Language of document : ECLI:EU:T:2014:1056

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

11. Dezember 2014(*)

„Humanarzneimittel – Wirkstoff Tolperison – Art. 116 der Richtlinie 2001/83/EG – Beschluss der Kommission, mit dem gegenüber den Mitgliedstaaten die Änderung der nationalen Zulassungen von Humanarzneimitteln mit dem betreffenden Wirkstoff angeordnet wird – Beweislast – Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache T‑189/13

PP Nature-Balance Lizenz GmbH mit Sitz in Hamburg (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Ambrosius,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch B.‑R. Killmann und M. Šimerdová, dann durch B.‑R. Killmann und A. Sipos als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen teilweiser Nichtigerklärung des Durchführungsbeschlusses K(2013)369 (endg.) der Kommission vom 21. Januar 2013 über die Zulassungen für Humanarzneimittel mit dem Wirkstoff „Tolperison“ gemäß Artikel 31 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates

erlässt

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. Dittrich, des Richters J. Schwarcz und der Richterin V. Tomljenović (Berichterstatterin),

Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. Juli 2014

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die Klägerin, die PP Nature-Balance Lizenz GmbH, ist Inhaberin einer Genehmigung für das Inverkehrbringen (im Folgenden: Zulassung) für das Fertigarzneimittel Mydocalm in Deutschland, das den Wirkstoff Tolperison enthält.

2        Tolperison ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der zentral wirksamen Muskelrelaxanzien, der 1956 von der Gedeon Richter Plc in Ungarn entwickelt wurde. Da Ungarn damals noch kein Mitgliedstaat der Europäischen Union war, wurde Tolperison in Europa über Lizenzvereinbarungen mit mehreren Inhabern einer Zulassung vermarktet. Nach den Erweiterungen der Union 2004 und 2007 wurde Tolperison in mehreren Mitgliedstaaten für unterschiedliche Anwendungsgebiete zugelassen.

3        In Deutschland wurde Mydocalm als Filmtablette von 50 mg zum Einnehmen für mehrere Anwendungsgebiete vertrieben. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (im Folgenden: BfArM) erließ jedoch 2005 im Zuge einer obligatorischen Nachzulassung für Altarzneimittel für die meisten Anwendungsgebiete eine negative Entscheidung über die Wirksamkeit von tolperisonhaltigen Arzneimitteln. In der Folge wurde Mydocalm in Deutschland für die Anwendung gegen „Spastizität bei neurologischen Erkrankungen“ (im Folgenden: neurologische Indikation) zugelassen. Bis zum Ausgang der Rechtsstreitigkeiten über die negative Entscheidung des BfArM wurde Mydocalm für das Anwendungsgebiet „schmerzhafte Muskelverspannungen, insbesondere als Folge von Erkrankungen der Wirbelsäule und der achsennahen Gelenke“ (im Folgenden: lokomotorische Indikation) dagegen nur vorläufig zugelassen.

4        Darüber hinaus gab der Ausschuss für Humanarzneimittel (im Folgenden: Ausschuss), der innerhalb der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) mit Stellungnahmen zu Humanarzneimittel betreffenden Fragen betraut ist, am 22. Oktober 2009 zu einem anderen, den Wirkstoff Tolperisonhydrochlorid enthaltenden Arzneimittel, Myderison, eine negative Stellungnahme ab. Der Ausschuss war im Rahmen des Verfahrens zur gegenseitigen Anerkennung angerufen worden, weil einige Mitgliedstaaten einem Beurteilungsbericht in der in Art. 29 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311, S. 67) vorgesehenen Koordinierungsgruppe nicht zustimmen konnten. Das negative Gutachten des Ausschusses wurde mit der Schlussfolgerung begründet, dass für Myderison die Wirksamkeit und die Sicherheit für die Anwendung gegen „Spastizität der Skelettmuskulatur“ nicht nachgewiesen seien. Dementsprechend gab die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten mit Beschluss K(2010) 5614 vom 6. August 2010 auf, die Zulassungen für das Tolperisonhydrochlorid enthaltende Humanarzneimittel „Myderison“ im Rahmen des Art. 29 der Richtlinie 2011/83 zu widerrufen oder zu verweigern.

5        Am 15. Juli 2010 befasste die Bundesrepublik Deutschland den Ausschuss zur Beurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses von Tolperison für alle in der Union zugelassenen Anwendungsgebiete, um gemäß Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung die Aussetzung, den Widerruf oder jede andere für erforderlich gehaltene Änderung der Zulassung zu erwirken.

6        In ihrer Mitteilung an den Ausschuss machte die Bundesrepublik Deutschland geltend, die Wirksamkeit von Tolperison sei nicht wissenschaftlich bewiesen und in Bezug auf die Sicherheit sei neben den bekannten unerwünschten Wirkungen von Tolperison in Deutschland während der letzten Jahre eine große Zahl von Überempfindlichkeitsreaktionen gemeldet worden. Zudem müssten die Fragen in Zusammenhang mit der Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels Myderison in der negativen Stellungnahme des Ausschusses auch für alle anderen tolperisonhaltigen Arzneimittel gelten. Im Ergebnis sei das Nutzen-Risiko-Verhältnis für alle Anwendungsgebiete negativ.

7        Am 21. Juli 2011 eröffnete der Ausschuss das Bewertungsverfahren und bestellte den Berichterstatter und den Mitberichterstatter, die die Wirksamkeit und Sicherheit von tolperisonhaltigen Arzneimitteln prüfen sollten. Gemäß dem in Art. 32 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2001/83 vorgesehenen Verfahren übersandte der Ausschuss auch Fragen an die Inhaber einer Zulassung für tolperisonhaltige Arzneimittel, darunter die Klägerin. Mit Schreiben vom 21. Oktober 2011 beantwortete die Klägerin diese Fragen gemeinsam mit der Gedeon Richter Plc, dem Unternehmen, das Tolperison entwickelt hatte.

8        Am 30. November 2011 erstellten der Berichterstatter und der Mitberichterstatter jeweils einen Bericht über die Antworten auf die den Zulassungsinhabern vom Ausschuss gestellten Fragen und legten die noch offenen Fragen fest, zu denen sie zusätzliche Informationen von den Zulassungsinhabern forderten.

9        Am 4. April 2012 erstellten der Berichterstatter und der Mitberichterstatter einen gemeinsamen Beurteilungsbericht über die noch offenen Fragen (im Folgenden: erster gemeinsamer Bericht). Sie vertraten die Auffassung, dass durch die von den Zulassungsinhabern vorgeschlagenen Maßnahmen zur Reduzierung von Überempfindlichkeitsreaktionen durch die Änderung der Packungsbeilagen die Sicherheit von Tolperison akzeptabel sei. In Bezug auf die Wirksamkeit und das Nutzen-Risiko-Verhältnis gelangten sie allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen. Der Berichterstatter hielt die Wirksamkeit von Tolperison bei lokomotorischer Indikation für nicht nachgewiesen und das Nutzen-Risiko-Verhältnis für negativ. Dagegen ging der Mitberichterstatter davon aus, dass die Wirksamkeit auf der Grundlage der Studie von Pratzel (1995) und von vier Metaanalysen der Studien von Pratzel und Struck (2002 und 2004) (im Folgenden: vier Metaanalysen) hinreichend nachgewiesen sei. Daher schloss er auf ein für diese Indikation positives Nutzen-Risiko-Verhältnis.

10      Am 21. Juni 2012 gab der Ausschuss ein negatives Gutachten zu Tolperison ab, das bei der Abstimmung eine Mehrheit von 24 von 27 Stimmen gefunden hatte. Der Ausschuss kam ausgehend von den einschlägigen wissenschaftlichen Studien zu dem Ergebnis, dass der Nachweis der Wirksamkeit von Tolperison sehr schwach sei und dass diese nur für die neurologische Indikation nachgewiesen sei. Was die lokomotorische Indikation angehe, so wiesen von den vier wissenschaftlichen Hauptstudien, die seit der Erstzulassung von Tolperison veröffentlicht worden seien, drei Studien, nämlich die von Hodinka (2001) und Struck (2002 und 2004), dessen Wirksamkeit nicht nach. Außerdem weise die einzige Studie, die seine Wirksamkeit nachweise, nämlich die von Pratzel (1995), erhebliche methodische Schwächen auf. Des Weiteren schätzte der Ausschuss das Risiko für eine Überempfindlichkeit gegenüber Tolperison bedeutender ein, als bis dahin nachgewiesen worden sei. Folglich übertreffe der Nutzen das Risiko nur bei der neurologischen Indikation. Der Ausschuss empfahl daher den Widerruf der Zulassungen für tolperisonhaltige Arzneimittel in parenteraler Darreichungsform, also zur intramuskulären oder intravenösen Anwendung, für die die Zulassungsinhaber keine Informationen vorgelegt hätten und für die es sehr wenige Daten gebe. Er empfahl darüber hinaus die Änderung der Zulassungen für tolperisonhaltige Arzneimittel in oraler Darreichungsform für alle Anwendungsgebiete außer bei der neurologischen Indikation sowie die Änderung der Packungsbeilage und der Fachinformation betreffend das Risiko einer Überempfindlichkeitsreaktion (im Folgenden: erstes Gutachten des Ausschusses).

11      Am 12. Juli 2012 ersuchten die Gedeon Richter Plc und die Klägerin gemäß Art. 32 Abs. 4 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung um Überprüfung des ersten Gutachtens des Ausschusses in Bezug auf die Ergebnisse zur lokomotorischen Indikation. Sie machten geltend, dass sich das Sicherheitsprofil von Tolperison nicht verändert habe, da der offensichtliche Anstieg an Fällen von Überempfindlichkeit geringfügig sei. Außerdem beanstandeten sie das erste Gutachten des Ausschusses, weil es vier Metaanalysen, die ihrer Ansicht nach die Wirksamkeit von Tolperison bei lokomotorischer Indikation nachweisen, sowie 30 klinische Versuche und Beobachtungsstudien nicht berücksichtige. Sie schlugen ferner vor, die lokomotorische Indikation auf die Indikation „Kurzzeitbehandlung von Muskelspasmen bei Erwachsenen mit nicht-spezifischen starken Schmerzen im unteren Rücken“ zu beschränken und eine Studie nach der Zulassung zur Wirksamkeit von Tolperison bei der eingeschränkten Indikation „Schmerzen im unteren Rücken“ durchzuführen.

12      Der Ausschuss benannte daher jeweils einen neuen Berichterstatter und Mitberichterstatter für die Beurteilung des Antrags auf Überprüfung des ersten Gutachtens des Ausschusses gemäß Art. 62 Abs. 1 Unterabs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. L 136, S. 1).

13      Am 25. September 2012 gaben der Berichterstatter und der Mitberichterstatter, die mit der Überprüfung befasst waren, einen gemeinsamen Bericht ab, in dem sie die Auffassung vertraten, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis tolperisonhaltiger Arzneimittel bei lokomotorischer Indikation als positiv angesehen werden könne (im Folgenden: gemeinsamer Überprüfungsbericht). Sie stellten jedoch fest, dass diese Bewertung im Wesentlichen auf der Untersuchung der Sicherheit von Tolperison beruhe, die sie mangels Todesfällen trotz einer so großen Zahl von mit Tolperison behandelten Patienten als akzeptabel einschätzten. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Wirksamkeit von Tolperison für das Anwendungsgebiet „Kurzzeitbehandlung von Muskelspasmen bei Erwachsenen mit nicht-spezifischen starken Schmerzen im unteren Rücken“ eingeschränkt nachgewiesen sei, dass die wissenschaftlichen Studien aber nicht den Schluss zuließen, dass Tolperison sicher unwirksam sei. Weiterhin gingen sie davon aus, dass die Langzeitanwendung von Tolperison sowie einige Studien – ungeachtet ihrer minderen Qualität – die Ansicht bestätigten, dass Tolperison wirksam sein könne. In diesem Zusammenhang nahmen sie an, dass der Vorschlag der Zulassungsinhaber, eine entsprechende Studie über die Wirksamkeit von Tolperison durchzuführen, die wohl beste Lösung sei.

14      Daraufhin holte der Ausschuss die Stellungnahme der Wissenschaftlichen Beratergruppe „Neurologie“ (im Folgenden: SAG-N) zu den Argumenten ein, die dem Antrag auf Überprüfung zugrunde lagen. Auf Bitten des Ausschusses fand eine Sitzung der SAG-N statt, um unabhängige Empfehlungen zu wissenschaftlichen und technischen Fragen zu neurologischen Erzeugnissen, die dem Ausschuss zur Bewertung vorgelegt wurden, oder zu allen anderen wissenschaftlichen Fragen betreffend die Arbeit des Ausschusses in diesem Bereich abzugeben. Die SAG-N trat am 15. Oktober 2012 zusammen. Bei dieser Gelegenheit wurden die Zulassungsinhaber aufgefordert, sich mündlich zu äußern. Dem Protokoll der Sitzung der SAG-N ist zu entnehmen, dass diese davon ausgeht, dass die vier Metaanalysen nicht angemessen durchgeführt worden seien und dass keine ausreichenden Daten vorlägen, um das Ergebnis, es gebe Patienten, denen Tolperison nützen könne, zu bestätigen. Sie regte insoweit an, dass die Zulassungsinhaber gezielte Versuche durchführen und zusätzliche Daten zu bestimmten Untergruppen von Patienten hinsichtlich der Wirksamkeit von Tolperison beibringen sollten. Was die Probleme der Sicherheit von Tolperison angehe, seien diese offenbar nicht nachweislich angestiegen. Die SAG-N empfahl jedoch, die Sicherheit von Tolperison weiterhin zu überwachen, um festzustellen, ob der offensichtliche Anstieg an der Tendenz zur Übererfassung in Deutschland oder der zu Meldelücken in anderen Ländern liege.

15      Schließlich holte der Ausschuss die Stellungnahme der Arbeitsgruppe für Biostatistik (im Folgenden: BSWP) zu den vier Metaanalysen ein. Die BSWP ist ein vom Ausschuss gebildeter Ausschuss, um spezielle Aufgaben betreffend die Verwendung biostatistischer Methoden bei der Untersuchung von Arzneimitteln zu erfüllen. Die BSWP trat am 10. Oktober 2012 zusammen und legte dem Ausschuss am 15. Oktober 2012 einen Bericht vor. Darin führte die BSWP aus, dass die vier Metaanalysen in den Leitlinien des Ausschusses festgelegte Schlüsselkriterien für Metaanalyse-Studien nicht beachteten und ernsthafte Bedenken in Bezug auf die Sachdienlichkeit der in den vier fraglichen Metaanalysen angewandten statistischen Methodik bestünden. Folglich empfahl die BSWP dem Ausschuss dringend, diese Untersuchungen nicht zu verwenden.

16      Am 17. Oktober 2012 äußerten sich die Zulassungsinhaber mündlich vor dem Ausschuss und legten auch eine fünfte Metaanalyse vor.

17      Am 18. Oktober 2013 gab der Ausschuss seinen endgültigen Bericht ab (im Folgenden: endgültiger Bericht des Ausschusses) und nahm mit einer Mehrheit von 17 von 29 Stimmen sein endgültiges Gutachten (im Folgenden: endgültiges Gutachten des Ausschusses) an, das sein erstes Gutachten bestätigte. In seinem endgültigen Bericht erklärte der Ausschuss, dass er alle von den Zulassungsinhabern vorgelegten Daten einschließlich nicht kontrollierter Studien, bibliografischer Daten und der vier im Überprüfungsantrag erwähnten Metaanalysen berücksichtigt habe. Die Mehrheit dieser Daten werde aus wissenschaftlicher Sicht jedoch als ungeeignet und deshalb als für die Untersuchung der Wirksamkeit von Tolperison nicht wesentlich betrachtet. Insbesondere zu den vier Metaanalysen verwies der Ausschuss erstens auf die detaillierte Untersuchung durch die BSWP und kam zu dem Ergebnis, dass in Anbetracht dieser Untersuchung ernsthafte Bedenken in Bezug auf die Geeignetheit der in den vier Metaanalysen angewandten statistischen Methodik bestünden. Zweitens verwies der Ausschuss auf die Untersuchung der SAG-N, wonach die vier Metaanalysen nicht für die Wirksamkeit von Tolperison sprächen und jedenfalls nicht angemessen durchgeführt worden seien. Drittens stellte der Ausschuss fest, dass er die von den Zulassungsinhabern bei ihrer Anhörung am 17. Oktober 2012 vorgelegten Daten, insbesondere die dabei eingereichte fünfte Metaanalyse, berücksichtigt habe. Er äußerte jedoch Bedenken hinsichtlich der angewandten Methodik, einschließlich des Gewichts, das den einzelnen Studien beigemessen worden sei, und ihrer Qualität. Zu dem Vorschlag des Zulassungsinhabers, einen zusätzlichen klinischen Versuch durchzuführen, führte der Ausschuss aus, dass die vorgeschlagene Studie ungeeignet sei, abschließende Beweise für die Wirksamkeit zu erbringen, insbesondere im Hinblick auf die kurze Behandlungsdauer.

18      Dementsprechend bestätigte der Ausschuss seine Ergebnisse zur lokomotorischen Indikation in seinem ersten Gutachten, indem er feststellte, dass im Zuge einer Neubewertung der Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit von Tolperison das Risiko für eine Überempfindlichkeit bedeutender sei, als bis dahin nachgewiesen worden sei, und daher der nachgewiesene klinische Nutzen nur bei der neurologischen Indikation die Risiken überwiege.

19      Am 21. Januar 2013 folgte die Kommission unter Bezugnahme auf das endgültige Gutachten des Ausschusses dessen Empfehlungen und erließ gemäß Art. 34 der Richtlinie 2001/83 den Durchführungsbeschluss K(2013) 369 (endg.) über die Zulassungen für Humanarzneimittel mit dem Wirkstoff „Tolperison“ gemäß Art. 31 der Richtlinie 2001/83 (im Folgenden: angefochtener Beschluss). Sie informierte die Klägerin hierüber per E‑Mail vom 28. Januar 2013.

20      Der angefochtene Beschluss sieht vor, dass die Zulassungen von tolperisonhaltigen Arzneimitteln mit parenteraler Darreichungsform widerrufen (Art. 1) und mit oraler Darreichungsform, aufgeführt in Anhang I, darunter Mydocalm, geändert werden (Art. 2). Im Einzelnen sieht der angefochtene Beschluss die Änderung der Zulassungen dahin vor, dass Fachinformation und Packungsbeilage als Anwendungsgebiet allein die „symptomatische Behandlung der Spastizität nach einem Schlaganfall bei Erwachsenen“ anzugeben haben und dass sie u. a. die neuen Informationen zu Überempfindlichkeitsreaktionen nennen (Art. 3 in Verbindung mit Anhang III Abschnitte 4.1, 4.3, 4.4 und 4.8).

 Verfahren und Anträge der Parteien

21      Mit Klageschrift, die am 3. April 2013 in der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

22      Die Klägerin beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss insoweit für nichtig zu erklären, als durch ihn die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, die Zulassungen dahin zu ändern, dass die lokomotorische Indikation gestrichen wird;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

23      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

24      Zur Stützung ihrer Klage macht die Klägerin drei Klagegründe geltend, mit denen sie Verstöße gegen die Richtlinie 2001/83 rügt. Mit ihrem ersten Klagegrund beruft sie sich auf einen Verstoß gegen Art. 116 dieser Richtlinie, da die in dieser Bestimmung aufgeführten Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Mit dem zweiten Klagegrund macht die Klägerin einen Verstoß gegen Art. 10a und den Anhang I der Richtlinie geltend. Mit ihrem dritten Klagegrund rügt sie einen Verstoß gegen Art. 22a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie sowie eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, soweit die Kommission die Mitgliedstaaten verpflichtet habe, die Zulassungen für Tolperison in oraler Darreichungsform durch Streichung der lokomotorischen Indikation zu ändern.

25      In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin klargestellt, dass ihre Klage nicht auf die Nichtigerklärung des gesamten angefochtenen Beschlusses gerichtet sei.

 Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 116 der Richtlinie 2001/83

26      Die Klägerin macht mit ihrem ersten Klagegrund geltend, dass die in Art. 116 der Richtlinie 2001/83 vorgesehenen Voraussetzungen für eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Zulassungen durch Streichung der lokomotorischen Indikation zu ändern, nicht vorlägen. Der angefochtene Beschluss habe erstens die in Art. 116 vorgesehenen Beweisanforderungen missachtet. Zum einen habe die Kommission die ihr nach diesem Artikel obliegende Beweislast tatsächlich umgekehrt. Zum anderen sei weder im angefochtenen Beschluss noch im endgültigen Gutachten des Ausschusses, auf das sich dieser Beschluss stütze, nachgewiesen worden, dass Tolperison unwirksam sei oder dass sich das Risikoprofil verändert habe, so dass auf ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis geschlossen werden könne. Insoweit macht die Klägerin insbesondere geltend, dass im Verfahren zur Prüfung von Tolperison bei den Berichterstattern und Mitberichterstattern unterschiedliche Auffassungen zum Ausdruck gekommen seien, dass innerhalb des Ausschusses eine Meinungsverschiedenheit bestanden habe und dass der endgültige Bericht und das endgültige Gutachten des Ausschusses den von den Berichterstattern und Mitberichterstattern im Laufe des Verfahrens geäußerten Auffassungen widersprächen.

27      Zweitens macht die Klägerin eine Verletzung der Pflicht zur sorgfältigen und unparteiischen Beurteilung geltend, da der Ausschuss nicht alle zur Verfügung stehenden Informationen berücksichtigt habe.

28      Die Kommission wendet sich gegen dieses Vorbringen.

29      Es ist darauf hinzuweisen, dass der angefochtene Beschluss die nationalen Behörden der Mitgliedstaaten verpflichtet, die Zulassungen für tolperisonhaltige Arzneimittel mit parenteraler Darreichungsform zu widerrufen und die Zulassungen für tolperisonhaltige Arzneimittel mit oraler Darreichungsform zu ändern. Gegenstand der vorliegenden Klage ist die Änderung der Zulassungen, die auf die Schlussfolgerung des Ausschusses gestützt ist, dass der Nutzen von Tolperison die Risiken nur für die neurologische Indikation übersteige, und dahin geht, dass die lokomotorische Indikation von den Zulassungen ausgenommen wird.

30      Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung verlangt die Änderung der Zulassungen, wenn das Nutzen-Risiko-Verhältnis negativ ist. So sieht er vor, dass „[d]ie zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten … die [Zulassung aussetzen], … sie [zurücknehmen] oder ändern …, wenn sie der Ansicht sind, dass das Arzneimittel schädlich ist oder dass seine therapeutische Wirksamkeit fehlt oder dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis ungünstig ist oder dass das Arzneimittel nicht die angegebene quantitative und qualitative Zusammensetzung aufweist“.

31      Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, der Ausschuss habe nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis für Tolperison negativ sei, und damit die Beweislast tatsächlich umgekehrt.

32      Nach Ansicht der Klägerin gilt dies auch für den angefochtenen Beschluss, weil die Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses im endgültigen Gutachten des Ausschusses rechtswidrig sei und der angefochtene Beschluss ausdrücklich auf dieses Gutachten gestützt sei. Die Klägerin beanstandet mit ihrem Vorbringen demnach nicht nur die Ermessensausübung der Kommission bei Erlass des angefochtenen Beschlusses, sondern auch die Rechtmäßigkeit des endgültigen Gutachtens des Ausschusses, auf das sich der angefochtene Beschluss stützt.

33      Das Gericht übt jedoch über die Beschlüsse der Kommission und die Gutachten des Ausschusses nicht die gleiche gerichtliche Kontrolle aus. Daher sind diese Fragen getrennt zu behandeln, indem zunächst die Ermessensausübung der Kommission bei Erlass des angefochtenen Beschlusses und anschließend die Rechtmäßigkeit des Gutachtens des Ausschusses geprüft wird.

 Zur Ermessensausübung der Kommission bei Erlass des angefochtenen Beschlusses

34      Zur Ermessensausübung der Kommission ist auf die gefestigte Rechtsprechung zu verweisen, wonach Entscheidungen über die Anwendung von Kriterien der Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität eines Arzneimittels das Ergebnis komplexer Beurteilungen auf medizinisch-pharmakologischem Gebiet sind, die einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegen. Ein Unionsorgan, das komplexe Bewertungen vorzunehmen hat, verfügt dabei nämlich über ein weites Ermessen, dessen Ausübung einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, die sich nur darauf erstreckt, ob die fragliche Maßnahme mit einem offensichtlichen Irrtum oder Ermessensmissbrauch behaftet ist oder ob die zuständige Behörde die Grenzen ihres Ermessensspielraums offensichtlich überschritten hat (Urteil des Gerichtshofs vom 21. Januar 1999, Upjohn, C‑120/97, Slg. 1999, I‑223, Rn. 34, und Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 11. April 2001, Kommission/Cambridge Healthcare Supplies, C‑471/00 P[R], Slg. 2001, I‑2865, Rn. 95 und 96; Urteil des Gerichts vom 26. November 2002, Artegodan u. a./Kommission, T‑74/00, T‑76/00, T‑83/00 bis T‑85/00, T‑132/00, T‑137/00 und T‑141/00, Slg. 2002, II‑4945, Rn. 201).

35      Was die im System der Richtlinie 2001/83 geltende Beweislastregelung betrifft, ist es Sache des Unternehmens, das die Zulassung für ein Arzneimittel beantragt, die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels nachzuweisen. Der Inhaber einer Zulassung für ein Arzneimittel ist dagegen nicht verpflichtet, während der Laufzeit dieser Zulassung die Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit des Arzneimittels zu beweisen. Es ist Sache der zuständigen Behörde, hier der Kommission, das Vorliegen der in Art. 116 der Richtlinie 2001/83 genannten Voraussetzungen für die Rücknahme, die Aussetzung oder die Änderung einer Zulassung darzutun (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteile des Gerichts Artegodan u. a./Kommission, oben in Rn. 34 angeführt, Rn. 191, und vom 7. März 2013, Acino/Kommission, T‑539/10, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn. 79).

36      Bei der Frage nach den Anforderungen an den Beweis, den die Kommission nach Art. 116 der Richtlinie 2001/83 zu erbringen hat, ist jedoch der Vorsorgegrundsatz zu berücksichtigen. Nach diesem Grundsatz, der ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, müssen die zuständigen Behörden geeignete Maßnahmen treffen, um bestimmte potenzielle Risiken für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt auszuschließen, und dabei den mit dem Schutz dieser Interessen verbundenen Erfordernissen Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einräumen (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteile Artegodan u. a./Kommission, oben in Rn. 34 angeführt, Rn. 185 und 186, und Acino/Kommission, oben in Rn. 35 angeführt, Rn. 63).

37      Der Vorsorgegrundsatz gebietet nämlich, eine Zulassung gemäß Art. 116 der Richtlinie 2001/83 zurückzunehmen, auszusetzen oder zu ändern, wenn neue Daten vorliegen, die ernste Zweifel an der Sicherheit des betreffenden Arzneimittels oder an seiner Wirksamkeit wecken, und wenn diese Zweifel zu einer ungünstigen Beurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses dieses Arzneimittels führen. In diesem Zusammenhang kann sich die Kommission darauf beschränken, ernsthafte und stichhaltige Anhaltspunkte zu liefern, die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit oder der Wirksamkeit des Arzneimittels erlauben (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil des Gerichtshofs vom 10. April 2014, Acino/Kommission, C‑269/13 P, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn. 60, und Urteil Artegodan u. a./Kommission, oben in Rn. 34 angeführt, Rn. 192).

38      Das Vorbringen der Klägerin ist im Licht dieser Erwägungen zu prüfen.

39      Sofern das Argument der Klägerin dahin zu verstehen ist, dass danach die Unwirksamkeit eines Arzneimittels absolut und unter Beseitigung jedweder wissenschaftlicher Ungewissheit zu beweisen ist, um Maßnahmen nach Art. 116 der Richtlinie 2001/83 ergreifen zu können, ist dieses Argument zurückzuweisen.

40      Zum einen hat sich die Kommission im vorliegenden Fall auf ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis für Tolperison bei lokomotorischer Indikation gestützt und nicht auf das Fehlen eines therapeutischen Nutzens (siehe oben, Rn. 18 und 19).

41      Insoweit handelt es sich entgegen dem Eindruck, den einige Äußerungen der Klägerin in ihren Schriftsätzen hervorrufen können, bei den Voraussetzungen für die Rücknahme, die Aussetzung oder die Änderung einer Zulassung, wie sie in Art. 116 der Richtlinie 2001/83 vorgesehen sind, um alternative und nicht um kumulative Voraussetzungen (vgl. in diesem Sinne Urteil Acino/Kommission, oben in Rn. 35 angeführt, Rn. 79). Da die Verpflichtung zur Herausnahme der lokomotorischen Indikation aus den Zulassungen im angefochtenen Beschluss auf das Ergebnis des Ausschusses gestützt wurde, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis für diese Indikation nicht positiv sei, ist es somit nicht erforderlich, darüber hinaus nachzuweisen, dass im Sinne des Art. 116 der Richtlinie 2001/83 die „therapeutische Wirksamkeit fehlt“.

42      Bei der Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses hängt nämlich der Grad der Schädlichkeit, den die zuständige Behörde als akzeptabel ansehen kann, konkret von dem Nutzen ab, den das Arzneimittel haben soll. Wie dem siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83 zu entnehmen ist, können „[d]ie Begriffe Schädlichkeit und therapeutische Wirksamkeit … nur in ihrer wechselseitigen Beziehung geprüft werden und haben nur eine relative Bedeutung, die nach Maßgabe des Standes der Wissenschaft beurteilt wird“. Daraus folgt, dass die Gründe, die eine zuständige Behörde veranlasst haben, die Zulassung eines Arzneimittels aufrechtzuerhalten, obwohl es bestimmte schädliche Wirkungen hat, wegfallen können, wenn diese Behörde zu der Auffassung gelangt, dass der eine solche Zulassung rechtfertigende Nutzen, d. h. die therapeutische Wirksamkeit, nicht mehr vorhanden (vgl. Urteil Artegodan u. a./Kommission, oben in Rn. 34 angeführt, Rn. 178 bis 180 und die dort angeführte Rechtsprechung) oder geringer ist.

43      Zum anderen kann entgegen dem Vorbringen der Klägerin die Tatsache, dass bei wissenschaftlicher Ungewissheit oder vernünftigen Zweifeln an der Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit eines Arzneimittels Maßnahmen nach Art. 116 der Richtlinie 2001/83 ergriffen werden, einer Umkehr der Beweislast nicht gleichgestellt werden (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil Artegodan u. a./Kommission, oben in Rn. 34 angeführt, Rn. 191).

44      Wie oben in den Rn. 34 bis 37 ausgeführt, ist zu klären, ob der angefochtene Beschluss auf neue und objektive wissenschaftliche oder medizinische Daten oder Informationen gestützt wurde, die ernsthafte und stichhaltige Anhaltspunkte für vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit von Tolperison darstellen.

45      Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Kommission den angefochtenen Beschluss nach der Befassung des Ausschusses durch die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 31 der Richtlinie 2001/83 auf der Grundlage des Art. 34 Abs. 1 dieser Richtlinie erlassen hat. Die Bundesrepublik Deutschland hat in ihrer Mitteilung an den Ausschuss vorgetragen, dass die wissenschaftlichen Studien nicht die Wirksamkeit von Tolperison nachwiesen und eine Zunahme der Überempfindlichkeitsreaktionen nach der Zulassung zeigten.

46      Zweitens hat die Kommission die Änderung der Zulassung für die betreffenden tolperisonhaltigen Arzneimittel auf der Grundlage des endgültigen Gutachtens des Ausschusses erlassen, indem sie im dritten Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses auf dieses Gutachten und in den Art. 1 und 2 des angefochtenen Beschlusses auf die in Anhang II des Beschlusses dargelegten wissenschaftlichen Schlussfolgerungen Bezug genommen hat.

47      Da die Kommission die Wirksamkeit oder Schädlichkeit eines Arzneimittels nicht selbst wissenschaftlich beurteilen kann, ist es im Rahmen des Verfahrens nach Art. 31 der Richtlinie 2001/83 die Aufgabe des Ausschusses, ihr die unerlässlichen wissenschaftlichen Gesichtspunkte zu liefern, damit sie in voller Sachkenntnis die zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus der öffentlichen Gesundheit geeigneten Maßnahmen ergreifen kann (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil Artegodan u. a./Kommission, oben in Rn. 34 angeführt, Rn. 198 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Im vorliegenden Fall ist der angefochtene Beschluss der Empfehlung im endgültigen Gutachten des Ausschusses gefolgt, wonach die Zulassungen für tolperisonhaltige Arzneimittel dahin geändert werden sollten, dass die lokomotorische Indikation gestrichen wird. Diese Empfehlung war auf die Schlussfolgerung gestützt, dass für diese Indikation das Nutzen-Risiko-Verhältnis negativ sei, da die Wirksamkeit des Erzeugnisses mit einschlägigen Studien nicht habe nachgewiesen werden können und das Risiko für eine Überempfindlichkeit bedeutender sei, als bis dahin nachgewiesen worden sei.

49      Die Kommission war daher auf der Grundlage des Gutachtens des Ausschusses zu dem Schluss berechtigt, dass ernsthafte und stichhaltige Anhaltspunkte vorliegen, die auf neue und objektive wissenschaftliche oder medizinische Daten oder Informationen gestützt sind und die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit oder der Wirksamkeit des Arzneimittels erlauben. Unter diesen Umständen kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, die in Art. 116 der Richtlinie 2001/83 vorgesehenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Rücknahme der Zulassung eines Arzneimittels missachtet zu haben (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil des Gerichtshofs vom 19. April 2012, Artegodan/Kommission, C‑221/10 P, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn. 108).

 Zur behaupteten Rechtswidrigkeit des abschließenden Gutachtens des Ausschusses

50      Nach den Ausführungen oben in Rn. 42 sind zur Klärung der Frage, ob das Nutzen-Risiko-Verhältnis eines Arzneimittels positiv ist, die Schädlichkeit und die therapeutische Wirksamkeit des Arzneimittels in ihrer wechselseitigen Beziehung nach Maßgabe des Standes der Wissenschaft zu prüfen.

51      Wie die Kommission zutreffend vorträgt, kann eine geringere Wirksamkeit im Verhältnis zur Schädlichkeit dazu führen, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis ins Negative umschlägt. Im vorliegenden Fall kam der Ausschuss zu dem Schluss, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis nur für die neurologische Indikation positiv sei. Hinsichtlich der lokomotorischen Indikation kam er nicht nur zu dem Schluss, dass die Wirksamkeit des Erzeugnisses mit einschlägigen Studien nicht habe nachgewiesen werden können, sondern auch, dass das Risiko für eine Überempfindlichkeit bedeutender sei, als bis dahin nachgewiesen worden sei (siehe oben, Rn. 48). Die Klägerin tritt diesen beiden Schlussfolgerungen des Ausschusses zur Wirksamkeit und zu den Risiken von Tolperison bei lokomotorischer Indikation entgegen.

52      Es ist festzustellen, dass das Gericht, was das Gutachten des Ausschusses anbelangt, die vom Ausschuss vorgenommene Beurteilung nicht durch seine eigene Beurteilung ersetzen kann. Die gerichtliche Prüfung erstreckt sich nämlich nur darauf, ob der Ausschuss ordnungsgemäß vorgegangen ist, sowie auf die Schlüssigkeit und die Begründung seines Gutachtens. Unter dem letztgenannten Aspekt kann das Gericht nur prüfen, ob das Gutachten eine Begründung enthält, anhand deren die Erwägungen beurteilt werden können, auf die es sich stützt, und ob ein verständlicher Zusammenhang zwischen den medizinischen oder wissenschaftlichen Feststellungen und den Schlussfolgerungen im Gutachten hergestellt wird. Insoweit muss der Ausschuss in seinem Gutachten die wichtigsten wissenschaftlichen Berichte und Expertisen angeben, auf die er sich stützt, und im Fall einer erheblichen Divergenz die Gründe erläutern, aus denen er von den Schlussfolgerungen in den von den betroffenen Unternehmen vorgelegten Berichten oder Expertisen abweicht. Diese Verpflichtung besteht insbesondere im Fall wissenschaftlicher Ungewissheit. Indem sie den kontradiktorischen und transparenten Charakter der Konsultation des Ausschusses gewährleistet, ermöglicht sie es, sich zu vergewissern, dass der betreffende Stoff Gegenstand einer eingehenden und objektiven wissenschaftlichen Beurteilung war, die auf einer Gegenüberstellung der repräsentativsten wissenschaftlichen Auffassungen und der von den betroffenen Arzneimittelbetrieben vertretenen wissenschaftlichen Standpunkte beruhte (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteile Artegodan u. a./Kommission, oben in Rn. 34 angeführt, Rn. 200, und Acino/Kommission, oben in Rn. 35 angeführt, Rn. 93).

53      Das Vorbringen der Klägerin ist im Licht dieser Erwägungen zu beurteilen. Zunächst sind die Schlussfolgerungen des Ausschusses zur Wirksamkeit und zu den Risiken von Tolperison bei der streitigen Indikation sowie die wichtigsten wissenschaftlichen Berichte und Expertisen, auf die er sich stützt, und im Fall einer erheblichen Abweichung die Gründe zu prüfen, aus denen er von den Schlussfolgerungen in den Berichten oder Expertisen, die von den betreffenden Unternehmen vorgelegt wurden, abgewichen ist.

 Schlussfolgerungen des Ausschusses zur Wirksamkeit von Tolperison

54      Für die Wirksamkeit von Tolperison stützt sich die Auffassung des Ausschusses, wie sie im endgültigen Bericht und im endgültigen Gutachten des Ausschusses dargestellt ist und wonach die Wirksamkeit von Tolperison bei lokomotorischer Indikation nicht nachgewiesen ist, auf die Analyse mehrerer Beweismittel, nämlich der Studien von Pratzel (1995) und Hodinka (2001), der beiden Berichte von Struck (2002 und 2004), der vier Metaanalysen, einer Metaanalyse, die von den Zulassungsinhabern in der Anhörung vom 17. Oktober 2012 vorgestellt wurde, und weiterer älterer Studien.

55      Die Analyse im endgültigen Bericht des Ausschusses konzentriert sich jedoch auf die Studien von Pratzel (1995), Hodinka (2001) und Struck (2002 und 2004). Dies gilt auch für den ersten gemeinsamen Bericht und den gemeinsamen Überprüfungsbericht und erklärt sich daraus, dass es sich dabei um randomisierte, placebokontrollierte Blindstudien und um die vier wissenschaftlichen Hauptstudien zur Wirksamkeit von Tolperison bei lokomotorischer Indikation handelt, die seit der Erstzulassung von Tolperison verfügbar gemacht wurden. Wie der Berichterstatter hierzu im gemeinsamen Überprüfungsbericht erläutert hat, waren wegen des sehr großen Einflusses des Placebo-Effekts bei der Behandlung spastischer Rückenschmerzen in erster Linie placebokontrollierte Studien für die lokomotorische Indikation heranzuziehen, und nur bei den genannten vier Studien handelte es sich um placebokontrollierte Studien, die den Anforderungen der guten klinischen Praxis genügten.

56      Nach dem endgültigen Gutachten des Ausschusses haben diese vier Studien die Wirksamkeit von Tolperison bei lokomotorischer Indikation nicht nachgewiesen.

57      Der Ausschuss stellte insbesondere zu den drei letztgenannten Studien – nämlich von Hodinka (2001) und Struck (2002 und 2004) – fest, dass in ihnen keine signifikante Verbesserung beim primären Endpunkt, nämlich der Überlegenheit von Tolperison gegenüber Placebo (mit anderen Worten der Wirksamkeit von Tolperison), habe nachgewiesen werden können. Diese Untersuchung stimmt mit der Auffassung des Berichterstatters im ersten gemeinsamen Bericht sowie im Wesentlichen mit der Ansicht des Berichterstatters und des Mitberichterstatters im gemeinsamen Überprüfungsbericht überein, auch wenn sich die beiden Letztgenannten weniger missverständlich geäußert haben. Der Mitberichterstatter stellte insbesondere fest, dass ungeachtet der Tatsache, dass die Ergebnisse dieser Studien beim primären Endpunkt nicht den Nachweis der Wirksamkeit von Tolperison gegenüber Placebo erlaubt hätten, die positiven Tendenzen bei den sekundären Endpunkten als positive Daten für die lokomotorische Indikation herangezogen werden könnten. Der Mitberichterstatter war der Auffassung, dass die Ergebnisse dieser „negativen Studien“ auf der einen Seite zwar nicht klar seien, jedoch auf der anderen Seite nicht die eindeutige Feststellung zuließen, dass Tolperison keinen Einfluss auf die primären Endpunkte habe.

58      Was hingegen die erste dieser Studien – die Studie von Pratzel (1995) – betrifft, weicht das Gutachten des Ausschusses von der Analyse des Mitberichterstatters im ersten gemeinsamen Bericht sowie derjenigen des Berichterstatters und des Mitberichterstatters im gemeinsamen Überprüfungsbericht ab. Während nämlich Einigkeit darin bestand, dass in der Studie von Pratzel die Wirksamkeit von Tolperison im Ergebnis positiv bewertet wurde, war man über die in dieser Studie angewandte Methode uneins.

59      So wies der Ausschuss die Ergebnisse der Studie von Pratzel zurück, weil er der Ansicht war, dass sie wesentliche methodische Mängel aufweise. Damit folgte er weder der Auffassung des Mitberichterstatters im ersten gemeinsamen Bericht, da dieser die in der Studie von Pratzel angewandte Methode nicht kommentiert hatte, noch der Auffassung des Berichterstatters und Mitberichterstatters im gemeinsamen Überprüfungsbericht. Im gemeinsamen Überprüfungsbericht stellten der Berichterstatter und der Mitberichterstatter fest, dass die angewandte Methodik – die „S“‑Formel – für die Druckschmerzschwelle zulässig sei und die Studie von Pratzel eine bescheidene, aber klinisch signifikante Wirksamkeit von Tolperison zeige, was durch die Ergebnisse der vier Metaanalysen bestätigt werde. Der Ausschuss stellte hierzu jedoch fest, dass die Anwendung eines neuen Parameters in der Berechnungsformel – der „S“-Formel – nicht vordefiniert gewesen sei, sondern in der Post-hoc-Analyse der Wirksamkeit eingeführt worden sei. Wenn der Nachweis der Wirksamkeit eines Arzneimittels aus einer Studie hergeleitet werden solle, müssten neue Parameter im Vorfeld validiert werden. Darüber hinaus sei die Verbesserung der Druckschmerzschwelle in der Studie von Pratzel nicht mit einer entsprechenden Verbesserung der Mobilität der Patienten einhergegangen. Daher sei nicht plausibel, wie die Reduzierung zur Auslösung von Druckschmerz als eine klinisch relevante Wirkung bei Patienten mit schmerzhaften Reflexmuskelspasmen hätte ausgelegt werden können. Mit dieser Schlussfolgerung stützte sich der Ausschuss auf die Untersuchung des Berichterstatters im ersten gemeinsamen Bericht.

60      Hinsichtlich der vier Metaanalysen – derjenigen von Alken (2005), Farkas (2011) und Varga (Varga-2011a und Varga-2011b) – kam der Ausschuss zu dem Schluss, dass keine von ihnen den Nachweis für die Wirksamkeit von Tolperison habe erbringen können. Diese Schlussfolgerung widerspricht derjenigen des Berichterstatters und des Mitberichterstatters im gemeinsamen Überprüfungsbericht, wonach die Ergebnisse der vier Metaanalysen positiv seien. Es ist jedoch zu beachten, dass der Berichterstatter seine Beurteilung der vier Metaanalysen auf die erzielten Ergebnisse beschränkt zu haben scheint, ohne die Eignung der angewandten Methode zu beurteilen, indem er diese Frage durch die Verwendung von Formulierungen wie „in der Annahme, dass die Metaanalysen ordnungsgemäß durchgeführt wurden“ offenließ. Der Mitberichterstatter fügte hinzu, dass die größte Schwachstelle der vier Metaanalysen darin bestehe, dass ihre Qualität von der Qualität der herangezogenen randomisierten klinischen Versuche abhänge, und dass von den drei im vorliegenden Fall verwendeten Studien diejenigen von Struck (2002 und 2004) nicht den Nachweis einer Überlegenheit von Tolperison gegenüber Placebo und damit der Wirksamkeit von Tolperison hätten erbringen können.

61      Bei der Zurückweisung der vier Metaanalysen und damit der im gemeinsamen Überprüfungsbericht dargestellten Auffassung nahm der Ausschuss insbesondere auf die Bewertung durch die BSWP Bezug, um zu dem Schluss zu kommen, dass ernste Bedenken hinsichtlich der Angemessenheit der für diese Analysen angewandten statistischen Methodik bestünden. Der Ausschuss wies auch darauf hin, dass nach Ansicht der SAG-N die vier Metaanalysen nicht angemessen durchgeführt worden seien, die vorgelegten Daten keine Beurteilung darüber zuließen, wie die verschiedenen Populations- und Behandlungsmerkmale für die Analysen berücksichtigt worden seien, und es weder möglich sei, spezifische Patienten-Untergruppen zu identifizieren, die von Tolperison profitieren könnten, noch eine Schlussfolgerung bezüglich der Wirksamkeit von Tolperison zu ziehen.

62      Zu den älteren nicht kontrollierten Studien vertraten der Berichterstatter und der Mitberichterstatter im gemeinsamen Überprüfungsbericht die Auffassung, dass auch diese zu berücksichtigen seien, da sie in Kombination mit der langen Verwendungsdauer die Ansicht stützten, dass Tolperison wirksam sein könnte.

63      Entgegen der im gemeinsamen Überprüfungsbericht geäußerten Auffassung schloss der Ausschuss daraus, dass die Mehrheit der älteren nicht kontrollierten Studien aus wissenschaftlicher Sicht als ungeeignet zu betrachten seien und deshalb für die Untersuchung der Wirksamkeit von Tolperison nicht wesentlich seien. Insoweit steht fest, dass die Mehrheit der klinischen Versuche Beobachtungsstudien betraf, die in den 60er und 70er Jahren durchgeführt wurden und nicht den heutigen Anforderungen genügten, wie sie vom Berichterstatter und Mitberichterstatter im ersten Verfahrensabschnitt und vom Berichterstatter im Überprüfungsverfahren dargestellt wurden.

64      Schließlich äußerte der Ausschuss zu der von den Zulassungsinhabern in der Anhörung vom 17. Oktober 2012 vorgestellten Metaanalyse „Bedenken in Bezug auf die Methodik der Analyse und die Qualität der aufgenommenen einzelnen Studien“ und kam daher zu dem Ergebnis, dass sie keine zusätzliche Unterstützung für die Wirksamkeit von Tolperison darstelle.

65      Nach alledem liegt ein verständlicher Zusammenhang zwischen den medizinischen und wissenschaftlichen Feststellungen zur Wirksamkeit von Tolperison bei lokomotorischer Indikation und den Schlussfolgerungen des endgültigen Gutachtens des Ausschusses vor. Auch hat der Ausschuss die Gründe angegeben, aus denen er von den Berichten oder Expertisen, die von den betroffenen Unternehmen vorgelegt worden waren, und gegebenenfalls von den Auffassungen der Berichterstatter und Mitberichterstatter abgewichen ist.

 Schlussfolgerungen des Ausschusses zu den Risiken von Tolperison

66      Aus dem endgültigen Bericht und dem endgültigen Gutachten des Ausschusses ergibt sich, dass der Ausschuss die Daten der Spontanberichte, die Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die von den Zulassungsinhabern vorgelegten Studien ausgewertet hat, um zu dem Schluss zu kommen, dass das Risiko für eine Überempfindlichkeit gegenüber Tolperison bedeutender sei, als bis dahin nachgewiesen worden sei. Er stellte hierzu fest, dass, obwohl kein Fall von Überempfindlichkeit mit tödlichem Ausgang gemeldet worden sei, etwa 10 % aller im Zusammenhang mit Tolperison berichteten Fälle als lebensbedrohlich erachtet worden seien. Darüber hinaus habe mehr als die Hälfte der Spontanberichte in der Datenbank für Originalerzeugnisse Überempfindlichkeitsreaktionen betroffen. Es bestehe ein Widerspruch zwischen den Mustern der Spontanberichte und denen der vorgelegten Studien, in denen nur eine geringe Zahl von Berichten über Überempfindlichkeitsreaktionen festgestellt worden sei. Ferner schienen die Berichtszahlen in Deutschland signifikant höher zu sein als jene, die über die Datenbank des Zulassungsinhabers errechnet worden seien. Überempfindlichkeit könne außerdem ein bedeutendes Ereignis darstellen, denn es seien Fälle von anaphylaktischen Reaktionen/anaphylaktischen Schocks berichtet worden. Auch sei ein Kausalzusammenhang zu Tolperison bei 90 % aller Überempfindlichkeitsreaktionen zumindest für möglich gehalten worden. Schließlich führt der Ausschuss aus, dass der Mechanismus der tolperisonassoziierten Überempfindlichkeit unbekannt sei, obwohl eine Untersuchung der Spontanberichte nahelege, dass Überempfindlichkeitsreaktionen häufiger bei Frauen, Patienten mit einer vorausgehenden oder bestehenden allergischen Krankheit oder solchen, die gleichzeitig nichtsteroidale Antiphlogistika einnähmen, aufträten. Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Feststellungen auf der Auffassung des Berichterstatters bei der ersten Prüfung beruhen.

67      Nach alledem liegt ein verständlicher Zusammenhang zwischen den medizinischen und wissenschaftlichen Feststellungen zur Sicherheit von Tolperison bei lokomotorischer Indikation und den Schlussfolgerungen des endgültigen Gutachtens des Ausschusses vor.

68      Jedoch sind die Schlussfolgerungen zu den Risiken von Tolperison darzustellen, zu denen die Berichterstatter und Mitberichterstatter sowie andere Experten im Rahmen des Prüfungs- und des Überprüfungsverfahrens gekommen sind, um beurteilen zu können, ob der Ausschuss gegebenenfalls die Gründe angegeben hat, aus denen er von den Berichten oder Expertisen, die von den betreffenden Unternehmen vorgelegt worden waren, abgewichen ist.

69      Im ersten Prüfungsstadium schloss der Berichterstatter aus den von den Zulassungsinhabern vorgelegten Spontanberichten, den Daten der WHO und den klinischen Versuchen, dass die Fälle von Überempfindlichkeit die bestehenden Kenntnisse über das Risikoprofil von Tolperison widerspiegelten. Der Mitberichterstatter kam hingegen zu dem Ergebnis, das Risikoprofil von Tolperison könne nicht genau definiert werden, da die Qualität der Berichte gering sei und Daten und ausreichende gut angelegte kontrollierte klinische Versuche, die einen statistisch signifikanten Teil der Bevölkerung beträfen, fehlten. Im ersten gemeinsamen Bericht kamen der Berichterstatter und der Mitberichterstatter jedoch letztlich zu dem Ergebnis, dass die Risiken von Tolperison in Anbetracht der zur Verringerung dieser Risiken vorgeschlagenen Maßnahmen und unter der Voraussetzung, dass seine Wirksamkeit nachgewiesen werde, akzeptabel seien.

70      Im gemeinsamen Überprüfungsbericht waren der Berichterstatter und der Mitberichterstatter der Auffassung, dass die Risiken von Tolperison trotz der Zunahme von Überempfindlichkeitsreaktionen, deren absolute Fallzahl im Verhältnis zur Gesamtexposition der Patienten gering sei, und trotz der signifikanten Erhöhung des Risikos von Tolperison in Deutschland akzeptabel seien.

71      Die SAG-N kam ihrerseits zu dem Ergebnis, dass die Berichte über Überempfindlichkeitsreaktionen zugenommen hätten, aber nicht in signifikanter Weise. Sie empfahl jedoch, die Sicherheit von Tolperison weiterhin zu überwachen, um festzustellen, ob der offensichtliche Anstieg an der Tendenz zur Übererfassung in Deutschland oder der zu Meldelücken in anderen Ländern liege.

72      Aus der vorstehenden Analyse ergibt sich, dass die Schlussfolgerung des Ausschusses, das Risiko für eine Überempfindlichkeit gegenüber Tolperison sei bedeutender, als zuvor nachgewiesen worden sei, den Schlussfolgerungen der Berichterstatter und Mitberichterstatter sowie anderer Experten im Prüfungsverfahren für Tolperison nicht widerspricht.

73      Dieses Ergebnis wird durch das Vorbringen der Klägerin nicht in Frage gestellt.

 Zum Vorbringen der Klägerin zur Würdigung der Nachweise für die Wirksamkeit von Tolperison durch den Ausschuss

74      Die Klägerin macht erstens geltend, der Ausschuss habe nach Auswertung der vier Studien von Pratzel (1995), Hodinka (2001) und Struck (2002 und 2004) lediglich behauptet, dass diese nicht ausreichend seien, um die Wirksamkeit von Tolperison bei lokomotorischer Indikation zu belegen. Insoweit ist festzustellen, dass die Schlussfolgerungen des Ausschusses zur Wirksamkeit von Tolperison nicht auf das Fehlen von Beweisen gestützt wurden, sondern auf eine Würdigung der konkreten Beweise, nämlich der vier wissenschaftlichen Hauptstudien, die dem Nachweis der Wirksamkeit von Tolperison bei lokomotorischer Indikation dienen sollten, was ihnen aber nach Ansicht des Ausschusses nicht gelungen ist.

75      Zweitens trägt die Klägerin vor, der Ausschuss hätte die Frage bewerten müssen, ob die vier Studien von Pratzel (1995), Hodinka (2001) und Struck (2002 und 2004) geeignet seien, das den Zulassungen zugrunde liegende Wirksamkeitsurteil zu entkräften. Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Für das Ergreifen von Maßnahmen gemäß Art. 116 der Richtlinie 2001/83 ist es nämlich nicht erforderlich, sich auf Daten zu stützen, die die Nachweise, die den Zulassungen zugrunde liegen, entkräften oder widerlegen. Hierfür genügen vielmehr neue und objektive wissenschaftliche oder medizinische Daten oder Informationen (siehe oben, Rn. 44).

 Zum Vorbringen der Klägerin, es liege ein Widerspruch zwischen dem endgültigen Gutachten des Ausschusses und den im Prüfungs- und Überprüfungsverfahren für Tolperison geäußerten Auffassungen der Berichterstatter und Mitberichterstatter vor

76      Die Klägerin macht erstens zur Wirksamkeit von Tolperison geltend, der Mitberichterstatter des ersten gemeinsamen Berichts sowie der Berichterstatter und der Mitberichterstatter des gemeinsamen Überprüfungsberichts seien im Gegensatz zum endgültigen Gutachten des Ausschusses zu dem Ergebnis gelangt, dass Tolperison wirksam sei, und daher stehe nicht fest, dass die Wirksamkeit von Tolperison nicht gegeben sei.

77      Zunächst ist erneut darauf hinzuweisen, dass der angefochtene Beschluss nicht auf die Feststellung gestützt ist, dass der therapeutische Nutzen fehle (siehe oben, Rn. 40), so dass das Vorbringen der Klägerin insoweit ins Leere geht.

78      Darüber hinaus ist festzustellen, dass der Ausschuss der Auffassung der Berichterstatter und Mitberichterstatter nicht folgen muss, was auch gar nicht möglich wäre, wenn sie gegensätzliche Auffassungen vertreten, wie dies im vorliegenden Fall im ersten Prüfungsstadium für Tolperison der Fall war (siehe oben, Rn. 9). In Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 heißt es nämlich nur, dass der Ausschuss zur Prüfung der Angelegenheit die Berichterstatter bestellt. Die Mitglieder des Ausschusses nehmen die Gutachten zudem mit Stimmenmehrheit an. Die oben in Rn. 54 bis 63 vorgenommene Analyse des Gutachtens des Ausschusses zeigt jedoch, dass der Ausschuss die Gründe angegeben hat, aus denen er gegebenenfalls von den Schlussfolgerungen der Berichterstatter und Mitberichterstatter abgewichen ist.

79      Hinzu kommt, dass der Vergleich, den die Klägerin zwischen der Rechtssache, in der das Urteil Artegodan u. a./Kommission, oben in Rn. 34 angeführt, ergangen ist, und dem vorliegenden Fall zieht, nicht greift. Anders als in jener Rechtssache hat der Ausschuss seine Schlussfolgerungen zur Wirksamkeit von Tolperison nicht auf eine Entwicklung des Konsenses in medizinischen Fachkreisen gestützt, sondern auf die Bewertung der von den Zulassungsinhabern vorgelegten wissenschaftlichen Studien (siehe oben, Rn. 54 bis 64). Demnach ging es im vorliegenden Fall nicht um das Vorliegen eines Konsenses in medizinischen Fachkreisen.

80      Ferner ist festzustellen, dass die Stellungnahme des Mitberichterstatters im ersten gemeinsamen Bericht und im gemeinsamen Überprüfungsbericht zur Wirksamkeit von Tolperison im Wesentlichen auf die positive Beurteilung der Studie von Pratzel (1995) und auf die Anwendung einer im Vorfeld nicht validierten Formel – der „S“‑Formel – gestützt war. Aus dem Protokoll der Sitzung der SAG-N geht hervor, dass diese der in der Studie von Pratzel angewandten „S“-Formel sehr skeptisch gegenüberstand, weil es sich dabei um eine Vermengung von Mittelwerten mit Extremwerten handele.

81      Schließlich sind die Schlussfolgerungen zur Wirksamkeit von Tolperison im gemeinsamen Überprüfungsbericht in ihrem Kontext zu betrachten. Insbesondere geht aus diesem Bericht hervor, dass die Schlussfolgerungen zur Wirksamkeit von Tolperison zweitrangig waren, da der Berichterstatter und der Mitberichterstatter ausdrücklich festgestellt hatten, dass sie das Nutzen-Risiko-Verhältnis im Wesentlichen auf der Grundlage der Untersuchung der Sicherheit von Tolperison als positiv ansähen. Sie vertraten auch die Ansicht, dass die Wirksamkeit von Tolperison eingeschränkt nachgewiesen sei, dass aber die Studien nicht den Schluss zuließen, dass Tolperison sicher unwirksam sei (siehe oben, Rn. 13).

82      Zweitens trägt die Klägerin hinsichtlich der Risiken von Tolperison vor, der Ausschuss habe nur ansatzweise erläutert, warum er entschieden habe, der im gemeinsamen Prüfungsbericht und von der SAG-N vertretenen Auffassung nicht zu folgen, und seine Argumentation erhelle nicht, weshalb das Überempfindlichkeitsrisiko aus heutiger Sicht bedeutender sein solle.

83      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Ausschuss nur den Schluss gezogen hat, dass das Risiko für eine Überempfindlichkeit gegenüber Tolperison bedeutender sei, als bis dahin nachgewiesen worden sei. Anders als dies im gemeinsamen Überprüfungsbericht geschehen ist, hat der Ausschuss nicht beurteilt, ob dieses Risiko „akzeptabel“ war oder „signifikant“ gestiegen ist, wie dies die SAG-N getan hat. Daher besteht kein Widerspruch zwischen der Schlussfolgerung des Ausschusses, dem gemeinsamen Überprüfungsbericht und den Schlussfolgerungen der SAG-N. Hinzu kommt, dass im gemeinsamen Überprüfungsbericht eine Zunahme von Überempfindlichkeitsreaktionen und eine signifikante Erhöhung des Risikos durch Tolperison in Deutschland festgestellt wurde. Auch die SAG-N hat festgestellt, dass die Berichte über Überempfindlichkeitsreaktionen zugenommen hätten (siehe oben, Rn. 69 bis 71).

84      Daher ist das Vorbringen der Klägerin zu einem Widerspruch zwischen dem endgültigen Gutachten des Ausschusses und den Stellungnahmen der Berichterstatter und Mitberichterstatter im Prüfungs- und im Überprüfungsverfahren für Tolperison zurückzuweisen.

 Zum Vorbringen der Klägerin, die Studien zur Wirksamkeit von Tolperison könnten keine „neuen Informationen“ darstellen

85      In ihrer Erwiderung hat die Klägerin erstmals vorgetragen, der Ausschuss habe irrigerweise angenommen, dass die Studien von Pratzel (1995), Hodinka (2001) und Struck (2002 und 2004) zur Wirksamkeit von Tolperison bei lokomotorischer Indikation „neue Informationen“ seien. Da die Pflicht, die Zulassungen alle fünf Jahre zu verlängern, erst mit dem Inkrafttreten der Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. L 136, S. 34) abgeschafft worden sei, sei „davon auszugehen, dass die zuständigen Behörden unter Berücksichtigung dieser Studien positive Verlängerungsentscheidungen getroffen haben“. Die Klägerin untermauert dieses Vorbringen insbesondere nicht mit konkreten und präzisen Informationen zu den Verlängerungen und den betreffenden zuständigen Behörden, denen die fraglichen Studien vorgelegt worden sein sollen.

86      Auf eine darauf bezogene Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin insbesondere ausgeführt, dass sie diese Studien der zuständigen Arzneimittelbehörde in Deutschland im Rahmen ihrer Untersuchung der Überempfindlichkeit gegenüber Tolperison vorgelegt habe. Die zuständige Behörde in Deutschland habe in der Folge keine besonderen Maßnahmen oder die Rücknahme von Tolperison angeordnet, was zu positiven Ergebnissen in Deutschland geführt habe. Die Kommission hat darauf entgegnet, ohne dass die Klägerin ihr widersprochen hätte, dass diese Studien auf europäischer Ebene jedoch zum ersten Mal vom Ausschuss berücksichtigt worden seien.

87      Mit diesem Vorbringen macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass der Ausschuss nicht zu dem Ergebnis habe kommen dürfen, dass die Wirksamkeit von Tolperison durch die Studien von Pratzel (1995), Hodinka (2001) und Struck (2002 und 2004) nicht nachgewiesen sei, weil die zuständige Behörde in Deutschland diese Studien bereits berücksichtigt habe und zu einem anderen Schluss gekommen sei.

88      Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen.

89      Zunächst ist festzustellen, dass der Ausschuss, wenn er mit besonderen Fällen von Unionsinteresse befasst ist, im Rahmen des Verfahrens nach Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 auf europäischer Ebene seine eigene Bewertung des betreffenden Arzneimittels vornehmen muss. Diese Bewertung durch den Ausschuss ist unabhängig von der Bewertung durch die nationalen Behörden. Insoweit kann dem Ausschuss hinsichtlich der Informationen, die er erstmals zu analysieren hat, nicht entgegengehalten werden, wie eine nationale Behörde in der Vergangenheit diese Informationen beurteilt haben mag.

90      Jedenfalls ist der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angeführte Umstand, dass die zuständige Behörde in Deutschland die fraglichen Studien im Rahmen einer Untersuchung der Überempfindlichkeit berücksichtigt habe, im vorliegenden Fall nicht von Belang. Der Ausschuss hat nämlich die vier fraglichen Studien – die Studien von Pratzel (1995), Hodinka (2001) und Struck (2002 und 2004) – im Rahmen seiner Untersuchung der Wirksamkeit von Tolperison, die Gegenstand dieser Studien war, berücksichtigt. Folglich bliebe eine etwaige Untersuchung der Überempfindlichkeit gegenüber Tolperison durch die zuständige Behörde in Deutschland im Hinblick auf diese Studien, ohne Wirkung. Dem Vorbringen der Klägerin steht zudem entgegen, dass es das BfArM war, das den Ausschuss nach Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 angerufen hat, weil die Wirksamkeit von Tolperison nicht wissenschaftlich bewiesen sei (siehe oben, Rn. 5 und 6).

 Zum Vorbringen der Klägerin zur fehlenden Einstimmigkeit im Ausschuss

91      Das Argument, der Inhalt des Gutachtens selbst werde dadurch in Frage gestellt, dass das endgültige Gutachten des Ausschusses von einer Mehrheit seiner Mitglieder angenommen worden sei und nicht einstimmig, ist zurückzuweisen. Nach Art. 61 Abs. 7 der Verordnung Nr. 726/2004 nimmt der Ausschuss ein Gutachten mit der Mehrheit seiner Mitglieder an, wenn kein Konsens erreicht werden kann. Wie die Kommission zutreffend vorträgt, führt die bloße Tatsache, dass das Gutachten des Ausschusses nicht einstimmig angenommen worden ist, nicht zu seiner Rechtswidrigkeit. Wäre dies anders, würden die Legitimität des Verfahrens und die Möglichkeit des Ausschusses, über sein Gutachten frei und transparent abzustimmen, in Frage gestellt.

 Zum Vorbringen der Klägerin, es seien nicht alle verfügbaren Informationen berücksichtigt worden

92      Nach Ansicht der Klägerin hat der Ausschuss in Wirklichkeit nur die vier Studien von Pratzel (1995), Hodinka (2001) und Struck (2002 und 2004) berücksichtigt und die Pflicht zur sorgfältigen und unparteiischen Beurteilung verletzt, da er nicht die „von [ihr] vorgelegten Daten und wissenschaftlichen [Argumente]“ berücksichtigt habe.

93      Aus der Analyse oben in den Rn. 54 bis 64 ergibt sich, dass sich der Ausschuss nicht auf die Prüfung der vier angeführten Studien beschränkt hat. Zudem wird dieses Argument auch im Rahmen des zweiten Klagegrundes vorgetragen, so dass es in diesem Zusammenhang zu prüfen ist.

94      Nach alledem ist der erste Klagegrund vorbehaltlich der anschließenden Prüfung des Vorbringens, es seien nicht alle von der Klägerin vorgelegten Daten berücksichtigt worden, als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 10a und Anhang I der Richtlinie 2001/83

95      Mit ihrem zweiten Klagegrund macht die Klägerin geltend, die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, die dem angefochtenen Beschluss zugrunde lägen, ließen nicht erkennen, dass die Kommission und der Ausschuss bei der Bewertung der Wirksamkeit und des Nutzens von Tolperison die Vorgaben des Art. 10a sowie des Anhangs I der Richtlinie 2001/83 berücksichtigt hätten. Diese seien bei der Auslegung des Art. 116 dieser Richtlinie zu berücksichtigen. Dies gelte insbesondere für die Tatsache, dass für die Zwecke des Neuzulassungsverfahrens ein Antragsteller nicht verpflichtet sei, die Ergebnisse der vorklinischen oder klinischen Versuche vorzulegen, wenn er nachweisen könne, dass die Wirkstoffe des Arzneimittels für mindestens zehn Jahre in der Union allgemein medizinisch verwendet worden seien und eine anerkannte Wirksamkeit sowie einen annehmbaren Grad an Sicherheit gemäß Art. 10a und Anhang I der Richtlinie aufwiesen. Der Antragsteller könne in diesem Fall die Ergebnisse dieser Versuche durch eine einschlägige wissenschaftliche Dokumentation ersetzen.

96      Der Ausschuss habe sich allem Anschein nach unter Nichtbeachtung dieses Erfordernisses auf den Standpunkt gestellt, dass nur diejenigen klinischen Studien zu berücksichtigen seien, bei denen es sich um randomisierte Doppelblindstudien handele, die den Anforderungen der guten klinischen Praxis genügten, und habe die älteren Studien nicht herangezogen. Darüber hinaus werde die medizinische Erfahrung mit Tolperison, die in den vielen Jahren des Vertriebs gemacht worden sei und die von drei der vier Berichterstatter bzw. Mitberichterstatter mit positivem Ergebnis bewertet worden sei, in den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen, die dem angefochtenen Beschluss zugrunde lägen, ausgeblendet.

97      Die Kommission wendet sich gegen dieses Vorbringen.

98      Es ist darauf hinzuweisen, dass Art. 10a der Richtlinie 2001/83 für einen Erstantrag auf Zulassung abweichend von der in Art. 8 Abs. 3 Buchst. i dieser Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung, die Ergebnisse von pharmazeutischen, vorklinischen und klinischen Versuchen vorzulegen, vorsieht, dass die Ergebnisse dieser Versuche, wenn der Antragsteller nachweisen kann, dass die Wirkstoffe des Arzneimittels für mindestens zehn Jahre in der Union allgemein medizinisch verwendet wurden und eine anerkannte Wirksamkeit sowie einen annehmbaren Grad an Sicherheit gemäß den Bedingungen des Anhangs I der Richtlinie aufweisen, durch einschlägige wissenschaftliche Dokumentation ersetzt werden.

99      Anhang I der Richtlinie 2001/83 sieht in Teil II Abs. 1 Buchst. b und c in Bezug auf die Dokumentation, die für Arzneimittel vorzulegen ist, die einen allgemein medizinisch verwendeten Wirkstoff enthalten, vor:

„b)      Die Unterlagen, die vom Antragsteller eingereicht werden, sollten alle Aspekte der Unbedenklichkeits- und/oder Wirksamkeitsbewertung abdecken und müssen einen Überblick über die einschlägigen Veröffentlichungen umfassen bzw. auf einen solchen verweisen; dabei sind vor und nach dem Inverkehrbringen durchgeführte Studien und wissenschaftliche Veröffentlichungen über die vorliegenden Erfahrungen in Form von epidemiologischen Studien, insbesondere vergleichenden epidemiologischen Studien, zu berücksichtigen. Alle Unterlagen, sowohl günstige als auch ungünstige sind vorzulegen. Insbesondere ist zu klären, dass ‚bibliographischer Verweis‘ auf andere Informationsquellen (beispielsweise Untersuchungen nach dem Inverkehrbringen, epidemiologische Studien, usw.) und nicht nur Versuche und Prüfungen als gültiger Nachweis für die Sicherheit und Wirksamkeit eines Erzeugnisses dienen können, wenn der Antragsteller hinreichend erläutert und begründet, warum er diese Informationsquellen anführt.

c)      Besondere Aufmerksamkeit ist auf etwaige fehlende Informationen zu richten und es ist zu begründen, warum der Nachweis eines annehmbaren Grades an Unbedenklichkeit und/oder Wirksamkeit erbracht werden kann, obwohl bestimmte Studien fehlen.“

100    Bei der Auslegung des Art. 10a der Richtlinie 2001/83 ist zunächst generell zu berücksichtigen, dass Bestimmungen, die Ausnahmen von einem allgemeinen Grundsatz darstellen, nach ständiger Rechtsprechung eng auszulegen sind (Urteil des Gerichts vom 4. Juli 2013, Laboratoires CTRS/Kommission, T‑301/12, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn. 32 und 36).

101    Art. 10a der Richtlinie 2001/83 sieht für einen Erstantrag auf Zulassung im Wesentlichen ein abgekürztes Verfahren für Arzneimittel vor, deren Wirkstoff für mindestens zehn Jahre allgemein medizinisch verwendet wurde.

102    Das abgekürzte Verfahren nach Art. 10a der Richtlinie 2001/83 soll nämlich lediglich das Neuzulassungsverfahren dadurch erleichtern, dass der Antragsteller von der Verpflichtung zur Durchführung der in Art. 8 dieser Richtlinie vorgesehenen klinischen Versuche entbunden wird, die dem Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels dienen (vgl. entsprechend Urteil des Gerichtshofs vom 3. Dezember 1998, Generics [UK] u. a., C‑368/96, Slg. 1998, I‑7967, Rn. 22 und 23). Wie sich aus dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83 ergibt, soll mit diesem Verfahren u. a. vermieden werden, dass Versuche an Menschen oder Tieren ohne zwingende Notwendigkeit durchgeführt werden (Urteile des Gerichtshofs Generics [UK] u. a., Rn. 4 und 71, und vom 18. Juni 2009, Generics [UK], C‑527/07, Slg. 2009, I‑5259, Rn. 23).

103    Es ist festzustellen, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um einen Erstantrag auf Zulassung handelt, sondern um ein Prüfungsverfahren für Tolperison im Anschluss an eine Mitteilung im Interesse der Union nach Art. 31 der Richtlinie 2001/83. Gemäß dem Grundsatz der engen Auslegung von Ausnahmen ist daher Art. 10a der Richtlinie auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.

104    Zudem macht Art. 10a der Richtlinie 2001/83 die Möglichkeit, eine einschlägige wissenschaftliche Dokumentation zu verwenden, davon abhängig, dass der Wirkstoff „eine anerkannte Wirksamkeit sowie einen annehmbaren Grad an Sicherheit“ aufweist, was im vorliegenden Fall gerade im Verfahren nach Art. 31 dieser Richtlinie in Frage gestellt wurde.

105    Dem Vorbringen der Klägerin, der Ausschuss habe nur die vier Studien von Pratzel (1995), Hodinka (2001) und Struck (2002 und 2004) berücksichtigt, stehen darüber hinaus der endgültige Bericht und das endgültige Gutachten des Ausschusses entgegen, aus denen sich ergibt, dass der Ausschuss auch die vier Metaanalysen, die nicht kontrollierten Studien und die bibliografischen Daten berücksichtigt hat (siehe oben, Rn. 60 bis 64). Jedenfalls kann dem Ausschuss nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er sich auf diese vier Studien konzentriert hat, bei denen es sich um die Hauptstudien zur fraglichen Indikation seit der Erstzulassung von Tolperison handelt. Zum einen steht fest, dass sämtliche anderen einschlägigen früheren Daten nicht den Anforderungen der guten klinischen Praxis genügen, wie dies alle Berichterstatter und Mitberichterstatter festgestellt haben. Zum anderen verlangt Art. 116 der Richtlinie 2001/83 nach der Rechtsprechung von der zuständigen Behörde, eine Zulassung zurückzunehmen, auszusetzen oder zu ändern, wenn „neue Daten“ vorliegen, die ernste Zweifel an der Sicherheit des betreffenden Arzneimittels oder an seiner Wirksamkeit wecken (siehe oben, Rn. 37).

106    Ferner ist das Vorbringen der Klägerin, der Ausschuss habe anders als drei der vier Berichterstatter und Mitberichterstatter die „außergewöhnlich umfangreiche medizinische Erfahrung mit Tolperison, die in den vielen Jahren des Vertriebs und in Untersuchungen und Studien gemacht [wurde]“ ausgeblendet, nicht hinreichend präzise und bleibt in ihren Schriftsätzen ohne Beleg. Jedenfalls steht diesem Vorbringen entgegen, dass dem ersten gemeinsamen Bericht zu entnehmen ist, dass sich der Berichterstatter und der Mitberichterstatter auf die vier Studien von Pratzel (1995), Hodinka (2001) und Struck (2002 und 2004) gestützt haben, um die Wirksamkeit von Tolperison bei lokomotorischer Indikation zu beurteilen. Im gemeinsamen Überprüfungsbericht wurde außerdem nur festgestellt, dass mehrere Studien von geringerer Qualität und die Langzeitanwendung von Tolperison die Ansicht stärkten, Tolperison könne ein wirksames Arzneimittel sein. Es kommt hinzu, dass diese Schlussfolgerung in den allgemeinen Schlussfolgerungen des gemeinsamen Überprüfungsberichts von relativ begrenzter Wichtigkeit war. Der Berichterstatter und der Mitberichterstatter haben ihre Bewertung nämlich ausdrücklich im Wesentlichen auf die Untersuchung der Sicherheit von Tolperison gestützt, die sie für akzeptabel hielten, und nur angenommen, dass die wissenschaftlichen Studien nicht den Schluss zuließen, dass Tolperison sicher unwirksam sei (siehe oben, Rn. 13).

107    Nach alledem ist der zweite Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 22a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 und Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

108    Mit ihrem dritten Klagegrund macht die Klägerin geltend, die Kommission habe den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt und Art. 22a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 verkannt, indem sie die Änderung der Zulassungen veranlasst habe, statt eine klinische Studie gemäß diesem Artikel anzuordnen.

109    Die Kommission wendet sich gegen dieses Vorbringen.

110    Es ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 22a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 die zuständige nationale Behörde nach Erteilung der Zulassung ihrem Inhaber die Verpflichtung auferlegen kann, dass er eine Wirksamkeitsstudie nach der Zulassung durchführt, „wenn Erkenntnisse über die Krankheit oder die klinische Methodik darauf hindeuten, dass frühere Bewertungen der Wirksamkeit möglicherweise erheblich korrigiert werden müssen“. Nach Art. 22a Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie müssen bei der Auferlegung dieser Verpflichtung die Ziele der Studie sowie ein Zeitrahmen für ihre Durchführung und ihre Vorlage vorgegeben werden.

111    Zur Kontrolle der Verhältnismäßigkeit ist darauf zu verweisen, dass nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, die Handlungen der Unionsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten dürfen, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist. Dabei ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen; ferner müssen die verursachten Nachteile in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen (Urteile des Gerichtshofs vom 13. November 1990, Fedesa u. a., C‑331/88, Slg. 1990, I‑4023, Rn. 13, und vom 5. Oktober 1994, Crispoltoni u. a., C‑133/93, C‑300/93 und C‑362/93, Slg. 1994, I‑4863, Rn. 41).

112    Es steht fest, dass die im angefochtenen Beschluss getroffene Anordnung, wonach die zuständigen nationalen Behörden die Zulassungen durch Streichung der lokomotorischen Indikation ändern müssen, eine geeignete Maßnahme war. Die Klägerin meint jedoch, die Kommission hätte eine weniger belastende Maßnahme wählen müssen, nämlich die Pflicht zur Durchführung einer Wirksamkeitsstudie nach der Zulassung gemäß Art. 22a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83, wie sie dies im Laufe des Verfahrens vorgeschlagen habe.

113    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung die zuständigen Behörden verpflichtet, die Zulassungen auszusetzen, zurückzunehmen oder zu ändern, wenn das Nutzen-Risiko-Verhältnis als negativ angesehen wird (siehe oben, Rn. 30). Im vorliegenden Fall waren die Anwendungsvoraussetzungen des Art. 116 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung erfüllt, da die Kommission in Übereinstimmung mit dem endgültigen Gutachten des Ausschusses auf ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis für Tolperison bei lokomotorischer Indikation geschlossen hat.

114    Unter diesen Umständen kam ein Rückgriff auf die in Art. 22a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 vorgesehene Möglichkeit, eine Wirksamkeitsstudie nach der Zulassung aufzuerlegen, „wenn Erkenntnisse über die Krankheit oder die klinische Methodik darauf hindeuten, dass frühere Bewertungen der Wirksamkeit möglicherweise erheblich korrigiert werden müssen“, nicht in Betracht.

115    Aus den dem Gericht übermittelten Unterlagen ergibt sich nämlich nicht, dass die Kommission oder auch der Ausschuss der Auffassung gewesen wären, dass die Bewertungen der Wirksamkeit zu überprüfen seien oder dass die Umstände die Auferlegung einer Pflicht zur Durchführung einer Wirksamkeitsstudie nach der Zulassung gemäß Art. 22a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 zuließen. Ganz im Gegenteil hatte der Ausschuss, nachdem er die Wirksamkeit und Sicherheit von Tolperison eingehend geprüft hatte, der Kommission empfohlen, die Zulassungen für tolperisonhaltige Arzneimittel u. a. durch die Streichung der lokomotorischen Indikation zu ändern. Der Ausschuss hatte im Speziellen auf eine Mitteilung der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 31 der Richtlinie 2001/83 hin, in der die Wirksamkeit und Sicherheit von Tolperison in Frage gestellt wurde, nicht nur ein Verfahren zur Prüfung von Tolperison eingeleitet, sondern es fand auch im Anschluss ein Überprüfungsverfahren sowohl durch den Ausschuss als auch durch die SAG-N und die BSWP statt. Hinsichtlich der Wirksamkeit von Tolperison bei lokomotorischer Indikation hat der Ausschuss u. a. die vier randomisierten und placebokontrollierten Blindstudien analysiert, die speziell der Beurteilung der Wirksamkeit von Tolperison bei lokomotorischer Indikation dienen sollten, nämlich die Studien von Pratzel (1995), Hodinka (2001) und Struck (2002 und 2004). Diese Studien haben dem Ausschuss den Schluss ermöglicht, dass die Wirksamkeit von Tolperison für diese Indikation nicht nachgewiesen sei.

116    Somit fehlt ein Nachweis für das implizite Vorbringen der Klägerin, dass eine zusätzliche Studie zur Wirksamkeit von Tolperison eine geeignete Alternative dargestellt hätte.

117    Ferner geht aus dem gemeinsamen Überprüfungsbericht und dem endgültigen Bericht des Ausschusses hervor, dass die Inhaber von Zulassungen für tolperisonhaltige Arzneimittel im Überprüfungsverfahren vorgeschlagen haben, die lokomotorische Indikation auf die therapeutische Indikation „Kurzzeitbehandlung von Muskelspasmen bei Erwachsenen mit nicht-spezifischen starken Schmerzen im unteren Rücken“ zu beschränken. Der Vorschlag der Zulassungsinhaber, eine Studie nach der Zulassung durchzuführen, bezog sich nur auf diese eingeschränkte Indikation „Schmerzen im unteren Rücken“, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat. Der Ausschuss hat jedoch entgegen dem Vorbringen der Klägerin in seinem endgültigen Bericht ausgeführt, dass die von ihr vorgeschlagene Wirksamkeitsstudie ungeeignet sei, abschließende Beweise für die Wirksamkeit bei der vorgeschlagenen Indikation zu erbringen, insbesondere im Hinblick auf die kurze Dauer der vorgeschlagenen Behandlung; dies wird von der Klägerin nicht bestritten.

118    Unter diesen Umständen kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, dass sie der Empfehlung des Ausschusses gefolgt ist, indem sie die Änderung der Zulassungen für tolperisonhaltige Arzneimittel durch Streichung der lokomotorischen Indikation angeordnet hat.

119    Nach alledem ist auch der dritte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

120    Die Klage ist daher insgesamt als unbegründet abzuweisen.

 Kosten

121    Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die PP Nature-Balance Lizenz GmbH trägt ihre eigenen Kosten und die Kosten der Europäischen Kommission.

Dittrich

Schwarcz

Tomljenović

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 11. Dezember 2014.

Unterschriften

Inhaltsverzeichnis


Vorgeschichte des Rechtsstreits

Verfahren und Anträge der Parteien

Rechtliche Würdigung

Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 116 der Richtlinie 2001/83

Zur Ermessensausübung der Kommission bei Erlass des angefochtenen Beschlusses

Zur behaupteten Rechtswidrigkeit des abschließenden Gutachtens des Ausschusses

Schlussfolgerungen des Ausschusses zur Wirksamkeit von Tolperison

Schlussfolgerungen des Ausschusses zu den Risiken von Tolperison

Zum Vorbringen der Klägerin zur Würdigung der Nachweise für die Wirksamkeit von Tolperison durch den Ausschuss

Zum Vorbringen der Klägerin, es liege ein Widerspruch zwischen dem endgültigen Gutachten des Ausschusses und den im Prüfungs- und Überprüfungsverfahren für Tolperison geäußerten Auffassungen der Berichterstatter und Mitberichterstatter vor

Zum Vorbringen der Klägerin, die Studien zur Wirksamkeit von Tolperison könnten keine „neuen Informationen“ darstellen

Zum Vorbringen der Klägerin zur fehlenden Einstimmigkeit im Ausschuss

Zum Vorbringen der Klägerin, es seien nicht alle verfügbaren Informationen berücksichtigt worden

Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 10a und Anhang I der Richtlinie 2001/83

Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 22a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 und Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

Kosten


* Verfahrenssprache: Deutsch.