Language of document : ECLI:EU:C:2024:498

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

13. Juni 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Art. 5 Abs. 3 – Ausgleichszahlungen für Fluggäste bei großer Verspätung oder Annullierung von Flügen – Befreiung von der Ausgleichspflicht – Außergewöhnliche Umstände – Zumutbare Vorbeugungsmaßnahmen – Technische Störungen, die durch einen versteckten Konstruktionsfehler verursacht wurden – Konstruktionsfehler des Triebwerks eines Flugzeugs – Pflicht des Luftfahrtunternehmens, Ersatzflugzeuge vorzuhalten“

In der Rechtssache C‑411/23

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau, Polen) mit Entscheidung vom 26. Mai 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Juli 2023, in dem Verfahren

D. S.A.

gegen

P. S.A.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Piçarra sowie der Richter N. Jääskinen und M. Gavalec (Berichterstatter),

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der D. S.A., vertreten durch P. Gad, K. Puchalska und K. Żbikowska, Adwokaci,

–        der P. S.A., vertreten durch E. Cieplak-Greszta, Adwokat,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Yerrell und B. Sasinowska als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der D. S.A., vormals P.[R] (im Folgenden: Klägerin des Ausgangsverfahrens), der Zessionarin der Rechte von J. D., und der P. S.A., einem Luftfahrtunternehmen (im Folgenden: im Ausgangsverfahren in Rede stehendes Luftfahrtunternehmen), wegen dessen Weigerung, J. D., einem Fluggast, dessen Flug eine große Ankunftsverspätung hatte, einen Ausgleich zu leisten.

 Rechtlicher Rahmen

3        Die Erwägungsgründe 1, 14 und 15 der Verordnung Nr. 261/2004 lauten:

„(1)      Die Maßnahmen der [Europäischen] Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.

(14)      Wie nach dem Übereinkommen [zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, geschlossen am 28. Mai 1999 in Montreal und genehmigt im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch den Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 (ABl. 2001, L 194, S. 38)] sollten die Verpflichtungen für ausführende Luftfahrtunternehmen in den Fällen beschränkt oder ausgeschlossen sein, in denen ein Vorkommnis auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Solche Umstände können insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten.

(15)      Vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände sollte ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätungen oder Annullierungen zu verhindern.“

4        Art. 5 („Annullierung“) dieser Verordnung bestimmt:

„(1)      Bei Annullierung eines Fluges [wird] den betroffenen Fluggästen

c)      vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn, [sie werden über die Annullierung des Fluges unterrichtet]

(3)      Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

…“

5        Art. 7 („Ausgleichsanspruch“) Abs. 1 der Verordnung sieht vor:

„Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:

a)      250 [Euro] bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger,

b)      400 [Euro] bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,

c)      600 [Euro] bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.

…“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

6        Am 2. Juli 2018 schloss J. D. mit dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Luftfahrtunternehmen einen Vertrag über einen Luftbeförderungsdienst für einen Flug von Kraków (Krakau, Polen) nach Chicago (Vereinigte Staaten).

7        Zuvor, nämlich im April 2018, hatte der Hersteller des Triebwerks, mit dem das für diesen Flug vorgesehene Flugzeug ausgestattet war, diesem Luftfahrtunternehmen eine Anweisung und ein Bulletin übermittelt, mit denen das Vorliegen eines versteckten Konstruktionsfehlers offenbart wurde, der die Hochdruckverdichterschaufeln der Triebwerke betraf, mit denen die Flugzeuge des betreffenden Modells ausgestattet waren (im Folgenden: Konstruktionsfehler des Triebwerks). Ferner wurde mit diesen Dokumenten eine Reihe von Beschränkungen für den Einsatz dieser Flugzeuge vorgeschrieben. Das Luftfahrtunternehmen macht geltend, es habe sich ab diesem Zeitpunkt mehrfach an verschiedene Unternehmen gewandt und versucht, zusätzliche Flugzeuge zu chartern, um dem etwaigen Zutagetreten eines Konstruktionsfehlers am Triebwerk eines der Flugzeuge seiner Flotte zu begegnen.

8        Am 28. Juni 2018, d. h. vier Tage vor dem geplanten Flug, kam es bei einem Flug mit dem Flugzeug, das für den von J. D. gebuchten Flug vorgesehen war, zu einer Triebwerksstörung. Gemäß den Empfehlungen des Triebwerksherstellers untersuchte das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Luftfahrtunternehmen das betroffene Triebwerk notfallmäßig und stellte einen Konstruktionsfehler des Triebwerks fest. Nach Rücksprache mit dem Triebwerkshersteller wurde das betroffene Triebwerk außer Betrieb genommen, abmontiert und zur Reparatur an ein Wartungszentrum geschickt. Da aufgrund einer weltweiten Triebwerksknappheit nicht sofort ein Ersatztriebwerk verfügbar war, konnte das schadhafte Triebwerk erst am 5. Juli 2018 ausgetauscht werden, so dass das Flugzeug am darauffolgenden 7. Juli wieder in Betrieb genommen wurde.

9        In diesem Zusammenhang führte das Luftfahrtunternehmen den für den 2. Juli 2018 geplanten Flug an diesem Tag nicht mit dem ursprünglich vorgesehenen Flugzeug, sondern mit einem Ersatzflugzeug durch, das bei der Ankunft eine Verspätung von mehr als drei Stunden gegenüber der ursprünglich geplanten Ankunftszeit hatte.

10      Am 18. Juli 2018 trat J. D. seine Forderung, die sich aus der großen Verspätung bei der Ankunft des Fluges ergab, an die Klägerin des Ausgangsverfahrens ab.

11      Das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Luftfahrtunternehmen lehnte es ab, die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehene Ausgleichszahlung in Höhe von 600 Euro zu leisten, weil die Verspätung bei der Ankunft des betreffenden Fluges darauf zurückzuführen sei, dass der Konstruktionsfehler des Triebwerks entdeckt worden sei. Es habe alle erdenklichen Maßnahmen ergriffen, um jegliche Widrigkeiten in Bezug auf den geplanten Flug zu minimieren. Angesichts dessen rief die Klägerin des Ausgangsverfahrens am 29. März 2019 den Sąd Rejonowy dla m. st. Warszawy w Warszawie (Rayongericht Warschau, Polen) an.

12      Mit Entscheidung vom 3. Dezember 2021 befand dieses erstinstanzliche Gericht, dass der bei der Notinspektion vom 28. Juni 2018 festgestellte Konstruktionsfehler des Triebwerks einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 darstelle und dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe, um für die Durchführung des Fluges ein Ersatzflugzeug vorzusehen.

13      Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin des Ausgangsverfahrens beim Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau, Polen), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein.

14      Das vorlegende Gericht geht von der Prämisse aus, dass der Grund für die Verspätung des betreffenden Fluges im Vorliegen eines am 28. Juni 2018 bei einer Notinspektion des betreffenden Flugzeugs festgestellten Konstruktionsfehlers des Triebwerks liegt. Es hegt jedoch Zweifel in zweierlei Hinsicht.

15      Erstens ist es sich darüber im Unklaren, ob der Konstruktionsfehler des Triebwerks, der dem betreffenden Luftfahrtunternehmen vom Triebwerkshersteller im April 2018 durch Übermittlung einer Anweisung und eines Bulletins offenbart wurde, mit denen eine Reihe von Beschränkungen für den Einsatz des Flugzeugs vorgeschrieben wurde, unter den Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 – wie vom Gerichtshof in den Urteilen vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann (C‑549/07, EU:C:2008:771), vom 17. September 2015, van der Lans (C‑257/14, EU:C:2015:618), und vom 12. März 2020, Finnair (C‑832/18, EU:C:2020:204), ausgelegt – fallen kann, auch wenn das Zutagetreten dieses Fehlers vorhersehbar geworden war.

16      Insoweit hält es das vorlegende Gericht für zweifelhaft, dass der Konstruktionsfehler des Triebwerks zwangsläufig zutage treten musste. Bei den Inspektionen an verschiedenen Flugzeugen sei nämlich kein Riss in der Schaufelbasis festgestellt worden. Außerdem habe der Hersteller des Triebwerks weder die sofortige Außerbetriebnahme aller Flugzeuge empfohlen noch angegeben, dass diese nicht fliegen könnten.

17      In diesem Zusammenhang weist das vorlegende Gericht auch darauf hin, dass Luftfahrtunternehmen besonders strenge technische und administrative Verfahren einhalten müssten. So könne sich ein Luftfahrtunternehmen grundsätzlich nicht darauf berufen, dass es über das Auftreten technischer Probleme bei Flugzeugen, unabhängig von deren Ursache, keine Kontrolle habe, da es alle geeigneten Verfahren befolgen bzw. alle erforderlichen, möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen müsse, um einem Vorkommnis entgegenzuwirken, das zu einer Verspätung oder Annullierung von Flügen führen könnte.

18      Im vorliegenden Fall seien solche Verfahren eingehalten worden, und das Luftfahrtunternehmen sei den Empfehlungen des Triebwerksherstellers gefolgt, indem es Inspektionen im angegebenen Umfang und mit der angegebenen Häufigkeit durchgeführt habe. Somit ließe sich die Auffassung vertreten, dass diese Inspektionen Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens seien. Die Anwendung dieser Verfahren bedeute jedoch nicht, dass die Entdeckung des versteckten Konstruktionsfehlers, den das Triebwerk des betreffenden Flugzeugs aufweise, für das Luftfahrtunternehmen tatsächlich beherrschbar sei.

19      Zweitens fragt das vorlegende Gericht nach der Auslegung des Begriffs „alle zumutbaren Maßnahmen“ (im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004), die von einem Luftfahrtunternehmen erwartet werden können, wenn es mit dem Auftreten „außergewöhnlicher Umstände“ konfrontiert ist. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs führten nämlich nicht alle außergewöhnlichen Umstände zu einer Befreiung, sondern es obliege dem Luftfahrtunternehmen, das sich darauf berufen wolle, darüber hinaus den Nachweis zu führen, dass sich die betreffenden Umstände jedenfalls nicht durch der Situation angepasste Maßnahmen hätten vermeiden lassen, d. h. solche, die zu dem Zeitpunkt, zu dem die entsprechenden Umstände aufträten, für das Unternehmen in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht tragbar seien. Vom Luftfahrtunternehmen könne nicht verlangt werden, dass es Opfer bringe, die angesichts seiner Kapazitäten nicht tragbar seien.

20      Insoweit sei fraglich, welchen Umfang die „zumutbaren Maßnahmen“ präventiver Art hätten, die von einem Luftfahrtunternehmen erwartet werden könnten, wenn die Feststellung eines versteckten Konstruktionsfehlers bei einem seiner Flugzeuge noch ungewiss sei. Es sei zwar zweifelhaft, dass vom Luftfahrtunternehmen im Rahmen dieser „zumutbaren Maßnahmen“ präventiver Art verlangt werden könne, dass es das Triebwerk austausche, bevor der Konstruktionsfehler tatsächlich festgestellt werde, oder dass es das Flugzeug außer Betrieb nehme, bis der Triebwerkshersteller den Konstruktionsfehler des Triebwerks behoben habe. Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass man vom Luftfahrtunternehmen erwarten könne, dass es einen Plan erstelle, um als „Reserve“ über eine Flugzeugflotte mit vollständiger Besatzung zu verfügen, die im Fall des Eintritts außergewöhnlicher Umstände die planmäßigen Flüge durchführen könne.

21      Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass das betreffende Luftfahrtunternehmen seit April 2018 nur acht Anbieter kontaktiert habe, um ein Ersatzflugzeug zu chartern, was nach Ansicht der Klägerin des Ausgangsverfahrens unzureichend sei, da das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Luftfahrtunternehmen es somit unterlassen habe, 18 weitere Luftfahrtunternehmen zu kontaktieren, darunter solche, die das sogenannte „Wet Lease“ praktizierten, d. h. die Vermietung von Flugzeugen mit Besatzung. Darüber hinaus merke die Klägerin des Ausgangsverfahrens an, dass die Bemühungen dieses Luftfahrtunternehmens, ein Ersatzflugzeug zu chartern, im September 2018 erfolgreich gewesen seien, was belege, dass das Unternehmen zu spät auf das wahrscheinliche Zutagetreten eines Konstruktionsfehlers am Triebwerk eines seiner Flugzeuge reagiert habe.

22      Unter diesen Umständen hat der Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Stellt der vom Hersteller entdeckte Konstruktionsfehler eines Flugzeugtriebwerks einen „außergewöhnlichen Umstand“ dar und ist er vom Begriff „unerwartete Mängel“ im Sinne der Erwägungsgründe 14 und 15 der Verordnung Nr. 261/2004 umfasst, wenn das Luftfahrtunternehmen einige Monate vor dem Flug von einem möglichen Konstruktionsfehler Kenntnis hatte?

2.      Falls der in der ersten Frage genannte Konstruktionsfehler einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne der Erwägungsgründe 14 und 15 der Verordnung Nr. 261/2004 darstellt: Ist im Rahmen des Ergreifens „aller zumutbaren Maßnahmen“, die im 14. Erwägungsgrund und in Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 genannt sind, vom Luftfahrtunternehmen zu erwarten, dass es angesichts der wahrscheinlichen Entdeckung eines Konstruktionsfehlers eines Flugzeugtriebwerks auf die Bereithaltung von Ersatzflugzeugen abzielende Präventivmaßnahmen im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ergreift, um von seiner Verpflichtung befreit zu werden, die in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehene Ausgleichszahlung zu leisten?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

23      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass die Entdeckung eines versteckten Konstruktionsfehlers am Triebwerk eines Flugzeugs, mit dem ein Flug durchgeführt werden soll, unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, selbst wenn das Luftfahrtunternehmen vom Hersteller des Triebwerks mehrere Monate vor dem betreffenden Flug über das Vorliegen eines derartigen Fehlers informiert wurde.

24      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. November 2009, Sturgeon u. a., C‑402/07 und C‑432/07, EU:C:2009:716, Rn. 69).

25      Nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit deren Erwägungsgründen 14 und 15 ist das Luftfahrtunternehmen von dieser Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen befreit, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung bzw. die große Ankunftsverspätung auf „außergewöhnliche Umstände“ zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, und wenn es bei Eintritt eines solchen Umstands zudem nachweisen kann, dass es die der Situation angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, indem es alle ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel eingesetzt hat, um zu vermeiden, dass dieser zur Annullierung oder zur großen Verspätung des betreffenden Fluges führt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. März 2021, Airhelp, C‑28/20, EU:C:2021:226, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Da dieser Art. 5 Abs. 3 eine Ausnahme vom Grundsatz des Ausgleichsanspruchs der Fluggäste darstellt, und in Anbetracht des mit der Verordnung Nr. 261/2004 verfolgten Ziels, das nach ihrem ersten Erwägungsgrund darin besteht, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, ist der Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 eng auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. April 2018, Krüsemann u. a., C‑195/17, C‑197/17 bis C‑203/17, C‑226/17, C‑228/17, C‑254/17, C‑274/17, C‑275/17, C‑278/17 bis C‑286/17 und C‑290/17 bis C‑292/17, EU:C:2018:258, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Als „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 werden Vorkommnisse angesehen, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind, wobei diese beiden Bedingungen kumulativ sind und ihr Vorliegen von Fall zu Fall zu beurteilen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. März 2021, Airhelp, C‑28/20, EU:C:2021:226, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Somit stellen technische Störungen als solche, sofern sie nicht die beiden in der vorstehenden Randnummer genannten kumulativen Voraussetzungen erfüllen, keine „außergewöhnlichen Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dar (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann, C‑549/07, EU:C:2008:771, Rn. 25, und vom 12. März 2020, Finnair, C‑832/18, EU:C:2020:204, Rn. 39).

29      Vor diesem Hintergrund ist zu beurteilen, ob es einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 darstellen kann, wenn ein versteckter Konstruktionsfehler eines Flugzeugtriebwerks, der zu einer großen Verspätung bei der Ankunft eines Fluges führt, entdeckt wird und das Luftfahrtunternehmen vom Triebwerkshersteller mehrere Monate vor diesem Flug über das Vorliegen eines solchen Fehlers informiert worden war.

30      Als Erstes ist zu bestimmen, ob es sich bei einem versteckten Konstruktionsfehler, der die in der vorstehenden Randnummer genannten Merkmale aufweist, seiner Natur oder Ursache nach um ein Vorkommnis handeln kann, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens ist.

31      Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass Luftfahrtunternehmen angesichts der besonderen Bedingungen, unter denen der Luftverkehr durchgeführt wird, und des Maßes an technologischer Komplexität der Flugzeuge, das dazu führt, dass der Betrieb von Flugzeugen unausweichlich technische Probleme, Pannen oder das vorzeitige und unerwartete Auftreten von Störungen an bestimmten Teilen eines Flugzeugs mit sich bringt, im Rahmen ihrer Tätigkeit gewöhnlich solchen Problemen gegenüberstehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. April 2019, Germanwings, C‑501/17, EU:C:2019:288, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Daraus folgt, dass die Behebung eines technischen Problems, das aus einer Panne, der mangelhaften Wartung eines Flugzeugs oder dem vorzeitigen und unerwarteten Auftreten von Störungen an bestimmten Teilen eines Flugzeugs resultiert, als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens gilt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann, C‑549/07, EU:C:2008:771, Rn. 25, vom 17. September 2015, van der Lans, C‑257/14, EU:C:2015:618, Rn. 41 und 42, sowie vom 12. März 2020, Finnair, C‑832/18, EU:C:2020:204, Rn. 41).

33      Eine technische Störung ist jedoch nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens und kann daher unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ fallen, wenn der Hersteller der Maschinen, aus denen die Flotte des betroffenen Luftfahrtunternehmens besteht, oder eine zuständige Behörde nach der Inbetriebnahme der Maschinen entdeckt, dass diese einen versteckten Fabrikationsfehler aufweisen, der die Flugsicherheit beeinträchtigt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann, C‑549/07, EU:C:2008:771, Rn. 26, und vom 17. September 2015, van der Lans, C‑257/14, EU:C:2015:618, Rn. 38).

34      Im vorliegenden Fall steht, wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, fest, dass das ursprünglich für die Durchführung des verspäteten Fluges vorgesehene Flugzeug einen versteckten Konstruktionsfehler aufwies, der sämtliche Triebwerke desselben Typs betraf und die Flugsicherheit beeinträchtigte, und dass der Triebwerkshersteller einige Monate, bevor dieser Konstruktionsfehler am betreffenden Flugzeug festgestellt wurde, darauf hingewiesen hatte. Ein solches Vorkommnis ist nach der in der vorstehenden Randnummer angeführten Rechtsprechung nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens.

35      Als Zweites ist zu prüfen, ob die Entdeckung eines versteckten Konstruktionsfehlers des Triebwerks, der die in Rn. 29 des vorliegenden Urteils genannten Merkmale aufweist, als ein Vorkommnis anzusehen ist, das vom betreffenden Luftfahrtunternehmen in keiner Weise tatsächlich beherrschbar ist, d. h. als ein Vorkommnis, das für das Luftfahrtunternehmen überhaupt nicht kontrollierbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. März 2021, Airhelp, C‑28/20, EU:C:2021:226, Rn. 36).

36      Grundsätzlich sind technische Störungen oder Pannen vom Luftfahrtunternehmen zwar tatsächlich beherrschbar, da die Vermeidung bzw. Behebung solcher Störungen und Pannen Teil der Aufgabe des Luftfahrtunternehmens ist, für die Wartung und den reibungslosen Betrieb des von ihm zu wirtschaftlichen Zwecken genutzten Flugzeugs zu sorgen (Urteil vom 17. September 2015, van der Lans, C‑257/14, EU:C:2015:618, Rn. 43). Anders verhält es sich jedoch bei einem versteckten Konstruktionsfehler des Triebwerks eines Flugzeugs.

37      Auch wenn das Luftfahrtunternehmen für die Wartung und den reibungslosen Betrieb des von ihm zu wirtschaftlichen Zwecken genutzten Flugzeugs zu sorgen hat, ist zum einen nämlich fraglich, ob in dem Fall, dass ein versteckter Konstruktionsfehler vom Hersteller des betreffenden Flugzeugs, vom Hersteller des Triebwerks oder auch von der zuständigen Behörde erst nach der Inbetriebnahme dieses Flugzeugs aufgedeckt wird, dieses Luftfahrtunternehmen tatsächlich über die Kompetenz verfügt, den Fehler ausfindig zu machen und zu beheben, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass das Zutagetreten eines solchen Fehlers für das Unternehmen kontrollierbar ist.

38      Zum anderen ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004, dass Vorkommnisse mit im Hinblick auf das Luftfahrtunternehmen „interner“ Ursache von solchen mit „externer“ Ursache zu unterscheiden sind und nur Vorkommnisse der letzteren Art vom Luftfahrtunternehmen möglicherweise nicht tatsächlich beherrschbar sind. Unter den Begriff „Vorkommnisse mit externer Ursache“ fallen solche, die auf die Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens und auf äußere Umstände zurückzuführen sind, die in der Praxis mehr oder weniger häufig vorkommen, aber vom Luftfahrtunternehmen nicht beherrschbar sind, weil sie auf die Handlung eines Dritten, etwa eines anderen Luftfahrtunternehmens oder einer öffentlichen oder privaten Stelle, zurückgehen, die in den Flug- oder den Flughafenbetrieb eingreifen (Urteil vom 7. Juli 2022, SATA International – Azores Airlines [Ausfall des Betankungssystems], C‑308/21, EU:C:2022:533, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Im vorliegenden Fall ist daher zu prüfen, ob die vor dem betreffenden verspäteten Flug erfolgte Meldung oder Anerkenntnis des Triebwerksherstellers, dass ein versteckter, womöglich die Flugsicherheit beeinträchtigender Konstruktionsfehler eines Flugzeugtriebwerks vorliegt, die Handlung eines in den Flugbetrieb des Luftfahrtunternehmens eingreifenden Dritten darstellen und somit ein Vorkommnis mit externer Ursache sein kann.

40      Insoweit ist klarzustellen, dass sich aus der in den Rn. 33 und 38 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung nicht ergibt, dass der Gerichtshof die Einstufung eines versteckten Konstruktionsfehlers als „außergewöhnlichen Umstand“ von der Voraussetzung abhängig gemacht hätte, dass der Flugzeughersteller, der Triebwerkshersteller oder die zuständige Behörde das Vorliegen dieses Fehlers vor dem Auftreten der dadurch verursachten technischen Störung aufgedeckt hat. Auf den Zeitpunkt, zu dem der Zusammenhang zwischen der technischen Störung und dem versteckten Konstruktionsfehler vom Flugzeughersteller, vom Triebwerkshersteller oder von der zuständigen Behörde aufgedeckt wird, kommt es nämlich nicht an, sofern der versteckte Konstruktionsfehler zum Zeitpunkt der Annullierung oder der großen Verspätung des Fluges vorlag und das Luftfahrtunternehmen über keine Kontrollmittel verfügte, um diesen Fehler zu beheben.

41      Die Einstufung einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden als „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 steht im Einklang mit dem Ziel dieser Verordnung, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, wie es in ihrem ersten Erwägungsgrund heißt. Dieses Ziel impliziert nämlich, dass für Luftfahrtunternehmen keine Anreize geschaffen werden sollten, die aufgrund eines solchen Vorfalls erforderlichen Maßnahmen zu unterlassen, indem sie der Aufrechterhaltung und der Pünktlichkeit ihrer Flüge einen höheren Stellenwert einräumen als deren Sicherheit (vgl. entsprechend Urteile vom 4. Mai 2017, Pešková und Peška, C‑315/15, EU:C:2017:342, Rn. 25, sowie vom 4. April 2019, Germanwings, C‑501/17, EU:C:2019:288, Rn. 28).

42      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass die Entdeckung eines versteckten Konstruktionsfehlers am Triebwerk eines Flugzeugs, mit dem ein Flug durchgeführt werden soll, unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, selbst wenn das Luftfahrtunternehmen vom Hersteller des Triebwerks mehrere Monate vor dem betreffenden Flug über das Vorliegen eines derartigen Fehlers informiert wurde.

 Zur zweiten Frage

43      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein Luftfahrtunternehmen im Rahmen „aller zumutbaren Maßnahmen“, die es zu ergreifen hat, um den Eintritt und die Folgen eines „außergewöhnlichen Umstands“ im Sinne dieser Bestimmung, wie etwa die Entdeckung eines versteckten Konstruktionsfehlers des Triebwerks eines seiner Flugzeuge, zu vermeiden, eine vorbeugende Maßnahme ergreifen muss, die darin besteht, eine Flotte von Ersatzflugzeugen in Reserve zu halten.

44      Wie in Rn. 25 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ist das Luftfahrtunternehmen bei Eintritt eines „außergewöhnlichen Umstands“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 nur dann von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen an die Fluggäste nach Art. 7 dieser Verordnung befreit, wenn es nachweisen kann, dass es die der Situation angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, d. h. solche, die zu dem Zeitpunkt, zu dem die entsprechenden „außergewöhnlichen Umstände“ auftreten, für das Unternehmen insbesondere in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht tragbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann, C‑549/07, EU:C:2008:771, Rn. 40, und vom 4. April 2019, Germanwings, C‑501/17, EU:C:2019:288, Rn. 31).

45      Das Unternehmen hat nachzuweisen, dass es ihm auch unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel offensichtlich nicht möglich gewesen wäre, ohne angesichts seiner Kapazitäten zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbare Opfer die außergewöhnlichen Umstände zu vermeiden, mit denen es konfrontiert war und die zur Annullierung bzw. großen Verspätung des Fluges geführt haben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann, C‑549/07, EU:C:2008:771, Rn. 41, und vom 4. Mai 2017, Pešková und Peška, C‑315/15, EU:C:2017:342, Rn. 29).

46      Der Gerichtshof geht demnach von einer flexiblen, vom Einzelfall abhängigen Bedeutung des Begriffs „zumutbare Maßnahmen“ aus, und es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob in einem konkreten Fall angenommen werden kann, dass das Luftfahrtunternehmen die der Situation angemessenen Maßnahmen getroffen hat, d. h. Maßnahmen, die für das Unternehmen in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht durchführbar waren, als die außergewöhnlichen Umstände aufgetreten sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann, C‑549/07, EU:C:2008:771, Rn. 42, vom 12. Mai 2011, Eglītis und Ratnieks, C‑294/10, EU:C:2011:303, Rn. 30, sowie vom 4. Mai 2017, Pešková und Peška, C‑315/15, EU:C:2017:342, Rn. 30).

47      Folglich kann Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 nicht dahin ausgelegt werden, dass er dem Luftfahrtunternehmen allgemein und undifferenziert als „zumutbare Maßnahmen“ im Sinne dieser Bestimmung vorschreibt, eine bestimmte Präventivmaßnahme zu ergreifen – wie etwa die, eine Flotte von Ersatzflugzeugen und die entsprechende Besatzung in Reserve zu halten, wenn es über das Vorliegen eines vom Triebwerkshersteller festgestellten Konstruktionsfehlers des Triebwerks informiert wird –, um dem Eintritt und den Folgen außergewöhnlicher Umstände vorzubeugen.

48      Um zu beurteilen, ob das Luftfahrtunternehmen „alle zumutbaren Maßnahmen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ergriffen hat, hat das vorlegende Gericht eine Gesamtwürdigung vorzunehmen. Zu berücksichtigen hat es dabei zum einen sämtliche Maßnahmen, die das Luftfahrtunternehmen seit seiner Kenntnisnahme vom Vorliegen eines vom Triebwerkshersteller offenbarten Konstruktionsfehlers des Triebwerks ergriffen hat, und zwar im Verhältnis zur Gesamtheit der Maßnahmen, die es ergreifen konnte, um sich gegen den Eintritt eines solchen außergewöhnlichen Umstands bei einem seiner Flugzeuge zu wappnen, und zum anderen die Schritte, die das Luftfahrtunternehmen, nachdem es diesen Fehler bei einem der Triebwerke des betreffenden Flugzeugs entdeckt hatte, unternommen hat, um die Annullierung oder große Verspätung des betreffenden Fluges zu verhindern.

49      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Mindesterfordernisse an Wartungsarbeiten an einem Flugzeug für sich allein nicht ausreicht, um nachzuweisen, dass ein Luftfahrtunternehmen „alle zumutbaren Maßnahmen“ im Sinne dieser Bestimmung ergriffen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann, C‑549/07, EU:C:2008:771, Rn. 43).

50      In diesem Zusammenhang ist es Sache des vorlegenden Gerichts, im Hinblick auf die finanziellen, materiellen und personellen Mittel des Luftfahrtunternehmens zu beurteilen, ob dieses in der Lage war, Flugzeuge nach den verschiedenen bestehenden Modalitäten, d. h. „Dry Lease“/„Wet Lease“, zur Verstärkung zu chartern, oder ob es unter Berücksichtigung dieser Mittel das Triebwerk im Rahmen eines Reparaturplans vorbeugend austauschen oder das Flugzeug bis zur Reparatur oder zum Austausch des Triebwerks durch den Hersteller außer Betrieb nehmen konnte. Dabei hat das vorlegende Gericht die geringe Verfügbarkeit von Ersatztriebwerken vor dem Hintergrund einer weltweiten Knappheit an Triebwerken sowie die Zeit zu berücksichtigen, die für den Einbau des neuen Triebwerks ab dem Zutagetreten des Konstruktionsfehlers erforderlich war.

51      Schließlich ist in Bezug auf diese Gesamtwürdigung noch darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich nichts dagegenspricht, dass ein Luftfahrtunternehmen, das über das Vorliegen eines Konstruktionsfehlers des Triebwerks und dessen etwaiges Zutagetreten bei einem der von ihm betriebenen Flugzeuge informiert wird, als vorbeugende Maßnahme eine Ersatzflugzeugflotte mit der entsprechenden Besatzung in Reserve halten muss, wenn diese Maßnahme für das Unternehmen technisch, wirtschaftlich und personell tragbar ist, was zu beurteilen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

52      Dagegen ist es ausgeschlossen, zu allen „zumutbaren Maßnahmen“, die von einem Luftfahrtunternehmen erwartet werden können, die von D. in ihren schriftlichen Erklärungen vorgeschlagene Maßnahme zu zählen, nämlich einem Luftfahrtunternehmen vorzuschreiben, sein Flugnetz im Verhältnis zu seiner operativen Kapazität automatisch neu zu dimensionieren. Eine solche Maßnahme kann nämlich im Stadium der Flugplanung bedeuten, dass aufgrund des hypothetischen Zutagetretens eines Konstruktionsfehlers zahlreiche Flüge annulliert oder mit großer Verspätung angesetzt werden, was dem Luftfahrtunternehmen gegebenenfalls Opfer abverlangt, die angesichts seiner Kapazitäten nicht tragbar sind.

53      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein Luftfahrtunternehmen im Rahmen „aller zumutbaren Maßnahmen“, die es zu ergreifen hat, um den Eintritt und die Folgen eines „außergewöhnlichen Umstands“ im Sinne dieser Bestimmung, wie etwa die Entdeckung eines versteckten Konstruktionsfehlers des Triebwerks eines seiner Flugzeuge, zu vermeiden, eine vorbeugende Maßnahme ergreifen kann, die darin besteht, eine Flotte von Ersatzflugzeugen in Reserve zu halten, vorausgesetzt, dass diese Maßnahme angesichts der Kapazitäten des Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt technisch und wirtschaftlich durchführbar ist.

 Kosten

54      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91

ist dahin auszulegen, dass

die Entdeckung eines versteckten Konstruktionsfehlers am Triebwerk eines Flugzeugs, mit dem ein Flug durchgeführt werden soll, unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, selbst wenn das Luftfahrtunternehmen vom Hersteller des Triebwerks mehrere Monate vor dem betreffenden Flug über das Vorliegen eines derartigen Fehlers informiert wurde.

2.      Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004

ist dahin auszulegen, dass

ein Luftfahrtunternehmen im Rahmen „aller zumutbaren Maßnahmen“, die es zu ergreifen hat, um den Eintritt und die Folgen eines „außergewöhnlichen Umstands“ im Sinne dieser Bestimmung, wie etwa die Entdeckung eines versteckten Konstruktionsfehlers des Triebwerks eines seiner Flugzeuge, zu vermeiden, eine vorbeugende Maßnahme ergreifen kann, die darin besteht, eine Flotte von Ersatzflugzeugen in Reserve zu halten, vorausgesetzt, dass diese Maßnahme angesichts der Kapazitäten des Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt technisch und wirtschaftlich durchführbar ist.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Polnisch.