Language of document : ECLI:EU:T:2019:65

Rechtssache T11/17

RK

gegen

Rat der Europäischen Union

 Urteil des Gerichts (Zweite erweiterte Kammer) vom 7. Februar 2019

„Öffentlicher Dienst – Beamte – Art. 42c des Statuts – Versetzung in Urlaub im dienstlichen Interesse – Gleichbehandlung – Verbot der Diskriminierung wegen des Alters – Offensichtlicher Beurteilungsfehler – Recht auf Anhörung – Fürsorgepflicht – Haftung“

1.      Handlungen der Organe – Richtlinien – Richtlinie 2000/78 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Verpflichtungen, die den Unionsorganen in ihren Beziehungen zu ihren Beschäftigten unmittelbar auferlegt werden – Nichteinbeziehung – Möglichkeit der Geltendmachung – Bedeutung

(Art. 288 Abs. 3 AEUV; Beamtenstatut, Art. 42c; Richtlinie 2000/78 des Rates, Art. 21)

(vgl. Rn. 67-70)

2.      Beamte – Urlaub – Versetzung in Urlaub im dienstlichen Interesse – Ungleichbehandlung von Beamten, die sich dem Ruhestandsalter nähern – Diskriminierung wegen des Alters – Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der Behandlung – Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 21 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1; Beamtenstatut, Art. 36 und 42c; Verordnung Nr. 1023/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates)

(vgl. Rn. 86-91, 93, 94, 103, 105, 111, 123)

3.      Beamte – Urlaub – Versetzung in Urlaub im dienstlichen Interesse – Begriff des dienstlichen Interesses – Berücksichtigung spezifischer Eigenschaften der betroffenen Beamten – Fähigkeit, neue Kompetenzen zu erwerben und sich an das sich wandelnde Arbeitsumfeld anzupassen – Zulässigkeit

(Beamtenstatut, Art. 42c)

(vgl. Rn. 133-137)

4.      Beamte – Urlaub – Versetzung in Urlaub im dienstlichen Interesse – Ermessen der Verwaltung – Gerichtliche Überprüfung – Grenzen – Offensichtlicher Beurteilungsfehler

(Beamtenstatut, Art. 42c)

(vgl. Rn. 140, 141)

5.      Beamte – Urlaub – Versetzung in Urlaub im dienstlichen Interesse – Wahrung der Verteidigungsrechte – Verpflichtung zur Anhörung des Betroffenen vor Erlass der Entscheidung – Bedeutung

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41; Beamtenstatut, Art. 42c)

(vgl. Rn. 175-181)

6.      Beamte – Fürsorgepflicht der Verwaltung – Berücksichtigung der Interessen des Beamten – Grenzen – Rationalisierung der Dienste

(Beamtenstatut, Art. 24)

(vgl. Rn. 189, 190)

7.      Gerichtliches Verfahren – Kosten – Tragung – Berücksichtigung von Billigkeitsgründen – Verurteilung der obsiegenden Partei zur teilweisen Tragung der Kosten

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 134 Abs. 1 und Art. 135)

(vgl. Rn. 203, 206, 207)

Zusammenfassung

Im Urteil RK/Rat (T‑11/17) vom 7. Februar 2019 hat das Gericht die Klage einer Beamtin auf Aufhebung einer Entscheidung des Rates, sie auf der Grundlage von Art. 42c des Statuts der Beamten der Europäischen Union in Urlaub im dienstlichen Interesse zu versetzen, abgewiesen. Die Klägerin hatte sich insbesondere auf die Rechtswidrigkeit von Art. 42c berufen, da dieser Artikel gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz und gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters verstoße. Darüber hinaus hatte sie sich gegen die Beurteilung des „organisatorischen Bedarfs“ im Sinne von Art. 42c des Statuts durch den Rat gewandt.

Zunächst hat das Gericht festgestellt, dass die Rechtmäßigkeit von Art. 42c des Statuts anhand von Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und unter Berücksichtigung der Richtlinie 2000/78(1) zu beurteilen ist, deren Bestimmungen Anhaltspunkte für die Bestimmung der Pflichten des Unionsgesetzgebers im Bereich des öffentlichen Dienstes der Union liefern können.

Sodann hat das Gericht festgestellt, dass die mit Art. 42c des Statuts geschaffene Ungleichbehandlung wegen des Alters verhältnismäßig ist und nicht gegen Art. 21 Abs. 1 der Charta verstößt, da sie die in Art. 52 Abs. 1 der Charta aufgestellten Kriterien erfüllt. Zur Erreichung des legitimen Ziels der Optimierung der Investitionen in die berufliche Bildung erscheint es nicht unvernünftig, dass es der Unionsgesetzgeber für erforderlich hält, die Versetzung in Urlaub im dienstlichen Interesse nur für die Beamten vorzusehen, die in die Altersgruppe zwischen 55 und 66 Jahren fallen, und denen infolge der Anwendung von Art. 42c des Statuts auf sie gegenüber jüngeren Beamten, die nicht zu dieser Altersgruppe gehören, sowohl berufliche als auch finanzielle Nachteile entstehen.

Hinsichtlich der Anwendung von Art. 42c des Beamtenstatuts hat das Gericht ferner darauf hingewiesen, dass in dieser Bestimmung ausdrücklich auf das „dienstliche Interesse“ Bezug genommen wird. So handelt es sich bei dem in diesem Artikel ebenfalls genannten „organisatorischen Bedarf im Zusammenhang mit dem Erwerb neuer Kompetenzen“ um einen spezifischen Aspekt des dienstlichen Interesses. Da der „organisatorische Bedarf“ mit dem „Erwerb neuer Kompetenzen“ im Zusammenhang steht und nur einen spezifischen Aspekt des dienstlichen Interesses im Rahmen von Art. 42c des Statuts darstellt, ist die von einem Organ vorgenommene Beurteilung, ob die betreffenden Beamten in der Lage sind, neue Kompetenzen zu erwerben und sich an das sich wandelnde Arbeitsumfeld anzupassen, mit diesem Artikel vereinbar.

Eine persönliche Eigenschaft der betreffenden Beamten zu berücksichtigen, verstößt auch nicht gegen Sinn und Zweck von Art. 42c des Statuts. Da festgestellt wurde, dass mit dieser Bestimmung die Investitionen der Organe in die berufliche Bildung im Hinblick auf Kosteneffizienz optimiert werden sollen, erscheint es nämlich mit diesem Ziel vereinbar, dass der Rat bei der Ermittlung der Kosten für Investitionen in die berufliche Bildung die Fähigkeit der betreffenden Beamten berücksichtigt, neue Kompetenzen zu erwerben und sich an das sich wandelnde Arbeitsumfeld anzupassen. Eine persönliche Eigenschaft der betreffenden Beamten zu berücksichtigen, erscheint auch dadurch gerechtfertigt, dass die Anwendung von Art. 42c des Statuts für sie nachteilige Folgen hat und gegen ihren Willen erfolgen kann.

Da zudem diese Bewertung der Verfolgung des dienstlichen Interesses dient, muss sie sich zwangsläufig auf die künftige Fähigkeit (das Potenzial) der betreffenden Beamten zum Erwerb neuer Kompetenzen und zur Anpassung an das sich wandelnde Arbeitsumfeld beziehen und somit ein prognostisches Element enthalten. Andernfalls diente diese Bewertung nicht der Verfolgung des dienstlichen Interesses.

Schließlich hat das Gericht anerkannt, dass die Organe über ein weites Ermessen bei der Bewertung des organisatorischen Bedarfs im Zusammenhang mit dem Erwerb neuer Kompetenzen verfügen, dessen Ausübung nur im Fall eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers, einer sachlichen Unrichtigkeit oder eines Ermessensmissbrauchs in Frage gestellt werden kann.


1      Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).