Language of document : ECLI:EU:C:2019:199

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

14. März 2019(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsmarke – Begriff ‚Form‘ – Form, die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht – Zweidimensionale Marke – Bildmarke, die auch ein Werk im Sinne des Urheberrechts darstellt – Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii – Verordnung (EU) 2015/2424“

In der Rechtssache C‑21/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Svea hovrätt, Patent- och marknadsöverdomstolen (Berufungsgericht, Patent- und Marktgericht, Stockholm, Schweden) mit Entscheidung vom 14. Dezember 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Januar 2018, in dem Verfahren

Textilis Ltd,

Ozgur Keskin

gegen

Svenskt Tenn AB

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász (Berichterstatter), M. Ilešič und I. Jarukaitis,

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Svenskt Tenn AB, vertreten durch B. Eliasson und M. Jerner, jur. kand.,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch É. Gippini Fournier, K. Simonsson, E. Ljung Rasmussen, J. Samnadda und G. Tolstoy als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die [Unionsmarke] (ABl. 2009, L 78, S. 1) und dieser Bestimmung der Verordnung Nr. 207/2009 in der durch die Verordnung (EU) 2015/2424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 (ABl. 2015, L 341, S. 21) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 207/2009 in geänderter Fassung).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Textilis Ltd und Herrn Ozgur Keskin auf der einen und der Svenskt Tenn AB auf der anderen Seite wegen der Vermarktung von Gegenständen für die Innenausstattung durch die Kläger des Ausgangsverfahrens, mit der die Marke verletzt worden sein soll, deren Inhaberin Svenskt Tenn ist.

 Rechtlicher Rahmen

 Verordnung Nr. 207/2009

3        Art. 4 („Markenformen“) der Verordnung Nr. 207/2009 bestimmt:

„[Union]smarken können alle Zeichen sein, die sich grafisch darstellen lassen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen und die Form oder Aufmachung der Ware, soweit solche Zeichen geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.“

4        Art. 7 („Absolute Eintragungshindernisse“) Abs. 1 Buchst. e dieser Verordnung sieht vor:

„Von der Eintragung ausgeschlossen sind

e)      Zeichen, die ausschließlich bestehen

i)      aus der Form, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist;

ii)      aus der Form der Ware, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist;

iii)      aus der Form, die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht.“

 Verordnung Nr. 207/2009 in geänderter Fassung

5        Im zwölften Erwägungsgrund der Verordnung 2015/2424, mit der die Verordnung Nr. 207/2009 geändert wurde, heißt es:

„Zur Gewährleistung der Rechtssicherheit und der vollständigen Übereinstimmung mit dem Prioritätsgrundsatz, dem zufolge eine eingetragene ältere Marke Vorrang vor einer später eingetragenen Marke genießt, muss vorgesehen werden, dass die Durchsetzung von Rechten aus einer Unionsmarke die Rechte, die Inhaber vor dem Anmelde- oder Prioritätstag der Unionsmarke erworben haben, nicht beeinträchtigt. …“

6        In Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 207/2009 in geänderter Fassung heißt es:

„Von der Eintragung ausgeschlossen sind

e)      Zeichen, die ausschließlich bestehen aus

i)      der Form oder einem anderen charakteristischen Merkmal, die bzw. das durch die Art der Ware selbst bedingt ist;

ii)      der Form oder einem anderen charakteristischen Merkmal der Ware, die bzw. das zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist;

iii)      der Form oder einem anderen charakteristischen Merkmal, die bzw. das der Ware einen wesentlichen Wert verleiht.“

7        Aus Art. 4 der Verordnung 2015/2424 ergibt sich, dass sie am 23. März 2016 in Kraft getreten ist.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

8        Svenskt Tenn vermarktet Möbel und Stoffbezüge sowie weitere Dekorationsgegenstände.

9        In den 1930er Jahren begann Svenskt Tenn eine Zusammenarbeit mit dem Architekten Joseph Frank, der für sie verschiedene Muster für Stoffbezüge entwarf, u. a. ein Muster mit der Bezeichnung MANHATTAN, das sie vermarktet und von dem sie behauptet, Inhaberin von Urheberrechten zu sein.

10      Am 4. Januar 2012 stellte Svenskt Tenn beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) einen Antrag auf Eintragung einer Unionsmarke. Diese Bildmarke mit der Bezeichnung MANHATTAN wurde unter der Nr. 010540268 eingetragen.

11      Die Marke wurde insbesondere für folgende Waren und Dienstleistungen der Klassen 11, 16, 20, 21, 24, 27 und 35 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet: Lampenschirme (Klasse 11), Tischdecken, Servietten aus Papier; Karaffenuntersetzer aus Papier; Verpackungspapier; Schreib- oder Zeichenbücher; Poster (Klasse 16), Möbel (Klasse 20), Geräte und Behälter für Haushalt und Küche; Bürsten; Glaswaren, Porzellan und Steingut, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind (Klasse 21), Webstoffe und Textilwaren, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; Tagesdecken für Betten und Tischdecken (Klasse 24), Teppiche; Tapeten (ausgenommen aus textilem Material); Papiertapeten (Klasse 27), Einzelhandelsdienstleistungen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Möbeln, Kissen, Spiegeln, Tapeten, Teppichen, Lampen, Textilstoffen, Textilwaren, Modeartikeln, Haushalts- und Küchengeräten und ‑behältern, Tafelgeschirr, Glaswaren, Porzellan, Steingut, Kerzenleuchtern, Papierservietten, Taschen, Juwelierwaren, Büchern und Magazinen (Klasse 35).

12      Die Bildmarke MANHATTAN wird wie folgt dargestellt:

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13      Textilis ist eine im Eigentum von Herrn Keskin stehende Gesellschaft englischen Rechts, die seit 2013 im elektronischen Geschäftsverkehr tätig ist. Diese Gesellschaft vermarktete Stoffe und Gegenstände für die Innenausstattung, auf denen Muster angebracht waren, die denen der Bildmarke MANHATTAN ähnlich sind.

14      Svenskt Tenn verklagte Textilis und Herrn Keskin beim Stockholms tingsrätt (Gericht erster Instanz Stockholm, Schweden) wegen Verletzung der Marke MANHATTAN, deren Inhaberin sie ist, sowie wegen Verletzung ihres Urheberrechts. Sie beantragte auch, Textilis und Herrn Keskin unter Strafandrohung zum einen zu verbieten, bestimmte einzeln aufgeführte Gegenstände zu vermarkten oder der Öffentlichkeit in Schweden auf andere Weise zugänglich zu machen, und zum anderen, diese Marke in Schweden für Stoffe, Kissen und Möbel zu benutzen.

15      Als Reaktion auf diese Klagen reichten Textilis und Herr Keskin bei diesem Gericht eine Widerklage ein, mit der sie begehrten, die Nichtigkeit der Marke MANHATTAN festzustellen, da es dieser zum einen an Unterscheidungskraft fehle und da sie zum anderen angesichts der Art und Weise, in der sie benutzt werde, im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 aus einer Form bestehe, die der Ware einen wesentlichen Wert verleihe.

16      Das Stockholms tingsrätt (Gericht erster Instanz Stockholm) wies diese Widerklage insbesondere mit der Begründung ab, dass zum einen gemäß Art. 4 der Verordnung Nr. 207/2009 alle Zeichen, die sich grafisch darstellen ließen, insbesondere Abbildungen, Unionsmarken sein könnten, sofern sie Unterscheidungskraft hätten, und dass zum anderen die Marke MANHATTAN keine Form im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii dieser Verordnung sei.

17      Das Stockholms tingsrätt (Gericht erster Instanz Stockholm) entschied, dass Textilis und Herr Keskin die Marke MANHATTAN verletzt und zudem gegen das Urheberrecht, dessen Inhaberin ebenfalls Svenskt Tenn sei, verstoßen hätten.

18      Textilis und Herr Keskin legten gegen dieses Urteil beim Svea hovrätt, Patent- och marknadsöverdomstolen (Berufungsgericht, Patent- und Marktgericht, Stockholm) Berufung ein, mit der sie u. a. begehrten, auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 die Nichtigkeit der Marke MANHATTAN festzustellen.

19      Zur Stützung ihrer Berufung machen sie geltend, dass ein aus einem Stoffmuster bestehendes Zeichen nicht als Marke eingetragen werden könne, weil sonst der Grundsatz der zeitlichen Befristung des Schutzes des Urheberrechts umgangen würde. Aus diesem Grund stehe Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 der markenrechtlichen Eintragung von Zeichen entgegen, die ausschließlich aus der Form bestünden, die der Ware einen wesentlichen Wert verleihe.

20      Svenskt Tenn hält dem entgegen, dass Zeichen, die aus der Form von Mustern bestünden, als Unionsmarken eingetragen werden könnten, so wie dies bei der Bildmarke MANHATTAN der Fall gewesen sei.

21      Das Svea hovrätt, Patent- och marknadsöverdomstolen (Berufungsgericht, Patent- und Marktgericht, Stockholm) fragt sich, ob eine Bildmarke wie MANHATTAN, die aus einer zweidimensionalen Darstellung einer zweidimensionalen Ware wie einem Stoff bestehe, als eine Form im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden könne. Aus Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 ergebe sich insoweit eindeutig, dass der in dieser Bestimmung vorgesehene Nichtigkeitsgrund für dreidimensionale Marken und für zweidimensionale Marken, die dreidimensionale Formen darstellten, wie etwa die Darstellung einer Skulptur oder einer Vase, gelte, wie der EFTA-Gerichtshof in den Rn. 110 bis 115 seines Urteils vom 6. April 2017, Norwegian Board of Appeal for Industrial Property Rights – appeal from the municipality of Oslo (E‑05/16), bzw. der Gerichtshof im Urteil vom 18. Juni 2002, Philips (C‑299/99, EU:C:2002:377), entschieden habe.

22      Fraglich sei jedoch, ob ein solcher Nichtigkeitsgrund für zweidimensionale Marken gelten könne, die eine zweidimensionale Ware darstellten, wie etwa ein auf einem Stoff angebrachtes Muster oder auch die Darstellung eines Gemäldes. Insoweit wäre es paradox, ein solches Eintragungshindernis nicht für solche Fälle beizubehalten, weil nichts eine Ungleichbehandlung einer dreidimensionalen Skulptur und einer zweidimensionalen Zeichnung rechtfertige.

23      Im Gegensatz zu der Marke, um die es in der Rechtssache gegangen sei, in der das Urteil vom 12. Juni 2018, Louboutin und Christian Louboutin (C‑163/16, EU:C:2018:423), ergangen sei, die aus einer auf der Sohle eines Schuhs aufgebrachten Farbe bestanden habe, handele es sich bei der Bildmarke MANHATTAN, um die es in der bei ihm anhängigen Rechtssache gehe, um ein urheberrechtlich geschütztes Werk.

24      Es sei fraglich, ob die durch die Verordnung 2015/2424 herbeigeführte Änderung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009, nach der von der Eintragung nicht nur Zeichen ausgeschlossen seien, die ausschließlich „aus der Form“, sondern auch solche, die aus „einem anderen charakteristischen Merkmal“ bestünden, die bzw. das der Ware einen wesentlichen Wert verleihe, geeignet sei, die hinsichtlich dieses Nichtigkeitsgrundes vorzunehmende Beurteilung zu ändern. Insoweit möchte das vorlegende Gericht wissen, ob – in Anbetracht dessen, dass der Zeitpunkt der Eintragung der Marke MANHATTAN wie auch der des Antrags auf Nichtigerklärung und des mit Berufung angefochtenen erstinstanzlichen Urteils vor dem 23. März 2016, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung 2015/2424 lägen – für die bei ihm anhängige Rechtssache die Verordnung Nr. 207/2009 oder die Verordnung Nr. 207/2009 in geänderter Fassung gelte.

25      In jedem Fall – und unabhängig davon, welche Fassung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii gelte – stelle sich, wenn die Geltung dieser Bestimmung für zweidimensionale Marken, die eine zweidimensionale Ware darstellten, bejaht würde, die Frage, anhand welcher Kriterien sich bestimmen lasse, ob ein Zeichen wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende als ein solches angesehen werden könne, das „ausschließlich aus der Form besteht, die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht“, wenn sich die Eintragung dieses Zeichens als Marke auf mehrere Warenklassen beziehe und wenn die Marke so gestaltet sei, dass sie auf der gesamten Ware oder einem wesentlichen Teil der Ware angebracht sein oder auch als Sekundärlogo verwendet werden könne.

26      Insoweit lasse sich nur schwer beurteilen, ob ein solcher Nichtigkeitsgrund vorliege, wenn der Anmelder der Marke lediglich die Waren anführen müsse, für die er diese Marke zu benutzen beabsichtige, nicht aber näher zu erläutern habe, wie das Zeichen in der Praxis benutzt werde, für das er Schutz begehre.

27      So könne eine Marke entweder auf der gesamten Ware angebracht sein, wie etwa auf einem Stoffbezug, einem Papier oder auch einer Kachel, so dass sie zu einem wesentlichen Bestandteil der Ware selbst werde und in vielen dieser Fälle zwischen der Marke und der Ware Identität bestehe, oder auch eine kleinere Fläche auf der Ware einnehmen, insbesondere dann, wenn diese Marke als Sekundärlogo benutzt werde.

28      In Anbetracht dieser Gesichtspunkte hat das Svea hovrätt, Patent- och marknadsöverdomstolen (Berufungsgericht, Patent- und Marktgericht, Stockholm) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 4 der Verordnung 2015/2424 dahin auszulegen, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii in geänderter Fassung bei der Beurteilung der Nichtigkeit, die ein Gericht (nach Art. 52 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009) nach Inkrafttreten der Änderung, nämlich nach dem 23. März 2016, vornimmt, anzuwenden ist, auch wenn es sich um eine Klage auf Nichtigerklärung handelt, die vor diesem Zeitpunkt erhoben wurde und die daher auch eine Marke betrifft, die vor diesem Zeitpunkt eingetragen wurde?

2.      Ist Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 in der anwendbaren Fassung dahin auszulegen, dass sein Anwendungsbereich ein Zeichen umfasst, das aus der zweidimensionalen Darstellung einer zweidimensionalen Ware besteht, beispielsweise aus einem Stoffbezug, der mit dem in Rede stehenden Zeichen verziert ist?

3.      Falls Frage 2 zu bejahen ist: Nach welchen Kriterien ist die Wendung „Zeichen, die ausschließlich bestehen aus … der Form (oder einem anderen charakteristischen Merkmal), die (bzw. das) der Ware einen wesentlichen Wert verleiht“ in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 in geänderter Fassung in einem Fall auszulegen, in dem die Eintragung eine breite Skala von Warenklassen und Waren umfasst und das Zeichen in unterschiedlicher Art und Weise auf der Ware angebracht werden kann? Ist die Beurteilung eher nach objektiven/allgemeinen Kriterien, wie z. B. ausgehend davon, wie die Marke erscheint und wie sie auf verschiedene Waren angebracht werden kann, d. h. unabhängig davon vorzunehmen, in welcher Weise der Markeninhaber das Zeichen tatsächlich auf den verschiedenen Waren angebracht haben kann oder in welcher Weise er das Zeichen anzubringen beabsichtigt?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

29      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 in geänderter Fassung dahin auszulegen ist, dass er für Marken gilt, die vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung in geänderter Fassung eingetragen wurden.

30      Aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass die materiell-rechtlichen Unionsvorschriften, um die Beachtung der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zu gewährleisten, so auszulegen sind, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten eingetretene Sachverhalte nur gelten, soweit aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 2011, Bureau national interprofessionnel du Cognac, C‑4/10 und C‑27/10, EU:C:2011:484, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die Verordnung 2015/2424, die am 23. März 2016 in Kraft getreten ist, keine Bestimmung enthält, in der ausdrücklich vorgesehen wäre, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 in geänderter Fassung für Unionsmarken gelten sollte, die vor diesem Zeitpunkt eingetragen wurden.

32      Ebenso ergibt sich weder aus der Zielsetzung der Verordnung 2015/2424 noch aus deren Aufbau, dass der Unionsgesetzgeber beabsichtigt hätte, Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 in geänderter Fassung rückwirkenden Charakter zu verleihen. Diese Auslegung ergibt sich auch aus dem zwölften Erwägungsgrund der Verordnung 2015/2424, in dem auf die Bindung des Unionsgesetzgebers an den Grundsatz der Rechtssicherheit hingewiesen wird.

33      Somit ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 in geänderter Fassung dahin auszulegen ist, dass er nicht für Marken gilt, die vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung in geänderter Fassung eingetragen wurden.

 Zur zweiten Frage

34      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen ist, dass ein aus zweidimensionalen dekorativen Mustern bestehendes Zeichen wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, das auf Waren wie einem Stoff oder einem Papier angebracht ist, im Sinne dieser Bestimmung „ausschließlich aus der Form besteht“.

35      Da der Begriff „Form“ in der Verordnung Nr. 207/2009 nicht definiert ist, sind seine Bedeutung und Tragweite insoweit nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs entsprechend seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen, wobei zu berücksichtigen ist, in welchem Zusammenhang er verwendet wird und welche Ziele mit der Regelung verfolgt werden, zu der er gehört (vgl. in diesem Sinne zur Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken [ABl. 2008, L 299, S. 25], Urteil vom 12. Juni 2018, Louboutin und Christian Louboutin, C‑163/16, EU:C:2018:423, Rn. 20 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Im Kontext des Markenrechts wird unter dem Begriff „Form“ allgemein die Gesamtheit der Linien oder Konturen verstanden, die die betreffende Ware räumlich begrenzen (Urteil vom 12. Juni 2018, Louboutin und Christian Louboutin, C‑163/16, EU:C:2018:423, Rn. 21).

37      Entsprechend diesen Erwägungen hat der Gerichtshof entschieden, dass die Aufbringung einer bestimmten Farbe an einer spezifischen Stelle einer Ware nicht bedeutet, dass das fragliche Zeichen aus einer „Form“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 2008, L 299, S. 25) besteht, dessen Wortlaut dem von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 ähnlich ist, wenn die Eintragung der Marke nicht die Form der Ware oder eines Teils der Ware, sondern nur die Aufbringung einer Farbe an dieser bestimmten Stelle schützen soll (Urteil vom 12. Juni 2018, Louboutin und Christian Louboutin, C‑163/16, EU:C:2018:423, Rn. 24).

38      Wie die Europäische Kommission in ihren Erklärungen hervorgehoben hat, ist zwar unstreitig, dass – im Gegensatz zu einem Zeichen, das eine Farbe als solche betrifft – das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zeichen, das aus dekorativen zweidimensionalen Mustern besteht und das auf Waren wie einem Stoff oder einem Papier angebracht ist, Linien und Konturen enthält.

39      Gleichwohl kann dieses Zeichen nicht als „ausschließlich aus der Form bestehend“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 angesehen werden.

40      Es trifft nämlich zwar zu, dass im Ausgangsrechtsstreit das betreffende Zeichen Formen darstellt, die aus den äußeren Konturen von Abbildungen bestehen, die in stilisierter Form Teile von Landkarten darstellen, doch enthält dieses Zeichen abgesehen von diesen Formen dekorative Bestandteile, die sich sowohl innerhalb als auch außerhalb dieser Konturen befinden.

41      Zudem werden in diesem Zeichen Worte, insbesondere das Wort Manhattan, deutlich herausgestellt.

42      Jedenfalls lässt sich nicht annehmen, dass ein Zeichen, das aus dekorativen zweidimensionalen Mustern besteht, mit der Form der Ware verschmilzt, wenn dieses Zeichen auf Waren wie einem Stoff oder einem Papier angebracht ist, deren Form sich von diesen dekorativen Mustern unterscheidet.

43      Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Zeichen wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 ausschließlich aus der Form besteht.

44      Somit kann der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 vorgesehene Ausschluss nicht für ein solches Zeichen gelten.

45      Insoweit ist hervorzuheben, dass der Umstand, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zeichen auch urheberrechtlich geschützt ist, keine Auswirkung darauf hat, ob es im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 ausschließlich aus einer „Form“ besteht.

46      Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen ist, dass ein aus dekorativen zweidimensionalen Mustern bestehendes Zeichen wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, das auf Waren wie einem Stoffbezug oder einem Papier angebracht ist, nicht im Sinne dieser Bestimmung „ausschließlich aus der Form besteht“.

47      Angesichts der Antwort auf die zweite Frage ist die dritte Frage nicht zu beantworten.

 Kosten

48      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die [Unionsmarke] in der durch die Verordnung (EU) 2015/2424 des Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nicht für Marken gilt, die vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 207/2009 in der durch die Verordnung 2015/2424 geänderten Fassung eingetragen wurden.

2.      Art. 7 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Verordnung Nr. 207/2009 ist dahin auszulegen, dass ein aus dekorativen zweidimensionalen Mustern bestehendes Zeichen wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, das auf Waren wie einem Stoffbezug oder einem Papier angebracht ist, nicht im Sinne dieser Bestimmung „ausschließlich aus der Form besteht“.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Schwedisch.