnahmen zueinander stehen. Die Letztgenannte gilt allein bei Behinderung; ihr geht das Wort „oder“ voraus. Ist daraus zu schließen, dass sich diese beiden Bestimmungen gegenseitig ausschließen, und zwar bis hin zu der Annahme, dass auf Menschen mit Behinderung allein die zweite Ausnahmebestimmung anwendbar ist?

32.      Ich bin nicht dieser Ansicht.

33.      Wie die spanische Regierung in der mündlichen Verhandlung zu Recht vorgetragen hat, sind die beiden Bestimmungen im Zusammenhang zu lesen, weil die zweite Bestimmung als Erläuterung des Begriffs der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der ersten Bestimmung gesehen werden kann. Zudem lässt sich nicht sagen, dass die Anwendung des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. ii auf Menschen mit Behinderung die von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i ausschließt, denn aus noch darzulegenden Gründen(12) wird die erstgenannte Bestimmung zwar möglicherweise auf die meisten Menschen mit Behinderung anwendbar sein, sie kann aber nicht auf alle Anwendung finden.

 Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. ii und Art. 5 der Richtlinie 2000/78 – geeignete Maßnahmen und angemessene Vorkehrungen

34.      Ich beginne mit der Prüfung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. ii, der in Verbindung mit Art. 5 zu lesen ist. Eine mittelbare Diskriminierung liegt nicht vor, wenn der Arbeitgeber im Fall von „Personen mit einer bestimmten Behinderung“ aufgrund des nationalen Rechts(13) verpflichtet ist, geeignete Maßnahmen vorzusehen, um die sich durch dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren ergebenden Nachteile zu beseitigen, die andernfalls eine mittelbare Diskriminierung darstellen würden. Zur Erfüllung des Erfordernisses, geeignete Maßnahmen vorzusehen, hat der Arbeitgeber „angemessene Vorkehrungen“ zu treffen. Der Arbeitgeber ist demgemäß verpflichtet, die im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufs, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen. Weitere Vorgaben ergeben sich aus dem 20. Erwägungsgrund der Richtlinie(14). Der Gerichtshof hat festgestellt, dass der Begriff „angemessene Vorkehrungen“ weit auszulegen ist, wobei u. a. Art. 2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen(15) zu berücksichtigen ist.

35.      Dies alles steht aber unter der wichtigen Bedingung in Art. 5 der Richtlinie 2000/78, wonach die zu treffenden Maßnahmen den Arbeitgeber, wie es in der Bestimmung heißt, nicht „unverhältnismäßig belasten“ dürfen. Hierzu wird im 21. Erwägungsgrund der Richtlinie erläutert, dass insbesondere der mit den Vorkehrungen verbundene finanzielle Aufwand sowie die Beschaffenheit des Unternehmens des Arbeitgebers und die Verfügbarkeit von öffentlichen Mitteln oder anderen Unterstützungsmöglichkeiten berücksichtigt werden müssen. Es ist mit anderen Worten eine Abwägung durchzuführen.

36.      Nach der Richtlinie sind Beschäftigte oder angehende Beschäftigte mit einer Behinderung nicht zu Angaben über ihre Behinderung verpflichtet. Für mich liegt auf der Hand, dass von einem Arbeitgeber, der von der Behinderung des Beschäftigten in nicht vorwerfbarer Weise keinerlei Kenntnis hat – es gab nichts, wodurch er darauf aufmerksam geworden ist, und auch der Beschäftigte hat ihn nicht darüber informiert – eindeutig nicht erwartet werden kann, „angemessene Vorkehrungen“ zu treffen. Es fragt sich somit, unter welchen Umständen die Verpflichtung aus Art. 5 Anwendung findet.

37.      Ersichtlich wird diese Verpflichtung ausgelöst, wenn der Beschäftigte seinen Arbeitgeber über seine Behinderung und deren Ausmaß, zusammen mit den damit zusammenhängenden Umständen, unterrichtet. Sofern damit keine unverhältnismäßige Belastung verbunden ist, kann der Arbeitgeber nun die Schritte unternehmen, um den Beschäftigten zu unterstützen und angemessene Vorkehrungen zu treffen. Diese Maßnahmen werden dazu beitragen, den Beschäftigten in die Belegschaft einzugliedern.

38.      Wie ist die Rechtslage, wenn, wie im vorliegenden Fall, der Beschäftigte seine Behinderung nicht offenbart? Es gibt Fälle, in denen der Arbeitgeber ohne Weiteres erkennen wird, dass der Betreffende eine Behinderung hat. Dies wird, um ein ganz offensichtliches Beispiel zu nennen, der Fall sein, wenn die Person durch Amputation eine Gliedmaße verloren hat. Dem Arbeitgeber kann das nicht verborgen bleiben, und es ist davon auszugehen, dass er weiß oder vernünftigerweise wissen muss, dass der Beschäftigte behindert ist. Es gibt keinen Grund, warum dieser Beschäftigte vom Anwendungsbereich des Art. 5 ausgenommen sein sollte. Die Frage, ob der Arbeitgeber vernünftigerweise von der Behinderung wissen muss, wird von Fall zu Fall unterschiedlich zu beantworten sein. Wegen der weiten Spanne und der Verschiedenartigkeit möglicher Behinderungen kann es keine einheitliche Antwort geben.

39.      Selbst in Fällen, in denen die Behinderung offensichtlich ist, bedeutet dies aber nicht, dass der Arbeitgeber sich in jedem Fall über die geeignete Maßnahme – oder alle geeigneten Maßnahmen – bewusst ist, die notwendig sind, um angemessene Vorkehrungen für den Beschäftigten zu treffen. Der Arbeitgeber kann den Beschäftigten auffordern, zusätzliche Angaben zu machen, um auf diese Weise Unterstützung und Hilfe zu ermöglichen. Wenn der Beschäftigte sich weigert oder nicht bereit ist, diese Information zu geben, kann er dazu nicht gezwungen werden. Vielleicht zieht er es vor, dies nicht zu tun, weil er meint, seine persönliche Würde oder Unabhängigkeit wahren zu müssen. In solchen Fällen ist der Arbeitgeber in seinem Handeln auf die offensichtlichen Schritte begrenzt(16). Möglicherweise kann der Beschäftigte durch diese Maßnahmen in die Belegschaft eingegliedert werden, vielleicht aber auch nicht. Mehr ist indes vom Arbeitgeber nicht zu verlangen.

40.      Die Rechtslage wird auch dadurch kompliziert, dass viele Behinderungen ihrem Wesen nach nicht statisch sind. So kann es sein, dass ein Beschäftigter sein Berufsleben mit einer Behinderung beginnt, die nur geringe Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit hat. Später jedoch verschlechtert sich sein Zustand, so dass die Auswirkungen schwerwiegender werden. Insoweit gelten meines Erachtens ähnliche Grundsätze wie die oben dargestellten. Wenn und soweit der Beschäftigte seinem Arbeitgeber Einzelheiten seiner Situation mitteilt, muss dieser prüfen, ob neue Maßnahmen notwendig sind, um angemessene Vorkehrungen zu treffen. Tut der Beschäftigte das nicht, ist der Arbeitgeber zu den offensichtlich erforderlichen Maßnahmen verpflichtet, braucht aber darüber nicht hinauszugehen(17).

41.      Die Verpflichtung aus Art. 5, angemessene Vorkehrungen zu treffen, erscheint mir ganz allgemein als eine wichtige und wertvolle Maßnahme. Indem dem Arbeitgeber dadurch bestimmte Schritte vorgeschrieben werden, wird behinderten Arbeitnehmern die Möglichkeit gegeben, am Arbeitsmarkt in einer Weise teilzunehmen, wie es vielen von ihnen sonst nicht möglich wäre, wodurch ihr Leben in erheblichem Maße bereichert wird. Zudem hat die Richtlinie einen weiten Geltungsbereich. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und c findet sie auf allen Stufen des Arbeitsverhältnisses und auf die vorangehende Einstellungsphase Anwendung. Wenn der Arbeitgeber weiß oder vernünftigerweise wissen muss, dass bei einer Person, deren Einstellung er beabsichtigt oder die bereits eingestellt ist, eine Behinderung vorliegt oder vorliegen könnte, ist diese Verpflichtung meines Erachtens ein erster Schritt, um eine Ungleichbehandlung zu vermeiden. Eine Nichteinstellung oder gegebenenfalls eine Entlassung unter Nichtbeachtung einer solchen Verpflichtung enthielte eine rechtswidrige Diskriminierung im Sinne der Richtlinie 2000/78.

42.      Dennoch ist zu beachten, dass die Verpflichtung aus Art. 5 nicht unbegrenzt ist. Wie bereits gesagt, gilt sie nicht, wenn sie den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten würde(18). Zu beachten ist auch, dass diese Bestimmung nur dazu führen soll, Arbeitnehmer mit einer Behinderung ihren Kollegen ohne Behinderung gleichzustellen, nicht aber, ihnen mehr Rechte zukommen zu lassen. Demgemäß wird im 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 u. a. festgestellt, dass ein Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, eine Person weiter zu beschäftigen, wenn diese für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes nicht kompetent, fähig oder verfügbar ist. Ein behinderter Beschäftigter befindet sich insoweit in genau derselben Lage wie ein Arbeitnehmer ohne Behinderung(19).

43.      Schwieriger ist die Situation zu beurteilen, die entsteht, wenn eine Behinderung, bei der in ihren früheren Stadien angemessene Vorkehrungen gemäß Art. 5 möglich gewesen waren, so weit fortgeschritten ist, dass solche Vorkehrungen entweder praktisch nicht durchführbar oder nur mit einer unverhältnismäßigen Belastung für den Arbeitgeber verbunden sind. Kann der Arbeitgeber den Beschäftigten in einem solchen Fall entlassen?

44.      Eine Entlassung allein wegen der Behinderung des Beschäftigten ist meines Erachtens nicht gerechtfertigt. Sie wäre eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie. Erfolgt die Entlassung dagegen wegen eines der im 20. Erwägungsgrund genannten Gründe oder eines anderen Umstands, der keine Diskriminierung beinhaltet, würde sie nicht gegen die Anforderungen der Richtlinie verstoßen.

45.      Nach alledem sollte meines Erachtens der erste Teil der Antwort an das vorlegende Gericht dahin lauten, dass bei der Prüfung der Anwendung der Richtlinie 2000/78 auf die Entlassung eines Beschäftigten unter Umständen, die möglicherweise eine mittelbare Diskriminierung im Sinne der Richtlinie darstellen, als Erstes die Anwendung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. ii und Art. 5 der Richtlinie zu prüfen ist. In Fällen, in denen ein Beschäftigter unter einer Behinderung leidet und sein Arbeitgeber von der Behinderung weiß oder vernünftigerweise von ihr wissen muss, ist der Arbeitgeber verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um angemessene Vorkehrungen nach Art. 5 der Richtlinie zu treffen, es sei denn, diese Maßnahmen würden ihn unverhältnismäßig belasten. Bei Nichterfüllung dieser Verpflichtung verstößt die Entlassung des Beschäftigten gegen die Anforderungen der Richtlinie.

 Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78

46.      Ich habe darauf hingewiesen, dass der Schutz, den Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. ii in Verbindung mit Art. 5 Menschen mit Behinderung gewährt, sowohl wichtig als auch wertvoll sein kann. Ebenso offensichtlich ist, dass dieser Schutz Grenzen haben kann(20).

47.      Lässt sich daraus, dass diese Bestimmungen spezifisch auf Menschen mit Behinderung Bezug nehmen, der Schluss ziehen, dass sie, soweit sie Anwendung finden, eine abschließende Regelung darstellen? Ist mit anderen Worten, wenn der Arbeitgeber Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. ii und Art. 5 beachtet und soweit die oben in Nr. 44 genannten Anforderungen erfüllt sind, die Entlassung eines behinderten Beschäftigten als wirksam anzusehen, und entfällt dann für den Arbeitgeber die Notwendigkeit, auch Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i in irgendeiner Weise zu beachten?

48.      Dies wäre meines Erachtens zu einfach.

49.      Meiner Ansicht nach bringen Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. ii und Art. 5 der Richtlinie 2000/78 lediglich einen besonderen Aspekt der mittelbaren Diskriminierung wegen Behinderung zum Ausdruck, und zwar sowohl hinsichtlich der mit diesen Bestimmungen auferlegten positiven Pflichten als auch ihrer Grenzen. Um die Interessen derer zu fördern, die andernfalls diskriminiert würden, ist der Arbeitgeber unter geeigneten Umständen und innerhalb angemessener Grenzen verpflichtet, positive Schritte zu unternehmen. In meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Bougnaoui und ADDH(21) habe ich diesen Punkt – wenn auch nur kursorisch – in Nr. 125 angesprochen, und zwar bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer mittelbaren Diskriminierung in dem betreffenden Fall. Ich habe dort ausgeführt: „Was verhältnismäßig ist, kann von der Größe des betreffenden Unternehmens abhängen. Je größer das Unternehmen, desto eher wird es über Mittel verfügen, die ihm Flexibilität bei der Wahl der seinen Arbeitnehmern zugewiesenen Aufgaben ermöglichen. Von einem Arbeitgeber in einem großen Unternehmen können somit weiter gehende Schritte erwartet werden, um seine Arbeitnehmerschaft in einer ihm zumutbaren Weise zu organisieren, als von einem Arbeitgeber in einem kleinen oder mittleren Unternehmen.“

50.      Nehmen wir aber einmal an, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. ii in einem bestimmten Fall keine Anwendung findet. Nach seinem Wortlaut gilt er nicht für alle Behinderten, sondern nur für „Personen mit einer bestimmten Behinderung“. Die nach Art. 5 zu treffenden Maßnahmen für angemessene Vorkehrungen kämen dann nur der begrenzten Gruppe zugute, die a) aus den behinderten Personen besteht, für die angemessene Vorkehrungen getroffen werden können – nicht für jede Art von Behinderung können derartige Vorkehrungen getroffen werden –, und b) aus den Personen, bezüglich deren solche Vorkehrungen getroffen werden können, ohne dass der Arbeitgeber dadurch unverhältnismäßig belastet wird. Ich sehe keinen Grund, behinderte Personen, die nicht zu dieser Gruppe gehören, vom Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i auszunehmen, und ich kann auch nicht erkennen, warum die Personen, die zu dieser Gruppe gehören, nicht ebenfalls von dieser Bestimmung erfasst sein sollten.

51.      Ein derart restriktiver Ansatz stünde auch im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung. Im Urteil HK Danmark(22) hat der Gerichtshof die Anwendung von Art. 5(23) und von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i(24) der Richtlinie 2000/78 auf einen Beschäftigten, für den nach der nationalen Regelung eine (angeblich diskriminierende) Kündigungsfrist galt, getrennt geprüft. Er hat nicht befunden, dass diese Vorschriften sich gegenseitig ausschließen. Der Gerichtshof hat vielmehr im Gegenteil entschieden, dass eine Entlassung nach der betreffenden nationalen Bestimmung (von der er im weiteren Verlauf festgestellt hat, dass sie für die Zwecke von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie bei Vorliegen der insoweit geltenden Voraussetzungen gültig sein könnte) unwirksam sein konnte, wenn der Arbeitgeber nicht im Einklang mit Art. 5 die geeigneten Maßnahmen ergriffen hatte, um angemessene Vorkehrungen zu treffen(25).

52.      Obwohl jene Rechtssache und die vorliegende Rechtssache insoweit vergleichbar sind, als es in beiden um die Gültigkeit oder Ungültigkeit einer nationalen Rechtsvorschrift über Kündigungsfristen im Kontext der Richtlinie 2000/78 geht, führt das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen aus, dass „[d]ie Gründe für [seine] Unsicherheit … hinsichtlich der Auslegung oder der Gültigkeit der … Richtlinie 2000/78“ in deren Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil HK Danmark(26) lägen.

53.      Aus diesem Grund bedarf es einer eingehenderen Befassung mit diesem Urteil.

54.      Im Verfahren vor dem nationalen Gericht ging es um zwei Beschäftigte, die aus Gründen entlassen worden waren, die in Anbetracht einer Behinderung als diskriminierend beanstandet wurden(27). Die nationale Rechtsvorschrift(28), auf der die Entlassungen beruhten, sah vor, dass einem Beschäftigten mit einer Kündigungsfrist von einem Monat gekündigt werden konnte, wenn er innerhalb eines Zeitraums von zwölf aufeinanderfolgenden Monaten Lohn während Krankheitszeiten von insgesamt 120 Tagen bezogen hat. Diese Maßnahme sah eine verkürzte Kündigungsfrist vor: Nach den nationalen Rechtsvorschriften betrug die gewöhnliche Kündigungsfrist zwischen drei und sechs Monaten. Die in Rede stehende Bestimmung galt sowohl für Personen mit als auch für solche ohne Behinderung. Die dänische Regierung machte geltend, dass es das Ziel dieser Bestimmung sei, den Arbeitgebern einen Anreiz zu bieten, Arbeitnehmer, bei denen ein besonderes Risiko bestehe, dass sie wiederholt krankheitsbedingt fehlten, einzustellen und weiter zu beschäftigen, indem es ihnen ermöglicht werde, diese Arbeitnehmer später mit einer verkürzten Kündigungsfrist zu entlassen, wenn die Fehlzeiten von sehr langer Dauer sind. Im Gegenzug könnten diese Arbeitnehmer während der Dauer ihrer Krankheit in ihrer Beschäftigung verbleiben. Damit trage die in Rede stehende Bestimmung sowohl den Interessen der Arbeitgeber als auch denen der Beschäftigten Rechnung(29).

55.      Der Gerichtshof traf hierzu (soweit für das vorliegende Verfahren relevant) die nachstehenden Feststellungen:

–        Er verwies auf das Urteil Chacón Navas(30), wonach eine Benachteiligung wegen einer Behinderung nur dann in den Schutzbereich der Richtlinie 2000/78 eingreift, wenn sie eine Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie darstellt. Er prüfte daher die Frage, ob die in den Ausgangsverfahren fragliche nationale Bestimmung zu einer Diskriminierung von Menschen mit Behinderung führen kann (Rn. 71).

–        Er wies darauf hin, dass i) die Mitgliedstaaten über einen weiten Wertungsspielraum nicht nur bei der Entscheidung über die Verfolgung eines bestimmten sozial- und beschäftigungspolitischen Ziels, sondern auch bei der Festlegung der für seine Erreichung geeigneten Maßnahmen verfügen (Rn. 81) und dass ii) die Förderung von Einstellungen unbestreitbar ein legitimes Ziel der Sozial- oder Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten darstellt und dass diese Wertung offensichtlich auch für Instrumente der nationalen Arbeitsmarktpolitik gelten muss, die für bestimmte Arbeitnehmergruppen die Chancen auf Eingliederung in das Erwerbsleben verbessern sollen. Auch eine Maßnahme zur Förderung der Flexibilität des Arbeitsmarkts kann als eine beschäftigungspolitische Maßnahme angesehen werden (Rn. 82).

–        Daher können Ziele der Art, wie die dänische Regierung sie angeführt hat, grundsätzlich im Rahmen des nationalen Rechts eine auf der Behinderung beruhende Ungleichbehandlung, wie sie sich aus der in Rede stehenden nationalen Bestimmung ergibt, im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 sachlich rechtfertigen (Rn. 83).

56.      Nach dieser Feststellung, dass mit der Rechtsvorschrift Ziele verfolgt werden, die im Grundsatz als rechtmäßig im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. 1 anzusehen sind, prüfte der Gerichtshof, ob das Mittel zur Erreichung dieser Ziele verhältnismäßig ist. Er wies erneut auf den weiten Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet hin und stellte fest, dass die betreffende nationale Maßnahme zur Erreichung der vorgenannten Ziele angemessen sein kann (Rn. 87).

57.      Des Weiteren führte er Folgendes aus:

–        Es ist davon auszugehen, dass diese Regel den Arbeitgebern dadurch, dass sie das Recht vorsieht, Arbeitnehmer, die krankheitsbedingt mehr als 120 Tage fehlen, unter Anwendung einer verkürzten Kündigungsfrist zu entlassen, einen Anreiz zur Einstellung und Weiterbeschäftigung bietet (Rn. 88).

–        Zur Prüfung der Frage, ob eine derartige Regel über das zur Erreichung der verfolgten Ziele Erforderliche hinausgeht, ist diese in dem Kontext zu betrachten, in den sie sich einfügt, und sind die Nachteile zu berücksichtigen, die sie für die Betroffenen bewirken kann (Rn. 89).

–        Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob der dänische Gesetzgeber es bei der Verfolgung der rechtmäßigen Ziele, die Einstellung kranker Personen einerseits und ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den widerstreitenden Interessen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers andererseits zu fördern, unterlassen hat, relevante Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die insbesondere Arbeitnehmer mit Behinderung betreffen (Rn. 90). Insoweit darf das Risiko für Menschen mit Behinderung, die im Allgemeinen größere Schwierigkeiten als nicht behinderte Arbeitnehmer haben, sich wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern, und die spezifische Bedürfnisse im Zusammenhang mit dem Schutz haben, den ihr Zustand erfordert, nicht verkannt werden (Rn. 91).

58.      Welche Schlüsse lassen sich aus diesem Urteil für den vorliegenden Fall ziehen?

59.      Erstens ist es für die Feststellung, dass mit der in Rede stehenden nationalen Maßnahme ein rechtmäßiges Ziel verfolgt wird, nicht notwendig, dass dieses Ziel in der Maßnahme selbst zum Ausdruck kommt. Zwar ist es Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob das Ziel der Maßnahme rechtmäßig ist, jedoch ist ihr ausdrückliches oder behauptetes Ziel (wenn es denn ein solches gibt) kein Gesichtspunkt, den das Gericht zu berücksichtigen hätte. Weder in der Rechtssache HK Danmark(31) noch in der vorliegenden Rechtssache gibt es in der jeweiligen nationalen Rechtsvorschrift einen derartigen Hinweis(32).

60.      Zweitens bestand das Ziel der in der Rechtssache HK Danmark(33) betroffenen Rechtsvorschrift darin, Arbeitgebern einen Anreiz zu bieten, Arbeitnehmer, bei denen ein besonderes Risiko besteht, dass sie wiederholt krankheitsbedingt fehlen, einzustellen und weiter zu beschäftigen. Der Gerichtshof hatte offenbar keine Schwierigkeit mitder Feststellung, dass dies, da es möglicherweise Einstellungen förderte, ein rechtmäßiges Ziel sein könnte(34). In der vorliegenden Rechtssache gibt die spanische Regierung als Ziel für den Erlass der in Rede stehenden Bestimmung die Bekämpfung der Abwesenheit vom Arbeitsplatz an, ein Problem, das in Spanien Anlass zu größter Sorge gebe(35). Mit der Maßnahme werden die Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zum Ausgleich gebracht, indem sichergestellt wird, dass die Unternehmen ihre Produktivität aufrechterhalten können und Arbeitnehmer nicht ohne triftigen Grund entlassen werden. Wie die Kommission bemerkt, kann darin, dass in der Liste der ausgeschlossenen Krankheiten solche aufgeführt sind, die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht wiederkehrend sind, eine Bestätigung dafür gesehen werden, dass sich diese Maßnahme gegen den Absentismus richtet(36). Die Bekämpfung der Abwesenheit vom Arbeitsplatz ist meines Erachtens als ein rechtmäßiges Ziel anzusehen, wenn diese nachweislich zu wirtschaftlichen Schäden sowohl auf nationaler Ebene als auch für die Arbeitgeber, die die Auswirkungen zu tragen haben, führt.

61.      Was die Verhältnismäßigkeit der in Rede stehenden nationalen Maßnahme betrifft, gibt es meines Erachtens zwei Aspekte, die den oben in den Nrn. 56 und 57 zusammengefassten Darlegungen des Gerichtshofs entnommen werden können. Um festzustellen, ob die betreffende Maßnahme angemessen ist, hat das vorlegende Gericht zum Ersten die Pflicht, einen Ausgleich herzustellen, indem es sowohl die Interessen der Arbeitgeber als auch diejenigen ihrer Arbeitnehmer (oder potenziellen Arbeitnehmer), die eine Behinderung haben, berücksichtigt. Zum Zweiten muss das Gericht dem weiten Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten in diesem Bereich Rechnung tragen.

62.      Angesichts dieses zweiten Faktors ist es schwierig, dem vorlegenden Gericht mehr als eine sehr allgemeine Auslegungshilfe zu geben, was, wie ich einräume, möglicherweise weniger ist, als es erwartet. Während nämlich die in Rede stehende Maßnahme die Interessen des Arbeitgebers erkennbar berücksichtigt, liegen dem Gerichtshof in Bezug auf die Arbeitnehmer mit Behinderung über die oben in Rn. 60 in Bezug genommene Feststellung hinaus, dass „Arbeitnehmer nicht ohne triftigen Grund entlassen werden“ sollten, weniger Informationen vor. In diesem allgemeinen Kontext möchte ich darauf hinweisen, dass nach der im Urteil HK Danmark(37) in Rede stehenden Maßnahme ein Arbeitgeber berechtigt war, einen Beschäftigten zu entlassen, wenn die Fehlzeiten während eines Zeitraums von zwölf aufeinanderfolgenden Monaten insgesamt 120 Tage betrugen. Die in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehende Maßnahme ist komplexer. Es zeigt sich jedoch, dass die danach zulässigen Fehlzeiten wahrscheinlich weniger großzügig bemessen sind als die nach der dänischen Rechtsvorschrift.

63.      Das bedeutet an sich noch nicht, dass diese Bestimmungen unverhältnismäßig sind. Das vorlegende Gericht wird zu klären haben, ob sie so weit gefasst sind, dass sie auch Fehlzeiten erfassen können, die nur gelegentlich oder vereinzelt auftreten – in welchem Fall sie meines Erachtens klar unverhältnismäßig sind –, oder ob sie in geeigneter Weise zur Bekämpfung des Absentismus maßgeschneidert sind. Das Gericht müsste auch berücksichtigen, dass nach der dänischen Regelung dem Arbeitgeber das seinen Beschäftigten gezahlte Krankentagegeld wenigstens teilweise erstattet wurde(38), während die anwendbaren spanischen Rechtsvorschriften keine entsprechende Regelung enthalten: Der Arbeitgeber hat vielmehr, zumindest zu einem erheblichen Teil, die Ausgaben für diese Fehlzeiten aus seiner eigenen Tasche zu zahlen(39). Diese Faktoren allein sind nicht unbedingt ausschlaggebend für die Erwägungen des vorlegenden Gerichts in dieser Hinsicht. Sie sind lediglich Elemente, die bei der Prüfung aller maßgebenden Aspekte der Frage zu berücksichtigen sind. Entscheidend ist hier, ob die Maßnahme angemessen und erforderlich ist, was das vorlegende Gericht festzustellen hat. Ich betone, dass ich zu dieser Frage keine abschließende Meinung vertrete.

64.      Der zweite Teil der Antwort an das vorlegende Gericht sollte daher meines Erachtens dahin lauten, dass für die Feststellung, ob eine nationale Maßnahme, i) wonach der Arbeitgeber einen Beschäftigten, der als behindert im Sinne der Richtlinie 2000/78 anzusehen ist, entlassen darf, ii) wobei diese Entlassung wegen Fehlzeiten des Beschäftigten erfolgen kann, die auf seiner Behinderung beruhen, und iii) in der als Voraussetzung für die Wirksamkeit der Entlassung hinsichtlich der zu überschreitenden Fehlzeiten ein Schwellenwert oder mehrere Schwellenwerte festgelegt werden, gültig ist, die vom Gerichtshof in den Rn. 71 bis 91 des Urteils HK Danmark(40) niedergelegten Kriterien zu berücksichtigen sind. In dieser Hinsicht kann einer nationalen Maßnahme, mit der die Abwesenheit vom Arbeitsplatz bekämpft werden soll, wenn derartiger Absentismus sowohl auf nationaler Ebene als auch für die Arbeitgeber, die seine Folgen zu tragen haben, nachweislich materielle Schäden verursacht, ein rechtmäßiges Ziel im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie zuerkannt werden. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der betreffenden nationalen Maßnahme muss das vorlegende Gericht die Regelung in ihrem Kontext würdigen und die etwaigen nachteiligen Auswirkungen für die betroffenen Personen berücksichtigen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob in dieser Regelung festgelegte Fehlzeiten so weit gefasst sind, dass sie auch bloß gelegentliche oder vereinzelte Fehlzeiten erfassen können – in welchem Fall sie nicht verhältnismäßig sind –, oder ob sie in geeigneter Weise auf die Bekämpfung des Absentismus zugeschnitten sind. Von Bedeutung ist auch, inwieweit Zahlungen wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten vom Arbeitgeber zu leisten sind. Allerdings ist keiner dieser Faktoren für sich genommen ausschlaggebend. Entscheidend ist, ob die nationale Maßnahme angemessen und erforderlich ist, was das vorlegende Gericht festzustellen hat.

 Ergebnis

65.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich vor, die vom Juzgado de lo Social nº 1 de Cuenca (Sozialgericht Nr. 1 in Cuenca, Spanien) zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

–        Bei der Prüfung der Anwendung der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf auf die Entlassung eines Beschäftigten unter Umständen, die möglicherweis eine mittelbare Diskriminierung im Sinne der Richtlinie darstellen, ist als Erstes die Anwendung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. ii und Art. 5 der Richtlinie zu prüfen. In Fällen, in denen ein Beschäftigter unter einer Behinderung leidet und sein Arbeitgeber von der Behinderung weiß oder vernünftigerweise von ihr wissen muss, ist der Arbeitgeber verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um angemessene Vorkehrungen nach Art. 5 zu treffen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten. Bei Nichterfüllung dieser Verpflichtung verstößt die Entlassung des Beschäftigten gegen die Anforderungen dieser Richtlinie.

–        Für die Feststellung, ob eine nationale Maßnahme, i) wonach der Arbeitgeber einen Beschäftigten, der als behindert im Sinne der Richtlinie 2000/78 anzusehen ist, entlassen darf, ii) wobei diese Entlassung wegen Fehlzeiten des Beschäftigten erfolgen kann, die auf seiner Behinderung beruhen, und iii) in der als Voraussetzung für die Wirksamkeit der Entlassung hinsichtlich der zu überschreitenden Fehlzeiten ein Schwellenwert oder mehrere Schwellenwerte festgelegt werden, gültig ist, sind die vom Gerichtshof in den Rn. 71 bis 91 des Urteils vom 11. April 2013, HK Danmark (C‑335/11 und C‑337/11, EU:C:2013:222), niedergelegten Kriterien zu berücksichtigen. In dieser Hinsicht kann einer nationalen Maßnahme, mit der die Abwesenheit vom Arbeitsplatz bekämpft werden soll, wenn derartiger Absentismus sowohl auf nationaler Ebene als auch für die Arbeitgeber, die seine Folgen zu tragen haben, nachweislich materielle Schäden verursacht, ein rechtmäßiges Ziel im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie zuerkannt werden. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der betreffenden nationalen Maßnahme muss das vorlegende Gericht die Regelung in ihrem Kontext würdigen und die etwaigen nachteiligen Auswirkungen für die betroffenen Personen berücksichtigen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob in dieser Regelung festgelegte Fehlzeiten so weit gefasst sind, dass sie auch bloß gelegentliche oder vereinzelte Fehlzeiten erfassen – in welchem Fall die Rechtsvorschrift nicht verhältnismäßig ist –, oder ob sie in geeigneter Weise auf die Bekämpfung des Absentismus zugeschnitten sind. Von Bedeutung ist auch, inwieweit Zahlungen wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten vom Arbeitgeber zu leisten sind. Allerdings ist keiner dieser Faktoren für sich genommen ausschlaggebend. Entscheidend ist, ob die nationale Maßnahme angemessen und erforderlich ist, was das vorlegende Gericht festzustellen hat.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Richtlinie des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).


3      Soweit mir bekannt, ist diese Regelung durch das Real Decreto Legislativo 2/2015 por el que se aprueba el texto refundido de la Ley del Estatuto de los Trabajadores (Real Decreto Legislativo 2/2015 zur Billigung des konsolidierten Textes des Arbeitnehmerstatuts) vom 23. Oktober 2015 ersetzt worden, mit der die hier maßgebenden Vorschriften ohne materielle Änderungen neu bekannt gemacht wurden.


4      Allerdings ergeben die genannten Zahlen insgesamt eine Behinderung von 39 % und nicht 37 %, möglicherweise gibt es aber in der Struktur des nationalen Bescheids eine weitere Differenzierung. Dieses sind jedenfalls die Prozentangaben in der Vorlageentscheidung.


5      Urteil vom 18. Dezember 2014 (C‑354/13, EU:C:2014:2463; auch bekannt unter der Bezeichnung „Kaltoft“).


6      Vgl. Rn. 31 und 40 des Urteils.


7      Vgl. Rn. 59 und 60 des Urteils.


8      Siehe unten, Nrn. 36 ff.


9      Einige sehr begrenzte Ausnahmen sind in Art. 2 Abs. 5, Art. 4 und Art. 6 vorgesehen. Sie sind hier nicht relevant.


10      Urteil vom 11. April 2013 (C‑335/11 und C‑337/11, EU:C:2013:222; auch bekannt unter der Bezeichnung „Ring und Werge“).


11      Vgl. hierzu Rn. 76 des Urteils.


12      Siehe unten, Nr. 50.


13      Es ist offenbar unstreitig, dass Art. 5 mit Art. 40 Abs. 2 des Allgemeinen Gesetzes über Behindertenrechte in das spanische nationale Recht umgesetzt worden ist. Siehe oben, Nr. 10.


14      Siehe oben, Nr. 2. Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass die Aufzählung in diesem Erwägungsgrund, die durch „z. B.“ eingeleitet wird, nicht abschließend ist. Vgl. Urteil vom 11. April 2013, HK Danmark(C‑335/11 und C‑337/11, EU:C:2013:222, Rn. 56).


15      Im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt durch Beschluss 2010/48/EG des Rates vom 26. November 2009 (ABl. 2010, L 23, S. 35). Vgl. Urteil vom 11. April 2013, HK Danmark (C‑335/11 und C‑337/11, EU:C:2013:222, Rn. 53).


16      Dies würde insbesondere gelten, wenn, wie im vorliegenden Fall, der Beschäftigte die vom Arbeitgeber angebotene regelmäßige ärztliche Untersuchung ablehnt. Siehe oben, Nr. 15.


17      Die Situation, die eintreten kann, wenn die Behinderung bis zu einem Grad voranschreitet, bei dem weitere angemessene Vorkehrungen nicht oder nur mit einem Aufwand getroffen werden können, der den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten würde, werde ich unten in den Nrn. 43 und 44 behandeln.


18      Siehe oben, Nr. 35.


19      Vgl. hierzu Urteil vom 11. Juli 2006, Chacón Navas (C‑13/05, EU:C:2006:456, Rn. 51), in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass „[d]as Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung bei Entlassungen nach den Artikeln 2 Absatz 1 und 3 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 2000/78 … der Entlassung wegen einer Behinderung entgegen[steht], die unter Berücksichtigung der Verpflichtung, angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung zu treffen, nicht dadurch gerechtfertigt ist, dass die betreffende Person für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen ihres Arbeitsplatzes nicht kompetent, fähig oder verfügbar ist“.


20      Siehe oben, Nrn. 41 und 42.


21      Schlussanträge in der Rechtssache Bougnaoui und ADDH (C‑188/15, EU:C:2016:553).


22      Urteil vom 11. April 2013, (C‑335/11 und C‑337/11, EU:C:2013:222).


23      Vgl. Rn. 48 bis 64 des Urteils.


24      Vgl. Rn. 69 bis 92 des Urteils.


25      Vgl. Rn. 68 und Nr. 3 des Tenors des Urteils.


26      Urteil vom 11. April 2013 (C‑335/11 und C‑337/11, EU:C:2013:222).


27      Im Urteil wurde auch erörtert, ob die Krankheiten, an denen die Beschäftigten gelitten hatten, tatsächlich eine Behinderung im Sinne der Richtlinie 2000/78 darstellten. Diese Erörterung ist aber für diesen Abschnitt meiner Analyse nicht relevant.


28      Es handelte sich offenbar um eine fakultative Bestimmung. Ihre Geltung setzte voraus, dass sie schriftlich „für das einzelne Dienstverhältnis“ vereinbart wurde. Vgl. Rn. 13 des Urteils.


29      Vgl. Rn. 26, 72, 78 und 79 des Urteils.


30      Vgl. Urteil vom 11. Juli 2006 (C‑13/05, EU:C:2006:456, Rn. 48).


31      Urteil vom 11. April 2013 (C‑335/11 und C‑337/11, EU:C:2013:222).


32      In der Tat ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C‑390/12, EU:C:2014:281), in dem die in Rede stehende nationale Rechtsvorschrift hinsichtlich des vermeintlichen Missstands, zu dessen Bekämpfung sie erlassen wurde (in diesem Fall Spielsucht) erheblich expliziter war, dennoch die Auffassung vertreten hat, dass das nationale Gericht eine eigene Gesamtwürdigung der Umstände vornehmen muss, unter denen die Rechtsvorschrift erlassen worden ist und durchgeführt wird (vgl. insbesondere Rn. 52 des Urteils).


33      Urteil vom 11. April 2013 (C‑335/11 und C‑337/11, EU:C:2013:222).


34      Das vorlegende Gericht hatte in seinem Vorlagebeschluss zwar darauf hingewiesen, dass die in Rede stehende dänische Rechtsvorschrift Teil einer Politik zur Eingliederung behinderter Arbeitnehmer sei. Das Urteil des Gerichtshofs enthält hierzu aber keine Aussage. Zwar heißt es in Rn. 14, dass es nach dem nationalen Recht zur Umsetzung der Richtlinie 2000/78 eine solche Politik gebe, es wird aber nicht gesagt, dass die beiden Regelungen miteinander verbunden sind. In Rn. 78 wird das Vorbringen der dänischen Regierung zum Zweck der nationalen Maßnahme, mit der eine frühzeitige Kündigung erlaubt wird, erwähnt: Dieses bezieht sich jedoch allgemein auf Arbeitnehmer, bei denen „ein besonderes Risiko besteht, dass sie krankheitsbedingt wiederholt abwesend sind“, nicht aber speziell auf Arbeitnehmer mit einer Behinderung. Wenn in Rn. 85 das Argument der Regierung angeführt wird, dass die umstrittene Maßnahme die Einstellung und Weiterbeschäftigung insbesondere von behinderten Arbeitnehmern ermögliche, so soll damit die Auswirkung der Vorschriften wiedergegeben werden und nicht deren Ziel.


35      In der mündlichen Verhandlung hat die spanische Regierung darauf hingewiesen, dass 2016 täglich durchschnittlich 5,67 % der Erwerbstätigen der Arbeit ferngeblieben seien, was zu einem Ausfall bei der Produktion von Waren und Dienstleistungen in Höhe von 5,63 % des Bruttosozialprodukts geführt habe.


36      Siehe oben, Nr. 7.


37      Urteil vom 11. April 2013 (C‑335/11 und C‑337/11, EU:C:2013:222).


38      Vgl. Urteil vom 11. April 2013, HK Danmark(C‑335/11 und C‑337/11, EU:C:2013:222, Rn. 19 und 86). Die Erstattung war offenbar auf 52 Wochen beschränkt, und der Betrag war niedriger als die vom Arbeitgeber geleistete Zahlung.


39      Nach Angaben der Kommission gilt die allgemeine Regel, dass der Beschäftigte während der ersten drei Tage der Abwesenheit kein Arbeitsentgelt erhält und dass für die anschließenden zwölf Tage der Arbeitgeber zur Zahlung von 60 % der Lohnkosten verpflichtet ist und danach der Staat eintritt. Die spanischen Arbeitgeber sind bei einer Kündigung außerdem zumeist zu einer Abfindungszahlung eines 20 Arbeitstagen entsprechenden Entgelts für jedes Beschäftigungsjahr bis zur Höhe eines Jahreslohns verpflichtet.


40      Urteil vom 11. April 2013 (C‑335/11 und C‑337/11, EU:C:2013:222).