Language of document : ECLI:EU:T:2007:382

Rechtssache T‑308/05

Italienische Republik

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Strukturfonds – Kofinanzierung – Verordnungen (EG) Nrn. 1260/1999 und 448/2004 – Voraussetzungen der Zuschussfähigkeit von Vorauszahlungen nationaler Stellen im Rahmen staatlicher Beihilferegelungen oder im Zusammenhang mit der Gewährung von Beihilfen – Nachweis der Verwendung der Mittel durch die Einzelempfänger – Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlung“

Leitsätze des Urteils

1.      Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlungen

(Art. 230 EG und 233 EG; Verordnung Nr. 1260/1999 des Rates, Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 4 und Abs. 3)

2.      Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 44 § 1)

3.      Nichtigkeitsklage – Anfechtbare Handlungen

(Art. 230 EG; Verordnung Nr. 1260/1999 des Rates)

4.      Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt – Strukturinterventionen – Gemeinschaftsfinanzierung – Zuschussfähigkeit der Ausgaben nationaler Einrichtungen

(Verordnung Nr. 1260/1999 des Rates, Art. 32; Verordnung Nr. 448/2004 der Kommission, Anhang, Regel Nr. 1 Ziff. 1 und 2)

5.      Haushalt der Europäischen Gemeinschaften – Gemeinschaftszuschuss – Finanzkontrolle der Interventionen

(Art. 10 EG und 274 EG; Verordnung Nr. 1260/1999 des Rates, Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 3 und 38 Abs. 1 Buchst. g; Verordnung Nr. 438/2001 der Kommission, Art. 2 Abs. 1 und 7 Abs. 2)

6.      Handlungen der Organe – Wahl der Rechtsgrundlage – Gemeinschaftsregelung – Gebot der Klarheit und Vorhersehbarkeit

7.      Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt – Strukturinterventionen – Gemeinschaftsfinanzierung – Zuschussfähigkeit der Ausgaben nationaler Einrichtungen

(Verordnung Nr. 1260/1999 des Rates, Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 3)

8.      Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt – Strukturinterventionen – Gemeinschaftsfinanzierung – Zuschussfähigkeit der Ausgaben nationaler Einrichtungen

(Verordnung Nr. 1260/1999 des Rates, Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 3; Verordnung Nr. 448/2004 der Kommission, Anhang, Regel Nr. 1 Ziff. 1.3)

1.      Die Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG ist gegen alle Handlungen der Organe gegeben, die dazu bestimmt sind, Rechtswirkungen zu erzeugen, ohne dass es auf ihre Rechtsnatur oder Rechtsform ankäme.

Die Kommission darf, wenn bei ihr im Rahmen einer Beihilferegelung ein nach Art. 32 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1260/1999 mit allgemeinen Bestimmungen über die Strukturfonds zulässiger Antrag auf Zahlung der Strukturfondszuschüsse eingereicht wird, nicht weiter untätig bleiben. Sie muss nämlich gemäß Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 4 dieser Verordnung auf diesen Antrag hin vorbehaltlich der Verfügbarkeit von Mitteln innerhalb von zwei Monaten nach seinem Eingang Zwischenzahlungen leisten. Wenn die Kommission also im konkreten Fall dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sein sollte, hätte der betroffene Mitgliedstaat dies mit einer Untätigkeitsklage anfechten müssen. Wäre diese Untätigkeitsklage für begründet erklärt worden, so wäre die Kommission gemäß Art. 233 EG verpflichtet gewesen, die sich aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen. Demzufolge entfaltet ein Schreiben der Kommission, soweit in ihm einem Mitgliedstaat ihre Weigerung mitgeteilt wird, in Bezug auf die Zahlungsanträge tätig zu werden, solange die Angaben über die Vorauszahlungen nicht vorliegen, keine rechtliche Wirkung, die im Wege einer Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG angefochten werden könnte.

(vgl. Randnrn. 56, 59, 62)

2.      Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichts bestimmt, dass die Klageschrift den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss. Daher ist in der Klageschrift im Einzelnen darzulegen, worin der Klagegrund besteht, auf den die Klage gestützt wird, so dass seine bloß abstrakte Nennung nicht ausreicht.

Außerdem muss diese Darstellung der Klagegründe, selbst wenn sie nur kurz ist, so klar und genau sein, dass der Beklagte seine Verteidigung vorbereiten und das Gericht, gegebenenfalls ohne Einholung weiterer Informationen, über die Klage entscheiden kann. Um die Rechtssicherheit und eine ordnungsgemäße Rechtspflege zu gewährleisten, ist es für die Zulässigkeit einer Klage oder eines bestimmten Klagegrundes erforderlich, dass sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die sich die Klage oder der Klagegrund stützt, zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift ergeben.

(vgl. Randnrn. 71-72)

3.      Ein an einen Mitgliedstaat gerichtetes Schreiben der Kommission, in dem er aufgefordert wird, die ihr übermittelten, den Anträgen auf Zahlung der Strukturfondszuschüsse beigefügten Ausgabenerklärungen zu ergänzen, und in dem auf einen Vermerk über die Auslegung von Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1260/1999 mit allgemeinen Bestimmungen über die Strukturfonds verwiesen wird, wonach im Rahmen von staatlichen Beihilferegelungen im Sinne von Art. 87 EG oder im Zusammenhang mit der Gewährung von Beihilfen die von nationalen Stellen geleisteten Vorauszahlungen ohne Belege über ihre Verwendung durch den Einzelempfänger für eine Bezuschussung durch die Fonds nicht in Betracht kommen, hat den Anwendungsbereich der Gemeinschaftsregelung nicht geändert und kann insofern keine anfechtbare Handlung im Sinne von Art. 230 EG sein.

(vgl. Randnrn. 102, 114)

4.      Soweit sich die Kommission in einem an einen Mitgliedstaat gerichteten Schreiben – gestützt auf einen Vermerk über die Auslegung von Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1260/1999 mit allgemeinen Bestimmungen über die Strukturfonds, wonach dem im Rahmen von staatlichen Beihilferegelungen im Sinne von Art. 87 EG oder im Zusammenhang mit der Gewährung von Beihilfen die von nationalen Stellen geleisteten Vorauszahlungen ohne Belege über ihre Verwendung durch den Einzelempfänger für eine Bezuschussung durch die Fonds nicht in Betracht kommen – weigert, den Fonds die Zahlung von Beträgen aufzuerlegen, die Vorauszahlungen entsprechen, für die es keine Belege über ihre Verwendung durch den Einzelempfänger gibt, ist dieses Schreiben mit Art. 32 der Verordnung Nr. 1260/1999 und mit Regel Nr. 1 Ziff. 1 und 2 des Anhangs der Verordnung Nr. 448/2004 zur Änderung der Verordnung Nr. 1685/2000 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 1260/1999 hinsichtlich der Zuschussfähigkeit der Ausgaben für von den Strukturfonds kofinanzierte Operationen vereinbar.

(vgl. Randnrn. 103, 148)

5.      Die Kommission ist gemäß Art. 274 EG für den Vollzug des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Union zuständig. Da dieser Artikel keine Unterscheidung nach dem jeweiligen Verwaltungsmodus vorsieht, übt die Kommission diese allgemeine Zuständigkeit weiterhin im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung der Strukturfonds aus. Außerdem ergibt sich aus den Art. 10 EG und 274 EG, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung der Strukturfonds mit der Kommission zusammenarbeiten müssen, um sicherzustellen, dass die Gemeinschaftsmittel nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung verwendet werden. Die vorstehenden Regeln sind in dem die Finanzkontrolle der Interventionen betreffenden Art. 38 Abs. 1 Buchst. g der Verordnung Nr. 1260/1999 mit allgemeinen Bestimmungen über die Strukturfonds aufgeführt.

Wenn die Verwaltungs- und Kontrollsysteme der Mitgliedstaaten zuverlässig sind und einen „ausreichenden Prüfpfad“ im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 438/2001 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung Nr. 1260/1999 in Bezug auf die Verwaltungs- und Kontrollsysteme bei Strukturfondsinterventionen aufweisen, ist, wie sich aus Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 438/2001 ergibt, die Richtigkeit, Ordnungsmäßigkeit und Zuschussfähigkeit von Anträgen auf eine Gemeinschaftsbeteiligung für die Kommission durch die Bescheinigung der erklärten Ausgaben seitens des betroffenen Mitgliedstaats grundsätzlich hinreichend sichergestellt.

In einem Fall jedoch, in dem die Kommission und ein Mitgliedstaat einen Text über die Voraussetzungen für die Zuschussfähigkeit bestimmter Ausgaben unterschiedlich auslegen, stellt die Zuverlässigkeit des nationalen Verwaltungs- und Kontrollsystems für die Kommission nicht mehr sicher, dass es sich bei den von diesem Mitgliedstaat erklärten Ausgaben im vollen Umfang um zuschussfähige Ausgaben im Sinne der geltenden Regelung handelt. Es ist daher Sache des betroffenen Mitgliedstaats, bei der Ausübung seiner Zuständigkeiten in Bezug auf die Bescheinigung von Ausgaben und im Rahmen einer loyalen Zusammenarbeit mit den Gemeinschaftsorganen die Kommission in die Lage zu versetzen, den Haushaltsplan in eigener Verantwortung auszuführen, indem er ihr sämtliche Informationen übermittelt, die sie für erforderlich hält, um die Zahlungen gemäß Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1260/1999 vornehmen zu können. Jede andere Lösung würde Art. 38 Abs. 1 dieser Verordnung und im weiteren Sinne den Art. 10 EG und 274 EG die praktische Wirksamkeit nehmen.

(vgl. Randnrn. 109, 111-112)

6.      Die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften müssen klar und ihre Anwendung für alle Betroffenen vorhersehbar sein. Der Grundsatz der Rechtssicherheit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört, verlangt, dass jede Maßnahme, die rechtliche Wirkungen erzeugen soll, ihre Bindungswirkung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts entnimmt, die ausdrücklich als Rechtsgrundlage der Maßnahme bezeichnet sein muss und die Rechtsform vorschreibt, in der die Maßnahme zu erlassen ist. Die fehlende Bezugnahme auf die genaue Rechtsgrundlage einer Maßnahme stellt jedoch möglicherweise keinen wesentlichen Mangel dar, wenn sie anhand anderer Anhaltspunkte in der Maßnahme bestimmt werden kann. Eine ausdrückliche Bezugnahme ist indessen unerlässlich, wenn die Betroffenen und das zuständige Gemeinschaftsgericht sonst über die genaue Rechtsgrundlage im Unklaren gelassen würden.

(vgl. Randnrn. 123-124)

7.      Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1260/1999 mit allgemeinen Bestimmungen über die Strukturfonds und die Durchführungsbestimmungen dieser Verordnung räumen der Kommission bei der Beurteilung der Voraussetzungen für die Zuschussfähigkeit von Vorauszahlungen kein Ermessen ein. Mit der Entscheidung in einem an einen Mitgliedstaat gerichteten Schreiben, dass die von nationalen Stellen geleisteten, von dem betroffenen Mitgliedstaat als Zwischenzahlungen bezeichneten Vorauszahlungen ohne Belege über ihre Verwendung durch den Einzelempfänger für eine Bezuschussung durch die Fonds nicht in Betracht kommen, konnte die Kommission daher nicht gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung oder der Rechtssicherheit verstoßen.

(vgl. Randnr. 150)

8.      Weder der Grundsatz der Kostenerstattung im Rahmen von Zwischen‑ und Restzahlungen, auf dem Art. 32 der Verordnung Nr. 1260/1999 mit allgemeinen Bestimmungen über die Strukturfonds und die Durchführungsbestimmungen zu dieser Verordnung beruhen, noch ein Vermerk der Kommission über die Auslegung von Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 3 dieser Verordnung, wonach im Rahmen von staatlichen Beihilferegelungen im Sinne von Art. 87 EG oder im Zusammenhang mit der Gewährung von Beihilfen die von nationalen Stellen geleisteten Vorauszahlungen ohne Belege über ihre Verwendung durch den Einzelempfänger für eine Bezuschussung durch die Fonds nicht in Betracht kommen, verstoßen gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung oder der Rechtssicherheit.

In Bezug auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit trägt in dem durch Art. 32 der Verordnung Nr. 1260/1999 geschaffenen System der Grundsatz der Kostenerstattung im Rahmen von Zwischen‑ und Restzahlungen dazu bei, eine Verwendung der Gemeinschaftsfonds sicherzustellen, die den in Art. 274 EG festgelegten Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung entspricht. Durch ihn wird verhindert, dass die Gemeinschaft erhebliche finanzielle Zuschüsse gewährt, die sie anschließend im Fall ihrer nicht bestimmungsgemäßen Verwendung nicht mehr oder nur unter großen Schwierigkeiten wieder einziehen kann, indem das Risiko für den Gemeinschaftshaushalt auf einen Betrag in Höhe von 7  % der Beteiligung der Strukturfonds an der betreffenden Intervention begrenzt wird. Der Grundsatz der Kostenerstattung im Rahmen von Zwischen‑ und Restzahlungen und der Auslegungsvermerk, in dem dieser Grundsatz zur Anwendung kommt, sind daher nicht als offensichtlich unangemessene Maßnahmen anzusehen.

Bezüglich des Grundsatzes der Gleichbehandlung sieht die Regel Nr. 1 Ziff. 1.3 des Anhangs der Verordnung Nr. 448/2004 zur Änderung der Verordnung Nr. 1685/2000 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 1260/1999 hinsichtlich der Zuschussfähigkeit der Ausgaben für von den Strukturfonds kofinanzierte Operationen vor, dass Einzahlungen in Wagniskapital‑, Kredit‑ und Garantiefonds als tatsächlich getätigte Ausgaben im Sinne von Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1260/1999 behandelt werden, sofern diese Fonds den Bestimmungen der Regeln 8 bzw. 9 des genannten Anhangs entsprechen. Diese Regel ist eine spezielle Ausprägung des Grundsatzes der Kostenerstattung im Rahmen von Zwischen‑ und Restzahlungen zur Berücksichtigung der Besonderheit der Bereitstellung von Risikokapital für Unternehmen. Diese Gelder werden kleinen und mittleren Unternehmen durch unabhängige juristische Personen gewährt, die als Vermittler auftreten. Anders als Vorauszahlungen fließt das bereitgestellte Risikokapital in Fonds, die dazu dienen, den Einzelempfängern den Zugang zu den Finanzierungsquellen zu erleichtern. Wegen dieser besonderen Situation, die mit der von Vorauszahlungen nicht vergleichbar ist, konnten Einzahlungen in Wagniskapital‑, Kredit‑ und Garantiefonds als tatsächlich getätigte Ausgaben im Sinne von Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 3 angesehen werden.

Der Grundsatz der Rechtssicherheit kann schließlich im vorliegenden Fall deshalb nicht verletzt sein, weil sowohl der Grundsatz der Kostenerstattung im Rahmen von Zwischen‑ und Restzahlungen als auch der genannte Auslegungsvermerk eine ordnungsgemäße Anwendung der geltenden Bestimmungen darstellen.

(vgl. Randnrn. 155-157, 159-162)