Language of document : ECLI:EU:T:2006:216

Rechtssache T-464/04

Independent Music Publishers and Labels Association (Impala, internationaler Verband)

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Wettbewerb – Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 – Entscheidung, mit der ein Zusammenschluss für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt worden ist – Märkte für Tonträger und für Online-Musik – Vorliegen einer kollektiven beherrschenden Stellung – Gefahr der Begründung einer kollektiven beherrschenden Stellung – Voraussetzungen – Markttransparenz – Abschreckungsmaßnahmen – Begründung – Offensichtlicher Beurteilungsfehler“

Leitsätze des Urteils

1.      Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Beurteilung der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt – Begründung einer kollektiven beherrschenden Stellung, die den wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt erheblich behindert

(Verordnung Nr. 4064/89 des Rates)

2.      Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Beurteilung der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt – Kollektive beherrschende Stellung, die den wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt erheblich behindert

(Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Artikel 2 Absatz 3)

3.      Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Beurteilung der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt – Begründung einer kollektiven beherrschenden Stellung, die den wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt erheblich behindert

(Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Artikel 2 Absatz 3)

4.      Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Gefahr der Begründung oder des Vorliegens einer kollektiven beherrschenden Stellung, die den wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt erheblich behindert

(Verordnung Nr. 4064/89 des Rates)

5.      Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Erklärung der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt auf der Grundlage von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 4064/89

(Artikel 253 EG; Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe b)

6.      Handlungen der Organe – Begründungspflicht – Umfang

(Artikel 253 EG; Verordnungen Nr. 17 des Rates, Artikel 3, und Nr. 4064/89)

7.      Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Prüfung durch die Kommission

(Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Artikel 2)

8.      Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte

(Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Artikel 2)

9.      Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Verwaltungsverfahren

(Verordnung Nr. 4064/89 des Rates)

10.    Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Beurteilung der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt – Verstärkung einer kollektiven beherrschenden Stellung, die den wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt erheblich behindert

(Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Artikel 2 Absatz 3)

11.    Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Beurteilung der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt – Begründung einer kollektiven beherrschenden Stellung oder Verstärkung einer solchen bereits bestehenden Stellung

(Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Artikel 2 Absatz 3)

12.    Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Beurteilung der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt – Begründung einer kollektiven beherrschenden Stellung, die den wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt erheblich behindert

(Verordnung Nr. 4064/89 des Rates)

1.      Im Rahmen der Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen muss die Kommission in Bezug auf die Gefahr der Begründung einer kollektiven beherrschenden Stellung anhand einer Untersuchung der voraussichtlichen Entwicklung des Referenzmarktes prüfen, ob der Zusammenschluss, mit dem sie befasst ist, zu einer Situation führt, in der ein wirksamer Wettbewerb auf dem relevanten Markt von den zusammengeschlossenen Unternehmen und einem oder mehreren dritten Unternehmen, die insbesondere aufgrund der zwischen ihnen bestehenden verbindenden Faktoren zusammen die Macht besitzen, auf dem Markt einheitlich vorzugehen und in beträchtlichem Umfang unabhängig von den anderen Wettbewerbern, ihrer Kundschaft und letztlich den Verbrauchern zu handeln, erheblich behindert wird.

Eine solche Untersuchung der voraussichtlichen Entwicklung erfordert eine aufmerksame Prüfung insbesondere der Umstände, die sich nach Lage des Einzelfalls als maßgebend für die Beurteilung der Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den Wettbewerb im Referenzmarkt erweisen, wobei die Kommission eindeutige Beweise liefern muss.

Es geht nämlich nicht darum, vergangene Ereignisse, in Bezug auf die häufig zahlreiche ein Verständnis ihrer Ursachen ermöglichende Anhaltspunkte vorliegen, oder auch gegenwärtige Ereignisse zu prüfen, sondern darum, Ereignisse vorherzusehen, die künftig mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit eintreten werden, wenn keine Entscheidung ergeht, mit der der Zusammenschluss zu den geplanten Bedingungen untersagt wird oder diese näher festgelegt werden. Eine solche Untersuchung erfordert es somit, sich die verschiedenen Ursache-Wirkungs-Ketten vor Augen zu führen und von denjenigen mit der größten Wahrscheinlichkeit auszugehen.

(vgl. Randnrn. 245, 248, 522-523)

2.      Eine kollektive beherrschende Stellung, die den wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert, kann sich aus einem Zusammenschluss ergeben, wenn dieser – aufgrund der Merkmale des relevanten Marktes und indem die Marktstruktur durch den Zusammenschluss geändert wird – dazu führt, dass jedes Mitglied des beherrschenden Oligopols es in Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen für möglich, wirtschaftlich vernünftig und daher ratsam hält, dauerhaft einheitlich auf dem Markt vorzugehen, um zu höheren als den Wettbewerbspreisen zu verkaufen, ohne zuvor eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 81 EG treffen oder auf eine abgestimmte Verhaltensweise im Sinne dieser Vorschrift zurückgreifen zu müssen und ohne dass die tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerber oder die Kunden und Verbraucher wirksam reagieren können.

(vgl. Randnr. 246)

3.      Drei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit durch einen Zusammenschluss eine kollektive beherrschende Stellung entstehen kann, die den wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert. Erstens muss der Markt so transparent sein, dass die Unternehmen, die ihr Verhalten koordinieren, in der Lage sind, in hinreichendem Maß zu überwachen, ob die Modalitäten der Koordinierung eingehalten werden. Zweitens gebietet es die Disziplin, dass Abschreckungsmechanismen für den Fall abweichenden Verhaltens existieren. Drittens dürfen die Reaktionen von Unternehmen, die – wie gegenwärtige oder künftige Wettbewerber – nicht an der Koordinierung teilnehmen, sowie die Reaktionen der Kunden die erwarteten Ergebnisse der Koordinierung nicht in Frage stellen können.

(vgl. Randnr. 247)

4.      Im Rahmen der durch die Verordnung Nr. 4064/89 geschaffenen Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen ist zwar davon auszugehen, dass die Kommission bei der Beurteilung der Gefahr, dass eine kollektive beherrschende Stellung entsteht, die den wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt erheblich behindert, eine schwierige Prognose der wahrscheinlichen Entwicklung des Marktes und der Wettbewerbsbedingungen auf der Grundlage einer Untersuchung der voraussichtlichen Entwicklung vorzunehmen hat, die mit der Beurteilung komplexer wirtschaftlicher Gegebenheiten verbunden ist, bei der die Kommission über ein weites Ermessen verfügt, doch beruht die Feststellung des Vorliegens einer kollektiven beherrschenden Stellung auf einer konkreten Analyse der zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung bestehenden Situation. Die Ermittlung des Vorliegens einer kollektiven beherrschenden Stellung muss sich auf eine Reihe nachgewiesener vergangener oder gegenwärtiger Sachverhaltselemente stützen, die die erhebliche Behinderung des Wettbewerbs auf dem Markt aufgrund der von bestimmten Unternehmen erlangten Macht belegt, auf diesem Markt in einer in beträchtlichem Umfang von ihren Wettbewerbern, ihrer Kundschaft und den Verbrauchern unabhängigen Weise gemeinsam einheitlich vorzugehen.

Folglich sind im Rahmen der Beurteilung der Frage, ob eine kollektive beherrschende Stellung vorliegt, die aus einer theoretischen Analyse des Begriffes der kollektiven beherrschenden Stellung abgeleiteten Voraussetzungen für die Begründung einer kollektiven beherrschenden Stellung zwar ebenfalls erforderlich, können aber gegebenenfalls mittelbar anhand einer – möglicherweise auch ganz heterogenen – Gesamtheit von Indizien und Beweismitteln nachgewiesen werden, die sich auf die mit dem Vorhandensein einer kollektiven beherrschenden Stellung verbundenen Anzeichen, Manifestationen und Phänomene beziehen.

So könnte insbesondere eine enge Angleichung der Preise über einen langen Zeitraum, vor allem wenn sie über dem Wettbewerbsniveau liegen, zusammen mit anderen typischen Faktoren einer kollektiven beherrschenden Stellung mangels einer anderen vernünftigen Erklärung als Nachweis für das Vorliegen einer kollektiven beherrschenden Stellung ausreichen, selbst wenn es keine unmittelbaren eindeutigen Beweise für eine starke Transparenz des Marktes gibt, da diese unter solchen Umständen unterstellt werden kann.

(vgl. Randnrn. 250-252)

5.      Erklärt die Kommission einen Zusammenschluss nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar, so ist es im Hinblick auf die Begründungspflicht erforderlich, aber auch hinreichend, dass diese Entscheidung klar und eindeutig die Gründe wiedergibt, aus denen die Kommission der Ansicht ist, dass der streitige Zusammenschluss keinen Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt gibt. Aus dieser Verpflichtung kann jedoch nicht hergeleitet werden, dass die Kommission in einem solchen Fall ihre Würdigung aller rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkte, die eventuell mit dem angemeldeten Zusammenschluss zusammenhängen und/oder im Verwaltungsverfahren geltend gemacht worden sind, begründen müsste.

(vgl. Randnr. 281)

6.      Im Rahmen der durch die Verordnung Nr. 4064/89 geschaffenen Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen stellt die Mitteilung der Beschwerdepunkte nur ein vorbereitendes Schriftstück dar, dessen Wertungen rein vorläufiger Natur sind; die Kommission muss die im Verwaltungsverfahren gesammelten Indizien sowie das Vorbringen der betroffenen Unternehmen berücksichtigen und Beschwerdepunkte fallen lassen, die sich letztlich als nicht ausreichend begründet erwiesen haben. Dies gilt erst recht für vorläufige Wertungen, die mehrere Jahre zuvor im Rahmen der Prüfung eines anderen Zusammenschlusses vorgenommen wurden, oder für Wertungen einer anderen Wettbewerbsbehörde in einem anderen Zusammenhang.

Die Endentscheidung muss daher nur in Bezug auf alle für die Beurteilung der Auswirkungen des geplanten Zusammenschlusses auf den Wettbewerb in den Referenzmärkten relevanten Umstände und Gesichtspunkte begründet werden. Folglich kann der bloße Umstand, dass die Kommission in ihrer Entscheidung die Änderungen ihres Standpunkts gegenüber der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht erläutert hat, als solcher nicht dazu führen, dass die Begründung als mangelhaft oder unzureichend eingestuft wird.

(vgl. Randnrn. 285, 300, 335)

7.      Die Grundregeln der Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen und insbesondere ihr Artikel 2 räumen der Kommission vor allem bei wirtschaftlichen Beurteilungen ein gewisses Ermessen ein. Folglich muss die vom Gemeinschaftsrichter vorzunehmende Kontrolle der Ausübung eines solchen – für die Aufstellung der Regeln über Zusammenschlüsse wesentlichen – Ermessens unter Berücksichtigung des Wertungsspielraums erfolgen, der im Rahmen der Bestimmungen wirtschaftlicher Art, die Teil der Regelung von Zusammenschlüssen sind, besteht.

Auch wenn der Gemeinschaftsrichter anerkennt, dass der Kommission in Wirtschaftsfragen ein Wertungsspielraum zusteht, bedeutet dies nicht, dass er eine Kontrolle der Auslegung von Wirtschaftsdaten durch die Kommission unterlassen muss. Er muss nämlich nicht nur die sachliche Richtigkeit der angeführten Beweise, ihre Zuverlässigkeit und ihre Kohärenz prüfen, sondern auch kontrollieren, ob diese Beweise alle relevanten Daten darstellen, die bei der Beurteilung einer komplexen Situation heranzuziehen waren, und ob sie die aus ihnen gezogenen Schlüsse zu stützen vermögen.

(vgl. Randnrn. 327-328)

8.      Im Rahmen der durch die Verordnung Nr. 4064/89 geschaffenen Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen stellt die Mitteilung der Beschwerdepunkte nur ein vorbereitendes Schriftstück dar, dessen Wertungen rein vorläufiger Natur sind; die Kommission muss die im Verwaltungsverfahren gesammelten Indizien sowie das Vorbringen der betroffenen Unternehmen berücksichtigen und Beschwerdepunkte fallen lassen, die sich letztlich als nicht ausreichend begründet erwiesen haben. Dies gilt erst recht für vorläufige Wertungen, die mehrere Jahre zuvor im Rahmen der Prüfung eines anderen Zusammenschlusses vorgenommen wurden, oder für Wertungen einer anderen Wettbewerbsbehörde in einem anderen Zusammenhang. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Mitteilung der Beschwerdepunkte völlig wertlos oder irrelevant ist. Damit das gesamte Verwaltungsverfahren nicht völlig entwertet wird, muss die Kommission nicht nur erläutern können – zwar nicht in der Entscheidung, aber zumindest im Rahmen des Verfahrens vor dem Gericht –, aus welchen Gründen sie ihre vorläufigen Wertungen für falsch hält, sondern vor allem müssen die Wertungen in der Entscheidung mit den tatsächlichen Feststellungen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte vereinbar sein, soweit diese nicht nachweislich unzutreffend sind.

(vgl. Randnrn. 335, 410)

9.      Auch wenn das Fusionskontrollverfahren zwangsläufig in großem Maß auf Vertrauen beruht, so dass die Kommission nicht verpflichtet sein kann, die Zuverlässigkeit und Richtigkeit aller übermittelten Informationen bis ins kleinste Detail selbst zu prüfen, darf sie nicht so weit gehen, dass sie die Verantwortung für die Abwicklung bestimmter Aspekte der Untersuchung ohne jede Kontrolle den Parteien des Zusammenschlusses überlässt, insbesondere wenn diese Aspekte den ausschlaggebenden Faktor darstellen, auf dem die Entscheidung beruht, und wenn die von den Parteien des Zusammenschlusses unterbreiteten Angaben und Wertungen in diametralem Gegensatz zu den von der Kommission bei ihrer Untersuchung gesammelten Informationen und den daraus von ihr gezogenen Schlüssen stehen.

(vgl. Randnr. 415)

10.    Die zur Feststellung einer kollektiven beherrschenden Stellung, die durch einen Zusammenschluss verstärkt würde, erforderliche Markttransparenz muss es jedem Mitglied des beherrschenden Oligopols ermöglichen, das Verhalten der anderen Mitglieder in Erfahrung zu bringen, um zu prüfen, ob sie einheitlich vorgehen oder nicht, d. h., es muss über ein Mittel verfügen, um zu erfahren, ob die anderen Marktbeteiligten dieselbe Strategie wählen und beibehalten. Der Markt müsste daher so transparent sein, dass jedes Mitglied des beherrschenden Oligopols mit hinreichender Genauigkeit und Schnelligkeit die Entwicklung des Verhaltens aller anderen Mitglieder auf dem Markt in Erfahrung bringen kann. Die erforderliche Transparenz setzt nicht voraus, dass jedes Mitglied jederzeit die genauen Konditionen jedes Geschäfts der anderen Mitglieder des Oligopols in allen Einzelheiten erfahren kann, sondern sie muss es zum einen ermöglichen, den Inhalt der stillschweigenden Koordinierung zu ermitteln, und zum anderen zu der ernsten Gefahr führen, dass ein abweichendes Verhalten, das die stillschweigende Koordinierung gefährden könnte, von den übrigen Mitgliedern des Oligopols entdeckt würde.

(vgl. Randnr. 440)

11.    Was die Prüfung der Begründung einer kollektiven beherrschenden Stellung, die den wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt erheblich behindert, im Rahmen der Anwendung der Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen angeht, so müssen, damit eine kollektive beherrschende Stellung Bestand haben kann, genügend Abschreckungsfaktoren dauerhaft für einen Anreiz sorgen, nicht vom gemeinsamen Vorgehen abzuweichen, was voraussetzt, dass jedes Mitglied des beherrschenden Oligopols weiß, dass eine auf Vergrößerung seines Marktanteils gerichtete, stark wettbewerbsorientierte Maßnahme seinerseits die gleiche Maßnahme seitens der anderen Mitglieder auslösen würde, so dass es keinerlei Vorteil aus seiner Initiative ziehen würde.

Die bloße Existenz wirksamer Abschreckungsmechanismen genügt grundsätzlich, denn wenn sich die Mitglieder des Oligopols an die gemeinsame Politik halten, besteht kein Anlass, auf Sanktionen zurückzugreifen. Im Übrigen ist ein Abschreckungsmittel dann am wirksamsten, wenn es nicht zum Einsatz zu kommen braucht.

Wird in diesem Rahmen das Vorliegen einer solchen beherrschenden Stellung geprüft, so kann die Voraussetzung in Bezug auf Retorsionsmittel darin bestehen, nicht die bloße Existenz von Retorsionsmechanismen festzustellen, sondern zu prüfen, ob vom gemeinsamen Vorgehen abgewichen wurde, ohne dass dies Retorsionsmaßnahmen zur Folge hatte. Insoweit sind zwei kumulative Faktoren erforderlich, damit aus der fehlenden Umsetzung von Retorsionsmaßnahmen abgeleitet werden kann, dass die Voraussetzung in Bezug auf Retorsionsmittel nicht erfüllt ist, und zwar der Beweis für Abweichungen vom gemeinsamen Vorgehen, ohne den die Ausübung von Retorsionsmaßnahmen nicht geprüft zu werden braucht, und sodann der tatsächliche Beweis für das Fehlen von Retorsionsmaßnahmen.

(vgl. Randnrn. 465-466, 468-469)

12.    Die Prüfung der Ermittlung der Begründung einer kollektiven beherrschenden Stellung durch die Kommission muss auf einer Untersuchung der voraussichtlichen Entwicklung beruhen.

Soweit es im Rahmen dieser Prüfung um die Frage von Retorsionsmaßnahmen geht, darf sich die Kommission nicht mit der Suche nach Beweisen für die Ausübung von Retorsionsmaßnahmen in der Vergangenheit begnügen, sondern muss das Vorliegen wirksamer Abschreckungsmechanismen prüfen. Die Suche nach Beweisen für die Ausübung von Retorsionsmaßnahmen in der Vergangenheit liefert nämlich kein brauchbares Ergebnis, weil die Voraussetzung auch ohne jede Retorsionsmaßnahme in der Vergangenheit durchaus erfüllt sein kann. Da die Beurteilung der Gefahr der Begründung einer kollektiven beherrschenden Stellung durch einen Zusammenschluss definitionsgemäß nicht auf der Existenz einer vorherigen gemeinsamen Politik beruht, entbehrt das Kriterium der fehlenden Ausübung von Retorsionsmaßnahmen in der Vergangenheit jeder Relevanz.

(vgl. Randnr. 537)