Language of document : ECLI:EU:C:2017:713

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

21. September 2017(*)

„Rechtsmittel – Kartelle – Italienische Hersteller von Bewehrungsrundstahl – Festsetzung der Preise sowie Beschränkung und Kontrolle der Produktion und des Absatzes – Verstoß gegen Art. 65 KS – Nichtigerklärung der ursprünglichen Entscheidung durch das Gericht der Europäischen Union – Aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 neu erlassene Entscheidung – Keine Versendung einer neuen Mitteilung der Beschwerdepunkte – Keine Anhörung nach der Nichtigerklärung der ursprünglichen Entscheidung – Verzögerungen im Verfahren vor dem Gericht“

In der Rechtssache C‑89/15 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 24. Februar 2015,

Riva Fire SpA, in Liquidation, mit Sitz in Mailand (Italien), Prozessbevollmächtigte: M. Merola, M. Pappalardo, T. Ubaldi und M. Toniolo, avvocati,

Rechtsmittelführerin,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch L. Malferrari und P. Rossi als Bevollmächtigte im Beistand von P. Manzini, avvocato, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Juhász sowie der Richter C. Vajda (Berichterstatter) und C. Lycourgos,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 2016,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. Dezember 2016

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Riva Fire SpA (im Folgenden: Riva) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 9. Dezember 2014, Riva Fire/Kommission (T‑83/10, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2014:1034), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung C(2009) 7492 final der Kommission vom 30. September 2009 betreffend einen Verstoß gegen Artikel 65 des EGKS-Vertrags (COMP/37.956 – Bewehrungsrundstahl – Neuentscheidung, im Folgenden: Entscheidung vom 30. September 2009) in der durch die Entscheidung C(2009) 9912 final der Kommission vom 8. Dezember 2009 (im Folgenden: Änderungsentscheidung) geänderten Fassung (Entscheidung vom 30. September 2009 in der Fassung der Änderungsentscheidung, im Folgenden: streitige Entscheidung) abgewiesen hat.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung

2        Die Vorgeschichte des Rechtsstreits wird in den Rn. 16 bis 21 des angefochtenen Urteils dargestellt:

„16      Von Oktober bis Dezember 2000 nahm die Kommission nach Art. 47 KS bei italienischen Herstellern von Bewehrungsrundstahl und einem Verband italienischer Stahlunternehmen Nachprüfungen vor. Darüber hinaus übersandte sie ihnen gemäß Art. 47 KS Auskunftsersuchen …

17      Am 26. März 2002 eröffnete die Kommission das Verwaltungsverfahren und formulierte Beschwerdepunkte nach Art. 36 KS (im Folgenden: Mitteilung der Beschwerdepunkte) … [Riva] nahm schriftlich zur Mitteilung der Beschwerdepunkte Stellung. Am 13. Juni 2002 fand eine Anhörung statt …

18      Am 12. August 2002 formulierte die Kommission zusätzliche Beschwerdepunkte (im Folgenden: Mitteilung zusätzlicher Beschwerdepunkte), die an die Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte gerichtet wurden. In der auf Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81 und 82 EG] (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204) gestützten Mitteilung zusätzlicher Beschwerdepunkte erläuterte die Kommission ihren Standpunkt zur Fortsetzung des Verfahrens nach Auslaufen des EGKS-Vertrags. [Riva] antwortete am 20. September 2002 auf die Mitteilung zusätzlicher Beschwerdepunkte. Am 30. September 2002 fand eine zweite Anhörung in Anwesenheit der Vertreter der Mitgliedstaaten statt …

19      Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission die Entscheidung C (2002) 5087 final vom 17. Dezember 2002 in einem Verfahren nach Artikel 65 [KS] (Sache COMP/37.956 – Bewehrungsrundstahl) (im Folgenden: Entscheidung von 2002), mit der sie feststellte, dass die Unternehmen, die Adressaten dieser Entscheidung waren, ein gegen Art. 65 § 1 KS verstoßendes einheitliches, komplexes und fortgesetztes Kartell auf dem italienischen Markt für Bewehrungsrundstahl in Form von Stäben oder Ringen umgesetzt hätten, das die Festsetzung von Preisen bezweckt oder bewirkt und auch zu einer abgestimmten Beschränkung oder Kontrolle der Produktion oder des Absatzes geführt habe … In dieser Entscheidung verhängte die Kommission gegen [Riva] eine Geldbuße in Höhe von 26,9 Mio. Euro.

20      Am 6. Februar 2003 erhob [Riva] gegen die Entscheidung von 2002 Klage beim Gericht. Das Gericht erklärte mit Urteil vom 25. Oktober 2007, Riva Acciaio/Kommission (T‑45/03, [nicht veröffentlicht, EU:T:2007:318]) die Entscheidung von 2002 für nichtig. Es stellte fest, dass diese Entscheidung u. a. in Anbetracht der Tatsache, dass sie keinerlei Verweis auf Art. 3 und Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 enthielt, ausschließlich auf Art. 65 §§ 4 und 5 KS gestützt worden war … Diesen am 23. Juli 2002 ausgelaufenen und damit bei Erlass der Entscheidung von 2002 erloschenen Bestimmungen konnte die Kommission keine Befugnis zur Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Art. 65 § 1 KS und zur Verhängung von Geldbußen gegen die Unternehmen, die sich an dieser Zuwiderhandlung beteiligt haben sollen, mehr entnehmen …

21      Mit Schreiben vom 30. Juni 2008 informierte die Kommission [Riva] und die anderen betroffenen Unternehmen über ihre Absicht, erneut eine Entscheidung zu erlassen und die Rechtsgrundlage im Verhältnis zu der für die Entscheidung von 2002 gewählten zu ändern. Darüber hinaus stellte sie klar, dass die neu zu erlassende Entscheidung angesichts der begrenzten Tragweite des Urteils [vom 25. Oktober 2007,] Riva Acciaio/Kommission [(T‑45/03, nicht veröffentlicht, EU:T:2007:318),] auf die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und in der Mitteilung zusätzlicher Beschwerdepunkte vorgelegten Beweise gestützt werde. Den betroffenen Unternehmen wurde eine Frist für die Abgabe ihrer Stellungnahmen eingeräumt …“

3        In der Entscheidung vom 30. September 2009 stellte die Kommission u. a. fest, dass die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) dahin auszulegen sei, dass sie nach dem 23. Juli 2002 Kartelle in den Sektoren, die in den sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich des EGKS-Vertrags fielen, feststellen und ahnden könne. Die Entscheidung sei im Einklang mit den Verfahrensbestimmungen des EG-Vertrags und der Verordnung erlassen worden, und die materiellen Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Erlasses eines Rechtsakts nicht mehr in Kraft seien, könnten vorbehaltlich der Anwendung des Grundsatzes des milderen Rechts nach den für die zeitliche Abfolge von Vorschriften geltenden Grundsätzen angewandt werden.

4        In Art. 1 der Entscheidung vom 30. September 2009 heißt es u. a., Riva habe dadurch gegen Art. 65 § 1 KS verstoßen, dass sie vom 6. Dezember 1989 bis zum 27. Juni 2000 an einer fortdauernden Vereinbarung und/oder an verabredeten Praktiken hinsichtlich Bewehrungsrundstahl in Form von Stäben oder Ringen beteiligt gewesen sei, die eine Festlegung der Preise und die Beschränkung und/oder Kontrolle der Produktion oder des Absatzes im Gemeinsamen Markt bezweckt und/oder bewirkt hätten. In Art. 2 der Entscheidung verhängte die Kommission gegen Riva eine Geldbuße in Höhe von 26,9 Mio. Euro.

5        Mit Schreiben, die zwischen dem 20. und dem 23. November 2009 versandt wurden, teilten acht der elf Adressaten der Entscheidung vom 30. September 2009, darunter Riva, der Kommission mit, dass der Anhang der Entscheidung in der den Adressaten zugestellten Fassung die die Preisabweichungen veranschaulichenden Tabellen nicht enthalte.

6        Am 8. Dezember 2009 erließ die Kommission die Änderungsentscheidung, in deren Anhang die fehlenden Tabellen aufgenommen und mit der die nummerierten Verweise auf diese Tabellen in acht Fußnoten berichtigt wurden.

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

7        Mit Klageschrift, die am 19. Februar 2010 beim Gericht einging, erhob Riva Klage. Sie beantragte, die gesamte streitige Entscheidung oder deren sie betreffenden Teil für nichtig zu erklären oder, hilfsweise, die gegen sie verhängte Geldbuße herabzusetzen. Sie beantragte ferner, dass das Gericht eine Beweisaufnahme im Hinblick auf das Verfahren zum Erlass der Entscheidung durchführt.

8        Zur Stützung ihrer Klage machte Riva acht Klagegründe geltend: erstens die fehlende Befugnis der Kommission nach dem Auslaufen des EGKS-Vertrags und einen Verstoß gegen die Verordnung Nr. 1/2003, zweitens einen Verstoß gegen Art. 10 Abs. 3 und 5 der Verordnung Nr. 17 sowie gegen Art. 14 Abs. 1 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003, drittens einen Verstoß gegen Art. 36 § 1 KS, viertens einen Verstoß gegen die Art. 10 und 11 der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel [101 und 102 AEUV] durch die Kommission (ABl. 2004, L 123, S. 18) sowie gegen die Verteidigungsrechte von Riva, fünftens einen Begründungsmangel und eine widersprüchliche Begründung in Bezug auf die Definition des räumlich relevanten Marktes und die Anwendung des Grundsatzes des milderen Rechts, sechstens eine Verfälschung von Tatsachen und einen Verstoß gegen Art. 65 KS in Bezug auf die unterschiedlichen Aspekte der Riva vorgeworfenen Zuwiderhandlung, siebtens das Fehlen einer Beweisaufnahme und einen Begründungsmangel, weil Riva die gesamte Zuwiderhandlung zugerechnet werde, und in Bezug auf ihre besondere Stellung hinsichtlich des ihr vorgeworfenen Verhaltens, und achtens einen Verstoß gegen Art. 23 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003, gegen die Mitteilung der Kommission über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 1996, C 207, S. 4) und gegen die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 [§] 5 des EGKS-Vertrags festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3), einen Ermessensmissbrauch sowie einen Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße.

9        Im angefochtenen Urteil hat das Gericht den Betrag der gegen Riva verhängten Geldbuße auf 26 093 000 Euro herabgesetzt und ihre Klage im Übrigen abgewiesen.

 Anträge der Parteien vor dem Gerichtshof

10      Mit ihrem Rechtsmittel beantragt Riva,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben und infolgedessen die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären;

–        hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit darin die gegen sie verhängte Geldbuße um 3 % herabgesetzt wird, und die Geldbuße infolgedessen um einen höheren Betrag herabzusetzen oder die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen;

–        inzident zu erklären, dass das Verfahren vor dem Gericht gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer verstoßen hat, und

–        der Kommission die Kosten beider Rechtszüge aufzuerlegen.

11      Die Kommission beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–        Riva die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens

12      Das mündliche Verfahren ist am 8. Dezember 2016 nach Verlesung der Schlussanträge des Generalanwalts geschlossen worden. Mit Schreiben vom 27. Januar 2017, das am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die Kommission beantragt, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens anzuordnen und die in ihrem Antrag dargelegten Tatsachen sowie die ihm beigefügten Unterlagen zu den Akten zu nehmen.

13      Zur Stützung dieses Antrags bringt die Kommission im Wesentlichen vor, der Gerichtshof sei über die tatsächlichen Umstände hinsichtlich der Anhörungen vom 13. Juni und 30. September 2002, auf die der Generalanwalt seine Schlussanträge gestützt habe, nicht hinreichend unterrichtet, da diese Umstände zwischen den Parteien nicht speziell erörtert worden seien.

14      Nach Art. 83 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn ein zwischen den Parteien nicht erörtertes rechtliches Vorbringen entscheidungserheblich ist.

15      Der Gegenstand des Rechtsmittels wird jedoch grundsätzlich durch die von den Parteien geltend gemachten Rechtsgründe und ‑argumente bestimmt. Vorliegend hatten die Parteien ausreichend Gelegenheit, diese Rechtsgründe und ‑argumente in ihren Schriftsätzen und in der gemeinsamen mündlichen Verhandlung vom 20. Oktober 2016 in den Rechtssachen C‑85/15 P bis C‑89/15 P zu erörtern.

16      Daher hält der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts eine Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens nicht für angebracht.

 Zum Rechtsmittel

17      Riva stützt ihr Rechtsmittel auf vier Gründe, die außer dem ersten hilfsweise geltend gemacht werden. Mit ihnen wird Folgendes gerügt: erstens ein Rechtsfehler sowie eine unzureichende und widersprüchliche Begründung des angefochtenen Urteils in Bezug auf die Würdigung eines Verstoßes gegen die Verordnung Nr. 773/2004 und die Verteidigungsrechte, zweitens ein Rechtsfehler sowie eine unzureichende und widersprüchliche Begründung hinsichtlich der Bestimmung des Endbetrags der Geldbuße, drittens ein Widerspruch und ein Rechtsfehler, die darin bestehen sollen, dass das Gericht Riva als „Beteiligte“ an einer im Dezember 1998 getroffenen Vereinbarung über Verkaufsquoten eingestuft und infolgedessen diesen Teil des Kartells bei der Bestimmung der Höhe der Geldbuße berücksichtigt habe, sowie viertens ein Begründungsmangel in Bezug auf die Auswirkung der Beteiligung der Leitungsebene von Riva auf die Erhöhung des Ausgangsbetrags der Geldbuße. Ferner ersucht sie den Gerichtshof, inzident über die Rechtswidrigkeit des Verfahrens vor dem Gericht wegen der Verletzung des Anspruchs auf ein Verfahren innerhalb angemessener Frist zu entscheiden.

 Zum ersten Rechtsmittelgrund

 Vorbringen der Parteien

18      Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund wendet sich Riva im Wesentlichen gegen die Feststellungen des Gerichts in Rn. 124 des angefochtenen Urteils, mit denen ihr Vorbringen zurückgewiesen wird, die Kommission hätte im Anschluss an die Nichtigerklärung der Entscheidung von 2002 vor dem Erlass der streitigen Entscheidung eine neue Mitteilung der Beschwerdepunkte an sie richten und eine Anhörung in Anwesenheit der Vertreter der Mitgliedstaaten durchführen müssen.

19      Sie führt aus, das Gericht habe seine Begründung in den Rn. 115 und 120 des angefochtenen Urteils nicht auf die dort angeführte Rechtsprechung stützen dürfen, denn diese wäre nur einschlägig, wenn die Rechtswidrigkeit der Entscheidung von 2002 erst bei ihrem Erlass eingetreten wäre und wenn die Beschwerdepunkte, auf denen sie und die anschließend ergangene Entscheidung beruhten, übereinstimmen würden und beide Entscheidungen in allen Punkten identisch wären. Vorliegend handele es sich jedoch nicht um einen bloßen Formfehler der Kommission. Die von ihr begangenen Fehler hätten sich vielmehr auf den von ihr verfolgten Gesamtansatz ausgewirkt und seien nicht auf die Bestimmung der Rechtsgrundlage des Rechtsakts beschränkt geblieben. Sie hätten Folgen für das Wesen der Zuwiderhandlung gehabt, u. a. für die Definition des relevanten geografischen Marktes, die Anwendung des Grundsatzes des milderen Rechts sowie die Berechnung der Geldbuße. Außerdem habe das Gericht anerkannt, dass die Entscheidung von 2002 und die streitige Entscheidung weder in ihrer Begründung noch in der rechtlichen Einordnung bestimmter Verhaltensweisen oder in ihrem verfügenden Teil identisch seien.

20      Insoweit sei es falsch und widersprüchlich, wenn in Rn. 122 des angefochtenen Urteils festgestellt werde, dass die von Riva angestellten Vergleiche zwischen diesen beiden Entscheidungen unerheblich seien, weil die Nichtigerklärung der Entscheidung von 2002 dazu geführt habe, dass sie nicht mehr zur Rechtsordnung der Union gehöre. In Rn. 120 des angefochtenen Urteils habe sich das Gericht nämlich auf den Vergleich des Inhalts dieser Entscheidungen gestützt und die Tatsache angesprochen, dass die Kommission im Anschluss an die Nichtigerklärung der Entscheidung von 2002 beschlossen habe, eine identische Entscheidung zu erlassen, die die Beschwerdepunkte betreffe, zu denen sich die Unternehmen bereits geäußert hätten.

21      Überdies habe angesichts des Grundsatzes, wonach Verfahrensvorschriften unmittelbar nach ihrem Inkrafttreten Anwendung fänden, im Anschluss an das Auslaufen des EGKS-Vertrags der durch die Verordnung Nr. 773/2004 festgelegte Rahmen vorgegeben, dass den betreffenden Unternehmen eine neue Mitteilung der Beschwerdepunkte hätte übermittelt und anschließend eine Anhörung in Anwesenheit der Vertreter der Mitgliedstaaten hätte durchgeführt werden müssen, vor denen die Unternehmen nie Gelegenheit gehabt hätten, sich in der Sache zu den ihnen zur Last gelegten Beschwerdepunkten zu äußern.

22      Nach Ansicht der Kommission ist dieser Rechtsmittelgrund zurückzuweisen, da er auf einem falschen und irreführenden Verständnis des angefochtenen Urteils beruhe.

23      Das Vorbringen zum Fehlen einer neuen Mitteilung der Beschwerdepunkte und zu einer Anhörung in Anwesenheit der Vertreter der Mitgliedstaaten nach dem Auslaufen des EGKS-Vertrags entbehre der Grundlage, denn die Kommission habe die Mitteilung der zusätzlichen Beschwerdepunkte, die in Anwendung der Verfahrensvorschriften des EG-Vertrags ergangen sei, Riva übermittelt, und diese habe darauf schriftlich und in der Anhörung vom 30. September 2002 in Anwesenheit der Mitgliedstaaten geantwortet.

 Würdigung durch den Gerichtshof

24      Es ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission im Rahmen des Verfahrens, das zum Erlass der Entscheidung von 2002 führte, am 26. März 2002 an die betreffenden Unternehmen, einschließlich Riva, die Mitteilung der Beschwerdepunkte gemäß Art. 36 KS richtete. Die Anhörung hierzu fand am 13. Juni 2002 statt. Es steht fest, dass die Vertreter der Mitgliedstaaten zu dieser Anhörung nicht eingeladen wurden, da dies in den damals geltenden Vorschriften des EGKS-Vertrags nicht vorgesehen war.

25      Nachdem der EGKS-Vertrag ausgelaufen war, übersandte die Kommission den Unternehmen am 12. August 2002 die auf Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 17 gestützte Mitteilung zusätzlicher Beschwerdepunkte, in der sie ihre Position zu dieser Änderung des Rechtsrahmens erläuterte und die Unternehmen aufforderte, ihren eigenen Standpunkt zu den zusätzlichen Beschwerdepunkten mitzuteilen. Am 30. September 2002 fand in Anwesenheit von Vertretern der Mitgliedstaaten eine Anhörung gemäß Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2842/98 der Kommission vom 22. Dezember 1998 über die Anhörung in bestimmten Verfahren nach Artikel [81] und [82] EG-Vertrag (ABl. 1998, L 354, S. 18) statt.

26      Im Anschluss an die Nichtigerklärung der Entscheidung von 2002 setzte die Kommission Riva und die anderen betroffenen Unternehmen mit Schreiben vom 30. Juni 2008 von ihrer Absicht in Kenntnis, die Entscheidung gestützt auf die Verordnung Nr. 1/2003 als Rechtsgrundlage und im Einklang mit den darin vorgesehenen Verfahrensvorschriften neu zu erlassen.

27      Angesichts dieses Verfahrensablaufs ist zu prüfen, ob die Kommission entgegen den vom Gericht insbesondere in Rn. 124 des angefochtenen Urteils getroffenen Feststellungen verpflichtet war, im Anschluss an die Nichtigerklärung der Entscheidung von 2002 das Verfahren wiederzueröffnen, eine neue Mitteilung der Beschwerdepunkte zu erlassen und eine neue Anhörung durchzuführen.

28      Nach ständiger Rechtsprechung ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass Verfahrensvorschriften ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens Anwendung finden (Urteile vom 29. März 2011, ArcelorMittal Luxembourg/Kommission und Kommission/ArcelorMittal Luxembourg u. a., C‑201/09 P und C‑216/09 P, EU:C:2011:190, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 29. März 2011, ThyssenKrupp Nirosta/Kommission, C‑352/09 P, EU:C:2011:191, Rn. 88, und vom 11. Dezember 2012, Kommission/Spanien, C‑610/10, EU:C:2012:781, Rn. 45), und zwar selbst in einem Verfahren, das vor diesem Zeitpunkt eingeleitet wurde, aber über ihn hinaus andauert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Dezember 2012, Kommission/Spanien, C‑610/10, EU:C:2012:781, Rn. 47).

29      Vorliegend musste, da die streitige Entscheidung auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 ergangen ist, das zu ihrem Erlass führende Verfahren im Einklang mit dieser Verordnung und der auf ihr beruhenden Verordnung Nr. 773/2004 durchgeführt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. März 2011, ThyssenKrupp Nirosta/Kommission, C‑352/09 P, EU:C:2011:191, Rn. 90), ungeachtet dessen, dass dieses Verfahren vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1/2003 eingeleitet worden war.

30      Art. 10 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 773/2004 sieht im Licht von Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003, den er umsetzt, vor, dass die Kommission vor dem Erlass u. a. einer Entscheidung nach Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003 den Parteien eine Mitteilung der Beschwerdepunkte zustellt und ihnen eine Frist zur Stellungnahme setzt.

31      Wie das Gericht im Wesentlichen in den Rn. 117 und 118 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, hatte die Kommission vorliegend aber die Mitteilung der Beschwerdepunkte und die Mitteilung der zusätzlichen Beschwerdepunkte bereits an die betreffenden Unternehmen gerichtet, und in der streitigen Entscheidung wurden Riva weder andere Handlungen zur Last gelegt als in diesen Mitteilungen, noch wurden die Beweise für die ihr vorgeworfenen Zuwiderhandlungen erheblich geändert.

32      In diesem Kontext ist das Vorbringen zurückzuweisen, das Gericht habe in Rn. 122 des angefochtenen Urteils einen Rechtsfehler begangen, und zwischen ihr und Rn. 120 bestehe ein Widerspruch. Wie die Kommission in ihrer Klagebeantwortung ausführt, betrifft Rn. 120 die Übereinstimmung der Beschwerdepunkte, auf denen die Entscheidung von 2002 und die streitige Entscheidung beruhen, während Rn. 122 den von Riva angestellten Vergleich zwischen diesen Entscheidungen betrifft, den das Gericht als unerheblich eingestuft hat, da die Mitteilung der Beschwerdepunkte und der Zugang zur Akte es den von einer Untersuchung betroffenen Unternehmen ermöglichten, Kenntnis von den Beweisen zu erlangen, über die die Kommission verfüge, und den Verteidigungsrechten ihre volle Wirksamkeit verliehen. Entgegen dem Vorbringen von Riva bedeuten etwaige Unterschiede im Wortlaut dieser Entscheidungen für sich genommen nicht notwendigerweise, dass sich die den betreffenden Unternehmen vorgeworfenen Beschwerdepunkte geändert haben; dies hat Riva jedenfalls nicht dargetan.

33      Überdies gibt es, wie der Generalanwalt in Nr. 53 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, inhaltlich keinen großen Unterschied zwischen einer gemäß den Vorschriften des EGKS-Vertrags und einer gemäß den Verordnungen Nrn. 17 und 1/2003 ergangenen Mitteilung der Beschwerdepunkte. Der Versendung einer neuen Mitteilung der Beschwerdepunkte bedurfte es daher nicht.

34      Insoweit hat das Gericht zu Recht auf Rn. 73 des Urteils vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission (C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, EU:C:2002:582), verwiesen, in der ausgeführt wird, dass die Nichtigerklärung eines Rechtsakts der Union nicht notwendig die vorbereitenden Handlungen berührt, da das Verfahren zur Ersetzung des für nichtig erklärten Aktes grundsätzlich genau an dem Punkt wieder aufgenommen werden kann, an dem die Rechtswidrigkeit eingetreten ist.

35      Wie das Gericht in Rn. 115 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, wurde die Entscheidung von 2002 nämlich für nichtig erklärt, weil die Kommission nicht befugt war, sie auf der Grundlage der Bestimmungen des EGKS-Vertrags zu erlassen, der zum Zeitpunkt ihres Erlasses nicht mehr in Kraft war, so dass die Rechtswidrigkeit zu genau diesem Zeitpunkt eingetreten ist. Somit berührte die Nichtigerklärung weder die Mitteilung der Beschwerdepunkte noch die Mitteilung der zusätzlichen Beschwerdepunkte.

36      Entgegen dem Vorbringen von Riva ergibt sich die Unanwendbarkeit der in Rn. 34 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung nicht daraus, dass die von der Kommission in der Entscheidung von 2002 begangenen Fehler Auswirkungen auf das Wesen der Zuwiderhandlung hatten, u. a. auf die Definition des räumlich relevanten Marktes, die Anwendung des Grundsatzes des milderen Rechts und die Berechnung der Geldbuße. Auch wenn die Kommission diese Entscheidung auf eine falsche Rechtsgrundlage, und zwar auf Art. 65 §§ 4 und 5 KS, gestützt hat, ändert dies nämlich nichts daran, dass sie, wie das Gericht in den Rn. 18 und 119 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, Riva in der auf Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 17 gestützten Mitteilung der zusätzlichen Beschwerdepunkte über die von ihr aus dem Auslaufen des EGKS-Vertrags gezogenen Konsequenzen informierte und dass Riva die Möglichkeit hatte, dazu Stellung zu nehmen.

37      Zudem ist unstreitig, dass sich an diesen Folgen durch die Aufhebung der Verordnung Nr. 17 und das Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1/2003, von der einige Bestimmungen die Rechtsgrundlage für die streitige Entscheidung darstellen, nichts änderte. Jedenfalls sehen, wie der Generalanwalt in Nr. 50 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, Art. 34 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 19 der Verordnung Nr. 773/2004 als Übergangsbestimmungen vor, dass die Wirksamkeit von Verfahrensschritten, die nach Maßgabe der Verordnungen Nrn. 17 und 2842/98 vorgenommen wurden, für die Anwendung der erstgenannten Verordnungen unberührt bleibt.

38      Folglich hat das Gericht keinen Rechtsfehler begangen, als es in Rn. 124 des angefochtenen Urteils zu dem Ergebnis kam, dass die Kommission nicht zum Erlass einer neuen Mitteilung der Beschwerdepunkte verpflichtet war.

39      Wie der Generalanwalt in Nr. 55 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, muss die Kommission jedoch gemäß Art. 12 der Verordnung Nr. 773/2004 den Parteien, an die sie eine Mitteilung der Beschwerdepunkte gerichtet hat, Gelegenheit geben, ihre Argumente in einer Anhörung vorzutragen, wenn sie dies in ihren schriftlichen Ausführungen beantragen. Da aus Rn. 35 des vorliegenden Urteils hervorgeht, dass die Mitteilung der Beschwerdepunkte und die Mitteilung der zusätzlichen Beschwerdepunkte nicht von der Nichtigerklärung der Entscheidung von 2002 berührt wurden, ist somit zu prüfen, ob die Kommission ihrer Verpflichtung nachgekommen ist, den Parteien Gelegenheit zu geben, ihre Argumente in einer Anhörung vorzutragen, die den in den Verordnungen Nrn. 1/2003 und 773/2004 aufgestellten Anforderungen an das Verfahren genügte.

40      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach der mit der Verordnung Nr. 1/2003 eingeführten und in der Verordnung Nr. 773/2004 konkretisierten Verfahrensregelung die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten zu der Anhörung eingeladen werden, die im Anschluss an eine Mitteilung der Beschwerdepunkte auf Antrag ihrer Adressaten stattfindet (Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 773/2004).

41      An der Anhörung, die am 13. Juni 2002 stattfand, nahmen die Vertreter der Mitgliedstaaten jedoch nicht teil, da dies in dem damals geltenden EGKS-Vertrag nicht vorgesehen war. Es steht fest, dass diese Anhörung den Inhalt der Rechtssache betraf, und zwar das Verhalten, das die Kommission den Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte zur Last legte. Dies ergibt sich insbesondere aus den Rn. 379 bis 382 der streitigen Entscheidung und wird in Rn. 148 der Urteile des Gerichts vom 9. Dezember 2014, Alfa Acciai/Kommission (T‑85/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1037), und vom 9. Dezember 2014, Ferriera Valsabbia und Valsabbia Investimenti/Kommission (T‑92/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1032), bestätigt.

42      Die Anhörung vom 30. September 2002, zu der die Vertreter der Mitgliedstaaten im Einklang mit den inzwischen anwendbaren Regeln des EG-Vertrags und insbesondere gemäß Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2842/98 eingeladen worden waren, betraf hingegen den Gegenstand der Mitteilung der zusätzlichen Beschwerdepunkte, nämlich die Rechtsfolgen des Auslaufens des EGKS-Vertrags für den Fortgang des Verfahrens. Dies geht zum einen aus dieser Mitteilung hervor, in der ihre Adressaten ausdrücklich dazu aufgefordert wurden, ihren Standpunkt zu den zusätzlichen Beschwerdepunkten mitzuteilen. Zum anderen hat die Kommission in Rn. 382 der streitigen Entscheidung angegeben, dass sie es nicht für erforderlich gehalten habe, die Anhörung vom 13. Juni 2002 gemäß den Bestimmungen der Verordnungen Nrn. 17 und 1/2003 zu wiederholen, weil diese Anhörung, an der die Vertreter der Mitgliedstaaten nicht teilgenommen hätten, im Einklang mit den zum damaligen Zeitpunkt anwendbaren Vorschriften des EGKS-Vertrags durchgeführt worden sei. Des Weiteren hat die Kommission in der gemeinsamen mündlichen Verhandlung in den Rechtssachen C‑85/15 P bis C‑89/15 P auf Nachfrage des Gerichtshofs bestätigt, dass die Mitteilung der zusätzlichen Beschwerdepunkte weder den Sachverhalt noch die Beweise, die Gegenstand des Verfahrens seien, verändert habe.

43      Folglich haben die Vertreter der Mitgliedstaaten in der vorliegenden Rechtssache nicht an einer den Inhalt der Rechtssachen betreffenden Anhörung teilgenommen, sondern nur an der Anhörung, bei der es um die Rechtsfolgen des Auslaufens des EGKS-Vertrags ging.

44      Nach der in den Rn. 28 und 29 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Rechtsprechung muss ein Verfahren, das zu einer auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1/2003 ergehenden Entscheidung führt, aber selbst dann mit den in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahrensvorschriften im Einklang stehen, wenn es vor ihrem Inkrafttreten eingeleitet wurde.

45      Daraus folgt, dass die Kommission nach den Art. 12 und 14 der Verordnung Nr. 773/2004 verpflichtet war, den Parteien vor dem Erlass der streitigen Entscheidung Gelegenheit zu geben, ihre Argumente in einer Anhörung vorzutragen, zu der sie die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten eingeladen hatte. Die den Inhalt der Rechtssache betreffende Anhörung vom 13. Juni 2002 genügte somit nicht den Anforderungen an das Verfahren zum Erlass einer Entscheidung auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1/2003.

46      Demnach hat das Gericht einen Rechtsfehler begangen, als es in Rn. 124 des angefochtenen Urteils entschieden hat, dass die Kommission nicht verpflichtet gewesen sei, vor dem Erlass der streitigen Entscheidung eine erneute Anhörung durchzuführen, da die betreffenden Unternehmen bereits in den Anhörungen vom 13. Juni und 30. September 2002 Gelegenheit gehabt hätten, sich mündlich zu äußern.

47      Angesichts der vom Generalanwalt in den Nrn. 56 und 57 seiner Schlussanträge hervorgehobenen Bedeutung der im Rahmen des in den Verordnungen Nrn. 1/2003 und 773/2004 vorgesehenen Verfahrens auf Antrag der betreffenden Parteien durchzuführenden Anhörung, zu der gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 773/2004 die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten einzuladen sind, stellt das Unterbleiben einer solchen Anhörung eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften dar.

48      Wird das Recht auf eine solche in der Verordnung Nr. 773/2004 vorgesehene Anhörung nicht beachtet, ist es nicht erforderlich, dass das dadurch in seinen Rechten verletzte Unternehmen dartut, dass diese Rechtsverletzung den Ablauf des Verfahrens und den Inhalt der streitigen Entscheidung zu seinen Lasten beeinflussen konnte.

49      Somit ist das Verfahren notwendigerweise mit Mängeln behaftet, ungeachtet der etwaigen nachteiligen Folgen, die sich für Riva aus dieser Rechtsverletzung ergeben können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 2012, Kommission/Éditions Odile Jacob, C‑553/10 P und C‑554/10 P, EU:C:2012:682, Rn. 46 bis 52, und vom 9. Juni 2016, CEPSA/Kommission, C‑608/13 P, EU:C:2016:414, Rn. 36).

50      Nach alledem ist dem ersten Rechtsmittelgrund von Riva stattzugeben, so dass das angefochtene Urteil aufzuheben ist, ohne dass die weiteren Rechtsmittelgründe geprüft zu werden brauchen.

 Zum Antrag auf inzidente Entscheidung

 Vorbringen der Parteien

51      Mit ihrem Antrag auf inzidente Entscheidung ersucht Riva den Gerichtshof um die Feststellung, dass das Verfahren vor dem Gericht Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verletzte. Es habe gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer verstoßen, worin ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine Rechtsnorm liege, die dem Einzelnen Rechte verleihen solle.

52      Insoweit bringt Riva vor, das Verfahren vor dem Gericht habe fast fünf Jahre gedauert, wobei zwischen dem Ende des schriftlichen Verfahrens und der Eröffnung des mündlichen Verfahrens drei Jahre und zwei Monate verstrichen seien. Diese Dauer sei angesichts der Umstände der Rechtssache nicht gerechtfertigt. Die von ihr vorgetragenen Klagegründe hätten nämlich keinen besonders hohen Schwierigkeitsgrad aufgewiesen und den Berichterstatter nicht daran gehindert, seine Arbeit in kürzerer Zeit zu erledigen. Die Untätigkeit des Gerichts sei weder mit dem Erlass prozessleitender oder der Beweiserhebung dienender Maßnahmen noch mit Zwischenstreitigkeiten zu erklären. Sie habe durch ihr Verhalten nicht dazu beigetragen, die Bearbeitung der Rechtssache zu verzögern.

53      Die Kommission beantragt, diesen Antrag zurückzuweisen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

54      In Bezug auf den Antrag von Riva, dass der Gerichtshof die Verletzung von Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte feststellt, ist darauf hinzuweisen, dass der Verstoß eines Unionsgerichts gegen seine aus der genannten Bestimmung resultierende Pflicht, in den bei ihm anhängig gemachten Rechtssachen innerhalb einer angemessenen Frist zu entscheiden, mit einer Schadensersatzklage vor dem Gericht zu ahnden ist, da eine solche Klage einen effektiven Rechtsbehelf darstellt. Daher kann der Ersatz des Schadens, der durch die Nichteinhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer durch das Gericht verursacht wurde, nicht unmittelbar im Rahmen eines Rechtsmittels beim Gerichtshof beantragt werden, sondern muss beim Gericht selbst eingeklagt werden. Wird das nach Art. 256 Abs. 1 AEUV zuständige Gericht mit einer Schadensersatzklage befasst, entscheidet es darüber in einer anderen Besetzung als derjenigen, in der es mit dem als überlang gerügten Verfahren befasst war (Urteil vom 9. Juni 2016, Repsol Lubricantes y Especialidades u. a./Kommission, C‑617/13 P, EU:C:2016:416, Rn. 98 und 99 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Folglich ist der Antrag von Riva auf inzidente Entscheidung zurückzuweisen.

 Zur Klage vor dem Gericht

56      Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union hebt der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel begründet ist, die Entscheidung des Gerichts auf. Er kann sodann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist.

57      Im vorliegenden Fall verfügt der Gerichtshof über die erforderlichen Angaben, um endgültig über die von Riva beim Gericht erhobene Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung zu entscheiden.

58      Hierzu genügt der Hinweis, dass die streitige Entscheidung aus den in den Rn. 24 bis 49 des vorliegenden Urteils angeführten Gründen wegen der Verletzung wesentlicher Formvorschriften für nichtig zu erklären ist, soweit sie Riva betrifft.

 Kosten

59      Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.

60      Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da Riva mit ihrem Rechtsmittel obsiegt hat und der vor dem Gericht erhobenen Klage stattgegeben wird, sind der Kommission gemäß den Anträgen von Riva neben ihren eigenen Kosten die von Riva sowohl im ersten Rechtszug als auch im Rahmen des Rechtsmittels entstandenen Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 9. Dezember 2014, Riva Fire/Kommission (T83/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1034), wird aufgehoben.

2.      Die Entscheidung C(2009) 7492 final der Kommission vom 30. September 2009 betreffend einen Verstoß gegen Artikel 65 KS (COMP/37.956 – Bewehrungsrundstahl – Neuentscheidung) in der durch die Entscheidung C(2009) 9912 final der Kommission vom 8. Dezember 2009 geänderten Fassung wird für nichtig erklärt, soweit sie die Riva Fire SpA betrifft.

3.      Die Europäische Kommission trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten, die der Riva Fire SpA im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens sowie im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels entstanden sind.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Italienisch.