Language of document : ECLI:EU:C:2022:555

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

14. Juli 2022(*)

„Rechtsmittel – Nichtigkeitsklage – Art. 19 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union – Vertretung nicht privilegierter Parteien in Klageverfahren vor den Unionsgerichten – Hochschullehrer – Hochschullehrer, der an der in diesem Klageverfahren vertretenen Hochschule lehrt und Koordinator sowie Teamleiter des streitgegenständlichen Projekts ist – Unabhängigkeitsvoraussetzung – Vorliegen eines unmittelbaren und persönlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits“

In der Rechtssache C‑110/21 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 23. Februar 2021,

Universität Bremen mit Sitz in Bremen (Deutschland), vertreten durch C. Schmid, Hochschullehrer,

Rechtsmittelführerin,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Exekutivagentur für die Forschung (REA), vertreten durch V. Canetti und S. Payan-Lagrou als Bevollmächtigte im Beistand von R. van der Hout, Advocaat, und Rechtsanwalt C. Wagner,

Beklagte im ersten Rechtszug,


erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter J. Passer, F. Biltgen (Berichterstatter) und N. Wahl sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,

Generalanwalt: N. Emiliou,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. Februar 2022

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Universität Bremen (Deutschland) die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 16. Dezember 2020, Universität Bremen/REA (T‑660/19, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtener Beschluss, EU:T:2020:633), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung Ares(2019) 4590599 der Europäischen Exekutivagentur für die Forschung (REA) vom 16. Juli 2019 über die Ablehnung des von der Universität im Rahmen der Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen H2020-SC6-Governance-2019 eingereichten Vorschlags (im Folgenden: streitige Entscheidung) als offensichtlich unzulässig abgewiesen hat.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

2        Art. 19 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der gemäß Art. 53 Abs. 1 der Satzung auf das Gericht anwendbar ist, lautet:

„Die Mitgliedstaaten sowie die Unionsorgane werden vor dem Gerichtshof durch einen Bevollmächtigten vertreten, der für jede Sache bestellt wird; der Bevollmächtigte kann sich der Hilfe eines Beistands oder eines Anwalts bedienen.

Die Vertragsstaaten des Abkommens [vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3)] über den Europäischen Wirtschaftsraum, die nicht Mitgliedstaaten sind, und die in jenem Abkommen genannte EFTA-Überwachungsbehörde werden in der gleichen Weise vertreten.

Die anderen Parteien müssen durch einen Anwalt vertreten sein.

Nur ein Anwalt, der berechtigt ist, vor einem Gericht eines Mitgliedstaats oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum aufzutreten, kann vor dem Gerichtshof als Vertreter oder Beistand einer Partei auftreten.

Die vor dem Gerichtshof auftretenden Bevollmächtigten, Beistände und Anwälte genießen nach Maßgabe der Verfahrensordnung die zur unabhängigen Ausübung ihrer Aufgaben erforderlichen Rechte und Sicherheiten.

Der Gerichtshof hat nach Maßgabe der Verfahrensordnung gegenüber den vor ihm auftretenden Beiständen und Anwälten die den Gerichten üblicherweise zuerkannten Befugnisse.

Hochschullehrer, die Angehörige von Mitgliedstaaten sind, deren Rechtsordnung ihnen gestattet, vor Gericht als Vertreter einer Partei aufzutreten, haben vor dem Gerichtshof die durch diesen Artikel den Anwälten eingeräumte Rechtsstellung.“

3        Nach Art. 51 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts gilt:

„Die Parteien müssen nach Maßgabe des Artikels 19 der Satzung [des Gerichtshofs der Europäischen Union] durch einen Bevollmächtigten oder einen Anwalt vertreten sein.“

 Deutsches Recht

4        § 67 der Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar 1960 (BGBl. 1960 I, S. 17) in der auf den Rechtsstreit, der zu dem Rechtsmittel geführt hat, anwendbaren Fassung sieht betreffend die Postulationsfähigkeit von Hochschullehrern vor:

„…

(2)      Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. …

(3)      Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. …

…“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

5        Die Vorgeschichte des Rechtsstreits wird in den Rn. 2 bis 6 des angefochtenen Beschlusses geschildert. Für das vorliegende Verfahren kann sie wie folgt zusammengefasst werden.

6        Die Universität Bremen ist Koordinatorin eines Forschungskonsortiums, das mehrere europäische Universitäten umfasst und rechtsvergleichende interdisziplinäre Forschung im Bereich des Wohnungsrechts und der Wohnungspolitik in der gesamten Union betreibt.

7        Am 17. März 2019 reichte die Universität Bremen auf eine Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen einen Projektvorschlag bei der REA ein.

8        Dieser wurde mit insgesamt 10 von 15 möglichen Punkten bewertet, kam damit für eine Finanzierung durch die Union in Betracht und belegte Platz 10 von 14 eingereichten Bewerbungen. Da das vorgesehene Budget jedoch begrenzt war, konnten nur die Projektvorschläge auf den Plätzen 1 bis 3 ausgewählt werden.

9        Mit der streitigen Entscheidung teilte die REA der Universität Bremen daher mit, dass ihr Vorschlag abgelehnt worden war.

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss

10      Mit Klageschrift, die am 25. September 2019 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Universität Bremen Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung.

11      In ihrer Klagebeantwortung erhob die REA die Einrede der Unzulässigkeit gegen diese Klage. Sie machte geltend, dass der die Universität Bremen vertretende Hochschullehrer im Verhältnis zu dieser kein Dritter sei und daher nicht die in der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union vorgesehene Voraussetzung der Unabhängigkeit erfülle.

12      Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Gericht dieser Einrede der Unzulässigkeit stattgegeben und die Klage nach Art. 126 seiner Verfahrensordnung als offensichtlich unzulässig abgewiesen.

13      In Rn. 16 des angefochtenen Beschlusses hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die Parteien nach Art. 19 Abs. 3 bis 5 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der nach Art. 53 der Satzung auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar sei, durch einen Anwalt vertreten sein müssten und dass nur ein Anwalt, der berechtigt sei, vor einem Gericht eines Mitgliedstaats aufzutreten, vor dem Gerichtshof als Vertreter einer Partei auftreten könne.

14      Betreffend die zwei in Art. 19 Abs. 4 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union genannten kumulativen Voraussetzungen, nämlich die Anwaltseigenschaft und die Berechtigung, vor einem Gericht eines Mitgliedstaats aufzutreten, hat das Gericht festgestellt, dass die erste dieser kumulativen Voraussetzungen, die die Anwaltseigenschaft betreffe, im Gegensatz zu der zweiten für die Ermittlung ihres Sinngehalts und ihrer Tragweite keinen ausdrücklichen Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten enthalte, so dass nach ständiger Rechtsprechung der Begriff „Anwalt“ im Sinne dieser Bestimmung in der Union autonom und einheitlich auszulegen sei, und zwar unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und der mit der Regelung, zu der die Bestimmung gehöre, verfolgten Ziele (Rn. 18 und 19 des Beschlusses).

15      Gestützt u. a. auf die Urteile vom 18. Mai 1982, AM & S Europe/Kommission (155/79, EU:C:1982:157, Rn. 24), sowie vom 14. September 2010, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission (C‑550/07 P, EU:C:2010:512, Rn. 42), nach denen das sich aus der gemeinsamen Rechtstradition der Mitgliedstaaten ergebende Verständnis der Funktion des Rechtsanwalts in der Unionsrechtsordnung das eines Organs der Rechtspflege sei, das in völliger Unabhängigkeit und im höheren Interesse der Rechtspflege die rechtliche Unterstützung zu gewähren habe, die der Mandant benötige (Rn. 20 des angefochtenen Beschlusses), hat das Gericht unter Bezugnahme auf den Beschluss vom 29. September 2010, EREF/Kommission, C‑74/10 P und C‑75/10 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:557, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung), festgestellt, dass die Voraussetzung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts das Fehlen jedes Beschäftigungsverhältnisses zwischen ihm und seinem Mandanten voraussetze und der Begriff „Unabhängigkeit des Rechtsanwalts“ nicht nur positiv, d. h. unter Bezugnahme auf die berufsständischen Pflichten, sondern auch negativ, d. h. durch das Fehlen eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten, definiert werde (Rn. 21 des angefochtenen Beschlusses).

16      Im vorliegenden Fall sei der Vertreter, der die Klageschrift unterzeichnet habe, abgesehen davon, dass er bei der Universität Bremen im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses beschäftigt sei, auch zum Koordinator und Teamleiter des vorgeschlagenen Projekts bestimmt worden und solle innerhalb des Projekts „wesentliche Aufgaben“ und „Funktionen“ übernehmen; damit habe er nicht nur eine enge persönliche Verbindung zum Gegenstand des Rechtsstreits, sondern auch ein unmittelbares Interesse an der Entscheidung über den Rechtsstreit, da die Verwirklichung des Projekts zumindest teilweise von der Finanzierung abhänge, die der Universität Bremen von der Europäischen Kommission verweigert worden sei (Rn. 25 des angefochtenen Beschlusses).

17      Das Gericht ist daher zu dem Ergebnis gelangt, dass der Vertreter aufgrund der wesentlichen Funktionen, die er innerhalb der juristischen Person ausübe, in deren Namen er die Klage erhoben habe, nach der in Rn. 65 des Urteils vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA (C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73), angeführten ständigen Rechtsprechung nicht als unabhängiger Dritter angesehen werden könne und dass diese Funktionen offensichtlich seine Fähigkeit beeinträchtigten, seiner Aufgabe – der Verteidigung der Interessen seines Mandanten – nachzukommen (Rn. 26 des angefochtenen Beschlusses).

18      Dieses Ergebnis werde nicht durch das Urteil vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA (C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73), entkräftet, in dem der Gerichtshof die Tragweite des Begriffs „Unabhängigkeit“ präzisiert habe, jedoch weder seine bisherige ständige Rechtsprechung in Frage gestellt habe noch den Vorschlägen des Generalanwalts Bobek in seinen Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA (C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2019:774) hinsichtlich des Ansatzes für die Prüfung von Art. 19 Abs. 3 und 4 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union gefolgt sei (Rn. 28 bis 34 des angefochtenen Beschlusses).

19      Des Weiteren wurde das Vorbringen der Universität Bremen zu Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie zu Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom Gericht zurückgewiesen: Das Recht auf Zugang zu den Gerichten sei kein absolutes Recht und könne daher verhältnismäßigen, einem legitimen Zweck dienenden Beschränkungen unterliegen (Rn. 35 des angefochtenen Beschlusses).

20      Zum Vorbringen der Universität Bremen, wonach sie auf das mögliche Vorliegen eines Grundes für die Unzulässigkeit der Klage hätte hingewiesen werden müssen, um ihm abhelfen zu können, hat das Gericht schließlich ausgeführt, dass die Pflicht zur Vertretung durch einen Anwalt nicht zu den Erfordernissen gehöre, deren Nichterfüllung nach Ablauf der Klagefrist geheilt werden könne (Rn. 40 des angefochtenen Beschlusses).

 Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien des Rechtsmittelverfahrens

21      Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Universität Bremen,

–        den angefochtenen Beschluss aufzuheben,

–        die Rechtssache zur Entscheidung in der Sache an das Gericht zurückzuverweisen;

–        festzustellen, dass die Vertretung durch den betreffenden Hochschullehrer wirksam ist;

–        hilfsweise, festzustellen, dass die Universität Bremen berechtigt ist, das Verfahren von einem Rechtsanwalt, der die Voraussetzungen von Art. 19 Abs. 3 und 4 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union erfüllt, weiterführen zu lassen, und

–        der REA die Kosten aufzuerlegen.

22      Die REA beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–        der Universität Bremen die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

23      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die Universität Bremen vor dem Gerichtshof durch die Person vertreten wird, hinsichtlich der das Gericht im angefochtenen Beschluss entschieden hat, dass sie die Voraussetzungen von Art. 19 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, um diese Partei in dieser Rechtssache vor den Unionsgerichten zu vertreten, nicht erfülle.

24      Da die Frage der Zulässigkeit des Rechtsmittels jedoch im Wesentlichen gerade Gegenstand des vorliegenden Rechtsmittels ist, sind die Rechtsmittelgründe zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2012, Prezes Urzędu Komunikacji Elektronicznej und Polen/Kommission, C‑422/11 P und C‑423/11 P, EU:C:2012:553, Rn. 20).

25      Die Universität Bremen stützt ihr Rechtsmittel auf zwei Gründe: erstens einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 7 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und zweitens einen Verstoß gegen Art. 47 der Charta der Grundrechte und Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten.

 Vorbringen der Parteien

26      Mit dem ersten Rechtsmittelgrund wirft die Universität Bremen dem Gericht vor, den Wortlaut und die Systematik von Art. 19 Abs. 7 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union verkannt zu haben, da Hochschullehrer, denen die Rechtsordnung gestatte, vor Gericht als Vertreter einer Partei aufzutreten, als solche nicht verpflichtet seien, die für Anwälte im Sinne von Art. 19 Abs. 3 und 4 der Satzung geltende Voraussetzung der Unabhängigkeit zu erfüllen.

27      Mit dem ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes macht die Universität Bremen zunächst geltend, das Gericht habe verkannt, dass Hochschullehrer, die nach dem Recht ihres Mitgliedstaats postulationsfähig seien, nach Art. 19 Abs. 7 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union „logisch“ zwingend privilegiert seien.

28      Der von der Rechtsprechung der Unionsgerichte auf der Grundlage von Art. 19 Abs. 3 und 4 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union entwickelte Anwaltsbegriff fordere grundsätzlich die Unabhängigkeit dieses Rechtsvertreters von seiner Partei. Das Gericht habe das Vorliegen einer solchen Unabhängigkeit allein deshalb verneint, weil der betreffende Vertreter kein „Anwalt“ im Sinne von Art. 19 Abs. 4 der Satzung sei, und daher die privilegierte Stellung, die Art. 19 Abs. 7 der Satzung Hochschullehrern einräume, nicht berücksichtigt.

29      Nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung besäßen Hochschullehrer ex lege dieselben Rechte wie Anwälte. Damit sei die Voraussetzung der anwaltlichen Unabhängigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 3 und 4 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht auf Hochschullehrer übertragbar.

30      Die Universität Bremen stützt dieses Ergebnis auf mehrere Argumente.

31      Erstens werde die Postulationsfähigkeit von Hochschullehrern einschließlich der Frage etwaiger Interessenkonflikte abschließend auf der Ebene des nationalen Rechts geregelt, auf das Art. 19 Abs. 7 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union explizit verweise. Nach deutschem Recht komme die Zurückweisung eines Prozessvertreters so nur dann in Betracht, wenn der betreffende Vertreter weder Anwalt noch Hochschullehrer sei oder wenn er Richter desselben Gerichts sei. Dagegen habe das Bundesverfassungsgericht (Deutschland) entschieden, dass bloße Interessenkonflikte bei Rechtsanwälten oder Hochschullehrern keine Rechtfertigung für einen Zurückweisungsbeschluss darstellten. Es bestehe nur eine Verantwortlichkeit nach anwaltlichem Standesrecht, die auch Sanktionen nach sich ziehen könne.

32      Zweitens werde durch den besonderen öffentlich-rechtlichen Status der Hochschullehrer jede Art von Interessenkonflikt ausgeschlossen. Als staatliche Beamte hätten sie strikte Loyalitätspflichten und seien, da die Vertretungsbefugnis nur ein Nebenamt sei, die zudem eine besondere Genehmigung des Vorgesetzten voraussetze, anders als Rechtsanwälte nicht von der Prozessführung finanziell abhängig.

33      Drittens macht die Universität Bremen geltend, als öffentliche Hochschule Teil ihres Mitgliedstaats und damit einer nach Art. 19 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union privilegierten Partei zu sein.

34      Mit dem zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes macht die Universität Bremen geltend, dass der Prozessvertreter nach § 67 VwGO in seiner auf den Rechtsstreit, in dem das Rechtsmittel eingelegt wurde, anwendbaren Fassung ohne Weiteres vertretungsbefugt sei; es lägen a limine auch keine relevanten Interessenkonflikte vor.

35      Mit dem dritten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes macht die Universität Bremen geltend, dass sie, selbst wenn der Gerichtshof dieser Auslegung nicht folgen sollte, aufgrund des eindeutigen Wortlauts von Art. 19 Abs. 7 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union Vertrauensschutz hätte genießen müssen. Vorliegend wäre es für die Universität Bremen höchst überraschend gewesen, wenn auch Hochschullehrer die Unabhängigkeitsvoraussetzung für Anwälte nach Art. 19 Abs. 3 und 4 der Satzung erfüllen müssten.

36      Die REA macht zunächst die Unzulässigkeit des dritten und des vierten Antrags geltend, mit denen die Universität Bremen beim Gerichtshof beantrage, Feststellungen zu treffen. Im Rahmen der Prüfung einer Nichtigkeitsklage sei die Nachprüfung durch die Unionsgerichte auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Handlung beschränkt.

37      Zum ersten Rechtsmittelgrund trägt die REA vor, dieser sei unbegründet, da es keinen privilegierten Status für Hochschullehrer gebe und die Universität Bremen die Voraussetzungen von Art. 19 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Verbindung mit den Art. 51 und 56 der Verfahrensordnung des Gerichts missverstehe.

38      Da Hochschullehrer die gleichen Rechte und Pflichten wie Anwälte hätten, sei auch die Rechtsprechung zum Begriff der Vertretung vor Gericht im Sinne von Art. 19 Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union auf sie anwendbar, und keines der von der Universität Bremen vorgebrachten Argumente könne dieses Ergebnis in Frage stellen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

39      Was die Vertretung nicht privilegierter Parteien vor den Unionsgerichten angeht, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 19 Abs. 3 und 4 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der gemäß Art. 53 der Satzung auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, zwei unterschiedliche Voraussetzungen vorsieht, die kumulativ erfüllt sein müssen, nämlich erstens, dass sich die nicht in Art. 19 Abs. 1 und 2 der Satzung genannten Parteien durch einen Anwalt vertreten lassen müssen, und zweitens, dass nur ein Anwalt, der berechtigt ist, vor einem Gericht eines Mitgliedstaats oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum aufzutreten, als Vertreter oder Beistand einer Partei vor den Unionsgerichten auftreten kann.

40      Was zunächst die in Art. 19 Abs. 4 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union geregelte zweite Voraussetzung betreffend die Berechtigung des Anwalts, vor einem nationalen Gericht aufzutreten, angeht, geht aus dem Wortlaut dieser Bestimmung hervor, dass Sinn und Tragweite dieser Voraussetzung unter Bezugnahme auf das betreffende nationale Recht auszulegen sind (Urteil vom 24. März 2022, PJ und PC/EUIPO, C‑529/18 P und C‑531/18 P, EU:C:2022:218, Rn. 59).

41      Ebenso ergibt sich, wie der Generalanwalt in Nr. 59 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, aus dem Wortlaut von Art. 19 Abs. 7 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach Hochschullehrer, die Angehörige von Mitgliedstaaten sind, deren Rechtsordnung ihnen ein solches Recht gewährt, vor den Unionsgerichten als Vertreter einer Partei auftreten können, dass Sinn und Tragweite dieser Voraussetzung ebenfalls unter Bezugnahme auf das betreffende nationale Recht auszulegen sind.

42      Vorliegend ist unstreitig, dass der Vertreter der Universität Bremen als Hochschullehrer nach deutschem Recht befugt ist, als Prozessvertreter aufzutreten, so dass er gemäß Art. 19 Abs. 7 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union die den Anwälten durch Art. 19 Abs. 4 der Satzung eingeräumte Rechtsstellung hat und daher als Vertreter oder Beistand einer Partei vor dem Gerichtshof auftreten kann.

43      Was sodann die den Begriff „Anwalt“ betreffende erste Voraussetzung in Art. 19 Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union betrifft, hat der Gerichtshof entschieden, dass diese mangels eines dortigen Verweises auf das Recht der Mitgliedstaaten in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen ist und dabei nicht nur der Wortlaut dieser Vorschrift, sondern auch ihr Zusammenhang und ihr Ziel zu berücksichtigen sind (Urteile vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 24. März 2022, PJ und PC/EUIPO, C‑529/18 P und C‑531/18 P, EU:C:2022:218, Rn. 60).

44      Aus dem Wortlaut von Art. 19 Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, insbesondere aus der Verwendung des Wortes „vertreten“, geht hervor, dass eine „Partei“ im Sinne dieser Vorschrift unabhängig von ihrer Eigenschaft nicht selbst vor einem Unionsgericht auftreten darf, sondern sich eines Dritten bedienen muss. So kann die Einreichung einer vom Kläger selbst unterzeichneten Klageschrift für die Erhebung einer Klage nicht ausreichen; dies gilt auch dann, wenn der Kläger ein zum Auftreten vor einem nationalen Gericht berechtigter Anwalt ist (Urteile vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 58 und 59 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 24. März 2022, PJ und PC/EUIPO, C‑529/18 P und C‑531/18 P, EU:C:2022:218, Rn. 61).

45      Dies wird durch den Regelungszusammenhang dieser Bestimmung bestätigt, aus dem ausdrücklich hervorgeht, dass die Vertretung einer nicht in Art. 19 Abs. 1 und 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union genannten Partei nur durch einen Anwalt erfolgen kann, während die in den ersten beiden Absätzen genannten Parteien durch einen Bevollmächtigten vertreten werden können, der sich gegebenenfalls der Hilfe eines Beistands oder eines Anwalts bedienen darf (Urteile vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 60, sowie vom 24. März 2022, PJ und PC/EUIPO, C‑529/18 P und C‑531/18 P, EU:C:2022:218, Rn. 62).

46      Diese Feststellung wird durch das Ziel bestätigt, das damit verfolgt wird, dass sich die nicht in Art. 19 Abs. 1 und 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union genannten Parteien durch einen Anwalt vertreten lassen müssen; wie das Gericht in Rn. 29 des angefochtenen Beschlusses zu Recht ausgeführt hat, besteht dieses Ziel darin, zum einen zu verhindern, dass Privatpersonen Rechtsstreitigkeiten selbst führen, ohne einen Vermittler einzuschalten, und zum anderen zu gewährleisten, dass für juristische Personen ein Vertreter auftritt, der von der juristischen Person, die er vertritt, hinreichend unabhängig ist (Urteile vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 24. März 2022, PJ und PC/EUIPO, C‑529/18 P und C‑531/18 P, EU:C:2022:218, Rn. 63).

47      In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass das Ziel der in Art. 19 Abs. 3 und 4 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union genannten, in der Vertretung einer Partei bestehenden Aufgabe eines Anwalts, die im Interesse einer geordneten Rechtspflege auszuüben ist, vor allem darin besteht, in völliger Unabhängigkeit und unter Beachtung des Gesetzes sowie der Berufs- und Standesregeln die Interessen des Mandanten bestmöglich zu schützen und zu verteidigen (Urteile vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 62, sowie vom 24. März 2022, PJ und PC/EUIPO, C‑529/18 P und C‑531/18 P, EU:C:2022:218, Rn. 64).

48      Zwar wurde im Übrigen der Begriff der anwaltlichen „Unabhängigkeit“ ursprünglich im Zusammenhang mit der Vertraulichkeit von Dokumenten im Bereich des Wettbewerbsrechts entwickelt – wobei nach der Rechtsprechung hierzu der Anwalt ein Hilfsorgan der Rechtspflege ist, der in deren höherem Interesse seinen Mandanten rechtlich unterstützt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Mai 1982, AM & S Europe/Kommission, 155/79, EU:C:1982:157, Rn. 24, sowie vom 14. September 2010, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission, C‑550/07 P, EU:C:2010:512, Rn. 42) –; gleichwohl ist festzustellen, dass sich die Definition dieses Begriffs im Bereich der Vertretung vor den Unionsgerichten in jüngerer Zeit weiterentwickelt hat und dass das insoweit vorherrschende Kriterium nunmehr darin besteht, die Interessen des Mandanten zu schützen und zu verteidigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 62, sowie vom 24. März 2022, PJ und PC/EUIPO, C‑529/18 P und C‑531/18 P, EU:C:2022:218, Rn. 65).

49      In diesem Zusammenhang ist die Voraussetzung der anwaltlichen Unabhängigkeit nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur negativ, d. h. durch das Fehlen eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten, sondern auch positiv, d. h. unter Bezugnahme auf die berufsständischen Pflichten, zu definieren (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 24. März 2022, PJ und PC/EUIPO, C‑529/18 P und C‑531/18 P, EU:C:2022:218, Rn. 66).


50      Daher hat das Gericht in Rn. 21 des angefochtenen Beschlusses zu Recht entschieden, dass die Voraussetzung der anwaltlichen Unabhängigkeit im spezifischen Kontext von Art. 19 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union notwendigerweise bedeutet, dass zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten kein Beschäftigungsverhältnis besteht.

51      Dies gilt außerdem gleichermaßen in einer Situation, in der ein Anwalt von einer Organisationseinheit beschäftigt wird, die mit der von ihm vertretenen Partei verbunden ist (Urteile vom 6. September 2012, Prezes Urzędu Komunikacji Elektronicznej und Polen/Kommission, C‑422/11 P und C‑423/11 P, EU:C:2012:553, Rn. 25, sowie vom 24. März 2022, PJ und PC/EUIPO, C‑529/18 P und C‑531/18 P, EU:C:2022:218, Rn. 68).

52      In Bezug auf die positive Definition des Begriffs „Unabhängigkeit“ hat der Gerichtshof ausdrücklich hervorgehoben, dass dieser Begriff nicht als das Fehlen jeglicher Verbindung mit seinem Mandanten zu verstehen ist, sondern lediglich dahin, dass es keine Verbindung geben darf, die offensichtlich die Fähigkeit des Anwalts beeinträchtigt, seiner Aufgabe nachzukommen, die darin besteht, seinen Mandanten durch den bestmöglichen Schutz seiner Interessen unter Beachtung des Gesetzes sowie der Berufs- und Standesregeln zu verteidigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 62 bis 64, sowie vom 24. März 2022, PJ und PC/EUIPO, C‑529/18 P und C‑531/18 P, EU:C:2022:218, Rn. 69).

53      Wie der Generalanwalt in Nr. 60 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, üben die Unionsgerichte nämlich bei der Anwendung der unionsrechtlichen Voraussetzung der Unabhängigkeit der Vertreter nicht privilegierter Parteien eine eingeschränkte Kontrolle aus, die darauf beschränkt ist, bei ihnen anhängige Rechtsbehelfe nur dann für unzulässig zu erklären, wenn der betreffende Vertreter offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Aufgabe – nämlich seinen Mandanten durch den bestmöglichen Schutz seiner Interessen zu verteidigen – zu erfüllen, so dass er im Interesse des Mandanten von der Vertretung auszuschließen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. März 2022, PJ und PC/EUIPO, C‑529/18 P und C‑531/18 P, EU:C:2022:218, Rn. 74).

54      Es ist jedoch zu prüfen, ob die in der in den Rn. 48 bis 53 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung für Anwälte entwickelte Unabhängigkeitsvoraussetzung ebenfalls für postulationsfähige Hochschullehrer gilt.

55      Auch wenn die beiden Berufe in Bezug auf die Aufgabenbeschreibung nicht vergleichbar sind – der Anwalt hat die Interessen seines Mandanten zu schützen und zu verteidigen, während der Hochschullehrer, dessen Beruf durch die Freiheit der Lehre geschützt ist, unabhängig lehrt und forscht –, sind, wie der Generalanwalt in den Nrn. 57 und 58 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, Hochschullehrer, wenn sie eine Partei vor den Unionsgerichten vertreten, dort nicht in ihrer Eigenschaft als Lehrkraft und Forschende tätig, sondern sie erfüllen die Aufgabe, die auch ein Anwalt wahrnimmt: Sie vertreten eine nicht in Art. 19 Abs. 1 und 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union genannte Partei.

56      Außerdem ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 19 Abs. 7 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass nach dem Recht ihres Mitgliedstaats postulationsfähige Hochschullehrer die Rechtsstellung haben, die den Anwälten durch Art. 19 Abs. 3 der Satzung eingeräumt wird.

57      Daraus folgt, dass Hochschullehrer entsprechend dem Ziel der wahrgenommenen Vertretungsaufgabe, die, wie in den Rn. 47 und 48 des vorliegenden Urteils ausgeführt, vor allem darin besteht, die Interessen des Mandanten bestmöglich zu schützen und zu verteidigen, dieselben Unabhängigkeitskriterien erfüllen müssen wie Anwälte.

58      Nach der in den Rn. 49 und 52 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung sind diese Kriterien sowohl negativ zu definieren, d. h. durch das Fehlen eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten, als auch positiv, d. h. unter Bezugnahme auf die berufsständischen Pflichten, was u. a. bedeutet, dass es keine Verbindung geben darf, die den Anwalt offensichtlich darin beeinträchtigt, seinen Mandanten unter Beachtung des Gesetzes sowie der Berufsregeln durch den bestmöglichen Schutz seiner Interessen zu verteidigen.

59      Zur Frage des fehlenden Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem Vertreter und seinem Mandanten hat das Gericht in Rn. 25 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, dass der Vertreter der Universität Bremen bei dieser im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses beschäftigt sei.

60      Indem es die Situation eines Hochschullehrers, der die Universität vertritt, an der er lehrt und forscht, der Situation eines Rechtsberaters gleichgestellt hat, der eine Einrichtung vertritt, die mit der juristischen Person, bei der er angestellt ist, verbunden ist, hat das Gericht die in den Rn. 51 und 52 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung jedoch falsch angewandt.

61      Wie der Generalanwalt in den Nrn. 50 und 74 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist der betreffende Hochschullehrer nämlich – anders als ein Syndikusanwalt, um dessen Stellung es im Urteil vom 6. September 2012, Prezes Urzędu Komunikacji Elektronicznej und Polen/Kommission (C‑422/11 P und C‑423/11 P, EU:C:2012:553, Rn. 25), ging – mit der Universität, die er vertritt, durch ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis verbunden. Durch diese Rechtsstellung ist er – entsprechend den Voraussetzungen und den Vorschriften des nationalen Rechts – nicht nur als Lehrkraft und Forschender, sondern auch als Vertreter nicht privilegierter Parteien vor den Unionsgerichten unabhängig. Da außerdem die Vertretung vor Gericht nicht zu den Aufgaben gehört, die dieser Hochschullehrer an der Universität als Lehrkraft oder Forschender wahrnimmt, hängt diese Vertretung in keiner Weise mit seiner akademischen Tätigkeit zusammen und ist daher auch nicht weisungsgebunden, auch wenn es sich bei der vertretenen Partei um die betreffende Universität handeln sollte.

62      Da der Gerichtshof entschieden hat, dass eine bloße zivilrechtliche vertragliche Verbindung zwischen einem Anwalt und der von ihm vertretenen Universität nicht für die Annahme genügt, dass der Anwalt sich in einer Situation befindet, die seine Fähigkeit, die Interessen seines Mandanten unter Wahrung der Unabhängigkeitsvoraussetzung im Sinne von Art. 19 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu vertreten, offensichtlich beeinträchtigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Februar 2020, Uniwersytet Wrocławski und Polen/REA, C‑515/17 P und C‑561/17 P, EU:C:2020:73, Rn. 66 und 67), ist ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis zwischen einem Hochschullehrer und der von ihm vertretenen Universität ebenfalls unzureichend, um anzunehmen, dass sich der Hochschullehrer in einer Situation befindet, in der er die Interessen dieser Universität nicht verteidigen kann.

63      Da Art. 19 Abs. 7 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union Hochschullehrern dieselben Rechte verleiht wie Anwälten im Sinne von Art. 19 Abs. 3 der Satzung, ist davon auszugehen, dass ein nach nationalem Recht postulationsfähiger Hochschullehrer grundsätzlich die Unabhängigkeitsvoraussetzung im Sinne von Art. 19 der Satzung erfüllt, und zwar selbst dann, wenn er die Universität vertritt, bei der er seine akademischen Tätigkeiten ausübt.

64      In Bezug auf das Fehlen einer Verbindung, die die Fähigkeit des Vertreters beeinträchtigt, seinen Mandanten durch den bestmöglichen Schutz seiner Interessen zu verteidigen, hat das Gericht in Rn. 25 des angefochtenen Beschlusses darauf verwiesen, dass der Vertreter der Universität Bremen Koordinator und Teamleiter des vorgeschlagenen Projekts sei und innerhalb des Projekts „wesentliche Aufgaben und Funktionen“ übernehmen solle. Die persönliche Verbindung des Vertreters zum Gegenstand des Rechtsstreits beeinträchtige daher seine Fähigkeit, der Universität die benötigte rechtliche Unterstützung zu gewähren.

65      Diese Beurteilung des Gerichts ist fehlerhaft.

66      Das Gericht hat in Rn. 30 des angefochtenen Beschlusses zu Recht darauf hingewiesen, dass die dem Anwalt obliegende Pflicht zur Unabhängigkeit nicht als das Fehlen jeglicher Verbindung zu seinem Mandanten zu verstehen ist, sondern lediglich als das Fehlen einer Verbindung, die offensichtlich die Fähigkeit zur Verteidigung des Mandanten beeinträchtigt. Die in Rn. 25 dieses Beschlusses beschriebenen und in Rn. 64 des vorliegenden Urteils wiedergegeben Verbindungen können indessen nicht als solche eingestuft werden, die den Vertreter der Universität Bremen offensichtlich darin beeinträchtigen, diese Universität mit der erforderlichen Unabhängigkeit zu vertreten. Durch die von dem betreffenden Vertreter im Rahmen des streitgegenständlichen Projekts wahrgenommenen Aufgaben hatten dieser und die Universität Bremen zwar gemeinsame Interessen. Wie der Generalanwalt in Nr. 80 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, führen diese Interessen jedoch nicht dazu, dass dieser Vertreter die ihm übertragene Vertretung nicht ordnungsgemäß wahrnehmen könnte.

67      Im Übrigen wurde kein Gesichtspunkt vorgebracht, aus dem zu schließen wäre, dass diese Interessen der Prozessvertretung der Universität Bremen durch den Vertreter entgegengestanden hätten. Daher hat das Gericht die – in der in den Rn. 52 und 53 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung festgelegten – Grenzen seiner Nachprüfungsbefugnis überschritten, wobei diese Rechtsprechung keinen bloßen Fall der Anwendung des Begriffs „Unabhängigkeit“ im Sinne von Art. 19 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union darstellt, sondern eine Neuausrichtung der Rechtsprechung zu diesem Begriff in dem Sinne, dass die unionsrechtliche Unabhängigkeitsvoraussetzung so auszulegen ist, dass Unzulässigkeit nur in den Fällen vorliegt, in denen der betreffende Vertreter seine Aufgabe, seinen Mandanten durch den bestmöglichen Schutz seiner Interessen zu verteidigen, offensichtlich nicht wahrzunehmen vermag, so dass er im Interesse des Mandanten von der Vertretung auszuschließen ist.

68      Das Gericht hat daher die Klage zu Unrecht aus dem Grund für unzulässig erklärt, dass die Universität Bremen durch den betreffenden Hochschullehrer nicht ordnungsgemäß vertreten sei.

69      Folglich ist dem ersten Rechtsmittelgrund stattzugeben.

70      Daher ist der angefochtene Beschluss aufzuheben, ohne dass es erforderlich wäre, die übrigen im Rahmen des ersten und des zweiten Rechtsmittelgrundes vorgebrachten Argumente oder die übrigen Rechtsmittelgründe zu prüfen.

 Zur Zurückverweisung der Sache an das Gericht

71      Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, den Rechtsstreit sodann selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.

72      Da im vorliegenden Fall der Rechtsstreit in der Sache nicht zur Entscheidung reif ist, ist die Sache an das Gericht zurückzuverweisen.


 Kosten

73      Da die Sache an das Gericht zurückverwiesen wird, ist die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorzubehalten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Der Beschluss des Gerichts der Europäischen Union vom 16. Dezember 2020, Universität Bremen/REA (T660/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:633), wird aufgehoben.

2.      Die Rechtssache T660/19 wird an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.

3.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Prechal

Passer

Biltgen

Wahl

 

Arastey Sahún

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. Juli 2022.

Der Kanzler

 

Die Präsidentin der Zweiten Kammer

A. Calot Escobar

 

A. Prechal


*      Verfahrenssprache: Deutsch.