Language of document : ECLI:EU:T:2000:101

URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)

6. April 2000 (1)

„Transparenz - Beschluß 93/731/EG des Rates über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten - Ablehnung eines Antrags auf Zugang - Schutz des öffentlichen Interesses - Internationale Beziehungen - Begründungspflicht - Teilweiser Zugang“

In der Rechtssache T-188/98

Aldo Kuijer, wohnhaft in Utrecht (Niederlande), Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte O. W. Brouwer und F. P. Louis, Brüssel, im Beistand der Professorin D. Curtin, Universität Utrecht, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts M. Loesch, 11, rue Goethe, Luxemburg,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch die Rechtsberater M. Bauer und M. Bishop als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: A. Morbilli, Generaldirektor der Direktion für Rechtsfragen der Europäischen Investitionsbank, 100, boulevard Konrad Adenauer, Luxemburg,

Beklagter,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung des Rates vom 28. September 1998 in der Fassung der Entscheidung vom 18. Mai 1999, mit der dem Kläger der Zugang zu bestimmten Dokumenten verweigert wurde,

erläßt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten R. M. Moura Ramos sowie der Richterin V. Tiili und des Richters P. Mengozzi,

Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Oktober 1999,

folgendes

Urteil

Rechtlicher Rahmen

1.
    Der Rat und die Kommission stimmten am 6. Dezember 1993 einem Verhaltenskodex für den Zugang der Öffentlichkeit zu Rats- und Kommissionsdokumenten (ABl. L 340, S. 41, im folgenden: Verhaltenskodex) zu, der die Grundsätze für den Zugang zu den in ihrem Besitz befindlichen Dokumenten festlegen soll. Dieser Verhaltenskodex enthält insbesondere folgenden Grundsatz: „Die Öffentlichkeit erhält möglichst umfassenden Zugang zu den Dokumenten der Kommission und des Rates.“

2.
    Weiter heißt es darin: „Die Kommission und der Rat ergreifen vor dem 1. Januar 1994 jeweils für ihren Zuständigkeitsbereich die erforderlichen Maßnahmen zur Durchführung dieser Grundsätze.“

3.
    Zur Erfüllung dieser Verpflichtung erließ der Rat am 20. Dezember 1993 den Beschluß 93/731/EG über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten (ABl. L 340, S. 43).

4.
    Artikel 1 des Beschlusses 93/731 lautet:

„(1)    Die Öffentlichkeit erhält Zugang zu den Dokumenten des Rates gemäß den Bedingungen dieses Beschlusses.

(2)    Als Dokument des Rates gilt vorbehaltlich des Artikels 2 Absatz 2 unabhängig vom Datenträger jedes im Besitz des Rates befindliche Schriftstück mit bereits vorhandenen Informationen.“

5.
    Artikel 4 Absatz 1 bestimmt:

„Der Zugang zu einem Ratsdokument darf nicht gewährt werden, wenn durch die Verbreitung des Dokuments folgendes verletzt werden könnte:

-    der Schutz des öffentlichen Interesses (öffentliche Sicherheit, internationale Beziehungen, Währungsstabilität, Rechtspflege, Inspektions- und Untersuchungstätigkeiten);

-    ...“

6.
    Artikel 5 des Beschlusses lautet:

„Der Generalsekretär beantwortet im Namen des Rates die Anträge auf Zugang zu Ratsdokumenten, außer in den Fällen nach Artikel 7 Absatz 3, in denen der Rat die Anträge beantwortet.“

7.
    Artikel 7 Absätze 1 und 3 sieht vor:

„(1)    Die zuständigen Dienststellen des Generalsekretariats teilen dem Antragsteller innerhalb einer Frist von einem Monat schriftlich mit, ob seinem Antrag stattgegeben wird oder ob die Absicht besteht, ihn abzulehnen. Im letzteren Fall wird dem Antragsteller außerdem mitgeteilt, welches die Gründe für die beabsichtigte Ablehnung sind und daß er binnen eines Monats durch Einreichung eines Zweitantrags um Überprüfung dieses Standpunkts ersuchen kann und daß andernfalls davon ausgegangen wird, daß er seinen Erstantrag zurückgezogen hat.

...

(3)    Die Ablehnung eines Zweitantrags muß innerhalb eines Monats nach Antragstellung erfolgen und ist ordnungsgemäß zu begründen ...“

Sachverhalt

8.
    Der Kläger lehrt und forscht an einer Hochschule auf dem Gebiet des Asyl- und Einwanderungsrechts.

9.
    Mit Schreiben vom 3. Juli 1998 an den Generalsekretär des Rates beantragte er Zugang zu bestimmten Dokumenten, die mit der Tätigkeit des Informations-, Reflexions- und Austauschzentrums für Asylfragen (CIREA) in Zusammenhang stehen. Dabei handelte es sich um folgende Dokumente:

-    gemeinsame Berichte, Analysen oder Beurteilungen, die vom CIREA oder in Verbindung mit ihm von 1994 bis 1997 und, soweit bereits verfügbar, 1998 auf dem Gebiet der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) erstellt wurden und sich auf die Situation in Drittländern oder Regionen beziehen, aus denen viele Asylsuchende stammen oder in denen sie sich aufhalten, insbesondere in 28 im Antrag aufgeführten Ländern (im folgenden: CIREA-Berichte);

-    Berichte über alle gemeinsame Missionen oder dem CIREA übermittelte Berichte über Missionen, die von Mitgliedstaaten durchgeführt wurden (im folgenden: für das CIREA erstellte Berichte);

-    eine vom CIREA oder in Verbindung mit ihm erstellte Liste der in den Mitgliedstaaten mit Asylfällen befaßten Kontaktpersonen (im folgenden: Liste der Kontaktpersonen) sowie alle späteren Änderungen dieser Liste.

10.
    Mit Schreiben vom 28. Juli 1998 antwortete der Generalsekretär dem Kläger, daß von 1994 bis 1998 CIREA-Berichte über die Situation der in ihr Herkunftsland zurückkehrenden Asylsuchenden für folgende Länder erstellt worden seien: Albanien, Angola, Sri Lanka, Bulgarien, Türkei, China, Zaire, Nigeria und Vietnam. Er lehnte jedoch den Antrag auf Zugang zu diesen Dokumenten sowie zur Liste der Kontaktpersonen gemäß Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses 93/731 ab. In bezug auf die für das CIREA erstellten Berichte teilte der Generalsekretär dem Kläger mit, daß es kein derartiges Dokument gebe.

11.
    Mit Schreiben vom 25. August 1998 stellte der Kläger einen Zweitantrag nach Artikel 7 Absatz 1 des Beschlusses 93/731. Bezüglich der CIREA-Berichte zeigte er sich überrascht, daß der „Rat auch z. B. die Berichte über Länder wie Nigeria, Iran und Irak vertraulich behandeln [wollte], obwohl kaum behauptet werden [könne], daß die Beziehungen zwischen der Union und diesen Ländern freundschaftlich [seien]“. Zu den für das CIREA erstellten Berichten legte er im einzelnen die Gründe dar, aus denen er annahm, daß die Antwort des Generalsekretärs, wonach es solche Dokumente nicht gebe, falsch sei. Außerdem wandte er sich gegen den Teil der Entscheidung, der die Liste der Kontaktpersonen betraf.

12.
    Mit Schreiben vom 28. September 1998 übermittelte der Generalsekretär dem Kläger die Entscheidung des Rates über die Ablehnung des Zweitantrags (im folgenden: angefochtene Entscheidung). In dem Schreiben heißt es:

„Der Rat hat nach eingehender Prüfung beschlossen, [die Entscheidung des Generalsekretärs], wie sie im Scheiben vom 28. Juli 1998 über die Anträge [in bezug auf die CIREA-Berichte und die Liste der Kontaktpersonen] dargelegt wurde, zu bestätigen. Nach Prüfung jedes der folgenden Dokumente hat der Rat entschieden, sie aus folgenden Gründen nicht zu verbreiten:

a)    [Nummer des Dokuments]: Begleitnote des Generalsekretariats des Rates an das CIREA: Bericht der Missionschefs der Zwölf über die Situation der Asylsuchenden [eines Landes], die [in dieses Land] zurückkehren. Dieser Bericht enthält sehr sensible Informationen über die politische, wirtschaftliche und soziale Lage [in dem betreffenden Land], die von den Missionschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in diesen Ländern geliefert wurden. Der Rat ist der Ansicht, daß die Verbreitung dieser Informationen den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und [diesem Land] schaden könnte. Daher hat der Rat entschieden, den Zugang zu diesem Dokument gemäß Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses [93/731] (internationale Beziehungen) zu verweigern.

...

b)    Liste der [Kontakt-]Personen des CIREA, die sich mit Asylfragen beschäftigen: Das Generalsekretariat ist nicht in der Lage gewesen, ein bestimmtes Dokument des Rates mit einer [solchen] Liste aufzufinden ...

Im übrigen wird der Rat weiter nach Dokumenten (ab 1994) forschen, die für das CIREA erstellte Berichte enthalten ... Der Kläger wird über die Ergebnisse dieser Nachforschungen zu gegebener Zeit unterrichtet werden.“

13.
    Am 14. Oktober 1998 wurde dem Kläger mitgeteilt, daß nach Nachforschungen der zuständigen Dienststellen des Generalsekretariats entschieden worden sei, ihm Zugang zu zehn Berichten der dänischen Behörden über Ermittlungen in Drittländern zu gewähren. Außerdem wurde er darüber informiert, daß ihm der Zugang zu vier von den (in dem Schreiben aufgeführten) Behörden anderer Mitgliedstaaten für das CIREA erstellten Berichten aus folgendem, für jedes dieser Dokumente gleichlautenden Grund verweigert werde:

„[D]as Generalsekretariat ist der Ansicht, daß die Verbreitung der in diesem Bericht enthaltenen, sehr detaillierten und sensiblen Informationen die Beziehungen der Europäischen Union zu [dem betreffenden Land] und die bilateralen Beziehungen zwischen [dem Mitgliedstaat, dessen Dienststellen die Mission durchgeführt haben] und diesem Land gefährden könnte. Daher wird derZugang zu diesem Dokument gemäß Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses [93/731] (internationale Beziehungen) nicht gewährt.“

14.
    Mit Schreiben vom 18. Mai 1999 übermittelte das Generalsekretariat dem Kläger eine neue Antwort des Rates auf den Zweitantrag vom 25. August 1998, worin ihm mitgeteilt wurde, daß es doch eine Liste der Kontaktpersonen gebe, und zwar in dem Dokument 5971/2/98 CIREA 18. Die angefochtene Entscheidung sei daher insoweit falsch.

15.
    Der Rat lehnte es jedoch gemäß Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses 93/731 ab, Zugang zu diesem Dokument zu gewähren. In seiner Antwort führte er aus: „[Das fragliche] Dokument enthält eine Liste der von jedem Mitgliedstaat benannten Kontaktpersonen, zwischen denen Angaben über Asylsuchende ausgetauscht werden können. Es enthält außerdem Informationen über die Herkunftsländer, für die sie zuständig sind, und nennt ihre Dienstanschrift sowie ihre Durchwahl- und Faxnummer.“ Es sei Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, ob und inwieweit diese Art von Informationen verbreitet werden könne. Bestimmte Mitgliedstaaten hätten sich dagegen ausgesprochen, um die operationelle Leistungsfähigkeit ihrer Verwaltung zu wahren. Wenn der Rat diese Informationen verbreite, die ihm zu dem konkreten Zweck übermittelt worden seien, ein internes Netz von Kontaktpersonen zu schaffen, um die Zusammenarbeit und die Koordination im Asylrecht zu erleichtern, würden sich die Mitgliedstaaten künftig zurückhalten, ihm derartige Auskünfte zu erteilen. Unter diesen Umständen könnte die Verbreitung dieses Dokuments das öffentliche Interesse am Funktionieren des Informationsaustauschs und an der Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Asyl- und Einwanderungsrechts beeinträchtigen.

Verfahren und Anträge der Parteien

16.
    Der Kläger hat mit Klageschrift, die am 4. Dezember 1998 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

17.
    Das schriftliche Verfahren ist am 28. April 1999 mit dem Verzicht des Klägers auf Einreichung einer Erwiderung beendet worden.

18.
    Mit Schreiben vom 26. Mai 1999 hat der Rat dem Gericht mitgeteilt, daß er nach erneuter Prüfung des Antrags des Klägers in bezug auf die Liste der Kontaktpersonen entschieden habe, den Zugang zu diesem Dokument zu verweigern; diesem Schreiben hat er die neue, mit Schreiben vom 18. Mai 1999 an den Kläger gerichtete Antwort beigefügt.

19.
    Auf Verlangen des Gerichts hat der Kläger am 8. Juli 1999 zu dieser Entscheidung Stellung genommen. In seiner Stellungnahme wendet er sich gegen diese neue Entscheidung und beantragt, mit Rücksicht darauf, daß diese Entscheidung nur eine neue Begründung für die Weigerung liefere, im Interesse der Prozeßökonomie die Änderung der von ihm geltend gemachten Klagegründe für die Nichtigerklärungder angefochtenen Entscheidung in bezug auf die Liste der Kontaktpersonen zu akzeptieren.

20.
    Das Gericht (Vierte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und die Parteien aufgefordert, schriftlich Fragen zu beantworten. Der Rat hat auf Ersuchen des Gerichts die von den dänischen Behörden für das CIREA erstellten Berichte, in die dem Kläger Einsicht gewährt wurde, in Kopie vorgelegt.

21.
    Die Parteien haben in der Sitzung vom 14. Oktober 1999 mündlich verhandelt und auf die mündlichen Fragen des Gerichts geantwortet.

22.
    Der Kläger beantragt,

-    die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

-    dem Rat die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

23.
    Der Rat beantragt,

-    die Klage abzuweisen;

-    dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zur Begründetheit

24.
    Der Kläger beantragt die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung, soweit mit ihr sein Antrag auf Zugang zu den Berichten des CIREA, zu den für das CIREA erstellten Berichten und zur Liste der Kontaktpersonen abgelehnt wird. Er stützt sich hierfür auf drei Klagegründe. Mit dem ersten wird ein Verstoß gegen den Beschluß 93/731 geltend gemacht, da der Zugang zu den verlangten Dokumenten die internationalen Beziehungen der Europäischen Union nicht beeinträchtige, die Weigerung nicht auf eine konkrete Beurteilung des Inhalts dieser Dokumente gestützt worden sei und der Rat es abgelehnt habe, einen teilweisen Zugang zu diesen Dokumenten zu gewähren. Mit dem zweiten Klagegrund wird ein Verstoß gegen die Begründungspflicht gerügt und mit dem dritten Klagegrund ein Verstoß gegen einen tragenden Grundsatz des Gemeinschaftsrechts in bezug auf den Zugang zu den im Besitz der Gemeinschaftsorgane befindlichen Dokumenten.

25.
    Der Kläger beantragt ferner, dem Rat gemäß der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit zwischen den Gemeinschaftsorganen aufzugeben, alle fraglichen Dokumente vorzulegen, falls er sie nicht freiwillig herausgebe.

26.
    Wie bereits erwähnt, hat der Rat am 18. Mai 1999 eine neue Entscheidung als Antwort auf den Zweitantrag hinsichtlich der Liste der Kontaktpersonen erlassen. Der Rat hat eingeräumt, daß die angefochtene Entscheidung einen Tatsachenirrtum enthalten habe, und seine Weigerung mit einer neuen Begründung gerechtfertigt. Unter diesen Umständen beurteilt das Gericht entsprechend dem Antrag des Klägers die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung in der durch die Entscheidung vom 18. Mai 1999 geänderten Fassung unter Berücksichtigung der in der Klageschrift vorgetragenen Klagegründe, wie sie vom Kläger in seiner am 8. Juli 1999 eingereichten Stellungnahme neu formuliert worden sind.

27.
    Das Gericht prüft zunächst den Klagegrund des Verstoßes gegen die Begründungspflicht.

Zum Klagegrund des Verstoßes gegen die Begründungspflicht

Vorbringen der Parteien

28.
    Nach Ansicht des Klägers genügt die Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht den Erfordernissen der Artikel 190 EG-Vertrag (jetzt Artikel 253 EG) und 7 Absatz 3 des Beschlusses 93/731

29.
    Bezüglich der CIREA-Berichte gebe der Rat lediglich an, daß sie detaillierte Informationen über die politische Lage in den betreffenden Ländern enthielten, ohne darzulegen, in welcher Weise ihre Verbreitung den Beziehungen der Europäischen Union zu diesen Ländern schaden könnte. Dem Kläger seien nicht die Gründe angegeben worden, aus denen für jedes Land die Dokumente nicht hätten verbreitet werden dürfen; er sei daher nicht in der Lage gewesen, seine Interessen zu wahren, wie die Rechtsprechung des Gerichtshofes dies verlange.

30.
    Ungeachtet der Verschiedenheit der Lage in jedem einzelnen der beteiligten Länder habe sich der Rat darauf beschränkt, eine kurze, für jeden Bericht identische Standardantwort zu geben, die die gleiche Erklärung enthalten habe, ohne daß er die Natur der in jedem einzelnen Dokument enthaltenen Informationen festgestellt und geprüft habe, ob deren Verbreitung dem öffentlichen Interesse abträglich sein könnte. Der Zugang zu einem Dokument könnte niemals durch einen bloßen Hinweis auf die Kategorie verweigert werden, zu der dieses Dokument gehöre.

31.
    Zu den für das CIREA erstellten Berichten trägt der Kläger vor, der Rat habe sich, nachdem er mit Beweisen für ihre Existenz konfrontiert worden sei, wiederum darauf beschränkt, den Antrag auf Zugang vage zu beantworten, ohne auch nur die Art der darin enthaltenen Information anzugeben. Dies zeige, daß der Rat im Gegensatz zu dem, was nach der Rechtsprechung verlangt werde, nur eine mechanische, globale Beurteilung der Tragweite der im öffentlichen Interesse bestehenden Ausnahme in bezug auf die internationalen Beziehungenvorgenommen habe. Für den Kläger sei es unmöglich, auf der Grundlage einer solchen Antwort zu beurteilen, ob der Rat diese Ausnahme ordnungsgemäß angewandt habe.

32.
    Außerdem müßten, wenn die Ablehnung eines Antrags auf Zugang mit anderen als den in der ursprünglichen Ablehnung angegebenen und diesen sogar widersprechenden Gründen bestätigt werde, die Gründe für diese Änderung klar und unzweideutig in der Entscheidung über den Zweitantrag angegeben werden.

33.
    Der Rat macht erstens geltend, die gleichlautende Beschreibung identischer Situationen bedeute nicht zwangsläufig, daß eine Standardformel als Antwort gegeben werde, sondern stelle eine gerechtfertigte und sogar erforderliche Praxis dar, wenn die fraglichen Berichte gemeinsame Merkmale aufwiesen.

34.
    Zweitens sei der Kläger ein Praktiker und aktiver Forscher auf dem Gebiet des Asyl- und Einwanderungsrechts. Auch unter Berücksichtigung der in der Klageschrift enthaltenen Angaben sei daher die Annahme berechtigt, daß er den typischen Inhalt der gemeinsamen Berichte über die Drittländer kenne. Es sei somit nicht erforderlich gewesen, ihm im einzelnen die Natur der in diesen Berichten enthaltenen Informationen zu beschreiben.

35.
    Drittens seien die in der ursprünglichen Antwort des Generalsekretärs und in der angefochtenen Entscheidung angegebenen Gründe für die Ablehnung des Antrags auf Zugang zu den CIREA-Berichten und den für das CIREA erstellten Berichten nicht widersprüchlich, sondern völlig kohärent, da sie auf sensible Informationen in diesen Berichten hinwiesen, deren Verbreitung den Beziehungen der Europäischen Union zu Drittländern abträglich sein könnte. Unter Berufung auf das Urteil des Gerichtshofes vom 9. November 1995 in der Rechtssache C-466/93 (Atlanta Fruchthandelsgesellschaft u. a. [II], Slg. 1995, I-3799, Randnr. 16) trägt der Rat vor, der in der angefochtenen Entscheidung gegebenen Begründung lasse sich das Wesentliche des Zweckes, den er verfolgt habe, entnehmen, weshalb sie ausreichend sei.

Würdigung durch das Gericht

36.
    Mit der Verpflichtung zur Begründung von Einzelfallentscheidungen wird ein doppeltes Ziel verfolgt: Zum einen soll den Betroffenen ermöglicht werden, die tragenden Gründe für die erlassene Maßnahme zu erkennen, um ihre Rechte zu wahren, und zum anderen soll der Gemeinschaftsrichter in die Lage versetzt werden, die Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. insbesondere Urteil des Gerichtshofes vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-350/88, Delacre u. a./Kommission, Slg. 1990, I-395, Randnr. 15, und Urteil des Gerichts vom 5. März 1997 in der Rechtssache T-105/95, WWF UK/Kommission, Slg. 1997, II-313, Randnr. 66). Die Frage, ob die Begründung einer Entscheidung diesen Erfordernissen genügt, ist nicht nur im Hinblick auf ihren Wortlaut zubeurteilen, sondern auch anhand ihres Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften, die das betreffende Gebiet regeln (Urteil des Gerichtshofes vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache C-122/94, Kommission/Rat, Slg. 1996, I-881, Randnr. 29).

37.
    Außerdem ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichts, daß der Rat für jedes Dokument, zu dem der Zugang beantragt wird, zu prüfen hat, ob die Offenlegung dieses Dokuments nach den ihm vorliegenden Informationen tatsächlich geeignet ist, einen der durch die erste Kategorie von Ausnahmen geschützten Aspekte des öffentlichen Interesses zu verletzen (Urteil vom 17. Juni 1998 in der Rechtssache T-174/95, Svenska Journalistförbundet/Rat, Slg. 1998, II-2289, Randnr. 112).

38.
    Daraus folgt, daß der Rat in der Begründung seiner Entscheidung erkennen lassen muß, daß er die fraglichen Dokumente konkret geprüft hat.

39.
    Insoweit behauptet der Rat, die CIREA-Berichte und die für das CIREA erstellten Berichte gehörten alle derselben Kategorie an, da sie gemeinsame Merkmale aufwiesen. Diesem Argument kann nicht gefolgt werden. Die fraglichen Berichte enthalten nämlich Informationen über verschiedene Zeiträume zwischen 1994 und 1998, die ganz unterschiedliche Drittländer wie Zaire und China betreffen, zu denen die Europäische Union sehr verschiedene diplomatische Beziehungen unterhält.

40.
    Außerdem ergibt die Prüfung der zehn von den dänischen Behörden für das CIREA erstellten Berichte, zu denen der Kläger Zugang hatte, daß die darin enthaltenen Informationen nicht nur in bezug auf ihre Natur (Beschreibung des politischen, wirtschaftlichen, gerichtlichen und militärischen Systems sowie der Lage der Menschenrechte, der Beziehungen zwischen bestimmten Bevölkerungsgruppen oder Minoritäten, des Niveaus der Sicherheit der Zivilbevölkerung usw.), sondern auch auf den Grad ihrer Sensibilität erheblich voneinander abweichen.

41.
    Aus der Begründung der angefochtenen Entscheidung, in der der Rat lediglich angegeben hat, daß die Berichte sensible Informationen enthielten, deren Verbreitung den Beziehungen der Europäischen Union zu den betroffenen Ländern schaden könnte (siehe oben, Randnr. 15), geht aber nicht hervor, daß der Rat jedes dieser Dokumente gesondert - und sei es auch nur summarisch - oder nur nach Gruppen, die die gleichen wesentlichen Merkmale aufweisen, geprüft hätte.

42.
    Außerdem ergibt sich aus den Akten, daß der Zugang zu vier weiteren für das CIREA erstellten Berichten verweigert wurde, obwohl nach den Äußerungen des Rates ihr Inhalt dem der genannten zehn dänischen Berichte sehr ähnlich war. Diese Entscheidung wurde getroffen, ohne daß der Rat Gründe angegeben hätte, aus denen der Kläger hätte verstehen können, weshalb die Gefahr bestand, daß die Verbreitung dieser vier Berichte andere Auswirkungen auf die diplomatischen Beziehungen der Europäischen Union haben konnte.

43.
    Auch wenn der Rat behauptet, daß er jedes verlangte Dokument konkret geprüft habe, geht dies aus der Begründung der angefochtenen Entscheidung daher nicht hervor.

44.
    Bestätigt eine Antwort auf einen Zweitantrag die Ablehnung des Erstantrags aus denselben Gründen, so ist überdies die Frage, ob die Begründung ausreichend ist, anhand des gesamten Schriftwechsels zwischen dem Gemeinschaftsorgan und dem Antragsteller zu prüfen, wobei die Informationen zu berücksichtigen sind, über die der Kläger hinsichtlich der Natur und des Inhalts der angeforderten Dokumente verfügte.

45.
    Der Kontext, in dem die Entscheidung getroffen wurde, kann es dem Organ zwar erleichtern, den an die Begründung gestellten Anforderungen zu genügen; er kann ihm dies jedoch unter besonderen Umständen auch erschweren.

46.
    Dies ist der Fall, wenn der Kläger in dem Verfahren, in dem er den Zugang zu Dokumenten beantragt, Gesichtspunkte vorträgt, die die Richtigkeit der ersten Ablehnung in Frage stellen können. Unter diesen Umständen erlegen die Begründungserfordernisse dem Organ die Verpflichtung auf, einen Zweitantrag unter Angabe der Gründe zu beantworten, aus denen diese Gesichtspunkte keine Änderung seines Standpunktes rechtfertigen können. Andernfalls könnte der Antragsteller nicht verstehen, weshalb die Antwort auf den Zweitantrag die Weigerung aus den gleichen Gründen bestätigt hat.

47.
    Vorliegend hat der Kläger in seinem Zweitantrag in bezug auf die CIREA-Berichte die Argumente dargelegt, die ihn zu der Annahme veranlaßten, daß die vom Generalsekretär des Rates geäußerten Befürchtungen im Hinblick auf die Verbreitung der fraglichen Dokumente ungerechtfertigt seien. Der Rat hat jedoch in der angefochtenen Entscheidung keinen Grund angegeben, der diese Argumente widerlegen und dem Kläger die Gründe für die Aufrechterhaltung der Weigerung verständlich machen sollte.

48.
    Daraus folgt, daß die angefochtene Entscheidung nicht die Begründungserfordernisse des Artikels 190 EG-Vertrag erfüllt und daher für nichtig zu erklären ist.

Zum Klagegrund des Verstoßes gegen den Beschluß 93/731, soweit der Rat keinen teilweisen Zugang zu den Dokumenten gewährt hat

Vorbringen der Parteien

49.
    Der Kläger trägt vor, der Rat habe dadurch, daß er die Möglichkeit der Gewährung eines teilweisen Zugangs zu den Dokumenten ausgeschlossen habe, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Auch wenn die Verbreitung bestimmter Berichte den Schutz des öffentlichen Interesses gefährdenkönnte, habe der Rat zumindest Zugang zu den Passagen der Berichte zu gewähren, die nicht unter die Ausnahme fielen. Diese Lösung sei erforderlich, um der Öffentlichkeit größtmöglichen Zugang zu den Ratsdokumenten zu garantieren.

50.
    Was die Liste der Kontaktpersonen angeht, so hätte der Rat das Recht des Klägers auf Zugang zu dieser Liste wahren können, ohne das ordnungsgemäße Funktionieren des zwischen den Verwaltungen der Mitgliedstaaten eingerichteten Netzes, das dem Austausch von Informationen auf dem Gebiet des Asylrechts diene, in Frage zu stellen, indem er einfach die Durchwahlnummern und die E-Mail-Adressen entfernt hätte.

51.
    Der Rat trägt vor, es sei nicht möglich, teilweisen Zugang zu den Dokumenten zu gewähren. Er stützt diese Ansicht erstens auf eine Auslegung des Beschlusses 93/731 nach Wortlaut und Geist. So werde in diesem Beschluß ein Recht auf Zugang zu den „Dokumenten“ des Rates und nicht zu den im Besitz des Rates befindlichen Informationen erwähnt. Auch bestehe der Zweck dieses Beschlusses darin, der Öffentlichkeit Zugang zu den Ratsdokumenten und nicht zu den darin enthaltenen Informationen zu ermöglichen.

52.
    Zweitens stützt sich der Rat auf die besonderen Merkmale der vom Kläger verlangten Berichte. Der Rat könne keinen Zugang zu einzelnen Passagen dieser Berichte gewähren, da die Schwierigkeit gerade darin bestehe, zu bestimmen, bei welchen Passagen keine Gefahr bestehe, daß es zu Problemen bei den Beziehungen zu bestimmten Drittländern komme. Diese Gefahr lasse sich nur dann mit Sicherheit vermeiden, wenn Konsultationen mit dem betroffenen Land aufgenommen würden, wodurch die Interessen, die der Rat zu schützen habe, offensichtlich beeinträchtigt würden.

53.
    Zur Liste der Kontaktpersonen führt der Rat aus, daß, wenn ein Dokument Informationen enthalte, die von mehreren Mitgliedstaaten stammten, die Tatsache, daß der Zugang auf die nur von einigen davon mitgeteilten Angaben beschränkt würde, die anderen Mitgliedstaaten im Hinblick auf die öffentliche Meinung isolieren würde.

Würdigung durch das Gericht

54.
    Zunächst ist daran zu erinnern, daß, wie das Gericht bereits entschieden hat, Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses 93/731 unter Berücksichtigung der Grundsätze des Rechts auf Information und der Verhältnismäßigkeit auszulegen ist. Infolgedessen muß der Rat prüfen, ob ein teilweiser Zugang zu den nicht von den Ausnahmen gedeckten Informationen zu gewähren ist (Urteil des Gerichts vom 19. Juli 1999 in der Rechtssache T-14/98, Hautala/Rat, Slg. 1999, II-2489, Randnr. 87).

55.
    Außerdem erlaubt es der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dem Rat, in besonderen Fällen, in denen der Umfang des Dokuments oder der unkenntlich zu machenden Teile für ihn zu einem unangemessenen Verwaltungsaufwand führen würde, dieBedeutung des Zugangs der Öffentlichkeit zu diesen gekürzten Teilen und die sich daraus ergebende Arbeitsbelastung gegeneinander abzuwägen. Der Rat könnte so in diesen besonderen Fällen die Interessen einer ordnungsgemäßen Verwaltung schützen (Urteil Hautala/Rat, Randnr. 86).

56.
    Jedenfalls ist der Rat, worauf bereits oben in Randnummer 37 hingewiesen worden ist, verpflichtet, die Gefahr, die die Verbreitung der Dokumente, zu denen der Zugang beantragt wird, für das öffentliche Interesse bedeuten kann, konkret zu beurteilen. Unter diesen Umständen dürfte die Entfernung der sensiblen Passagen der Dokumente nicht zwangsläufig eine für das Gemeinschaftsorgan untragbare Arbeitsbelastung darstellen.

57.
    Im übrigen kann das Vorbringen des Rates im Zusammenhang mit den besonderen Merkmalen der vom Kläger erbetenen Berichte und der Schwierigkeit, im vorliegenden Fall zu bestimmen, welche Passagen von der Ausnahme nicht gedeckt seien, nicht durchgreifen. Aus der Prüfung der zehn für das CIREA erstellten dänischen Berichte, zu denen dem Kläger Zugang gewährt wurde, ergibt sich nämlich, daß ein großer Teil der darin enthaltenen Informationen in Beschreibungen und Feststellungen von Tatsachen besteht, die offensichtlich nicht unter die angeführte Ausnahme fallen.

58.
    Zur Verweigerung des Zugangs zur Liste der Kontaktpersonen ist festzustellen, daß der Kläger in seiner Stellungnahme zur Antwort des Rates vom 18. Mai 1999 ausdrücklich erklärt hat, daß er keinen Zugang zu den Telefonnummern und E-Mail-Adressen der in dieser Liste verzeichneten Personen verlange.

59.
    Zu dem Vorbringen, daß ein teilweiser, auf die von bestimmten Mitgliedstaaten übermittelten Angaben beschränkter Zugang dazu führen würde, daß die anderen Mitgliedstaaten im Hinblick auf die öffentliche Meinung isoliert würden, genügt die Feststellung, daß der Rat nicht dargetan hat, inwiefern diese Erwägungen im Rahmen der Ausnahmen des Artikels 4 des Beschlusses 93/731 eine Rolle spielen können.

60.
    Aus alledem folgt, daß der Rat die geltend gemachte Ausnahme des öffentlichen Interesses dadurch in unverhältnismäßiger Weise angewandt hat, daß er es abgelehnt hat, Zugang zu den Passagen der verlangten Dokumente zu gewähren, die von dieser Ausnahme nicht gedeckt sind.

61.
    Daher ist die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, ohne daß entschieden zu werden braucht, ob der Klagegrund des Verstoßes gegen einen tragenden Grundsatz des Zugangs zu Dokumenten stichhaltig ist.

62.
    Da das Gericht davon ausgeht, daß es über ausreichende Angaben verfügt, um den Anträgen des Klägers stattzugeben und die angefochtene Entscheidung insgesamtfür nichtig zu erklären, ist es nicht erforderlich, vom Rat die Vorlegung der fraglichen Dokumente zu verlangen.

Kosten

63.
    Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rat mit seinem Vorbringen unterlegen ist und der Kläger einen entsprechenden Antrag gestellt hat, sind dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.    Die Entscheidung des Rates vom 28. September 1998 in der Fassung der Entscheidung vom 18. Mai 1999, mit der dem Kläger der Zugang zu bestimmten Berichten des Informations-, Reflexions- und Austauschzentrums für Asylfragen und zu bestimmten Berichten über gemeinsame Missionen oder Missionen der Mitgliedstaaten, die dem genannten Zentrum übermittelt wurden, sowie zur Liste der Kontaktpersonen, die sich in den Mitgliedstaaten mit Asylanträgen befassen, verweigert wurde, wird für nichtig erklärt.

2.    Der Rat trägt außer seinen eigenen Kosten die Kosten des Klägers.

Moura Ramos
Tiili
Mengozzi

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 6. April 2000.

Der Kanzler

Die Präsidentin

H. Jung

V. Tiili


1: Verfahrenssprache: Englisch.