URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
27. November 1997(1)
[234s„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats Nichtumsetzung der Richtlinie
91/414/EWG“[s
In der Rechtssache C-137/96
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Klaus-Dieter
Borchardt, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter:
Carlos Gómez de la Cruz, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
Klägerin,
gegen
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Ministerialrat Ernst Röder und
Regierungsrätin Sabine Maaß, beide Bundesministerium für Wirtschaft, D-53107
Bonn, als Bevollmächtigte,
Beklagte,
wegen Feststellung, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre
Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hat, daß sie nicht innerhalb der
festgesetzten Frist alle erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen
hat, um die Richtlinie 91/414/EWG des Rates vom 15. Juli 1991 über das
Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (ABl. L 230, S. 1) in nationales Recht
umzusetzen,
erläßt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Gulmann sowie der Richter
M. Wathelet, J. C. Moitinho de Almeida, J.-P. Puissochet (Berichterstatter) und
L. Sevón,
Generalanwalt: A. La Pergola
Kanzler: R. Grass
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9.
Oktober 1997,
folgendes
Urteil
- Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am
24. April 1996 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel
169 EG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Bundesrepublik
Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen
hat, daß sie nicht innerhalb der festgesetzten Frist alle erforderlichen Rechts- und
Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um die Richtlinie 91/414/EWG des Rates vom
15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (ABl. L 230,
S. 1; im folgenden: Richtlinie) in nationales Recht umzusetzen.
- Die Richtlinie, die auf der Grundlage des Artikels 43 EWG-Vertrag erlassen wurde,
soll einheitliche Vorschriften für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und für
die Zulassungsverfahren festlegen, die die Mitgliedstaaten anzuwenden haben.
Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten u. a., dafür Sorge
zu tragen, daß ein Pflanzenschutzmittel nur zugelassen wird, wenn bestimmte, unter
Buchstabe a geregelte Voraussetzungen erfüllt sind, insbesondere, wenn seine
Wirkstoffe in Anhang I aufgeführt sind und wenn es den unter den Buchstaben b
bis e aufgeführten Anforderungen unter Anwendung der einheitlichen Grundsätze
gemäß Anhang VI entspricht. Artikel 10 Absatz 1 der Richtlinie stellt die Regeln
auf, die sich aus dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der durch die
Mitgliedstaaten erteilten Zulassungen ergeben.
- Nach Artikel 23 Absatz 1 der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten alle
erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen, um dieser Richtlinie
innerhalb von zwei Jahren nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen; in diesen
Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei ihrer Veröffentlichung müssen sie
auf die Richtlinie Bezug nehmen. Gemäß Artikel 23 Absatz 2 brauchen die
Mitgliedstaaten jedoch die Vorschriften für die Durchführung von Artikel 10
Absatz 1 zweiter Gedankenstrich erst ein Jahr nach der Verabschiedung der
einheitlichen Grundsätze in Kraft zu setzen.
- Da die Kommission keine Mitteilung über die Umsetzung der Richtlinie in
Deutschland erhalten hatte, übersandte sie der Bundesregierung gemäß Artikel 169
EG-Vertrag am 5. Oktober 1993 ein Aufforderungsschreiben, auf das die deutschen
Behörden mit einer Mitteilung vom 1. Dezember 1993 antworteten. Die
Kommission gab daraufhin am 3. Oktober 1994 eine mit Gründen versehene
Stellungnahme ab, in der sie zu dem Ergebnis gelangte, daß die Bundesrepublik
Deutschland gegen ihre Verpflichtungen verstoßen habe, und sie aufforderte,
binnen zwei Monaten die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Da die
Kommission die Antwort der deutschen Regierung vom 10. November 1994 nicht
als befriedigend erachtete, hat sie die vorliegende Klage erhoben.
Zulässigkeit
- Die deutsche Regierung macht geltend, die Klage sei unzulässig, soweit sie die
Nichtumsetzung von Artikel 10 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie
betreffe. Denn die einheitlichen Grundsätze im Sinne von Artikel 23 seien erst
durch die Richtlinie 94/43/EG des Rates vom 27. Juli 1994 zur Festlegung des
Anhangs VI der Richtlinie 91/414 (ABl. L 227, S. 31) geregelt worden, die mit dem
Urteil des Gerichtshofes vom 18. Juni 1996 in der Rechtssache C-303/94
(Parlament/Rat, Slg. 1996, I-2943) für nichtig erklärt worden sei.
- Die Kommission hat ihre Klage in ihrem letzten Schriftsatz auf alle Vorschriften
der Richtlinie mit Ausnahme von Artikel 10 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich
beschränkt. Mit dieser Beschränkung ist die Klage zulässig.
Begründetheit
- Die deutsche Regierung bestreitet nicht, daß die Richtlinie noch nicht in nationales
Recht umgesetzt ist; sie bemühe sich, die Verabschiedung des Entwurfs eines ersten
Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes zu beschleunigen. Das
Pflanzenschutzgesetz enthalte in seiner geltenden Fassung jedoch bereits
Bestimmungen, die sich weitgehend mit denjenigen der Richtlinie deckten. Weiter
gestalte sich die abschließende Fertigung des Entwurfs des Änderungsgesetzes
wegen bestimmter Auslegungsprobleme schwierig. Zudem könne die
Harmonisierung des Handels mit Pflanzenschutzmitteln im Sinne von Artikel 10 der
Richtlinie nicht wirksam werden, da bis heute noch kein Wirkstoff in Anhang I der
Richtlinie aufgenommen worden sei.
- Was den ersten Punkt betrifft, kann nicht davon ausgegangen werden, daß das
geltende deutsche Recht die Umsetzung der Richtlinie gewährleistet, deren Artikel
23 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich die Mitgliedstaaten ausdrücklich verpflichtet,
Vorschriften zu erlassen, in denen auf sie Bezug genommen wird oder bei deren
amtlicher Veröffentlichung ein Hinweis erfolgt, der auf sie Bezug nimmt. Die
Bundesregierung räumt im übrigen selbst die Notwendigkeit ein, zur Umsetzung
der Richtlinie eine neue Regelung zu erlassen.
- Zweitens führt die Kommission ohne Widerspruch der deutschen Regierung aus,
ihr sei nur eine Anwendungsschwierigkeit gemeldet worden. Diese betreffe eine
Regelung in Artikel 13 der Richtlinie und könne möglicherweise auf nationaler
Ebene geregelt werden. Die Umsetzung dieser Bestimmung in den anderen
Mitgliedstaaten habe sie jedenfalls weder verhindert noch verzögert.
- Daß noch kein Wirkstoff in Anhang I der Richtlinie eingetragen worden ist, kann
schließlich mangels einer ausdrücklichen entsprechenden Bestimmung die
Mitgliedstaaten nicht von ihrer Verpflichtung befreien, innerhalb der festgesetzten
Frist alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um der Richtlinie
nachzukommen. Diese Verpflichtung besteht nämlich unabhängig davon, ob bereits
alle Voraussetzungen für die Anwendung der Gemeinschaftsregelung erfüllt sind.
Wie die Kommission zu Recht ausgeführt hat, soll es die Umsetzung der
einschlägigen Bestimmungen gerade ermöglichen, daß mit dem Wirksamwerden der
Eintragung eines Wirkstoffs in Anhang I der Richtlinie die sofortige Anwendung
des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung der Zulassung gewährleistet ist.
- Daher hat die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtung aus
der Richtlinie verstoßen, die Vorschriften dieser Richtlinie mit Ausnahme von
Artikel 10 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich in nationales Recht umzusetzen, daß
sie nicht innerhalb der gesetzten Frist alle dazu erforderlichen Rechts- und
Verwaltungsvorschriften erlassen hat.
Kosten
- Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag
zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland mit
ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hatDER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
- Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtung aus
der Richtlinie 91/414/EWG des Rates vom 15. Juli 1991 über das
Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln verstoßen, die Vorschriften
dieser Richtlinie mit Ausnahme von Artikel 10 Absatz 1 zweiter
Gedankenstrich in nationales Recht umzusetzen, daß sie nicht innerhalb
der gesetzten Frist alle dazu erforderlichen Rechts- und
Verwaltungsvorschriften erlassen hat.
- Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.
GulmannWathelet
Moitinho de Almeida
Puissochet Sevón
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. November 1997.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
C. Gulmann
1: Verfahrenssprache: Deutsch.