Language of document : ECLI:EU:C:2005:437

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ANTONIO TIZZANO

vom 7. Juli 20051(1)

Rechtssache C‑411/03

SEVIC Systems Aktiengesellschaft

gegen

Amtsgericht Neuwied

(Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Koblenz [Deutschland])

„Niederlassungsfreiheit – Grenzüberschreitende Verschmelzung – Ablehnung der Eintragung – Vereinbarkeit“





I –    Einleitung

1.     Die vorliegende Rechtssache betrifft ein Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 43 EG und 48 EG, das das Landgericht Koblenz (Deutschland) dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vorgelegt hat.

2.     Das vorlegende Gericht möchte vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob eine innerstaatliche Regelung, nach der die Verschmelzung einer deutschen Gesellschaft mit einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats nicht in das deutsche Handelsregister eingetragen werden kann, gegen den Grundsatz der Niederlassungsfreiheit verstößt.

II – Rechtlicher Rahmen

 Das einschlägige Gemeinschaftsrecht

3.     Der Ausgangsrechtsstreit betrifft im Wesentlichen die Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit. Insoweit ist vor allem Artikel 43 EG von Bedeutung, in dem bekanntlich das Recht der Unionsbürger auf Niederlassungsfreiheit – sei es in Form einer Hauptniederlassung (Absatz 2) oder in Form einer Zweitniederlassung (Absatz 1) – verankert ist. Konkret sieht Artikel 43 EG vor:

„Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. Das Gleiche gilt für Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind.

Vorbehaltlich des Kapitels über den Kapitalverkehr umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen.“

4.     Sodann sei auf Artikel 48 EG verwiesen, der lautet:

„Für die Anwendung dieses Kapitels stehen die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind.

Als Gesellschaften gelten die Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts einschließlich der Genossenschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen.“

5.     Artikel 46 Absatz 1 EG bestimmt jedoch:

„Dieses Kapitel und die aufgrund desselben getroffenen Maßnahmen beeinträchtigen nicht die Anwendbarkeit der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die eine Sonderregelung für Ausländer vorsehen und aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind.“

6.     Für die Zwecke der vorliegenden Rechtssache ist ferner der Hinweis auf die Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr angebracht, insbesondere auf Artikel 56 Absatz 1 EG, der lautet:

„Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.“

7.     Schließlich ist daran zu erinnern, dass sich die Kommission seit einigen Jahren um einen Gemeinschaftsrechtstext über grenzüberschreitende Verschmelzungen bemüht, der geeignet ist, dem Bedürfnis von Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten nach Kooperation und Reorganisation gerecht zu werden.

8.     Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist jedoch der Vorschlag für eine Richtlinie über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten(2), obwohl er sich in einem sehr fortgeschrittenen Stadium befindet(3), vom Parlament und vom Rat noch nicht endgültig angenommen worden.

 Das nationale Recht

9.     In Deutschland werden Verschmelzungen durch das Umwandlungsgesetz (UmwG)(4) geregelt.

10.   § 1 Absatz 1 UmwG, der die Arten der Umwandlung regelt, nennt nur die Verschmelzung von Gesellschaften mit Sitz im Inland und bestimmt Folgendes:

„Rechtsträger mit Sitz im Inland können umgewandelt werden

1. durch Verschmelzung

…“

11.   § 2 UmwG beschreibt sodann die verschiedenen Arten der Verschmelzung unter Auflösung und ohne Abwicklung der Gesellschaft, darunter die hier interessierende Verschmelzung durch Aufnahme, die durch Übertragung des Vermögens eines Rechtsträgers oder mehrerer Rechtsträger auf einen anderen bestehenden Rechtsträger erfolgt.

12.   Die übrigen Bestimmungen des Umwandlungsgesetzes, die spezifisch die Verschmelzung durch Aufnahme betreffen, stellen schließlich eine Reihe von Voraussetzungen auf, von denen hier die Eintragung des Vorgangs in das Handelsregister des Sitzes der übernehmenden Gesellschaft (§ 19) von Belang ist.

III – Sachverhalt und Verfahren

13.   Die SEVIC Systems Aktiengesellschaft (im Folgenden: Sevic) mit Sitz in Neuwied (Deutschland) und die Security Vision Concept SA (im Folgenden: SVC) mit Sitz in Luxemburg (Luxemburg) schlossen im Jahr 2002 einen Verschmelzungsvertrag, in dem sie die Auflösung der SVC ohne Abwicklung und die Übertragung ihres Vermögens als Ganzes auf die Sevic vereinbarten.

14.   Das Amtsgericht Neuwied wies den Antrag auf Eintragung der Verschmelzung in das deutsche Handelsregister zurück und begründete die Ablehnung mit § 1 Absatz 1 UmwG, der nur die Verschmelzung von Gesellschaften mit Sitz in Deutschland zulasse. Hier betreffe die Verschmelzung aber eine deutsche Gesellschaft und eine Gesellschaft luxemburgischen Rechts.

15.   Die Sevic erhob gegen diese Entscheidung Beschwerde beim vorlegenden Gericht, das Zweifel hinsichtlich der Auslegung der Artikel 43 EG und 48 EG hegt und deshalb das bei ihm anhängige Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:

Sind die Artikel 43 EG und 48 EG dahin auszulegen, dass es im Widerspruch zur Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften steht, wenn einer ausländischen europäischen Gesellschaft die Eintragung ihrer angestrebten Verschmelzung mit einer deutschen Gesellschaft in das deutsche Handelsregister gemäß den §§ 16 ff. UmwG versagt wird, weil § 1 Absatz 1 Nummer 1 UmwG nur eine Umwandlung von Rechtsträgern mit Sitz im Inland vorsieht?

16.   In dem damit eingeleiteten Verfahren haben die Klägerin des Ausgangsrechtsstreits, die deutsche und die niederländische Regierung sowie die Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht.

17.   In der Sitzung vom 10. Mai 2005 haben die Sevic, die deutsche Regierung und die Kommission mündliche Ausführungen gemacht.

IV – Rechtliche Würdigung

A –    Anwendbarkeit der Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit auf den Sachverhalt

18.   Ich stelle vorab fest, dass sich die fragliche innerstaatliche Rechtsvorschrift, obwohl sie nur die Verschmelzung von Gesellschaften mit Sitz in Deutschland regelt, unmittelbar auf die Möglichkeit internationaler Verschmelzungen auswirkt. Denn wie der vorliegende Fall zeigt und wie von der deutschen Regierung in der Sitzung bestätigt worden ist, wird in Deutschland die Eintragung der Verschmelzung einer Gesellschaft deutschen Rechts mit einer Gesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat in das Handelsregister grundsätzlich(5) auf der Grundlage des § 1 Absatz 1 UmwG – und gerade weil diese Vorschrift nur „innerstaatliche“ Verschmelzungen vorsieht – mit der Folge abgelehnt, dass der Vorgang keine Wirkungen erzeugen kann.

19.   Dies vorangeschickt stelle ich fest, dass die Beteiligten vor allem über die Möglichkeit selbst streiten, den hier in Rede stehenden Vorgang unter die Ausübung der Niederlassungsfreiheit zu subsumieren. Bevor man sich also der Frage zuwendet, ob die einschlägige deutsche Regelung, wie es das vorlegende Gericht wissen möchte, mit den Artikeln 43 EG und 48 EG im Einklang steht oder nicht, ist festzustellen, ob diese Regelung im Zusammenhang mit Sachverhalten der hier geprüften Art in den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen fällt.

20.   Die deutsche und die niederländische Regierung verneinen dies, weil die fragliche Verschmelzung nicht zu einer „Niederlassung“ im Sinne des Vertrages führe.

21.   Die deutsche Regierung erklärt, dieser Begriff beziehe sich auf die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit durch eine natürliche oder juristische Person in einem anderen Mitgliedstaat mittels einer festen Einrichtung, die sich im Fall von Gesellschaften aus der Ansiedlung einer Hauptniederlassung in diesem Staat oder deren Verlegung dorthin (Artikel 43 Absatz 2) oder aus der Gründung einer Zweitniederlassung in besagtem Staat (Artikel 43 Absatz 1) ergebe.

22.   Hier gehe die luxemburgische Gesellschaft (SVC) jedoch aufgrund der Verschmelzung in der übernehmenden deutschen Gesellschaft (Sevic) auf und verliere somit ihre Rechtspersönlichkeit. Da sich aber eine nicht mehr bestehende Gesellschaft definitionsgemäß weder mit einem Haupt- noch mit einem Zweitsitz in einem anderen Mitgliedstaat „niederlassen“ könne, seien hier folglich bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen der Artikel 43 EG und 48 EG nicht erfüllt.

23.   Die niederländische Regierung, die ähnlich argumentiert, fügt hinzu, dass sich der Untergang einer Gesellschaft unmittelbar auf ihre Gründung und Existenz auswirke, also auf Aspekte, die, wie vom Gerichtshof im Urteil Daily Mail(6) anerkannt worden sei, gegenwärtig über den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts hinausgingen und wie die Staatsangehörigkeit natürlicher Personen ausschließlich von den einzelstaatlichen Rechtsordnungen geregelt würden. Die Artikel 43 EG und 48 EG könnten deshalb nicht dahin ausgelegt werden, dass sie der Gesellschaft das Recht verliehen, durch die Beteiligung an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung unterzugehen.

24.   Es sei sogleich gesagt, dass ich diesen Ansatz nicht teile.

25.   Dies vor allem, weil er mir insoweit einem Denkfehler zu folgen scheint, als er eine Folge der Verschmelzung, nämlich den Untergang der übernommenen Gesellschaft, als Ursache dafür, dass dieser Gesellschaft (wenn sie noch besteht!) die Verschmelzung unmöglich ist, und somit als Rechtfertigung für das Eintragungsverbot annimmt, das eine Verschmelzung gerade ausschließt.

26.   In Wirklichkeit bestehen und handeln dagegen beide Gesellschaften in der gesamten Phase, die der Verschmelzung vorausgeht, und bis zur Eintragung der Verschmelzung als juristische Personen, die voll und ganz die Fähigkeit besitzen, die Verschmelzung auszuhandeln und zu vereinbaren. Erst mit der Vollendung der Verschmelzung und vor allem mit ihrer Eintragung erlischt einer der beiden Rechtsträger(7); bis dahin verhält es sich aber anders, denn wenn die Verschmelzung nicht vollendet wird, besteht die Gesellschaft, die übernommen werden sollte, als eigenständige juristische Person fort.

27.   Die streitige innerstaatliche Rechtsvorschrift betrifft deshalb Rechtsträger im vollen Besitz ihrer Rechtsfähigkeit, denen gerade diese Rechtsvorschrift, und zwar allein sie, die Möglichkeit verwehrt, von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen. Somit kann man die Unanwendbarkeit der Vertragsbestimmungen auf grenzüberschreitende Verschmelzungen unter Berufung auf die angeblich fehlende Rechtspersönlichkeit der übernommenen Gesellschaft nur rechtfertigen, wenn man Ursache und Wirkung miteinander verwechselt.

28.   Es ist aber meiner Ansicht nach der Regelungsgegenstand der untersuchten Bestimmung selbst, der jeglichen Zweifel daran beseitigt, dass sie in den Anwendungsbereich der Artikel 43 EG und 48 EG, wie sie in ständiger Gemeinschaftsrechtsprechung ausgelegt werden, fällt.

29.   Der Gerichtshof hat bekanntlich, um den vollen Genuss der Niederlassungsfreiheit zu gewährleisten, die als Möglichkeit, „in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats … teilzunehmen“(8), verstanden wird, der Regelung der Artikel 43 EG und 48 EG nicht nur diejenigen innerstaatlichen Vorschriften und Praktiken unterworfen, die die Ausübung der jeweiligen wirtschaftlichen Tätigkeit unmittelbar und spezifisch betreffen, sondern auch all „diejenigen, bei denen es um die verschiedenen, für die Ausübung dieser Tätigkeiten nützlichen allgemeinen Befugnisse geht“(9).

30.   Deshalb fallen unter die Niederlassungsfreiheit all diejenigen Maßnahmen, die den Zugang zu einem anderen Mitgliedstaat und/oder die Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeiten in diesem Staat dadurch erlauben oder auch nur erleichtern, dass sie es den Betroffenen gestatten, tatsächlich und unter denselben Bedingungen wie die inländischen Wirtschaftsbeteiligten am Wirtschaftsleben des Landes teilnehmen zu können(10).

31.   Bei der Erwähnung dieser Grundsätze hat der Gerichtshof fast immer ausdrücklich auf das Allgemeine Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit Bezug genommen, das vom Rat am 18. Dezember 1961 angenommen wurde und nach dem „Vorschriften und Praktiken, die allein für Ausländer die Befugnis zur Ausübung der normalerweise mit einer selbständigen Tätigkeit verbundenen Rechte ausschließen, beschränken oder von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen“, abzuschaffende Beschränkungen darstellen(11). Das Programm listet rein beispielhaft solche „Befugnisse“ auf, unter denen, soweit hier von Interesse, die Befugnis genannt wird, „Verträge abzuschließen“ und „Rechte sowie bewegliches und unbewegliches Vermögen zu erwerben, zu nutzen oder darüber zu verfügen“.

32.   Kurz gesagt betrifft die Niederlassungsfreiheit nicht nur das Recht, in einen anderen Mitgliedstaat zu übersiedeln, um dort die eigene Tätigkeit auszuüben, sondern alle Aspekte, die mit der Ausübung dieser Tätigkeit und damit mit der vollen Ausübung der im Vertrag verankerten Freiheit in irgendeiner Weise komplementär und funktionell zusammenhängen.

33.   Dieser Tatbestand scheint mir offenkundig auch bei der untersuchten innerstaatlichen Rechtsvorschrift erfüllt zu sein. Denn diese betrifft keine komplementären, sondern geradezu wesentliche Aspekte der Tätigkeit eines Wirtschaftsbeteiligten, da sie ihm den Abschluss spezifischer Rechtsgeschäfte (Verschmelzungen) und insbesondere den Erwerb/die Veräußerung oder die Gründung neuer Gesellschaften verwehrt.

34.   Es gibt aber noch einen anderen Aspekt, der meiner Meinung nach für die Zwecke dieser Prüfung unmittelbar von Belang sein kann und den die Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, letztlich dadurch aus dem Blick verloren haben, dass sie sich allein auf den Untergang der übernommenen Gesellschaft konzentriert haben.

35.   Ich beziehe mich vor allem darauf, dass die untersuchte Verschmelzung nicht nur als ein Fall der Hauptniederlassung, sondern auch als ein Fall der Zweitniederlassung analysiert werden kann. Denn die Übernahme einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft (hier der luxemburgischen) schließt nicht aus, dass die übernehmende Gesellschaft (hier die deutsche) gerade als Folge der Verschmelzung in die Lage geraten kann, mit einer festen Niederlassung in dem Mitgliedstaat tätig zu sein, in dem die übernommene Gesellschaft ihren Sitz hatte, und damit in einem anderen als dem eigenen Mitgliedstaat, so dass sie dort, auch wenn es sich um eine Zweitniederlassung handelt, eine Niederlassung gründet.

36.   Und in der Tat hätte hier die übernehmende Gesellschaft (Sevic), wie in der Sitzung bestätigt worden ist, aufgrund des Verschmelzungsvertrags in Luxemburg Güter, Personal und Produktionsmittel der übernommenen Gesellschaft (SVC) behalten, womit sie über eine „Zweit“-Niederlassung im Ausland verfügt hätte.

37.   In einem solchen Fall nähme also eine bestimmte Erscheinungsform der Ausübung der Niederlassungsfreiheit, die in Artikel 43 EG ebenfalls vorgesehen ist, Gestalt an: nämlich die „Zweit“-Niederlassung einer Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat dank der in dieser Vorschrift gerade vorgesehenen Befugnis, „im Gebiet der Gemeinschaft mehr als eine Stätte für die Ausübung einer Tätigkeit einzurichten und beizubehalten“(12).

38.   Auch der Umstand, dass im vorliegenden Fall die Zweitniederlassung die Form einer Einrichtung ohne eigenständige Rechtspersönlichkeit annehmen würde, kann nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Artikel 43 Absatz 1 EG sieht nämlich die Möglichkeit vor, von der Niederlassungsfreiheit sowohl über Einrichtungen mit Rechtspersönlichkeit (Tochtergesellschaften) als auch über Einrichtungen ohne Rechtspersönlichkeit (Agenturen und Zweigniederlassungen) Gebrauch zu machen.

39.   Auf der anderen Seite ist der Gemeinschaftsrechtsprechung zu entnehmen, dass die Bezugnahme in der genannten Vorschrift auf „Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften“ als bloß beispielhafte und nicht abschließende Nennung der Niederlassungsformen zu verstehen ist, auf die die in einem anderen Mitgliedstaat tätige Gesellschaft zurückgreifen kann. So hat der Gerichtshof anerkannt, dass die Vorschriften über die Niederlassung auf Fälle anwendbar sind, in denen z. B. die Präsenz einer Gesellschaft in einem anderen Land der Gemeinschaft nicht „die Form einer Zweigniederlassung oder einer Agentur [annimmt], sondern lediglich durch ein Büro wahrgenommen wird, das von dem eigenen Personal des Unternehmens oder von einer Person geführt wird, die zwar unabhängig, aber beauftragt ist, auf Dauer für dieses Unternehmen wie eine Agentur zu handeln“(13).

40.   In Anbetracht dessen scheint mir auch der Einwand der deutschen Regierung unbegründet, dass die Ausübung der Niederlassungsfreiheit zwangsläufig die Gründung einer neuen oder zusätzlichen Niederlassung im Ausland erfordere und deshalb nicht in Form der Übernahme einer bereits bestehenden Gesellschaft – wie im Ausgangsverfahren – erfolgen könne.

41.   Wie der Gerichtshof nämlich bereits völlig auf einer Linie mit der oben in Erinnerung gerufenen Rechtsprechung klargestellt hat, umfasst das in Artikel 43 EG verankerte Recht die Befugnis der „freie[n] Wahl der für die Ausübung einer Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat geeigneten Rechtsform“(14). Eine solche Tätigkeit kann somit vielfältige Erscheinungsformen annehmen und sogar in dem Erwerb von Anteilen einer bereits bestehenden und in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft liegen, wenn eine solche Beteiligung dem Erwerber „einen gewissen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft verleiht und es … ermöglicht, deren Tätigkeiten zu bestimmen“(15), wobei es sich um ein Kriterium handelt, das definitionsgemäß in Fällen der Übernahme einer anderen Gesellschaft wie hier stets erfüllt ist.

42.   Nach alledem bin ich deshalb der Auffassung, dass eine innerstaatliche Rechtsvorschrift wie die im Ausgangsverfahren fragliche vollständig in den Anwendungsbereich der Artikel 43 EG und 48 EG fällt.

B –    Würdigung des in Rede stehenden nationalen Rechts

43.   Nach dieser Klärung geht es nun bei der materiellen Prüfung der Frage darum, ob die fragliche nationale Maßnahme dadurch eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt, dass sie in keinem Fall die Eintragung von Verschmelzungen von Gesellschaften mit Sitz in Deutschland mit Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten in das deutsche Handelsregister zulässt.

44.   Ich beginne diese Prüfung mit dem Hinweis darauf, dass auf der Grundlage der weiten Definition der Niederlassungsfreiheit, die, wie gesehen (oben, Nrn. 24 bis 27), aus der Gemeinschaftsrechtsprechung folgt, als Beschränkungen dieser Freiheit „alle Maßnahmen anzusehen [sind], die die Ausübung dieser Freiheit verbieten, behindern oder weniger attraktiv machen“(16). Somit können auch nationale Maßnahmen unter dieses Verbot fallen, die bloß geeignet sind, einen Wirtschaftsbeteiligten davon „abzuschrecken“, von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen(17).

45.   Überdies geht aber aus der Rechtsprechung auch noch hervor, dass ein Mitgliedstaat nach Artikel 43 EG nicht nur die Niederlassung ausländischer Wirtschaftsbeteiligter im Inland nicht verhindern oder beschränken, sondern auch die Niederlassung inländischer Wirtschaftsbeteiligter in einem anderen Mitgliedstaat nicht behindern darf(18). Mit anderen Worten sind sowohl Beschränkungen des „Zugangs“ zum nationalen Hoheitsgebiet als auch Beschränkungen des „Weggangs“ aus diesem Gebiet verboten.

46.   Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so scheint mir eine Rechtsvorschrift wie die im Ausgangsverfahren fragliche unbestreitbar geeignet, sowohl inländische als auch ausländische Wirtschaftsbeteiligte von der Ausübung der Niederlassungsfreiheit zumindest abzuschrecken.

47.   Das Instrument der Verschmelzung stellt nämlich insofern eine besonders wirksame Technik der Umwandlung einer Gesellschaft dar, als es im Rahmen eines einzigen Vorgangs ermöglicht, eine bestimmte Tätigkeit in neuen Formen und ohne Unterbrechung auszuüben, so dass die Komplikationen sowie der Zeit- und der Kostenaufwand beträchtlich verringert werden, die mit alternativen Formen der Umgestaltung einer Gesellschaft wie denjenigen verbunden sind, die z. B. die Auflösung der Gesellschaft mit Vermögensabwicklung und anschließender Gründung einer neuen Gesellschaft, die Übertragung der einzelnen Vermögensgegenstände, den Tausch von Eigentumstiteln usw. umfassen.

48.   Nun ist festzustellen, dass die Sevic durch die streitige innerstaatliche Rechtsvorschrift – und allein durch diese – wie alle Gesellschaften deutschen Rechts, die sich in einer entsprechenden Lage befinden, nur deswegen, weil sie eine Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat übernehmen möchte, die Möglichkeit der Verschmelzung verliert, die ihr sonst offen gestanden hätte. Sie verliert damit eine Möglichkeit von erheblicher und offenkundiger Bedeutung in einem Binnenmarkt wie dem europäischen, es sei denn, dass sie auf rechtstechnische Alternativen zurückzugreifen bereit ist, die, wie gerade ausgeführt, nicht die gleichen Merkmale und Vorteile aufweisen.

49.   All das stellt offenkundig ein „Hindernis“ dar, das geeignet ist, unmittelbar die Entscheidung deutscher Unternehmen zu beeinflussen, sich in anderen Mitgliedstaaten niederzulassen oder dort die eigene Präsenz auszuweiten und damit von der Freiheit Gebrauch zu machen, auf die sie nach den Artikeln 43 EG und 48 EG Anspruch haben.

50.   Aber die fragliche Maßnahme erzeugt eine beschränkende Wirkung auch in Bezug auf Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten. Denn sie verwehrt es diesen völlig, auf eine Modalität des Zugangs zum deutschen Markt zurückzugreifen. Insbesondere könnte eine Gesellschaft mit Sitz im Ausland nicht dadurch in Deutschland tätig werden, dass sie sich durch die Übernahme einer bereits bestehenden Gesellschaft oder über die Gründung einer neuen Gesellschaft mit einer oder mehreren deutschen Gesellschaften zusammenschlösse. Um das gewünschte Ergebnis zu erreichen, müsste sehr wahrscheinlich zuerst eine neue Gesellschaft in Deutschland gegründet werden, was, wie der Gerichtshof bereits klargestellt hat, „der Negierung der Niederlassungsfreiheit gleich[kommt]“(19).

51.   Nach alledem bin ich deshalb der Ansicht, dass die deutsche Maßnahme im Sinne der vorstehenden Ausführungen eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt und somit gegen die Artikel 43 EG und 48 EG verstößt.

C –    Die zur Rechtfertigung des fraglichen nationalen Rechts angeführten Gründe

52.   Trotzdem stellt sich noch die Frage, ob die Unvereinbarkeit der in Rede stehenden innerstaatlichen Rechtsvorschrift nicht aus Gründen allgemeiner Art entfällt, die, wie sogleich zu sehen sein wird, zur Rechtfertigung der Vorschrift geltend gemacht werden könnten.

53.   Die deutsche Regierung bringt nämlich, unterstützt von der niederländischen Regierung, vor, dass es Deutschland beim gegenwärtigen Stand in Ermangelung spezifischer gemeinschaftlicher Harmonisierungsmaßnahmen nicht möglich sei, grenzüberschreitende Verschmelzungen anzuerkennen, da es immer noch erhebliche Unterschiede zwischen dem jeweiligen Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten gebe und deshalb solche Vorgänge besonders komplex seien. Das untersuchte Verbot sei deshalb durch die Notwendigkeit begründet, einen angemessenen Grad an Rechtssicherheit im Handelsverkehr sowie den Schutz der Interessen von Arbeitnehmern, Gläubigern und Minderheitsaktionären der deutschen Gesellschaften zu gewährleisten.

54.   Selbst wenn der Gerichtshof also entscheiden sollte, dass § 1 Absatz 1 Nummer 1 UmwG eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstelle, sei eine solche Beschränkung gleichwohl insoweit zulässig, als sie Erfordernissen gerecht werden solle, deren Eignung, solche Maßnahmen zu rechtfertigen, von der Gemeinschaftsrechtsprechung anerkannt worden sei.

55.   Zunächst erinnere ich daran, dass das Gemeinschaftsrecht auf der Ebene der anerkannten Ausnahmen von den Grundfreiheiten klar zwischen diskriminierenden und nicht diskriminierenden Maßnahmen unterscheidet. Die Erstgenannten sind nämlich nur dann zulässig, wenn sie unter eine Ausnahme fallen können, die vom Vertrag und damit, was die Niederlassungsfreiheit anbelangt, von Artikel 46 EG ausdrücklich vorgesehen ist. Maßnahmen dagegen, die unterschiedslos auf Inländer und Angehörige anderer Mitgliedstaaten anwendbar sind, können nur dann zugelassen werden, wenn sie durch etwaige zwingende Erfordernisse gerechtfertigt sind, wobei auch dann aber die Bedingung gilt, dass sie geeignet sein müssen, das verfolgte Ziel zu erreichen, und nicht über das dafür Erforderliche hinausgehen dürfen(20).

56.   Es ist festzustellen, dass wir es im vorliegenden Fall mit einer diskriminierenden Rechtsvorschrift zu tun haben. Denn, wie gesehen, behandelt die untersuchte Regelung Gesellschaften unter Zugrundelegung ihres Sitzes eindeutig ungleich, indem sie Verschmelzungen gestattet, wenn die betroffenen Gesellschaften in Deutschland niedergelassen sind, und sie demgegenüber nicht zulässt, wenn eine der Gesellschaften im Ausland niedergelassen ist.

57.   In solchen Fällen kommt deshalb als einzige Ausnahme die in Artikel 46 EG vorgesehene in Betracht, nach der diskriminierende Maßnahmen nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sein können. Überdies muss diese Bestimmung aber insofern, als sie eine Ausnahme von einem tragenden Grundsatz des Vertrages enthält, eng ausgelegt werden, weshalb der Gerichtshof ihre Anwendbarkeit insbesondere an das Vorliegen einer „tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“(21), geknüpft hat.

58.   Die etwaigen Koordinierungsschwierigkeiten oder die Gefahren gegensätzlicher gesellschaftsrechtlicher Vorschriften in verschiedenen nationalen Rechtsordnungen, die von den deutschen und niederländischen Stellen überdies äußerst vage und allgemein angesprochen worden sind, scheinen mir offenkundig keine „Gefährdung“ solcher Art und solchen Ausmaßes für ein „Grundinteresse der Gesellschaft“ darstellen zu können, um so von Artikel 46 EG erfasst zu werden.

59.   Aber auch wenn man davon ausginge, dass die streitige Rechtsvorschrift nicht diskriminierend ist, würde das am Ergebnis nichts ändern, weil die Voraussetzungen dennoch nicht erfüllt wären, die die oben erwähnte Gemeinschaftsrechtsprechung für die Fälle unterschiedslos anwendbarer Beschränkungen aufgestellt hat (oben, Nr. 55).

60.   Beginnen wir mit dem Bestehen zwingender Gründe des Allgemeininteresses. Darunter könnte man vielleicht, und sei es rein hypothetisch, die Gründe des Herkunftsstaats der übernommenen Gesellschaft fassen, die er der Verwirklichung der Verschmelzung unter Berufung auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses entgegenhalten könnte(22). Dieser Staat sieht sich nämlich damit konfrontiert, dass eine Gesellschaft, die seiner Rechtsordnung unterlag, infolge des Aufgehens in einer Gesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat zu bestehen aufhört, so dass er keine unmittelbare Kontrolle mehr über sie ausüben kann.

61.   Ein Einwand von Seiten des Staates, zu dem die übernehmende Gesellschaft gehört, scheint dagegen schwieriger zu rechtfertigen, weil sich die Verschmelzung nicht auf die Verbindung dieser Gesellschaft mit der Rechtsordnung dieses Staates auswirkt. Im vorliegenden Fall würde nämlich die Sevic ihren Sitz in Deutschland auch nach der beabsichtigten Verschmelzung behalten, und das deutsche Recht wäre weiter auf alle Tätigkeiten dieser Gesellschaft anwendbar.

62.   Aber selbst wenn man solchen Überlegungen eine gewisse Bedeutung beimessen wollte, bleibt doch zweifelhaft, ob die behaupteten Probleme der Kompatibilität oder Koordinierung verschiedener Rechtsordnungen zu Recht als zwingende Gründe des Allgemeininteresses eingestuft werden können. Dies gilt besonders, wenn man berücksichtigt, dass, soweit bekannt, internationale Verschmelzungen in mehreren nationalen Rechtsordnungen zugelassen werden, ohne dass dies zu unüberwindlichen Schwierigkeiten führen würde, wie es aber die beiden Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, zu behaupten scheinen(23).

63.   Jedenfalls bliebe, selbst wenn man diesen Regierungen in diesem Punkt folgen wollte, quod non, immer noch zu prüfen, ob in dem hier untersuchten Fall die anderen oben genannten Voraussetzungen vorliegen, nämlich die Notwendigkeit und die Verhältnismäßigkeit der fraglichen Maßnahme.

64.   Wie gesehen, stellt aber diese Maßnahme ein absolutes und automatisches Verbot auf, das somit allgemein und von vornherein für alle grenzüberschreitenden Verschmelzungen unabhängig von der Feststellung damit etwa verbundener Nachteile oder Gefahren gilt.

65.   Für mich liegt auf der Hand, dass diese Maßnahme als ein solches Verbot besonders im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofes(24) deutlich über das Ziel hinausgeht, den angesprochenen etwaigen Schwierigkeiten zu begegnen, und dass sie deshalb gemessen an der Verfolgung dieses Zieles als unverhältnismäßig anzusehen ist. Dieses Ziel könnte nämlich durch weniger einschränkende Maßnahmen erreicht werden, wie z. B. die Möglichkeit, die Eintragung im Einzelfall und nur dann abzulehnen, wenn eine offenkundige und erwiesene Schwierigkeit bei der Koordinierung der betroffenen Rechtsordnungen besteht, die dazu führen kann, dass die Rechtssicherheit oder der Schutz der Interessen von Arbeitnehmern, Gläubigern oder Minderheitsaktionären der betroffenen Gesellschaften ernsthaft gefährdet wird.

66.   Nochmals: Eine Maßnahme, die ein so absolutes und automatisches Verbot aufstellt, kann sicher nicht als verhältnismäßig angesehen werden.

67.   Schließlich könnte zur Rechtfertigung einer solchen Maßnahme auch der von den am Verfahren beteiligten Regierungen gleichwohl angeführte Umstand nicht geltend gemacht werden, dass die Gemeinschaftsrichtlinie über grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften noch nicht erlassen worden ist. In Ermangelung einer gemeinschaftlichen Harmonisierung, so diese Regierungen, sei es nämlich nicht möglich, solche Vorgänge durchzuführen.

68.   Die Ausübung der Niederlassungsfreiheit kann nämlich bekanntlich, wie auch in ständiger Rechtsprechung vom Gerichtshof bestätigt(25), nicht vom Erlass von Harmonisierungsrichtlinien abhängig gemacht werden. Denn solche Richtlinien begründen die im Vertrag verankerten Rechte nicht, sondern sollen nur ihre Ausübung erleichtern. Dies wird im Übrigen, was konkret den vorliegenden Fall anbelangt, von der ersten Begründungserwägung des erwähnten Richtlinienvorschlags bestätigt, nach dem durch diese Richtlinie eine grenzüberschreitende „Verschmelzung … erleichtert“(26) werden soll. Damit wird die These, dass eine vorherige gemeinschaftliche Harmonisierung erforderlich sei, amtlich widerlegt.

69.   Alles in allem scheinen mir im vorliegenden Fall die oben als wesentlich angeführten Voraussetzungen zur Rechtfertigung einer mit dem Vertrag unvereinbaren nationalen Maßnahme nicht vorzuliegen.

70.   Deshalb ist die fragliche innerstaatliche Rechtsvorschrift weder nach Artikel 46 EG noch aufgrund der zwingenden Erfordernisse gerechtfertigt, die die Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, geltend gemacht haben. Sie verstößt folglich gegen die Artikel 43 EG und 48 EG.

D –    Zum freien Kapitalverkehr

71.   Schließlich hat die Kommission in der Sitzung vorgetragen, dass die fragliche Maßnahme auch als nach Artikel 56 EG grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs angesehen werden könnte. Denn die Ablehnung der Eintragung grenzüberschreitender Verschmelzungen behindere die solchen Vorgängen innewohnenden Kapitalbewegungen.

72.   Ich möchte vor allem darauf hinweisen, dass das vorlegende Gericht den Gerichtshof nicht darum ersucht hat, sich im Wege der Vorabentscheidung zur Auslegung des Artikels 56 EG zu äußern.

Trotzdem kann man sich fragen, ob eine Antwort zu diesem Punkt nicht dennoch erforderlich sein könnte. Denn wie es in der Gemeinschaftsrechtsprechung heißt, kann der Gerichtshof, „[u]m dem Gericht, das ihm eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, eine sachdienliche Antwort zu geben, … auf gemeinschaftsrechtliche Vorschriften eingehen, die das vorlegende Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat“(27).

73.   Im vorliegenden Fall scheint mir allerdings die Auslegung des Artikels 56 EG grundsätzlich nicht wirklich für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens erforderlich zu sein. Da nämlich bereits festgestellt worden ist, dass die fragliche Maßnahme eine ungerechtfertigte Beschränkung im Sinne des Artikels 43 EG darstellt, wäre die Prüfung ihrer Vereinbarkeit mit Artikel 56 EG streng genommen überflüssig. Denn bekanntlich hält es der Gerichtshof, wenn er bereits eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit festgestellt hat, grundsätzlich nicht für erforderlich, zu prüfen, ob eine bestimmte Maßnahme auch gegen die Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr verstößt(28).

74.   Hier könnte sich allerdings die weitere Prüfung als notwendig erweisen, wenn der Gerichtshof der Lösung, die von den Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, vorgeschlagen worden ist, folgen und einen Verstoß gegen die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit im vorliegenden Fall verneinen sollte.

75.   Dann aber, wenn der Gerichtshof also die Frage unter dem Blickwinkel des freien Kapitalverkehrs würdigen sollte, würde ich wie die Kommission zu dem Ergebnis kommen, dass die streitige nationale Maßnahme eine unzulässige Beschränkung dieser Freiheit darstellt.

76.   Erstens fallen Verschmelzungen, da sie „untrennbar mit einem Vorgang des Kapitalverkehrs … verbunden“(29) sind, eindeutig in den Anwendungsbereich des Artikels 56 EG. In der Tat fallen nach Abschnitt I, „Direktinvestitionen“, der Nomenklatur(30) in Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages(31) die „vollständige Übernahme bestehender Unternehmen“ (Nr. 1) und die „Beteiligung an neuen oder bereits bestehenden Unternehmen zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter Wirtschaftsbeziehungen“ (Nr. 2) unter diese Investitionen. Somit ist klar, dass Verschmelzungen „Kapitalbewegungen“ darstellen.

77.   Zweitens scheint mir, dass hier, was den beschränkenden Charakter der fraglichen Maßnahme angeht, die in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit angestellten Überlegungen (oben, Nrn. 37 bis 43) ohne weiteres entsprechend gelten können. Denn die in Rede stehende Regelung kann zumindest von Kapitalbewegungen abhalten, indem sie den Gebrauch eines für den Erwerb oder die Gründung von Gesellschaften im Ausland privilegierten Instruments verbietet.

78.   Schließlich bin ich aus denselben wie den bereits an anderer Stelle (oben, Nrn. 48 bis 59) genannten Gründen der Ansicht, dass im vorliegenden Fall die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen dafür, dass eine Ausnahme von einer vom Vertrag verbürgten Grundfreiheit wie der hier geprüften gerechtfertigt sein kann, nicht gegeben sind.

V –    Ergebnis

79.   Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Frage des vorlegenden Gerichts wie folgt zu beantworten:

Die Artikel 43 EG und 48 EG stehen einer Regelung eines Mitgliedstaats, wie sie das Umwandlungsgesetz darstellt, entgegen, die die Eintragung von Verschmelzungen von Gesellschaften mit Sitz in diesem Staat und Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten in das nationale Handelsregister nicht zulässt.


1 – Originalsprache: Italienisch.


2 – KOM(2003) 703 endg. Der Grundsatz, der diesem Vorschlag zugrunde liegt, besteht darin, dass die Mitgliedstaaten in ihrer eigenen Rechtsordnung die Möglichkeit grenzüberschreitender Verschmelzungen anerkennen.


3 – Am 10. Mai 2005 hat das Europäische Parlament den Richtlinienvorschlag nämlich in erster Lesung angenommen.


4 – BGBl. 1994 I S. 3210 (ber. 1995 I S. 428), zuletzt geändert am 12. Juni 2003.


5 – In seinem Vorlagebeschluss weist das vorlegende Gericht jedoch darauf hin, dass jüngst in einigen deutschen Gerichtsurteilen die Eintragung von Verschmelzungen von Gesellschaften mit Sitz in Deutschland mit ausländischen Gesellschaften anerkannt worden sei, wobei es sich allerdings um eine Minderheitsrechtsprechung handele.


6 – Urteil vom 27. September 1988 in der Rechtssache 81/87 (Daily Mail and General Trust, Slg. 1988, 5483).


7 – So ist es im Übrigen in § 20 UmwG ausdrücklich vorgesehen.


8 – Urteil vom 30. November 1995 in der Rechtssache C‑55/94 (Gebhard, Slg. 1995, I‑4165, Randnr. 25).


9 – Urteile vom 14. Januar 1988 in der Rechtssache 63/86 (Kommission/Italien, Slg. 1988, 29, Randnr. 14) und vom 30. Mai 1989 in der Rechtssache 305/87 (Kommission/Griechenland, Slg. 1989, 1461, Randnr. 21).


10 – Vgl. insbesondere Urteile Kommission/Italien (Randnrn. 14 und 16), Kommission/Griechenland (Randnr. 19), vom 1. Juni 1999 in der Rechtssache C‑302/97 (Konle, Slg. 1999, I‑3099, Randnr. 22), vom 13. April 2000 in der Rechtssache C‑251/98 (Baars, Slg. 2000, I‑2787, Randnr. 22) und vom 5. November 2002 in der Rechtssache C‑208/00 (Überseering, Slg. 2002, I‑9919, Randnr. 93).


11 – ABl. 1962, Nr. 2, S. 36.


12 – Urteil vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache 107/83 (Klopp, Slg. 1984, 2971, Randnr. 19).


13 – Urteil vom 4. Dezember 1986 in der Rechtssache 205/84 (Kommission/Deutschland, Slg. 1986, 3755, Randnr. 21).


14 – Urteil vom 21. September 1999 in der Rechtssache C‑307/97 (Saint‑Gobain ZN, Slg. 1999, I‑6161, Randnr. 43).


15 – Vgl. insbesondere Urteile Baars (Randnrn. 21 und 22) und Überseering (Randnr. 77). Es sei aber darauf hingewiesen, dass der Erwerb einer Beteiligung in Aktien, der keinen solchen Einfluss verleiht, dem Anwendungsbereich der Vertragsbestimmungen nicht aus diesem Grund entzogen ist, weil er doch weiterhin in den Regelungsbereich des freien Kapitalverkehrs fällt.


16 – Vgl. jüngst Urteil vom 5. Oktober 2004 in der Rechtssache C‑442/02 (Caixa Bank France, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 26 und die dort zitierte Rechtsprechung).


17 – Vgl. z. B. Urteile Daily Mail (Randnr. 16), vom 18. November 1999 in der Rechtssache C‑200/98 (X und Y, Slg. 1999, I‑8261, Randnr. 26) und vom 11. März 2004 in der Rechtssache C‑9/02 (Hughes de Lasteyrie du Saillant, Slg. 2004, I-2409, Randnr. 45).


18 – Vgl. vor allem Urteile Baars (Randnr. 28) und Hughes de Lasteyrie du Saillant (Randnr. 42).


19 – Urteil Überseering (Randnr. 81).


20 – Vgl. vor allem Urteile vom 31. März 1993 in der Rechtssache C‑19/92 (Kraus, Slg. 1993, I‑1663, Randnr. 32), Gebhard (Randnr. 37), vom 9. März 1999 in der Rechtssache C‑212/97 (Centros, Slg. 1999, I‑1459, Randnr. 34) und Caixa Bank (Randnr. 17).


21 – Vgl. nur Urteile vom 27. Oktober 1977 in der Rechtssache 30/77 (Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Randnr. 35) und vom 26. November 2002 in der Rechtssache C‑100/01 (Oteiza Olazabal, Slg. 2002, I‑10981, Randnr. 39).


22 – Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten, dass Luxemburg keinerlei Einwand erhoben und die Löschung der SVC aus dem nationalen Handelsregister vorgenommen hat.


23 – Soweit bekannt, ist der Abschluss solcher Rechtsgeschäfte, wenn auch nach unterschiedlichen Modalitäten, z. B. nach spanischem, portugiesischem, italienischem, französischem und belgischem Recht zulässig.


24 – Zur Unverhältnismäßigkeit absoluter und allgemeiner Verbote vgl. z. B. Urteile vom 30. April 1986 in der Rechtssache 96/85 (Kommission/Frankreich, Slg. 1986, 1475, Randnr. 14), vom 16. Juni 1992 in der Rechtssache C‑351/90 (Kommission/Luxemburg, Slg. 1992, I‑3945, Randnr. 19), vom 26. September 2000 in der Rechtssache C‑478/98 (Kommission/Belgien, Slg. 2000, I‑7587, Randnr. 45) und vom 4. März 2004 in der Rechtssache C‑334/02 (Kommission/Frankreich, Slg. 2004, I-2229, Randnrn. 28 und 34).


25 – Vgl. vor allem Urteile vom 28. April 1977 in der Rechtssache 71/76 (Thieffry, Slg. 1977, 765, Randnrn. 17 und 27), Kraus (Randnr. 30) und Überseering (Randnr. 55).


26 – Hervorhebung hinzugefügt.


27 –      Urteile vom 20. März 1986 in der Rechtssache 35/85 (Tissier, Slg. 1986, 1207, Randnr. 9), vom 27. März 1990 in der Rechtssache C‑315/88 (Bagli Pennacchiotti, Slg. 1990, I‑1323, Randnr. 10) und vom 18. November 1999 in der Rechtssache C‑107/98 (Teckal, Slg. 1999, I‑8121, Randnr. 39).


28 – Vgl. z. B. Urteile vom 28. April 1998 in der Rechtssache C‑118/96 (Safir, Slg. 1998, I‑1897, Randnr. 35), vom 18. November 1999 in der Rechtssache C‑200/98 (X und Y, Slg. 1999, I‑8261, Randnr. 30), Baars (Randnr. 42), vom 8. März 2001 in den verbundenen Rechtssachen C‑397/98 und C‑410/98 (Metallgesellschaft u. a., Slg. 2001, I‑1727, Randnr. 75) und vom 21. November 2002 in der Rechtssache C‑436/00 (X und Y, Slg. 2002, I‑10829, Randnr. 66).


29 – Urteil vom 16. März 1999 in der Rechtssache C‑222/97 (Trummer und Mayer, Slg. 1999, I‑1661, Randnr. 24).


30 – Es handelt sich um eine Nomenklatur, auf die sich die Gemeinschaftsrechtsprechung ständig bezogen hat, um den Begriff des Kapitalverkehrs zu definieren. Vgl. jüngst Urteile Trummer und Mayer (Randnr. 21) und vom 6. Juni 2000 in der Rechtssache C‑35/98 (Verkooijen, Slg. 2000, I‑4071, Randnr. 27).


31 – ABl. L 178, S. 5.