Language of document : ECLI:EU:F:2011:63

BESCHLUSS DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST
(Erste Kammer)

25. Mai 2011

Rechtssache F‑74/07 RENV

Stefan Meierhofer

gegen

Europäische Kommission

„Öffentlicher Dienst – Einstellung – Allgemeines Auswahlverfahren – Scheitern eines Bewerbers in der mündlichen Prüfung – Begründungspflicht – Für die Arbeit des Prüfungsausschusses geltende Regeln“

Gegenstand:      Klage gemäß Art. 236 EG und Art. 152 EA auf im Wesentlichen Aufhebung der Entscheidung des Prüfungsausschusses für das Auswahlverfahren EPSO/AD/26/05 vom 10. Mai 2007, mit der dem Kläger mitgeteilt wurde, dass er die mündliche Prüfung des Auswahlverfahrens nicht bestanden habe, und der Entscheidung vom 19. Juni 2007, dass seinem Überprüfungsersuchen in Bezug auf die Entscheidung vom 10. Mai 2007 nicht entsprochen werde, sowie auf Neubewertung dieser Prüfung und Aufnahme des Klägers in die Reserveliste

Entscheidung:      Die Klage hat sich erledigt, soweit mit ihr eine unzureichende Begründung der Entscheidung vom 19. Juni 2007 gerügt wird. Im Übrigen wird die Klage als teilweise offensichtlich unbegründet und teilweise offensichtlich unzulässig abgewiesen. Die Europäische Kommission trägt zwei Drittel der Kosten des Klägers im ersten Verfahren vor dem Gericht sowie ihre eigenen Kosten im ersten Verfahren vor dem Gericht, im Verfahren vor dem Gericht der Europäischen Union und im vorliegenden Verfahren. Der Kläger trägt ein Drittel seiner eigenen Kosten im ersten Verfahren vor dem Gericht sowie seine gesamten Kosten im Verfahren vor dem Gericht der Europäischen Union und im vorliegenden Verfahren.

Leitsätze

1.      Beamte – Klage – Fristen – Wiedereröffnung – Voraussetzung – Neue Tatsache – Urteil, mit dem festgestellt wird, dass eine Verwaltungsentscheidung mit allgemeiner Geltung gegen das Statut verstößt – Keine neue Tatsache für diejenigen, die von dem ihnen zustehenden Rechtsbehelf keinen Gebrauch gemacht haben

(Beamtenstatut, Art. 90 und 91)

2.      Beamte – Auswahlverfahren – Entscheidung über die Nichtaufnahme in die Eignungsliste – Begründungspflicht – Unzureichende Begründung – Heilung im streitigen Verfahren – Voraussetzungen

(Beamtenstatut, Art. 25 Abs. 2; Anhang III Art. 6)

3.      Beamte – Auswahlverfahren – Prüfungsausschuss – Zusammensetzung – Befähigung der Mitglieder zur objektiven Beurteilung der mündlichen Prüfungen

(Beamtenstatut, Anhang III Art. 3)

4.      Beamte – Auswahlverfahren – Prüfung der Bewerbungen – Ermessen des Prüfungsausschusses – Gerichtliche Überprüfung – Grenzen

1.      Die Rechtswirkungen eines die Handlung eines Organs aufhebenden Urteils erstrecken sich nur auf die Prozessbeteiligten und auf diejenigen Personen, die von der aufgehobenen Handlung unmittelbar betroffen sind. Nur für diese Personen kann ein Urteil eine neue Tatsache darstellen und die Klagefrist in Bezug auf diese Handlung erneut in Lauf setzen. Auch ein Urteil, mit dem festgestellt wird, dass eine Verwaltungsentscheidung mit allgemeiner Geltung gegen das Statut verstößt, stellt für diejenigen, die es versäumt haben, rechtzeitig von den ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, keine neue Tatsache dar, die einen Antrag auf Überprüfung der sie betreffenden individuellen Entscheidung rechtfertigt. Durch ein solches Urteil wird die mit allgemeiner Geltung versehene Verwaltungsentscheidung nicht aufgehoben; es wird lediglich festgestellt, dass einzelne Bestimmungen dieser Entscheidung in einem konkreten Fall unanwendbar sind. Diese Grundsätze können auf den Fall übertragen werden, dass nach Fristablauf ein neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens geltend gemacht wird, sofern ein Urteil lediglich die Entscheidungen, die Namen der Kläger nicht in die Reserveliste eines Auswahlverfahrens aufzunehmen, aufhebt, ohne das betreffende Auswahlverfahren selbst aufzuheben.

(vgl. Randnrn. 39 bis 41)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 14. Dezember 1965, Pfloeschner/Kommission, 52/64; 8. März 1988, Brown/Gerichtshof, 125/87, Randnr. 13; 14. Juni 1988, Muysers und Tülp/Rechnungshof, 161/87, Randnr. 10

Gericht erster Instanz: 11. Juli 1997, Chauvin/Kommission, T‑16/97, Randnrn. 39 bis 45; 9. Februar 2000, Gómez de la Cruz Talegón/Kommission, T‑165/97, Randnr. 51

Gericht für den öffentlichen Dienst: 11. Juni 2009, Ketselidou/Kommission, F‑81/08, Randnrn. 46 und 47

2.      Bei der Klage eines Bewerbers in einem Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen, der die mündliche Prüfung nicht bestanden hat und nicht in die Reserveliste aufgenommen worden ist, erfüllt die Kommission ihre Begründungspflicht, wenn vor der Klageerhebung bereits der Ansatz einer Begründung gegeben wurde und sie im Laufe des Verfahrens die erforderlichen zusätzlichen Informationen in Gestalt der Zwischennoten, die der Kläger in der mündlichen Prüfung erhalten hatte, vorgelegt hat.

(vgl. Randnr. 47)

3.      Der Prüfungsausschuss für ein Auswahlverfahren muss nach Maßgabe der Vorschriften des Statuts und insbesondere von Art. 3 seines Anhangs III so zusammengesetzt sein, dass eine objektive Beurteilung der Leistungen der Bewerber in den Prüfungen im Hinblick auf ihre beruflichen Fähigkeiten gewährleistet ist. Die Anforderungen an die Mitglieder eines Prüfungsausschusses hinsichtlich der Kenntnisse in Bezug auf die Sprache, in der Bewerber eine mündliche Prüfung abzulegen haben, sind je nach den Umständen des einzelnen Auswahlverfahrens, der Bedeutung, die der Beherrschung dieser Sprache auf dem zu besetzenden Dienstposten beizumessen ist, und dem Zweck der betreffenden mündlichen Prüfung unterschiedlich. So braucht z. B. im Fall eines allgemeinen Auswahlverfahrens zur Einstellung von Verwaltungsräten u. a. im Bereich der europäischen öffentlichen Verwaltung, bei dem in der mündlichen Prüfung nicht die Sprachkenntnisse des Bewerbers in seiner Hauptsprache geprüft werden sollen, sondern seine Fähigkeit, in dieser Sprache in einem multikulturellen Umfeld zu kommunizieren, dem Prüfungsausschuss bei der mündlichen Prüfung nicht unbedingt ein Mitglied oder ein Beisitzer mit der Hauptsprache der Bewerber anzugehören, da eventuelle Verständigungsprobleme mit Hilfe von Dolmetschern vollständig gelöst werden können.

Darüber hinaus reicht das bloße Vorbringen, dass der Vorsitzende des Prüfungsausschusses die Hauptsprache des Bewerbers nicht beherrscht und sich während der mündlichen Prüfung der Dolmetscher nicht bedient habe, nicht für die Annahme, dass der Prüfungsausschuss für ein Auswahlverfahren nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt war, da der Kläger nicht dartut, dass der Prüfungsausschuss aus sprachlichen Gründen zu einer objektiven Beurteilung seiner beruflichen Fähigkeiten nicht in der Lage war. Im Übrigen wäre der Kläger, selbst wenn erwiesen wäre, dass der Vorsitzende des Prüfungsausschusses die betreffende Sprache nicht beherrschte, nicht gegenüber den anderen Bewerbern benachteiligt worden, die, wie er, diese Sprache gewählt hatten und sich somit, was die vermuteten fehlenden Kenntnisse der genannten Sprache betrifft, in derselben Lage befanden.

(vgl. Randnrn. 51, 52, 54 bis 57)

Verweisung auf:

Gericht erster Instanz: 22. Juni 1990, Marcopoulos/Gerichtshof, T‑32/89 und T‑39/89, Randnr. 37; 27. Juni 1991, Valverde Mordt/Gerichtshof, T‑156/89, Randnr. 105; 20. Mai 2003, Diehl-Leistner/Kommission, T‑80/01, Randnrn. 28 bis 31

4.       Wenn das Gericht für den öffentlichen Dienst mit der Frage der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung, einen Bewerber nicht in die Reserveliste aufzunehmen, befasst ist, prüft es, ob die anwendbaren Rechtsvorschriften, d. h. die im Statut und der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens festgelegten Bestimmungen, insbesondere Verfahrensvorschriften, und die für die Arbeiten des Prüfungsausschusses geltenden Regeln, insbesondere die Pflicht des Prüfungsausschusses zur Unparteilichkeit und die von ihm zu beachtende Gleichbehandlung der Bewerber, respektiert wurden und ob kein Ermessensmissbrauch vorliegt. Das Gericht prüft außerdem, ob der Inhalt einer Prüfung den in der Bekanntmachung des Auswahlverfahrens angegebenen Rahmen überschreitet oder dem Zweck dieser Prüfung des Auswahlverfahrens nicht angemessen ist. In bestimmten Fällen, in denen der Prüfungsausschuss über keinen Beurteilungsspielraum verfügt, kann sich die richterliche Kontrolle auch darauf beziehen, ob der Sachverhalt, auf den sich der Prüfungsausschuss bei seiner Entscheidung gestützt hat, zutreffend ist. Dagegen sind die Beurteilungen, die der Prüfungsausschuss für ein Auswahlverfahren bei der Bewertung der Kenntnisse und der Eignung der Bewerber vornimmt, der Kontrolle durch das Gericht entzogen. Im Übrigen verfügt der Prüfungsausschuss bei mündlichen Prüfungen über den größten Beurteilungsspielraum. Anderes gilt für die Kontrolle der Übereinstimmung der in Punkten ausgedrückten Note mit den ausformulierten Bewertungen des Prüfungsausschusses. Diese Übereinstimmung, die die Gleichbehandlung der Bewerber gewährleistet, ist nämlich eine der für die Arbeit des Prüfungsausschusses geltenden Regeln, deren Einhaltung vom Richter zu prüfen ist. Die Übereinstimmung zwischen der in Punkten ausgedrückten Note, die dem Bewerber erteilt wurde, und der ausformulierten Bewertung des Prüfungsausschusses kann vom Gericht zum Gegenstand einer Kontrolle der Beurteilung der Leistungen des Bewerbers durch den Prüfungsausschuss gemacht werden.

(vgl. Randnrn. 62 bis 64)

Verweisung auf:

Gerichtshof: 9. Oktober 1974, Campogrande u. a./Kommission, 112/73, 144/73 und 145/73, Randnrn. 34 bis 53; 8. März 1988, Sergio u. a./Kommission, 64/86, 71/86 bis 73/86 und 78/86, Randnr. 22;

Gericht erster Instanz: 21. Mai 1996, Kaps/Gerichtshof, T‑153/95, Randnr. 37; 11. Februar 1999, Jiménez/HABM, T‑200/97, Randnrn. 43 bis 57; 23. Januar 2003, Angioli/Kommission, T‑53/00, Randnrn. 91, 93 und 94; 5. März 2003, Staelen/Parlament, T‑24/01, Randnrn. 47 bis 52; 26. Januar 2005, Roccato/Kommission, T‑267/03, Randnr. 42; 12. März 2008, Giannini/Kommission, T‑100/04, Randnrn. 277 und 278;

Gericht für den öffentlichen Dienst: 11. September 2008, Coto Moreno/Kommission, F‑127/07, Randnr. 33; 5. Mai 2010, Schopphoven/Kommission, F‑48/09, Randnr. 26