URTEIL DES GERICHTSHOFES
23. November 1999 (1)
„Freier Dienstleistungsverkehr Vorübergehender Ortswechsel von
Arbeitnehmern zur Erfüllung eines Vertrages Beschränkungen“
In den verbundenen Rechtssachen C-369/96 und C-376/96
betreffend dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG)
vom Tribunal correctionnel Huy (Belgien) in den bei diesem anhängigen
Strafverfahren gegen
Jean-Claude Arblade,
Arblade & Fils SARL als zivilrechtlich Haftende (C-369/96)
und
Bernard Leloup,
Serge Leloup,
Sofrage SARL als zivilrechtlich Haftende (C-376/96)
vorgelegte Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und 60 EG-Vertrag (jetzt Artikel 50
EG)
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der
Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida, D. A. O. Edward
(Berichterstatter) und R. Schintgen sowie der Richter J.-P. Puissochet, G. Hirsch,
P. Jann, H. Ragnemalm und M. Wathelet,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
von J.-C. Arblade und der Arblade & Fils SARL (C-369/96) sowie von B.
und S. Leloup und der Sofrage SARL (C-376/96), vertreten durch die
Rechtsanwälte D. Ketchedjian, Paris, und E. Jakhian, Brüssel,
der belgischen Regierung (C-369/96 und C-376/96), vertreten durch
J. Devadder, Conseiller général im Ministerium für Auswärtige
Angelegenheiten, Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit, als
Bevollmächtigten, Beistand: Rechtsanwalt B. van de Walle de Ghelcke,
Brüssel,
der deutschen Regierung (C-369/96 und C-376/96), vertreten durch
Ministerialrat E. Röder und Oberregierungsrat B. Kloke, beide
Bundesministerium für Wirtschaft, als Bevollmächtigte,
der österreichischen Regierung (C-369/96 und C-376/96), vertreten durch
M. Potacs, Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, als
Bevollmächtigten,
der finnischen Regierung (C-369/96), vertreten durch T. Pynnä,
Rechtsberaterin im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als
Bevollmächtigte,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften (C-369/96 und C-376/96), vertreten durch Rechtsberater A. Caeiro und durch M. Patakia,
Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von J.-C. Arblade und der Arblade
& Fils SARL sowie von B. und S. Leloup und der Sofrage SARL, vertreten durch
Rechtsanwalt D. Ketchedjian, der belgischen Regierung, vertreten durch
Rechtsanwalt B. van de Walle de Ghelcke im Beistand von Sozialinspekteur J.-C. Heirman als Sachverständigen, der deutschen Regierung, vertreten durch
E. Röder, der niederländischen Regierung, vertreten durch J. S. van den
Oosterkamp, beigeordneter Rechtsberater im Ministerium für Auswärtige
Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, der finnischen Regierung, vertreten durch
T. Pynnä, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. E. Collins,
Assistant Treasury Solicitor, als Bevollmächtigten im Beistand von D. Wyatt, QC,
und der Kommission, vertreten durch A. Caeiro und M. Patakia, in der Sitzung
vom 19. Mai 1998,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Juni
1998,
folgendes
Urteil
- 1.
- Das Tribunal correctionnel Huy hat dem Gerichtshof mit zwei Urteilen vom 29.
Oktober 1996, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 25. November
(C-369/96) und 26. November 1996 (C-376/96) gemäß Artikel 177 EG-Vertrag
(jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 59 EG-Vertrag
(nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und 60 EG-Vertrag (jetzt Artikel 50 EG) zur
Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Fragen stellen sich in zwei Strafverfahren gegen Jean-Claude Arblade als
Geschäftsführer der Gesellschaft französischen Rechts Arblade & Fils SARL und
diese Gesellschaft selbst als zivilrechtlich Haftende (im folgenden zusammen:
Arblade) (C-369/96) sowie gegen Serge und Bernard Leloup als Geschäftsführer
der Gesellschaft französischen Rechts Sofrage SARL und diese Gesellschaft selbst
als zivilrechtlich Haftende (im folgenden zusammen: Leloup) (C-376/96) wegen
Nichtbeachtung mehrerer im belgischen Recht vorgesehener und durch belgische
Polizei- und Sicherheitsgesetze strafbewehrter Sozialverpflichtungen.
Das nationale Recht
- 3.
- Die Verpflichtungen in bezug auf die Erstellung, Führung und Aufbewahrung der
Personal- und Arbeitsunterlagen, die Mindestvergütung im Baugewerbe und die
Systeme der Schlechtwettermarken und Treuemarken sowie die Mittel zur
Überwachung der Beachtung dieser Verpflichtungen sind in folgenden Vorschriften
geregelt:
Gesetz vom 8. April 1965 zur Einführung von Arbeitsordnungen (Moniteur
belge vom 5. Mai 1965),
Gesetz vom 16. November 1972 über die Kontrolle der Arbeitsbedingungen
(Moniteur belge vom 8. Dezember 1972),
Königliche Verordnung Nr. 5 vom 23. Oktober 1978 über die Führung der
Personalunterlagen (Moniteur belge vom 2. Dezember 1978),
Königliche Verordnung vom 8. August 1980 über die Führung der
Personalunterlagen (Moniteur belge vom 27. August 1980, Err. Moniteur
belge vom 10. und 16. Juni 1981),
im paritätischen Bauausschuß geschlossener Tarifvertrag vom 28. April 1988
über die Vergabe von Treuemarken und Schlechtwettermarken, der durch
Königliche Verordnung vom 15. Juni 1988 für allgemeinverbindlich erklärt
wurde (Moniteur belge vom 7. Juli 1988, S. 9897),
Königliche Verordnung vom 8. März 1990 über die Führung der
Personalkarte des Arbeitnehmers (Moniteur belge vom 27. März 1990) und
im paritätischen Bauausschuß geschlossener Tarifvertrag vom 28. März 1991
über die Arbeitsbedingungen, der durch Königliche Verordnung vom 22.
Juni 1992 für allgemeinverbindlich erklärt wurde (Moniteur belge vom 14.
März 1992, S. 17968).
- 4.
- Mehrere Aspekte dieser Rechtsvorschriften sind für das vorliegende Urteil von
Bedeutung.
- 5.
- Erstens wird eine Überwachung der Einhaltung der Rechtsvorschriften über die
Führung der Personalunterlagen, die Arbeitshygiene und -medizin, den
Arbeitsschutz, die Regelung der Arbeit und die Arbeitsverhältnisse, die Sicherheit
am Arbeitsplatz, die soziale Sicherheit und die Sozialhilfe eingerichtet. Die
Arbeitgeber sind verpflichtet, diese Überwachung nicht zu behindern (Königliche
Verordnung Nr. 5 vom 23. Oktober 1978 und Gesetz vom 16. November 1972).
- 6.
- Zweitens hat aufgrund der Tatsache, daß der Tarifvertrag vom 28. März 1991 durch
Königliche Verordnung für allgemeinverbindlich erklärt wurde, ein Unternehmen
des Baugewerbes, das eine Arbeit in Belgien ausführt, unabhängig davon, ob es
dort ansässig ist, seinen Arbeitnehmern die in diesem Tarifvertrag festgelegte
Mindestvergütung zu zahlen.
- 7.
- Drittens hat ein solches Unternehmen gemäß dem Tarifvertrag vom 28. April 1988,
der ebenfalls durch Königliche Verordnung für verbindlich erklärt wurde, für seine
Arbeitnehmer die Beiträge im Rahmen der Schlechtwetter- und
Treuemarkensysteme zu entrichten.
- 8.
- Dazu hat der Arbeitgeber jedem Arbeitnehmer eine „Personalkarte“ (Artikel 4 §
3 der Königlichen Verordnung Nr. 5 vom 23. Oktober 1978) auszuhändigen. Diese
vorläufige oder endgültige Karte muß die in der Königlichen Verordnung vom
8. März 1990 aufgeführten Angaben enthalten. Sie ist vom Fonds zur Sicherung des
Lebensunterhalts der Bauarbeiter für gültig zu erklären, was nur geschieht, wenn
der Arbeitgeber u. a. alle erforderlichen Beiträge für die Schlechtwetter- und
Treuemarken sowie einen Betrag von 250 BEF für jede vorgelegte Personalkarte
entrichtet hat.
- 9.
- Viertens hat der Arbeitgeber eine Arbeitsordnung aufzustellen, die ihn gegenüber
seinen Arbeitnehmern bindet, und an jedem Ort, an dem er Arbeitnehmer
beschäftigt, eine Kopie davon aufzubewahren (Gesetz vom 8. April 1965).
- 10.
- Fünftens hat der Arbeitnehmer ein „Personalregister“ für alle seine Arbeitnehmer
zu führen (Artikel 3 Absatz 1 der Königlichen Verordnung vom 8. August 1980),
das eine Reihe zwingender Angaben enthält (Artikel 4 bis 7 dieser Verordnung).
- 11.
- Darüber hinaus muß ein Arbeitgeber, der Arbeitnehmer an mehreren Arbeitsorten
beschäftigt, an jedem dieser Orte ein „besonderes Personalregister“ führen, mit
Ausnahme des Ortes, an dem er das „Personalregister“ führt (Artikel 10 der
Königlichen Verordnung vom 8. August 1980). Unter bestimmten Umständen sind
Arbeitgeber, die Arbeitnehmer bei der Durchführung von Bauarbeiten
beschäftigen, von der Führung des besonderen Registers an den Arbeitsorten
befreit, sofern sie für jeden dort beschäftigten Arbeitnehmer ein „persönliches
Dokument“ führen, das die gleichen Angaben enthält wie das besondere Register
(Artikel 11 dieser Verordnung).
- 12.
- Der Arbeitgeber hat ferner für jeden Arbeitnehmer ein „persönliches Konto“ zu
errichten (Artikel 3 Absatz 2 der Königlichen Verordnung vom 8. August 1980).
Dieses Dokument enthält verschiedene zwingende Angaben insbesondere auch
über die Vergütung des Arbeitnehmers (Artikel 13 bis 21 der Königlichen
Verordnung vom 8. August 1990).
- 13.
- Sechstens sind das Personalregister und die persönlichen Konten entweder an
einem der Arbeitsorte oder an der Adresse, unter der der Arbeitgeber in Belgien
bei einer für die Erhebung der Beiträge der sozialen Sicherheit zuständigen
Einrichtung eingetragen ist, oder am Wohn- oder Firmensitz des Arbeitgebers in
Belgien oder mangels eines solchen Sitzes am belgischen Wohnsitz einer
natürlichen Person zu führen, die das Personalregister und die persönlichen Konten
als Bevollmächtigter oder Aufsichtsperson des Arbeitgebers führt. Außerdem hat
der Arbeitgeber den Bezirkschefinspekteur der Inspection des lois sociales
[Kontrollbehörde auf dem Gebiet des Sozialrechts] des Arbeitsministeriums für den
Bezirk, in dem diese Unterlagen geführt werden, vorab durch Einschreiben zu
unterrichten (Artikel 8, 9 und 18 der Königlichen Verordnung vom 8. August 1980).
- 14.
- Nach den Informationen, die die belgische Regierung dem Gerichtshof in der
mündlichen Verhandlung erteilt hat, muß ein Arbeitgeber, der in einem anderen
Mitgliedstaat ansässig ist und Arbeitnehmer in Belgien beschäftigt, auf jeden Fall
einen Bevollmächtigten oder eine Aufsichtsperson bestimmen, die die betreffenden
Unterlagen entweder an einem der Arbeitsorte oder an seinem Wohnsitz in Belgien
führt.
- 15.
- Siebtens hat der Arbeitgeber die Personalunterlagen (Personalregister und
persönliche Konten) fünf Jahre lang im Original oder in reproduzierter Form
entweder an der Adresse, unter der er in Belgien bei einer für die Erhebung der
Beiträge der sozialen Sicherheit zuständigen Einrichtung eingetragen ist, oder am
Sitz des Secrétariat social agréé d'employeurs [zugelassenes Sozialsekretariat für
Arbeitgeber], dem er angeschlossen ist, oder am Wohn- oder Firmensitz des
Arbeitgebers in Belgien oder mangels eines solchen Sitzes am belgischen Wohnsitz
einer natürlichen Person aufzubewahren, die diese Unterlagen als Bevollmächtigter
oder Aufsichtsperson des Arbeitgebers führt. Beschäftigt der Arbeitgeber jedoch
keine Arbeitnehmer mehr in Belgien, so hat er diese Unterlagen an seinem Wohn-
oder Firmensitz in Belgien oder mangels eines solchen Sitzes am belgischen
Wohnsitz einer natürlichen Person aufzubewahren. Der Arbeitgeber hat den
Bezirkschefinspekteur der Inspection des lois sociales des Arbeitsministeriums für
den Bezirk, in dem diese Unterlagen aufbewahrt werden, vorab zu unterrichten
(Artikel 22 bis 25 der Königlichen Verordnung vom 8. August 1980).
- 16.
- Die Verpflichtungen bezüglich der Aufbewahrung der Personalunterlagen entstehen
erst, wenn der in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Arbeitgeber keine
Arbeitnehmer mehr in Belgien beschäftigt.
- 17.
- Achtens sind bei einem Verstoß gegen die genannten Vorschriften Strafen
vorgesehen in Artikel 11 der Königlichen Verordnung Nr. 5 vom 23. Oktober 1978,
Artikel 25 Nummer 1 des Gesetzes vom 8. April 1965, Artikel 15 Nummer 2 des
Gesetzes vom 16. November 1972, in den Artikeln 56 und 57 des Gesetzes vom 5.
Dezember 1968 über die Tarifverträge und paritätischen Ausschüsse und in Artikel
16 Nummer 1 des Gesetzes vom 7. Januar 1958, geändert durch das Gesetz vom
18. Dezember 1968 über die Fonds zur Sicherung des Lebensunterhalts.
- 18.
- Schließlich sind sämtliche Rechtsvorschriften zur Regelung des Schutzes der
Arbeitnehmer Polizei- und Sicherheitsgesetze im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 des
belgischen Zivilgesetzbuchs, denen somit alle Personen unterliegen, die sich imbelgischen Hoheitsgebiet aufhalten.
Die Ausgangsverfahren
- 19.
- Arblade und Leloup führten Arbeiten zur Errichtung eines Silokomplexes für die
Lagerung von weißem Kristallzucker mit einem Fassungsvermögen von 40 000
Tonnen auf dem Gelände der Sucrerie Tirlemontoise in Wanze (Belgien) durch.
- 20.
- Dazu entsandte Arblade vom 1. Januar bis 31. Mai 1992 und vom 26. April bis 15.
Oktober 1993 insgesamt siebzehn Arbeitnehmer auf diese Baustelle. Auch Leloup
entsandte vom 1. Januar bis 31. Dezember 1991, vom 1. März bis 31. Juli 1992 und
vom 1. März bis 31. Oktober 1993 neun Arbeitnehmer dorthin.
- 21.
- Bei Kontrollen auf dieser Baustelle im Jahr 1993 verlangten die Dienststellen der
belgischen Inspection des lois sociales von Arblade und Leloup die Vorlage
verschiedener im belgischen Recht vorgesehener Personalunterlagen.
- 22.
- Arblade und Leloup hielten sich nicht für verpflichtet, die verlangten Unterlagen
vorzulegen. Sie machten geltend, daß sie sämtlichen französischen
Rechtsvorschriften nachgekommen seien und daß die betreffenden belgischen
Rechtsvorschriften gegen die Artikel 59 und 60 des Vertrages verstießen. Jedenfalls
legte Leloup am 2. Dezember 1993 das gemäß den Bestimmungen des
französischen Rechts geführte Personalregister vor.
- 23.
- Gegen Arblade und Leloup wurden wegen Nichtbeachtung der genannten
Verpflichtungen nach dem belgischen Recht Strafverfahren beim Tribunal
correctionnel Huy eingeleitet.
- 24.
- Da das Tribunal correctionnel Huy der Auffassung ist, daß in beiden Fällen eine
Auslegung des Gemeinschaftsrechts erforderlich sei, hat es das Verfahren
ausgesetzt und dem Gerichtshof in der Rechtssache C-369/98 folgende Fragen
vorgelegt:
1. Sind die Artikel 59 und 60 des Vertrages dahin auszulegen, daß sie es einem
Mitgliedstaat verbieten, ein Unternehmen, das in einem anderen
Mitgliedstaat ansässig ist und vorübergehend Arbeiten im ersten Staat
ausführt, zu verpflichten,
a) die Personalunterlagen (Personalregister und persönliches Konto) am
belgischen Wohnsitz einer natürlichen Person aufzubewahren, die
diese Unterlagen als Bevollmächtigter oder Aufsichtsperson führt,
b) seinen Arbeitnehmern die tarifvertraglich festgelegte
Mindestvergütung zu zahlen,
c) ein besonderes Personalregister zu führen,
d) jedem Arbeitnehmer eine Personalkarte auszuhändigen,
e) einen Bevollmächtigten oder eine Aufsichtsperson zu bestimmen,
deren Aufgabe die Führung der persönlichen Konten der
Beschäftigten ist,
f) Beiträge für Schlechtwettermarken und Treuemarken für jeden
Arbeitnehmer zu zahlen,
obwohl dieses Unternehmen bereits in dem Staat, in dem es ansässig ist, für
dieselben Arbeitnehmer und dieselben Beschäftigungszeiten Verpflichtungen
unterliegt, die, wenn nicht gleich, so doch zumindest im Hinblick auf ihren
Zweck vergleichbar sind?
2. Können die Artikel 59 und 60 des Vertrages vom 25. März 1957 zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft die Anwendung von Artikel 3
Absatz 1 des Zivilgesetzbuchs über die belgischen Polizei- und
Sicherheitsgesetze ausschließen?
- 25.
- Auch in der Rechtssache C-376/96 hat das nationale Gericht das Verfahren
ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen vorgelegt:
1. Sind die Artikel 59 und 60 des Vertrages dahin auszulegen, daß sie es einem
Mitgliedstaat verbieten, ein Unternehmen, das in einem anderen
Mitgliedstaat ansässig ist und vorübergehend Arbeiten im ersten Staat
ausführt, zu verpflichten,
a) einen Bevollmächtigten oder eine Aufsichtsperson zu bestimmen,
deren Aufgabe die Führung der persönlichen Konten der
Beschäftigten ist, die dort Dienstleistungen erbringen,
b) die Überwachung gemäß den Rechtsvorschriften dieses Staates über
die Führung von Personalunterlagen nicht zu behindern,
c) die Überwachung gemäß den Rechtsvorschriften dieses Staates über
die soziale Kontrolle nicht zu behindern,
d) für jeden Arbeitnehmer ein persönliches Konto einzurichten,
e) ein besonderes Personalregister zu führen,
f) eine Arbeitsordnung aufzustellen,
g) die Personalunterlagen (Personalregister und persönliches Konto) am
belgischen Wohnsitz einer natürlichen Person aufzubewahren, die
diese Unterlagen als Bevollmächtigter oder Aufsichtsperson führt,
h) jedem Arbeitnehmer eine Personalkarte auszuhändigen,
obwohl dieses Unternehmen bereits in dem Staat, in dem es ansässig ist, für
dieselben Arbeitnehmer und dieselben Beschäftigungszeiten Verpflichtungen
unterliegt, die, wenn nicht gleich, so doch zumindest im Hinblick auf ihren
Zweck vergleichbar sind?
2. Können die Artikel 59 und 60 des Vertrages vom 25. März 1957 zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft die Anwendung von Artikel 3
Absatz 1 des Zivilgesetzbuchs über die belgischen Polizei- und
Sicherheitsgesetze ausschließen?
- 26.
- Mit Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 6. Juni 1997 sind die beiden
Rechtssachen zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und gemeinsamer
Entscheidung verbunden worden.
- 27.
- Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht
im wesentlichen wissen, ob die Artikel 59 und 60 des Vertrages es ausschließen,
daß ein Mitgliedstaat einem Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat
ansässig ist und vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt, auch durch
Polizei- und Sicherheitsgesetze vorschreibt,
den von ihm entsandten Arbeitnehmern die Mindestvergütung zu zahlen,
die in dem im Aufnahmemitgliedstaat für die durchgeführten Tätigkeiten
geltenden Tarifvertrag festgelegt ist, für jeden dieser Arbeitnehmer die
Arbeitgeberbeiträge für Schlechtwetter- und Treuemarken zu entrichten und
jedem von ihnen eine Personalkarte auszuhändigen,
eine Arbeitsordnung, ein besonderes Personalregister und für jeden
entsandten Arbeitnehmer ein persönliches Konto zu erstellen,
dafür zu sorgen, daß die Personalunterlagen (Personalregister und
persönliche Konten) der Arbeitnehmer, die in den Mitgliedstaat, in dem die
Leistung erbracht wird, entsandt werden, an dem in diesem Aufnahmestaat
gelegenen Wohnsitz einer natürlichen Person geführt und aufbewahrt
werden, die diese Unterlagen als Bevollmächtigter oder Aufsichtsperson
führt,
obwohl dieses Unternehmen bereits in dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig ist,
für dieselben Arbeitnehmer und dieselben Beschäftigungszeiten im Hinblick auf
ihren Zweck vergleichbaren Verpflichtungen unterliegt.
Vorbemerkungen
- 28.
- Die belgische Regierung macht geltend, daß bei der Auslegung der Artikel 59 und
60 des Vertrages die Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im
Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1) herangezogen
werden müsse, da sie den gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts im Bereich
zwingender Bestimmungen über einen Mindestschutz konkretisiere und dieses
Recht kodifiziere.
- 29.
- Die Richtlinie 96/71 war aber zur Zeit der Ereignisse der Ausgangsverfahren nicht
in Kraft. Das Gemeinschaftsrecht verwehrt es dem vorlegenden Gericht jedoch
nicht, für die Zwecke der Anwendung des nationalen Rechts nach einem Grundsatz
seines Strafrechts die günstigeren Bestimmungen der Richtlinie 96/71 zu
berücksichtigen, auch wenn das Gemeinschaftsrecht keine dahin gehende
Verpflichtung enthält (vgl. Urteil vom 29. Oktober 1998 in der Rechtssache C-230/97, Awoyemi, Slg. 1998, I-6781, Randnr. 38).
- 30.
- Was die zweite Frage in beiden Rechtssachen bezüglich der im belgischen Recht
vorgenommenen Qualifizierung der streitigen Vorschriften als Polizei- und
Sicherheitsgesetze betrifft, so sind unter diesem Begriff nationale Vorschriften zu
verstehen, deren Einhaltung als so entscheidend für die Wahrung der politischen,
sozialen oder wirtschaftlichen Organisation des betreffenden Mitgliedstaats
angesehen wird, daß ihre Beachtung für alle Personen, die sich im nationalen
Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats befinden, und für jedes dort lokalisierte
Rechtsverhältnis vorgeschrieben ist.
- 31.
- Die Tatsache, daß nationale Vorschriften zur Kategorie der Polizei- und
Sicherheitsgesetze gehören, nimmt sie nicht von der Beachtung der Bestimmungen
des Vertrages aus; andernfalls würden der Vorrang und die einheitliche
Anwendung des Gemeinschaftsrechts mißachtet. Die Motive, die derartigen
nationalen Rechtsvorschriften zugrunde liegen, können vom Gemeinschaftsrecht
nur als Ausnahmen von den im Vertrag ausdrücklich vorgesehenen
Gemeinschaftsfreiheiten und gegebenenfalls als zwingende Gründe des
Allgemeininteresses berücksichtigt werden.
Zu den Vorlagefragen
- 32.
- Es steht fest, daß sich Arblade und Leloup, die in Frankreich ansässig sind, im
Sinne der Artikel 59 und 60 des Vertrages in einen anderen Mitgliedstaat, nämlich
Belgien, begeben haben, um dort vorübergehende Tätigkeiten auszuüben, und daß
sie ihre Tätigkeiten nicht vollständig oder hauptsächlich auf diesen Staat
ausgerichtet haben, um sich den Vorschriften zu entziehen, die auf sie anwendbar
wären, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Staates ansässig wären.
- 33.
- Nach ständiger Rechtsprechung verlangt Artikel 59 des Vertrages nicht nur die
Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen
Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung
aller Beschränkungen selbst wenn sie unterschiedslos für inländische
Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten , sofern sie
geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen
Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt,
zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (vgl. Urteile vom
25. Juli 1991 in der Rechtssache C-76/90, Säger, Slg. 1991, I-4221, Randnr. 12, vom
9. August 1994 in der Rechtssache C-43/93, Vander Elst, Slg. 1994, I-3803, Randnr.
14, vom 28. März 1996 in der Rechtssache C-272/94, Guiot, Slg. 1996, I-1905,
Randnr. 10, vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache C-3/95, Reisebüro Broede,
Slg. 1996, I-6511, Randnr. 25, und vom 9. Juli 1997 in der Rechtssache C-222/95,
Parodi, Slg. 1997, I-3899, Randnr. 18).
- 34.
- Auch wenn eine Harmonisierung in diesem Bereich fehlt, so darf der freie
Dienstleistungsverkehr als fundamentaler Grundsatz des Vertrages doch nur durch
Regelungen beschränkt werden, die durch zwingende Gründe des
Allgemeininteresses gerechtfertigt sind und für alle im Hoheitsgebiet des
Aufnahmemitgliedstaats tätigen Personen oder Unternehmen gelten, soweit dieses
Interesse nicht durch die Vorschriften geschützt wird, denen der Dienstleistende in
dem Mitgliedstaat unterliegt, in dem er ansässig ist (vgl. u. a. Urteile vom 17.
Dezember 1981 in der Rechtssache 279/80, Webb, Slg. 1981, 3305, Randnr. 17, vom
26. Februar 1991 in der Rechtssache C-180/89, Kommission/Italien, Slg. 1991, I-709,
Randnr. 17, und in der Rechtssache C-198/89, Kommission/Griechenland, Slg. 1991,
I-727, Randnr. 18, sowie Urteile Säger, Randnr. 15, Vander Elst, Randnr. 16, und
Guiot, Randnr. 11).
- 35.
- Die Anwendung der nationalen Regelungen eines Mitgliedstaats auf die in anderen
Mitgliedstaaten niedergelassenen Dienstleistenden muß geeignet sein, die
Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und darf nicht
über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (vgl. u. a.
Urteil Säger, Randnr. 15, Urteile vom 31. März 1993 in der Rechtssache C-19/92,
Kraus, Slg. 1993, I-1663, Randnr. 32, vom 30. November 1995 in der Rechtssache
C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 37, und Urteil Guiot, Randnrn. 11
und 13).
- 36.
- Zu den bereits vom Gerichtshof anerkannten zwingenden Gründen des
Allgemeininteresses gehört der Schutz der Arbeitnehmer (vgl. Urteil Webb,
Randnr. 19, sowie Urteile vom 3. Februar 1982 in den Rechtssachen 62/81 und
63/81, Seco und Desquenne & Giral, Slg. 1982, 223, Randnr. 14, und vom 27. März
1990 in der Rechtssache C-113/89, Rush Portuguesa, Slg. 1990, I-1417, Randnr. 18),
insbesondere auch der soziale Schutz der Arbeitnehmer des Baugewerbes (Urteil
Guiot, Randnr. 16).
- 37.
- Rein administrative Erwägungen können es dagegen nicht rechtfertigen, daß ein
Mitgliedstaat von den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts abweicht, was erst
recht dann gilt, wenn die Abweichung darauf hinausläuft, die Ausübung einer der
Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts auszuschließen oder einzuschränken (vgl.
u. a. Urteil vom 26. Januar 1999 in der Rechtssache C-18/95, Terhoeve, Slg. 1999,
I-345, Randnr. 45).
- 38.
- Jedoch können die zwingenden Gründe des Allgemeininteresses, die diemateriell-rechtlichen Bestimmungen einer Regelung rechtfertigen, auch die
Kontrollmaßnahmen rechtfertigen, die erforderlich sind, um die Beachtung dieser
Bestimmungen sicherzustellen (in diesem Sinne Urteil Rush Portuguesa, Randnr.
18).
- 39.
- Somit ist nacheinander zu prüfen, ob die Anforderungen einer nationalen Regelung
wie der der Ausgangsverfahren restriktive Auswirkungen auf den freien
Dienstleistungsverkehr haben und ob gegebenenfalls in dem betreffenden
Tätigkeitsbereich zwingende Gründe des Allgemeininteresses derartige
Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen. Ist dies der Fall,
so ist außerdem zu prüfen, ob dieses Interesse nicht bereits durch die Vorschriften
des Mitgliedstaats, in dem der Dienstleistende ansässig ist, geschützt wird und ob
das gleiche Ergebnis nicht durch weniger einschränkende Vorschriften erreicht
werden kann (vgl. u. a. Urteile Säger, Randnr. 15, Kraus, Randnr. 32, Gebhard,
Randnr. 37, Guiot, Randnr. 13, und Reisebüro Broede, Randnr. 28).
- 40.
- In diesem Kontext sind die in den Vorlagefragen genannten verschiedenen
Verpflichtungen in folgender Reihenfolge zu prüfen:
die Zahlung der Mindestvergütung,
die Beiträge für die Schlechtwetter- und Treuemarkensysteme sowie die
Erstellung der Personalkarten,
die Führung der Personalunterlagen und
die Aufbewahrung der Personalunterlagen.
Zur Zahlung der Mindestvergütung
- 41.
- Was die Verpflichtung des dienstleistenden Arbeitgebers betrifft, den von ihm
entsandten Arbeitnehmern die Mindestvergütung zu zahlen, die in einem im
Aufnahmemitgliedstaat für die ausgeführten Tätigkeiten geltenden Tarifvertrag
festgelegt ist, so ist daran zu erinnern, daß das Gemeinschaftsrecht es den
Mitgliedstaaten nicht verwehrt, ihre Rechtsvorschriften oder die von den
Sozialpartnern geschlossenen Tarifverträge über Mindestlöhne unabhängig davon,
in welchem Land der Arbeitgeber ansässig ist, auf alle Personen zu erstrecken, die
in ihrem Hoheitsgebiet, und sei es auch nur vorübergehend, eine unselbständige
Erwerbstätigkeit ausüben, und daß das Gemeinschaftsrecht es den Mitgliedstaaten
ebensowenig verwehrt, die Beachtung dieser Bestimmungen mit den geeigneten
Mitteln durchzusetzen (Urteile Seco und Desquenne & Giral, Randnr. 14, Rush
Portuguesa, Randnr. 18, und Guiot, Randnr. 12).
- 42.
- Folglich können die Rechtsvorschriften oder Tarifverträge eines Mitgliedstaats, die
einen Mindestlohn garantieren, grundsätzlich auf die Arbeitgeber, die im
Hoheitsgebiet dieses Staates Dienstleistungen erbringen, angewandt werden,
unabhängig davon, in welchem Land sie ansässig sind.
- 43.
- Damit jedoch die Strafverfolgung eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen
Arbeitgebers bei einem Verstoß gegen diese Bestimmungen gerechtfertigt ist,
müssen diese hinreichend genau und zugänglich sein, um einem solchen
Arbeitgeber in der Praxis die Feststellung, welche Verpflichtungen er beachten
müßte, nicht unmöglich oder übermäßig schwer zu machen. Die zuständige
Behörde, im vorliegenden Fall die belgische Inspection des lois sociales, hat, wenn
sie Anzeige bei den Strafinstanzen erstattet, die Verpflichtungen eindeutig
anzugeben, deren Nichtbeachtung dem Arbeitgeber vorgeworfen wird.
- 44.
- Das nationale Gericht hat daher im Licht dieser Erwägungen zu prüfen, welches
die einschlägigen Bestimmungen seines nationalen Rechts sind, die auf einen
Arbeitgeber eines anderen Mitgliedstaats angewandt werden können, und
gegebenenfalls auch, welchen Mindestlohn sie festlegen.
- 45.
- Insoweit sind die belgische und die österreichische Regierung der Auffassung, daß
die Vorteile, die den Arbeitnehmern durch die im Tarifvertrag vom 28. April 1988
vorgesehenen Treue- und Schlechtwettermarkensysteme gewährt würden, einen Teil
des Jahresmindesteinkommens des Bauarbeiters im Sinne der belgischen
Rechtsvorschriften darstellten.
- 46.
- Aus den Akten geht jedoch hervor, daß nur Arblade wegen Nichtzahlung des im
Tarifvertrag von 28. März 1991 vorgesehenen Mindestlohns an ihre Arbeitnehmer
verfolgt wurde und daß der Tarifvertrag vom 28. April 1988 in Artikel 4 Nummer 1
den Beitrag für die Schlechtwetter- und Treuemarken auf der Grundlage von
100 % des Bruttolohns des Arbeiters festlegt. Da der im Rahmen der Treue- und
Schlechtwettermarkensysteme geschuldete Betrag nach dem Mindestbruttolohn
berechnet wird, kann er nicht Bestandteil dieses Lohnes sein.
- 47.
- Unter diesen Umständen scheint es ausgeschlossen was das nationale Gericht zu
bestätigen hat , daß die den Arbeitnehmern durch die Treue- und
Schlechtwettermarkensysteme gewährten Vorteile ein Element darstellen, das in die
Bestimmung des Mindestlohns eingeht, dessen Nichtzahlung Arblade vorgeworfen
wird.
Zum Beitrag für die Schlechtwetter- und Treuemarkensysteme sowie zur Erstellung der
Personalkarten
- 48.
- Was die Verpflichtung zur Entrichtung von Arbeitgeberbeiträgen für die belgischen
Schlechtwetter- und Treuemarkensysteme betrifft, so geht aus den Vorlageurteilen
und insbesondere aus dem Wortlaut der ersten Vorlagefrage in beiden
Rechtssachen hervor, daß Arblade und Leloup bereits in dem Staat, in dem sie
ansässig sind, für dieselben Arbeitnehmer und dieselben Beschäftigungszeiten
Verpflichtungen unterliegen, die, wenn nicht gleich, so doch zumindest im Hinblick
auf ihren Zweck vergleichbar sind.
- 49.
- Die belgische Regierung macht geltend, daß das vorlegende Gericht nicht
festgestellt habe, ob derartige Verpflichtungen im Niederlassungsmitgliedstaat
bestünden. Der Gerichtshof hat jedoch von der vom vorlegenden Gericht
angenommenen Hypothese auszugehen, daß das dienstleistende Unternehmen
bereits in dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig ist, im Hinblick auf ihren Zweck
vergleichbaren Verpflichtungen unterliegt.
- 50.
- Eine nationale Regelung, die den als Dienstleistenden im Sinne des Vertrages
handelnden Arbeitgeber verpflichtet, zusätzlich zu den bereits von ihm an den
Fonds des Mitgliedstaats, in dem er ansässig ist, abgeführten Beiträgen
Arbeitgeberbeiträge an den Fonds des Aufnahmemitgliedstaats zu entrichten, stellt
eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Eine solche
Verpflichtung verursacht nämlich den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen
Unternehmen zusätzliche administrative und wirtschaftliche Kosten und
Belastungen, so daß diese Unternehmen den im Aufnahmemitgliedstaat ansässigen
Arbeitgebern unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs nicht gleichgestellt sind
und somit von der Erbringung von Dienstleistungen im Aufnahmemitgliedstaat
abgehalten werden können.
- 51.
- Es ist anzuerkennen, daß das mit dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer des
Baugewerbes und mit der Kontrolle der Gewährleistung dieses Schutzes
verbundene Allgemeininteresse wegen der besonderen Bedingungen in diesem
Gewerbe ein zwingender Grund sein kann, der es rechtfertigt, daß einem
Arbeitgeber, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und im
Aufnahmemitgliedstaat Dienstleistungen erbringt, Verpflichtungen auferlegt
werden, die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen können.
Dies ist jedoch dann nicht der Fall, wenn die Arbeitnehmer des betreffenden
Arbeitgebers, die vorübergehend im Aufnahmemitgliedstaat Arbeiten ausführen,
aufgrund der Verpflichtungen, denen der Arbeitgeber bereits im Mitgliedstaat
seiner Niederlassung unterliegt, den gleichen oder einen im wesentlichen
vergleichbaren Schutz genießen (in diesem Sinne Urteile Guiot, Randnrn. 16 und
17).
- 52.
- Außerdem kann eine Verpflichtung des Dienstleistungserbringers zur Zahlung von
Arbeitgeberbeiträgen an den Fonds des Aufnahmemitgliedstaats nicht gerechtfertigt
sein, wenn diese Beiträge für die betreffenden Arbeitnehmer keinen Anspruch auf
eine soziale Vergünstigung begründen (vgl. Urteil Seco und Desquenne & Giral,
Randnr. 15).
- 53.
- Das nationale Gericht hat daher zu prüfen, ob die im Aufnahmemitgliedstaat
verlangten Beiträge für die betreffenden Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine
soziale Vergünstigung begründen und ob die Arbeitnehmer im
Niederlassungsmitgliedstaat aufgrund der vom Arbeitgeber bereits in diesem Staat
entrichteten Arbeitgeberbeiträge einen Schutz genießen, der im wesentlichen mit
dem in der Regelung des Mitgliedstaats, in dem die Dienstleistungen erbracht
werden, vorgesehenen Schutz vergleichbar ist.
- 54.
- Nur wenn die Arbeitgeberbeiträge an den Fonds des Aufnahmemitgliedstaats den
Arbeitnehmern einen Vorteil verschaffen würden, der ihnen einen tatsächlichen
zusätzlichen Schutz gewähren könnte, der ihnen andernfalls nicht zuteil würde,
könnte ihre Zahlung gerechtfertigt sein, aber auch nur dann, wenn die gleichen
Beiträge von allen Dienstleistenden verlangt würden, die im nationalen
Hoheitsgebiet auf dem betreffenden Sektor tätig sind.
- 55.
- Was schließlich die im belgischen Recht vorgesehene Verpflichtung betrifft, jedem
Arbeitnehmer eine Personalkarte auszuhändigen, so hängt sie eigentlich mit der im
Tarifvertrag vom 28. April 1988 vorgesehenen Verpflichtung zur Entrichtung der
Beiträge für die Schlechtwetter- und Treuemarken zusammen. Unterliegt das
Unternehmen für dieselben Arbeitnehmer und dieselben Beschäftigungszeiten in
dem Staat, in dem es ansässig ist, bereits Verpflichtungen, die im Hinblick auf ihren
Zweck mit den Verpflichtungen im Rahmen der Schlechtwetter- und
Treuemarkensysteme im wesentlichen vergleichbar sind, so braucht es den
entsandten Arbeitnehmern nur die gleichwertigen Unterlagen auszuhändigen, die
es nach den Rechtsvorschriften des Niederlassungsmitgliedstaats auszuhändigen hat.
Sieht die Regelung des Niederlassungsstaats nicht die Aushändigung von
Unterlagen an die Beschäftigten vor, so hat das Unternehmen den Behörden des
Aufnahmemitgliedstaats lediglich durch Vorlage der in dieser Regelung insoweit
vorgesehenen Unterlagen nachzuweisen, daß es mit der Zahlung der nach der
Regelung des Niederlassungsmitgliedstaats verlangten Beiträge nicht im Rückstand
ist.
Zum Grundsatz der Führung von Personal- und Arbeitsunterlagen
- 56.
- Was die Verpflichtung zur Erstellung einer Arbeitsordnung und zur Führung eines
besonderen Personalregisters sowie für jeden entsandten Arbeitnehmer eines
persönlichen Kontos betrifft, so geht ebenfalls aus den Vorlageurteilen und
insbesondere aus dem Wortlaut der ersten Vorlagefrage in beiden Rechtssachen
hervor, daß Arblade und Leloup bereits in dem Mitgliedstaat, in dem sie ansässig
sind, für dieselben Arbeitnehmer und dieselben Beschäftigungszeiten
Verpflichtungen unterliegen, die, wenn nicht gleich, so doch zumindest im Hinblick
auf ihren Zweck vergleichbar sind.
- 57.
- Wie in Randnummer 49 des vorliegenden Urteils ausgeführt, hat der Gerichtshof
ungeachtet der Einwände der belgischen Regierung von dem Sachverhalt
auszugehen, wie er vom vorlegenden Gericht dargestellt worden ist.
- 58.
- Eine Verpflichtung wie die im belgischen Recht vorgesehene, im
Aufnahmemitgliedstaat bestimmte weitere Unterlagen zu erstellen und zu führen,
verursacht den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen zusätzliche
administrative und wirtschaftliche Kosten und Belastungen, so daß diese
Unternehmen den im Aufnahmemitgliedstaat ansässigen Arbeitgebern unter dem
Gesichtspunkt des Wettbewerbs nicht gleichgestellt sind.
- 59.
- Die Auferlegung einer derartigen Verpflichtung stellt somit eine Beschränkung des
freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Artikel 59 des Vertrages dar.
- 60.
- Eine derartige Beschränkung kann nur gerechtfertigt sein, wenn sie erforderlich ist,
um dem zwingenden Grund des Allgemeininteresses, den der soziale Schutz der
Arbeitnehmer darstellt, effektiv und mit den geeigneten Mitteln Rechnung zu
tragen.
- 61.
- Der wirksame Schutz der Arbeitnehmer des Baugewerbes vor allem in bezug auf
Sicherheit und Gesundheit sowie auf die Arbeitszeit kann es erforderlich machen,
daß bestimmte Unterlagen auf der Baustelle oder zumindest an einem zugänglichen
und klar bezeichneten Ort im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats für die
mit der Durchführung der Kontrollen betrauten Behörden dieses Staates
bereitgehalten werden, insbesondere da ein organisiertes System der
Zusammenarbeit und des Informationsaustausches zwischen Mitgliedstaaten im
Sinne von Artikel 4 der Richtlinie 96/71 fehlt.
- 62.
- Außerdem kann mangels des in der vorstehenden Randnummer erwähnten
organisierten Systems der Zusammenarbeit und des Informationsaustausches die
Verpflichtung, bestimmte in der Regelung des Aufnahmemitgliedstaats verlangte
Unterlagen zu erstellen und auf der Baustelle oder zumindest an einem
zugänglichen und klar bezeichneten Ort im Hoheitsgebiet dieses Staates zu führen,
die einzige geeignete Kontrollmaßnahme im Hinblick auf das mit dieser Regelung
verfolgte Ziel darstellen.
- 63.
- Die Informationen, die nach der Regelung des Niederlassungsmitgliedstaats und
nach der des Aufnahmemitgliedstaats u. a. bezüglich des Arbeitgebers, des
Arbeitnehmers, der Arbeitsbedingungen und der Vergütung verlangt werden, sind
nämlich möglicherweise so unterschiedlich, daß die in der Regelung des
Aufnahmemitgliedstaats vorgeschriebenen Kontrollen nicht auf der Grundlage von
Unterlagen vorgenommen werden können, die gemäß der Regelung desNiederlassungsmitgliedstaats geführt werden.
- 64.
- Dagegen kann die bloße Tatsache, daß bestimmte formale oder inhaltliche
Unterschiede bestehen, nicht die Führung von zwei Serien von Unterlagen
rechtfertigen, von denen die einen der Regelung des Niederlassungsmitgliedstaats
und die anderen der des Aufnahmemitgliedstaats entsprechen, wenn die
Informationen, die durch die nach der Regelung des Niederlassungsmitgliedstaats
verlangten Unterlagen geliefert werden, insgesamt ausreichen, um die
erforderlichen Kontrollen im Aufnahmemitgliedstaat zu ermöglichen.
- 65.
- Die Behörden und gegebenenfalls die Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats müssen
also, bevor sie verlangen, daß im Hoheitsgebiet dieses Staates Personal- oder
Arbeitsunterlagen gemäß ihrer eigenen Regelung erstellt und geführt werden,
nacheinander prüfen, ob der soziale Schutz der Arbeitnehmer, der diese
Erfordernisse rechtfertigen kann, nicht hinreichend gewahrt würde, wenn innerhalb
einer angemessenen Frist die im Niederlassungsmitgliedstaat geführten Unterlagen
oder Kopien davon vorgelegt würden oder, falls das nicht geschieht, diese
Unterlagen oder Kopien davon auf der Baustelle oder an einem zugänglichen und
klar bezeichneten Ort im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats bereitgehalten
würden.
- 66.
- Stellen die Behörden oder Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats wie das
vorlegende Gericht in beiden Rechtssachen fest, daß der Arbeitgeber hinsichtlich
der Führung von Personal- oder Arbeitsunterlagen wie einer Arbeitsordnung, eines
besonderen Personalregisters und für jeden entsandten Arbeitnehmer eines
persönlichen Kontos, in dem Mitgliedstaat, in dem er ansässig ist, für dieselben
Arbeitnehmer und dieselben Beschäftigungszeiten im Hinblick auf ihren Zweck
vergleichbaren Verpflichtungen unterliegt, so ist die Vorlage der vom Arbeitgeber
gemäß der Regelung des Niederlassungsmitgliedstaats geführten Personal- und
Arbeitsunterlagen als ausreichend anzusehen, um den sozialen Schutz der
Arbeitnehmer zu gewährleisten, so daß von diesem Arbeitgeber die Erstellung von
Unterlagen gemäß der Regelung des Aufnahmemitgliedstaats nicht verlangt werden
kann.
- 67.
- Im Rahmen einer Prüfung wie der in Randnummer 65 des vorliegenden Urteils
erwähnten sind die Gemeinschaftsrichtlinien zur Koordinierung oder
Mindestharmonisierung bezüglich der für den Schutz der Arbeitnehmer
erforderlichen Informationen zu berücksichtigen.
- 68.
- Erstens zielt die Richtlinie 91/533/EWG des Rates vom 14. Oktober 1991 über die
Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen
Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen (ABl. L 288, S.
32) nach ihrer zweiten Begründungserwägung darauf ab, die Arbeitnehmer besser
vor etwaiger Unkenntnis ihrer Rechte zu schützen und den Arbeitsmarkt
transparenter zu gestalten. Die Richtlinie nennt bestimmte wesentliche Punkte des
Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses darunter gegebenenfalls solche, die
durch die Entsendung in ein anderes Land erforderlich werden , über die der
Arbeitgeber den Arbeitnehmer in Kenntnis setzen muß. Nach ihrem Artikel 7
berührt die Richtlinie nicht das Recht der Mitgliedstaaten, für die Arbeitnehmer
günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder
die Anwendung von für die Arbeitnehmer günstigeren tarifvertraglichen
Bestimmungen zu fördern oder zu ermöglichen.
- 69.
- Zweitens bestimmt die Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über
die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des
Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. L 183, S. 1) u. a. in
ihrem Artikel 10, daß die Arbeitnehmer bestimmte Informationen über die
Gefahren für ihre Sicherheit und Gesundheit erhalten müssen.
- 70.
- Im Rahmen dieser Prüfung können die nationalen Behörden des
Aufnahmemitgliedstaats stets vom Dienstleistenden die Informationen verlangen,
die er bezüglich seiner Verpflichtungen in dem Mitgliedstaat, in dem er ansässig
ist, besitzt, sofern sie über diese Informationen nicht selbst verfügen.
Zu den Modalitäten der Führung und Aufbewahrung der Personalunterlagen
- 71.
- Die belgischen Rechtsvorschriften über die Modalitäten der Führung und
Aufbewahrung der Unterlagen durch einen in einem anderen Mitgliedstaat
ansässigen Arbeitgeber weisen drei Aspekte auf. Erstens müssen danach die
Personalunterlagen, wenn der Arbeitgeber Arbeitnehmer in Belgien beschäftigt,
entweder an einem der Arbeitsorte oder am belgischen Wohnsitz einer natürlichen
Person geführt werden, die diese Unterlagen als Bevollmächtigter oder
Aufsichtsperson des Arbeitgebers führt.
- 72.
- Zweitens müssen die Personalunterlagen, wenn der Arbeitgeber keine
Arbeitnehmer mehr in Belgien beschäftigt, im Original oder in reproduzierter Form
fünf Jahre lang am belgischen Wohnsitz des Bevollmächtigten oder der
Aufsichtsperson aufbewahrt werden.
- 73.
- Schließlich ist den nationalen Behörden die Identität des Bevollmächtigten oder der
Aufsichtsperson vorab mitzuteilen, gleichgültig, ob der Betreffende für die Führung
oder für die Aufbewahrung der Unterlagen bestimmt ist.
- 74.
- Aus den bereits in den Randnummern 61 bis 63 des vorliegenden Urteils
angegebenen Gründen können es die Erfordernisse einer effektiven Kontrolle
durch die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats rechtfertigen, daß ein in einem
anderen Mitgliedstaat ansässiger Arbeitgeber, der Dienstleistungen im
Aufnahmemitgliedstaat erbringt, verpflichtet wird, bestimmte Unterlagen auf der
Baustelle oder zumindest an einem zugänglichen und klar bezeichneten Ort im
Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats für diese Behörden bereitzuhalten.
- 75.
- Das nationale Gericht hat unter Berücksichtigung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit zu prüfen, für welche Unterlagen eine solche Verpflichtung
gelten muß.
- 76.
- Handelt es sich wie im vorliegenden Fall um eine Verpflichtung, bestimmte
Unterlagen am Wohnsitz einer im Aufnahmemitgliedstaat wohnenden natürlichen
Person bereitzuhalten und aufzubewahren, die diese Unterlagen als vom
Arbeitgeber bestimmter Bevollmächtigter oder von ihm bestimmte Aufsichtsperson
führt, auch nachdem der Arbeitgeber die Beschäftigung von Arbeitnehmern in
diesem Staat eingestellt hat, so genügt es zur Rechtfertigung einer solchen
Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nicht, daß das Vorhandensein
derartiger Unterlagen im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats geeignet ist,
die Erfüllung der Überwachungsaufgabe der Behörden dieses Staates im
allgemeinen zu erleichtern. Es ist außerdem erforderlich, daß diese Behörden ihre
Überwachungsaufgabe nicht wirksam erfüllen können, ohne daß das Unternehmen
in diesem Mitgliedstaat über einen Bevollmächtigten oder eine Aufsichtsperson
verfügt, die die betreffenden Unterlagen aufbewahrt (in diesem Sinne Urteil vom
4. Dezember 1986 in der Rechtssache 205/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1986,
3755, Randnr. 54).
- 77.
- Was insbesondere die Verpflichtungen angeht, die Personalunterlagen fünf Jahre
lang im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats sowie am Wohnsitz einer
natürlichen Person unter Ausschluß juristischer Personen aufzubewahren, so
können derartige Erfordernisse jedenfalls nicht gerechtfertigt sein.
- 78.
- Die Kontrolle der Beachtung der mit dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer des
Baugewerbes zusammenhängenden Regelungen kann nämlich durch weniger
einschränkende Maßnahmen sichergestellt werden. Wie der Generalanwalt in
Nummer 88 seiner Schlußanträge festgestellt hat, können, wenn der in einem
anderen Mitgliedstaat ansässige Arbeitgeber keine Arbeitnehmer mehr in Belgien
beschäftigt, die Personalunterlagen mit den Personalregistern und persönlichen
Konten oder die gleichwertigen Unterlagen, die das Unternehmen nach den
Rechtsvorschriften des Niederlassungsmitgliedstaats erstellen muß, oder eine Kopie
dieser Unterlagen den nationalen Behörden zugesandt werden, die sie kontrollieren
und gegebenenfalls aufbewahren könnten.
- 79.
- Im übrigen wird das organisierte System der Zusammenarbeit oder des
Informationsaustausches zwischen Mitgliedstaaten im Sinne von Artikel 4 der
Richtlinie 96/71 es demnächst überflüssig machen, die Unterlagen im
Aufnahmemitgliedstaat aufzubewahren, nachdem der Arbeitgeber dort keine
Arbeitnehmer mehr beschäftigt.
- 80.
- Auf die vorgelegten Fragen ist somit zu antworten, daß
1. die Artikel 59 und 60 des Vertrages es nicht ausschließen, daß ein
Mitgliedstaat einem Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat
ansässig ist und vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt,
vorschreibt, den von ihm entsandten Arbeitnehmern die Mindestvergütung
zu zahlen, die in dem im ersten Mitgliedstaat geltenden Tarifvertrag
festgelegt ist, sofern die betreffenden Bestimmungen hinreichend genau und
zugänglich sind, um einem solchen Arbeitgeber in der Praxis nicht die
Feststellung, welche Verpflichtungen er beachten müßte, unmöglich oder
übermäßig schwer zu machen;
2. die Artikel 59 und 60 des Vertrages es ausschließen, daß ein Mitgliedstaat
einem Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und
vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt, auch durch Polizei- und
Sicherheitsgesetze vorschreibt, für jeden entsandten Arbeitnehmer
Arbeitgeberbeiträge im Rahmen von Systemen wie den belgischen
Schlechtwetter- und Treuemarkensystemen zu entrichten und jedem dieser
Arbeitnehmer eine Personalkarte auszuhändigen, obwohl dieses
Unternehmen bereits in dem Staat, in dem es ansässig ist, für dieselben
Arbeitnehmer und dieselben Beschäftigungszeiten Verpflichtungen
unterliegt, die im Hinblick auf ihren Zweck, den Schutz der Interessen der
Arbeitnehmer, im wesentlichen vergleichbar sind;
3. die Artikel 59 und 60 des Vertrages es ausschließen, daß ein Mitgliedstaat
einem Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und
vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt, auch durch Polizei- und
Sicherheitsgesetze vorschreibt, Personal- oder Arbeitsunterlagen wie eine
Arbeitsordnung, ein besonderes Personalregister und für jeden entsandten
Arbeitnehmer ein persönliches Konto in der nach der Regelung des ersten
Staates verlangten Form zu erstellen, wenn der soziale Schutz der
Arbeitnehmer, der diese Erfordernisse rechtfertigen kann, bereits durch die
Vorlage der Personal- und Arbeitsunterlagen gewahrt wird, die das
betreffende Unternehmen gemäß der Regelung des Mitgliedstaats, in dem
es ansässig ist, führt.
Dies ist der Fall, wenn das Unternehmen bezüglich der Führung der
Personal- und Arbeitsunterlagen bereits in dem Staat, in dem es ansässig ist,
für dieselben Arbeitnehmer und dieselben Beschäftigungszeiten
Verpflichtungen unterliegt, die im Hinblick auf ihren Zweck, den Schutz der
Interessen der Arbeitnehmer, mit den in der Regelung des
Aufnahmemitgliedstaats enthaltenen vergleichbar sind;
4. die Artikel 59 und 60 des Vertrages es nicht ausschließen, daß ein
Mitgliedstaat ein Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig
ist und vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt, verpflichtet,
während des Zeitraums der Betätigung im Hoheitsgebiet des ersten
Mitgliedstaats Personal- und Arbeitsunterlagen auf der Baustelle oder an
einem anderen zugänglichen und klar bezeichneten Ort im Hoheitsgebiet
dieses Staates bereitzuhalten, wenn diese Maßnahme erforderlich ist, um
ihm eine effektive Kontrolle der Beachtung seiner durch die Wahrung des
sozialen Schutzes der Arbeitnehmer gerechtfertigten Regelung zu
ermöglichen;
5. die Artikel 59 und 60 des Vertrages es ausschließen, daß ein Mitgliedstaat
einem Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und
vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt, auch durch Polizei- und
Sicherheitsgesetze vorschreibt, fünf Jahre lang, nachdem es die
Beschäftigung von Arbeitnehmern im ersten Mitgliedstaat eingestellt hat,
Personalunterlagen wie das Personalregister und das persönliche Konto an
dem in diesem Mitgliedstaat gelegenen Wohnsitz einer natürlichen Person
aufzubewahren, die diese Unterlagen als Bevollmächtigter oder
Aufsichtsperson führt.
Kosten
- 81.
- Die Auslagen der belgischen, der deutschen, der niederländischen, der
österreichischen und der finnischen Regierung sowie der Regierung des Vereinigten
Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem
Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die
Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Bestandteil der bei dem
vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Tribunal correctionnel Huy mit zwei Urteilen vom 29. Oktober
1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Die Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und 60 EG-Vertrag (jetzt Artikel 50 EG) schließen es nicht aus, daß ein Mitgliedstaat
einem Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und
vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt, vorschreibt, den von ihm
entsandten Arbeitnehmern die Mindestvergütung zu zahlen, die in dem im
ersten Mitgliedstaat geltenden Tarifvertrag festgelegt ist, sofern die
betreffenden Bestimmungen hinreichend genau und zugänglich sind, um
einem solchen Arbeitgeber in der Praxis nicht die Feststellung, welcheVerpflichtungen er beachten müßte, unmöglich oder übermäßig schwer zu
machen.
2. Die Artikel 59 und 60 des Vertrages schließen es aus, daß ein Mitgliedstaat
einem Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und
vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt, auch durch Polizei- und
Sicherheitsgesetze vorschreibt, für jeden entsandten Arbeitnehmer
Arbeitgeberbeiträge im Rahmen von Systemen wie den belgischen
Schlechtwetter- und Treuemarkensystemen zu entrichten und jedem dieser
Arbeitnehmer eine Personalkarte auszuhändigen, obwohl dieses
Unternehmen bereits in dem Staat, in dem es ansässig ist, für dieselben
Arbeitnehmer und dieselben Beschäftigungszeiten Verpflichtungen
unterliegt, die im Hinblick auf ihren Zweck, den Schutz der Interessen der
Arbeitnehmer, im wesentlichen vergleichbar sind.
3. Die Artikel 59 und 60 des Vertrages schließen es aus, daß ein Mitgliedstaat
einem Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und
vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt, auch durch Polizei- und
Sicherheitsgesetze vorschreibt, Personal- oder Arbeitsunterlagen wie eine
Arbeitsordnung, ein besonderes Personalregister und für jeden entsandten
Arbeitnehmer ein persönliches Konto in der nach der Regelung des ersten
Staates verlangten Form zu erstellen, wenn der soziale Schutz der
Arbeitnehmer, der diese Erfordernisse rechtfertigen kann, bereits durch die
Vorlage der Personal- und Arbeitsunterlagen gewahrt wird, die das
betreffende Unternehmen gemäß der Regelung des Mitgliedstaats, in dem
es ansässig ist, führt.
Dies ist der Fall, wenn das Unternehmen bezüglich der Führung der
Personal- und Arbeitsunterlagen bereits in dem Staat, in dem es ansässig
ist, für dieselben Arbeitnehmer und dieselben Beschäftigungszeiten
Verpflichtungen unterliegt, die im Hinblick auf ihren Zweck, den Schutz
der Interessen der Arbeitnehmer, mit den in der Regelung des
Aufnahmemitgliedstaats enthaltenen vergleichbar sind.
4. Die Artikel 59 und 60 des Vertrages schließen es nicht aus, daß ein
Mitgliedstaat ein Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat
ansässig ist und vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt,
verpflichtet, während des Zeitraums der Betätigung im Hoheitsgebiet des
ersten Mitgliedstaats Personal- und Arbeitsunterlagen auf der Baustelle
oder an einem anderen zugänglichen und klar bezeichneten Ort im
Hoheitsgebiet dieses Staates bereitzuhalten, wenn diese Maßnahme
erforderlich ist, um ihm eine effektive Kontrolle der Beachtung seiner
durch die Wahrung des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer gerechtfertigten
Regelung zu ermöglichen.
5. Die Artikel 59 und 60 des Vertrages schließen es aus, daß ein Mitgliedstaat
einem Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und
vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt, auch durch Polizei- und
Sicherheitsgesetze vorschreibt, fünf Jahre lang, nachdem es die
Beschäftigung von Arbeitnehmern im ersten Mitgliedstaat eingestellt hat,
Personalunterlagen wie das Personalregister und das persönliche Konto an
dem in diesem Mitgliedstaat gelegenen Wohnsitz einer natürlichen Person
aufzubewahren, die diese Unterlagen als Bevollmächtigter oder
Aufsichtsperson führt.
Rodríguez IglesiasMoitinho de Almeida
Edward
Schintgen Puissochet
Hirsch
Jann Ragnemalm
Wathelet
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 23. November 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias