Language of document : ECLI:EU:T:2000:198

BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTS

20. Juli 2000 (1)

„Öffentliche Dienstleistungsaufträge - Gemeinschaftliches Ausschreibungsverfahren - Verfahren der einstweiligen Anordnung - Aussetzung des Vollzugs - Keine Dringlichkeit“

In der Rechtssache T-169/00 R

Esedra SPRL mit Sitz in Brüssel (Belgien), Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte F. Vandersanden, É. Gillet und L. Levi, Brüssel, Zustellungsanschrift: Société de gestion fiduciaire SARL, 2-4, rue Beck, Luxemburg,

Antragstellerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch X. Lewis und L. Parpala, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Antragsgegnerin,

wegen Aussetzung des Vollzugs der Entscheidungen der Kommission, den Auftrag für die Dienstleistungen zur Bewirtschaftung eines Kindergartens, der Gegenstand der Ausschreibung Nr. 99/S 132-97515/FR war, nicht an die Antragstellerin, sondern an ein anderes Unternehmen zu vergeben, sowie wegen Anordnung an die Kommission, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Wirkungen der Entscheidung über die Vergabe dieses Auftrags oder des unter Umständen aufgrund dieser Entscheidung geschlossenen Vertrages auszusetzen,

erläßt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN

folgenden

Beschluß

Sachverhalt und Verfahren

1.
    1994 beschloß die Kommission, die Bewirtschaftung der eine Kinderkrippe und einen Kindergarten umfassenden Kleinkindertagesstätte Clovis (im folgenden: KKT Clovis), die den Kindern der Bediensteten der Europäischen Organe offensteht und deren Räumlichkeiten sich in Brüssel am Boulevard Clovis befinden, einer privaten Gesellschaft zu übertragen. Nach einer Ausschreibung vergab sie diesen Auftrag an zwei italienische Gesellschaften, Aristea und Cooperativa italiana di ristorazione. Die Bewirtschaftung der KKT Clovis wurde der aus den beiden vorgenannten Gesellschaften bestehenden Antragstellerin übertragen. Der Vertrag über die Bewirtschaftung wurde über eine anfängliche Dauer von zwei Jahren ab 1. August 1995 geschlossen, wobei die Möglichkeit vorgesehen war, ihn dreimal jeweils um ein Jahr zu verlängern.

2.
    Mit Schreiben vom 15. April 1999 teilte die Antragstellerin der Kommission ihre Entscheidung mit, keine Verlängerung des Vertrages zu beantragen. Das Schreiben enthielt u. a. folgende Passage:

„Die Gesellschaft erklärt darüber hinaus schon jetzt ihre Bereitschaft, sich an einer eventuellen zukünftigen Ausschreibung zu beteiligen, deren Merkmale darauf abzielen, eine effizientere Erbringung der Dienstleistung und ordnungsgemäße Ausgestaltung der Beziehungen zu ermöglichen, die zwischen den Betroffenenbestehen sollen, und zwar insbesondere bei Betroffenen, die nicht Vertragspartner sind.“

3.
    Am 26. Mai 1999 veröffentlichte die Kommission gemäß der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1) im Supplément zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften eine erste Ausschreibung (ABl. S 100, S. 35) nach dem nicht offenen Verfahren für die Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung der KKT Clovis. Es bewarben sich drei Unternehmen, zu denen die Antragstellerin und die Firma Centro studi Antonio Manieri (im folgenden: Centro studi) gehörten.

4.
    Die Kommission war der Auffassung, daß die Zahl der Bewerbungen nicht ausreichend sei, um einen echten Wettbewerb sicherzustellen, und veröffentlichte am 10. Juli 1999 eine neue Ausschreibung (ABl. S 132) für die Dienstleistungen der Bewirtschaftung einer Kinderkrippe (Nr. 99/S 132-97515/FR). Nach dieser Ausschreibung sollte der Auftrag auf das „in Anbetracht der angebotenen Preise und der Qualität der vorgeschlagenen Leistungen (Einzelheiten im Lastenheft) wirtschaftlich günstigste Angebot“ vergeben werden.

5.
    Nach der in der Ausschreibung vorgesehenen Auswahl der Bewerbungen wurde das Lastenheft am 29. Oktober 1999 an die sieben zur Vorlage ihres Angebots aufgeforderten Gesellschaften ausgegeben. Im Lastenheft war angegeben, daß die Angebote spätestens bis zum 6. Januar 2000 eingereicht werden mußten, daß die Gültigkeitsdauer des Angebots neun Monate ab 6. Januar 2000 betrug und daß der Rahmenvertrag für eine anfängliche Dauer von zwei Jahren gelten sollte, mit der Möglichkeit, ihn dreimal jeweils um ein Jahr zu verlängern. Im übrigen galten folgende Vergabekriterien:

„Der Auftrag wird auf das wirtschaftlich günstigste und beste Angebot vergeben, wobei folgendes berücksichtigt wird:

-    die angebotenen Preise und

-    die Qualität des Angebots und der vorgeschlagenen Dienstleistungen, wobei die Bewertung in absteigender Reihenfolge nach Maßgabe folgender Gesichtspunkte erfolgt:

a)    der Wert des pädagogischen Vorhabens (40 %)

b)    die Maßnahmen und die Mittel, die eingesetzt werden, um vom Arbeitsplatz fernbleibendes Personal zu ersetzen (30 %)

c)    die für die Kontrolle in den folgenden Punkten vorgeschlagenen Kontrollmethoden und -mittel (30 %):

    -    die Qualität der Dienstleistung und der Bewirtschaftung;

    -    die Erhaltung der Beständigkeit des Personalbestandes;

    -    die Durchführung des pädagogischen Vorhabens.“

6.
    Nach dem Protokoll über die Ortsbesichtigung und die zwingend vorgeschriebene Informationssitzung am 24. und 25. November 1999 machten die Vertreter der Kommission dabei noch nähere Angaben zum Lastenheft.

7.
    Mit einem in Italienisch abgefaßten Telefax vom 20. Dezember 1999 teilte die Kommission der Antragstellerin mit, daß der Schlußtermin für die Vorlage der Angebote auf den 7. Januar 2000 verschoben worden sei. Außerdem wurde, was die spezifischen Kriterien des Lastenhefts angeht, folgendes ausgeführt:

„Der gegenwärtige Vertragspartner hat ... die Absicht zum Ausdruck gebracht, sein Personal zu behalten und es anderen Verwendungen zuzuweisen, wenn der Auftrag nicht an ihn vergeben werden sollte. Unter diesen Umständen würde sich das Problem des Schutzes der Rechte der Arbeitnehmer in keiner Weise stellen.“

8.
    Am 7. Januar 2000 begab sich ein Vertreter der Antragstellerin in die Büros der Kommission, um dort ein Angebot einzureichen. Ihm wurde mitgeteilt, daß die Frist in Wirklichkeit bis zum 7. Februar 2000 und nicht bis zum 7. Januar 2000 verlängert worden sei, wie aufgrund eines Übertragungsfehlers in dem Telefax vom 20. Dezember 1999 angegeben worden sei. Der Vertreter der Antragstellerin nahm daher sein Angebot wieder zurück.

9.
    Am dafür vorgesehenen Schlußtermin hatten vier Firmen, darunter Centro studi und die Antragstellerin, ein Angebot abgegeben.

10.
    Nach der Abgabe dieser Angebote bat die Kommission mit Schreiben vom 25. und 29. Februar 2000 die Bewerber um nähere Angaben.

11.
    Die Angebote wurden von einem aus sechs Personen bestehenden Bewertungsausschuß geprüft, von denen fünf in ihrer Eigenschaft als Beamte der Generaldirektion „Personal und Verwaltung“ und die sechste als Vertreterin der Elternvereinigung benannt worden waren. Diese sechste Person, bei der es sich um die stellvertretende Vorsitzende dieser Vereinigung handelte, hatte kein bei der Kinderkrippe der KKT Clovis eingeschriebenes Kind.

12.
    Mit Schreiben vom 31. Mai 2000 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, daß der Auftrag nicht an sie vergeben worden sei (im folgenden: Entscheidung über die Nichtvergabe).

13.
    Mit Schreiben vom 2. Juni 2000 forderten die Anwälte der Antragstellerin die Kommission auf, ihnen die Begründung dieser Entscheidung mitzuteilen. Siebeantragten außerdem, alle Maßnahmen, durch die der Entscheidung über die Vergabe des streitigen Auftrags an einen anderen Bewerber (im folgenden: Vergabeentscheidung) Wirkung verliehen werden sollte, auszusetzen und daher den im Lastenheft genannten Vertrag nicht zu schließen.

14.
    Mit Telefax vom 9. Juni 2000 gab die Kommission Auskunft in bezug auf die Begründung der Vergabeentscheidung. Sie gab u. a. an, das von der Firma Centro studi eingereichte Angebot sei besser als das Angebot der Antragstellerin gewesen, und zwar sowohl was den Preis als auch was die Qualität angehe (zum einen sei der Preisindex der Antragstellerin 102,9 gewesen, während der der Firma Centro studi 100 im Verhältnis zu dem der Ausschreibung entsprechenden, ungünstigsten Angebot betragen habe, und zum andern habe der Qualitätsindex der Antragstellerin bei 80,4 gelegen, während der der Firma Centro studi im Verhältnis zu dem Angebot, das die beste Qualifikation erhalten habe, bei 100 gelegen habe). Außerdem lehnte die Kommission es ab, die Durchführung der Vergabeentscheidung auszusetzen.

15.
    Mit am 20. Juni 2000 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schriftsatz hat die Antragstellerin gemäß Artikel 230 Absatz 4 EG Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidungen über die Nichtvergabe und die Vergabe erhoben und einen Antrag auf Ersatz des Schadens gestellt, den sie angeblich aufgrund dieser Entscheidungen erlitten hat.

16.
    Mit am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichts eingereichtem besonderem Schriftsatz hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag gestellt, der zum einen darauf abzielt, die Durchführung der Entscheidung über die Vergabe und die Nichtvergabe auszusetzen und der Kommission aufzugeben, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die rechtlichen Wirkungen der Vergabeentscheidung oder des gegebenenfalls aufgrund dieser Entscheidung geschlossenen Vertrages auszusetzen, und zum anderen darauf, gemäß Artikel 105 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts über diese Aussetzungsanträge als dringlich zu entscheiden.

17.
    Am 21. Juni 2000 ist die Kommission vom Richter der einstweiligen Anordnung aufgefordert worden, Fragen in bezug auf den Stand des streitigen Ausschreibungsverfahrens zu beantworten und den gegebenenfalls mit der Firma Centro studi geschlossenen Vertrag vorzulegen.

18.
    Am 22. Juni 2000 hat die Kommission auf diese Fragen geantwortet. Sie hat den mit der Firma Centro studi geschlossenen Vertrag vorgelegt und angegeben, daß dieser Vertrag am 21. Juni 2000 unterzeichnet worden sei und am 1. August 2000 in Kraft treten werde.

19.
    Am 26. Juni 2000 ist die Kommission aufgefordert worden, die Firma Centro studi betreffende Unterlagen vorzulegen.

20.
    Am 30. Juni 2000 hat die Kommission zum vorliegenden Antrag auf einstweilige Anordnung Stellung genommen und die angeforderten Unterlagen beigefügt. Sie hat darauf hingewiesen, daß das Angebot der Firma Centro studi und das Garantieerklärungsschreiben vertraulich seien und der Antragstellerin nicht mitgeteilt werden dürften.

21.
    Der Richter der einstweiligen Anordnung hat daher beschlossen, diese Unterlagen nicht zu den Akten zu nehmen.

Entscheidungsgründe

22.
    Gemäß den Artikeln 242 EG und 243 EG in Verbindung mit Artikel 4 des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 319, S. 1) in der Fassung des Beschlusses 93/350/Euratom, EGKS, EWG des Rates vom 8. Juni 1993 (ABl. L 144, S. 21) kann das Gericht, wenn es dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen und die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

23.
    Nach Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung müssen in Anträgen auf Erlaß einstweiliger Anordnungen die Umstände angeführt werden, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen (fumus boni iuris). Diese Voraussetzungen sind kumulativ, so daß ein Antrag auf Aussetzung des Vollzugs zurückzuweisen ist, wenn eine Voraussetzung nicht vorliegt (Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 10. Februar 1999 in der Rechtssache T-211/98 R, Willeme/Kommission, Slg. ÖD 1999, I-A-15 und II-57, Randnr. 18). Der Richter der einstweiligen Anordnung nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vor (Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 29. Juni 1999 in der Rechtssache C-107/99 R, Italien/Kommission, Slg. 1999, I-4011, Randnr. 59).

24.
    Aus den Akten ergeben sich alle für die Entscheidung über den vorliegenden Antrag auf einstweilige Anordnung erforderlichen Anhaltspunkte; eine vorherige mündliche Anhörung der Parteien ist daher nicht nötig.

25.
    Im vorliegenden Fall ist die die Dringlichkeit betreffende Voraussetzung zu prüfen.

Vorbringen der Parteien

26.
    Die Antragstellerin macht geltend, durch die Durchführung der Entscheidungen über die Vergabe und die Nichtvergabe könne ihr ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen. Ihre Klage könne nur dazu führen, daß ihr Schadensersatz zugesprochen werde, was im Verhältnis zu den konkreten Umständen des Falles und zum Hauptgegenstand ihrer Klage nicht angemessen sei.

27.
    Der Schaden, den die Antragstellerin erlitten habe, sei nicht ausschließlich finanzieller Art. Er bestehe zum einen aus einem unmittelbaren Verlust, der auf 40 000 000 BEF (991 574,09 Euro) veranschlagt werden könne, und zum anderen aus einem mittelbaren Schaden, da die Antragstellerin eine auf den Franchisevertrag gestützte originelle Form der Kooperation auf dem Gebiet der Bewirtschaftung von Kinderkrippen aufgebaut habe. Ein Erfolg sei bei einer solchen Struktur aber nur denkbar, wenn diese sich auf ein ausreichendes Tätigkeitsvolumen stützen könne. Der Wegfall der Bewirtschaftung der KKT Clovis gefährde diese Struktur.

28.
    Der streitige Auftrag stelle einen Referenzauftrag dar, auf den sich der ausgewählte Bewerber in der Folge sehr gut berufen könne, um andere Aufträge zu erhalten. Referenzen spielten somit eine ausschlaggebende Rolle bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Dies gehe auch aus dem Mechanismus der qualitativen Auswahl hervor, der durch die Richtlinie 92/50 eingeführt worden sei; diese Richtlinie lege in Artikel 32 Kriterien fest, die u. a. auf die Erfahrungen gestützt seien, auf die sich der Erbringer der Dienstleistung für die Vorlage eines Angebots berufen könne.

29.
    Die Antragstellerin könne sich daher in Zukunft nicht auf den streitigen Auftrag berufen, und der damit eingetretene Schaden könne dadurch, daß ihr gegebenenfalls Schadensersatz zugesprochen werde, nicht wiedergutgemacht werden. Durch die beantragten einstweiligen Anordnungen könne verhindert werden, daß sie trotz der Rechtswidrigkeit der Vergabeentscheidung endgültig daran gehindert werde, diesen Auftrag zu erhalten.

30.
    Da der Gemeinschaftsrechtsprechung, die spezifisch diesen der Materie der öffentlichen Aufträge eigenen Begriff des Verlustes von Referenzen betreffe, keine Aufschlüsse zu entnehmen seien, sei die Rechtsprechung der belgischen Gerichte heranzuziehen, wobei das belgische Recht im übrigen auch das auf den in Rede stehenden Vertrag anwendbare Recht sei. Nach dieser Rechtsprechung werde der Verlust eines Referenz- oder Prestigeauftrags in gewissem Maße im Rahmen der Gefahr eines kaum wiedergutzumachenden schweren Schadens berücksichtigt.

31.
    Im vorliegenden Fall handele es sich um einen Referenzauftrag, und die Entscheidungen über die Vergabe und die Nichtvergabe beeinträchtigten die Glaubwürdigkeit und den guten Ruf der Antragstellerin. In diesem Zusammenhang sei der Auftrag sowohl wegen seines jährlichen finanziellen Wertes (3 470 509,35 Euro) als auch wegen der Zahl der Kinder, die zu betreuen seien (400), von besonderer Bedeutung. Die Qualität, der ganz besondere Charakter und das hohe Ansehen des öffentlichen Autraggebers seien ebenfalls zu berücksichtigen. Daß der Antragstellerin, die den vorangehenden Auftrag für die Bewirtschaftung der KKT Clovis erhalten habe, der streitige Auftrag nicht erteilt worden sei, stelle für sie eine für ihre kommerziellen Interessen äußerst nachteilige öffentliche Mißbilligung sowie eine Beeinträchtigung ihrer Glaubwürdigkeit und ihres guten Rufes dar.Verschiedene Vorhaben, mit denen die Antragstellerin befaßt sei und die auf der Referenz beruhten, die der streitige Auftrag darstelle, seien daher gefährdet.

32.
    Darüber hinaus verfüge die Antragstellerin über etwa 95 Mitarbeiter (Angehörige ihrer Belegschaft), deren Arbeit so organisiert sei, daß sie den Management- und Organisationsgrundsätzen „ISO 9001:94“ entspreche. Sie sei seit Februar 1998 Inhaberin eines „ISO-9001“-Zertifikats. Es sei wahrscheinlich, daß sie nicht diese gesamte Belegschaft anderweitig beschäftigen könne und daß sie dadurch das Hauptpotential ihrer Dienstleistungsfirma und die Investitionen verliere, die bewilligt worden seien, um das durch das obengenannte Zertifikat bestätigte Gütesiegel zu erlangen.

33.
    Die Dringlichkeit ergebe sich auch daraus, daß der dem streitigen Auftrag entsprechende Vertrag vor Erlaß des Urteils nicht nur geschlossen, sondern auch weitgehend durchgeführt sein werde. Das Urteil sei daher ohne praktische Wirksamkeit (in diesem Sinne die in Vertragsverletzungsverfahren ergangenen Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes vom 16. Februar 1987 in der Rechtssache 45/87 R, Kommission/Irland, Slg. 1987, 783, vom 27. September 1988 in der Rechtssache 194/88 R, Kommission/Italien, Slg. 1988, 5647, und vom 31. Januar 1992 in der Rechtssache C-272/91 R, Kommission/Italien, Slg. 1992, I-457).

34.
    Schließlich sei die Kommission von der Absicht der Antragstellerin, die Entscheidungen über die Vergabe und die Nichtvergabe anzufechten, unterrichtet gewesen; zwar habe sie die Durchführung dieser Entscheidungen durch Abschluß des Vertrages fortgesetzt, dies könne aber kein Hindernis dafür sein, daß dem vorliegenden Antrag stattgegeben werde (in entsprechender Anwendung Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 22. April 1994 in der Rechtssache C-87/94 R, Kommission/Belgien, Slg. 1994, I-1395).

35.
    Nach Auffassung der Kommission ist der von der Antragstellerin behauptete Schaden nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes weder schwer noch nicht wiedergutzumachen. Da die Antragstellerin in der Lage sei, ihren unmittelbaren Schaden der Höhe nach zu bestimmen, sei dieser sehr wohl durch Zahlung von Schadensersatz wiedergutzumachen.

36.
    Was den anderen Posten des Schadens angehe, den die Antragstellerin angeblich erlitten habe und den sie selbst als „mittelbaren Schaden“ bezeichne, so handele es sich um den Verlust eines „Referenzauftrags“. Dadurch, daß die Antragstellerin diesen Schadensposten selbst als mittelbaren Schaden qualifiziere, räume sie zum einen ein, daß ein Kausalzusammenhang zwischen einem solchen Schaden und den Entscheidungen über die Vergabe und die Nichtvergabe fehle, und zum anderen, daß ihre Stellung bei den anderen Aufträgen vom Zufall abhängig sei. Die Antragstellerin sei nicht in der Lage, einen Zusammenhang zwischen dem Erlangen des streitigen Auftrags und dem Erlangen anderer Aufträge herzustellen. Darüber hinaus gewähre das Gemeinschaftsrecht keinen Schutz gegen mittelbare Folgen der Handlungen der Gemeinschaftsorgane.

37.
    Außerdem werde ein auf dem Verlust eines Referenzauftrags beruhender Schaden nach der belgischen Rechtsprechung auch nicht als schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden qualifiziert, sondern als „schwerer, kaum wiedergutzumachender Schaden“. Daß ein Bewerber einen Auftrag von beschränkter Dauer bei einer neuen Ausschreibung nicht behalte, sei die notwendige Folge der regelmäßig wiederkehrenden Ausschreibungen von öffentlichen Aufträgen. Auf jeden Fall sei das Vorbringen der Klägerin, wonach die einstweiligen Anordnungen geboten seien, um zu verhindern, daß es ihr unmöglich gemacht werde, den streitigen Auftrag zu erhalten, nicht begründet.

38.
    Entgegen der Behauptung der Antragstellerin spielten die Referenzen keine ausschlaggebende Rolle bei der Vergabe eines Auftrags, für die die Kriterien in den Artikeln 36 und 37 der Richtlinie 92/50 aufgezählt seien. Die Referenzen stellten nur einen von vielen anderen Gesichtspunkten bei der qualitativen Auswahl vor der Vergabe gemäß Artikel 32 dieser Richtlinie dar.

39.
    Darüber hinaus weise die Antragstellerin nicht nach, daß außergewöhnliche Umstände vorlägen, aufgrund deren der finanzielle Schaden, den sie erleide, als schwer und nicht wiedergutzumachen qualifiziert werden könnte. Die Antragstellerin erbringe nämlich keinen Beweis dafür, daß sie ohne die beantragten einstweiligen Anordnungen in eine Lage versetzt werden könnte, die ihre Existenz als solche gefährden oder ihre Marktanteile in einer nicht wiedergutzumachenden Weise verändern könne.

40.
    Ferner sei der angebliche Verlust der Vorteile aus einem Teil der Investitionen, die die Antragstellerin getätigt habe, insbesondere um die Angehörigen ihrer Belegschaft mit dem Ziel fortzubilden, ein „ISO-9001“-Zertifikat zu erhalten, die auf der Entlassung dieser Belegschaftsangehörigen beruhe, ebenfalls ein rein finanzieller Schaden.

41.
    Die Argumentation der Antragstellerin, wonach sich die Dringlichkeit daraus ergebe, daß der Vertrag zwischen der Kommission und dem Bewerber, dessen Angebot ausgewählt worden sei, weitgehend durchgeführt sein werde, bevor eine Entscheidung in der Sache ergangen sei, sei gänzlich unerheblich. Die Antragstellerin stütze sich auf die Rechtsprechung im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren. Bei diesen handele es sich aber um ganz besondere Verfahren, die nicht zu einer Schadensersatzklage vor den Gemeinschaftsgerichten führen könnten. Darüber hinaus seien der Sachverhalt in dem genannten Beschluß vom 31. Januar 1992 in der Rechtssache Kommission/Italien, auf den sich die Antragstellerin berufe, und der Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache nicht vergleichbar. Im vorliegenden Fall sei die Kommission, wenn das Gericht die Vergabeentscheidung aufheben sollte, in der Lage, erneut eine Ausschreibung zu veranstalten, an der sich die Antragstellerin beteiligen könnte, und zwar ohne auf besondere Schwierigkeiten zu stoßen.

42.
    Schließlich habe die Antragstellerin selbst den Wunsch geäußert, den Vertrag über die Bewirtschaftung der KKT Clovis nicht fortzuführen. Es sei demzufolge nicht möglich, einen Schaden, der freiwillig ins Auge gefaßt worden sei, als schwer und nicht wiedergutzumachen zu qualifizieren.

Würdigung durch den Richter der einstweiligen Anordnung

43.
    Nach ständiger Rechtsprechung bemißt sich die Dringlichkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung nach der Notwendigkeit, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, damit der Antragsteller keinen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden erleidet. Der Antragsteller trägt daher die Beweislast dafür, daß er die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht abwarten kann, ohne einen solchen Schaden zu erleiden (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 15. Juli 1998 in der Rechtssache T-73/98 R, Prayon-Rupel/Kommission, Slg. 1998, II-2769, Randnr. 36, vom 9. August 1999 in den Rechtssachen T-38/99 R bis T-42/99 R, T-45/99 R und T-48/99 R, Sociedade Agrícola dos Arinhos u. a./Kommission, Slg. 1999, II-2567, Randnr. 42, und vom 14. April 2000 in der Rechtssache T-144/99 R, IMA/Kommission, Slg. 2000, II-2067, Randnr. 42).

44.
    Was den von der Antragstellerin geltend gemachten finanziellen Schaden angeht, so ist festzustellen, daß, wie die Kommission vorgetragen hat, ein solcher Schaden nach feststehender Rechtsprechung grundsätzlich nicht als ein nicht oder auch nur schwer wiedergutzumachender Schaden anzusehen ist, da er Gegenstand eines späteren finanziellen Ausgleichs sein kann (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes vom 18. Oktober 1991 in der Rechtssache C-213/91 R, Abertal u. a./Kommission, Slg. 1991, I-5109, Randnr. 24, und des Präsidenten des Gerichts vom 30. Juni 1999 in der Rechtssache T-70/99 R, Alpharma/Rat, Slg. 1999, II-2027, Randnr. 128).

45.
    Nach diesen Grundsätzen wäre die beantragte Aussetzung unter den vorliegenden Umständen nur dann gerechtfertigt, wenn das Fehlen einer solchen Maßnahme die Antragstellerin in eine Lage versetzen würde, die ihre Existenz gefährden oder ihre Position auf dem Markt irreversibel verändern würde.

46.
    Die Antragstellerin hat aber nicht nachweisen können, daß ohne den Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnungen durch den Wegfall der Bewirtschaftung des KKT Clovis die von ihr aufgebaute Struktur der Bewirtschaftung von Kinderkrippen oder jedenfalls ihre Existenz als solche gefährdet wäre. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Antragstellerin auf mehrere andere Vorhaben verwiesen hat, mit denen sie bereits befaßt ist und die zur Errichtung von Kinderkrippen mit einer Aufnahmekapazität von mehr als 410 Plätzen führen könnten.

47.
    Der von der Antragstellerin geltend gemachte finanzielle Schaden kann folglich wiedergutgemacht werden. Ein solcher Schaden stellt nämlich einen wirtschaftlichenVerlust dar, der im Rahmen der im Vertrag, insbesondere in Artikel 235 EG, vorgesehenen Klagen ausgeglichen werden könnte (Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 1. Oktober 1997 in der Rechtssache T-230/97 R, Comafrica und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, Slg. 1997, II-1589, Randnr. 38).

48.
    Was den von der Antragstellerin geltend gemachten nicht finanziellen Schaden angeht, so ist zu ihrem Vorbringen, daß die einstweiligen Anordnungen wegen des nicht wiedergutzumachenden Schadens, den ihr guter Ruf und ihre Glaubwürdigkeit erleiden werde, dringlich seien, festzustellen, daß die Entscheidung über die Nichtvergabe nicht notwendigerweise einen solchen Schaden verursachen würde. Die Beteiligung an einer öffentlichen Ausschreibung, die ihrer Natur nach starken Wettbewerbscharakter hat, bringt zwangsläufig Risiken für alle Teilnehmer mit sich, und der Ausschluß eines Bieters gemäß den Ausschreibungsbedingungen hat für sich allein nichts Schädigendes (Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 5. August 1983 in der Rechtssache 118/83 R, CMC/Kommission, Slg. 1983, 2583, Randnr. 51). Ein solches Risiko war der Antragstellerin im übrigen bekannt, als sie beschloß, keine Verlängerung ihres Vertrages mit der Kommission zu beantragen, was diese dazu veranlaßte, ein neues Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags einzuleiten.

49.
    Was das Vorbringen der Antragstellerin angeht, die Referenzen spielten bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen eine ausschlaggebende Rolle, so ergibt sich, wie die Kommission zu Recht geltend gemacht hat, aus Artikel 32 der Richtlinie 92/50, daß diese Referenzen nur eines unter vielen anderen Kriterien darstellen, die bei der qualitativen Auswahl der Dienstleistungserbringer berücksichtigt werden. Darüber hinaus sind die nachteiligen Auswirkungen, die sich nach dem Vorbringen der Antragstellerin aus der Beeinträchtigung ihrer Glaubwürdigkeit und ihres guten Rufes ergeben, nicht als zwangsläufige Folge des Vollzugs der Entscheidungen über die Vergabe und die Nichtvergabe anzusehen. Der Schaden, der der Antragstellerin durch den Vollzug dieser Entscheidungen entstehen könnte, ist daher rein hypothetischer Natur (Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 2. Dezember 1994 in der Rechtssache T-322/94 R, Union Carbide/Kommission, Slg. 1994, II-1159, Randnr. 31).

50.
    Was den Schaden angeht, der durch die Entlassung von Angehörigen ihrer Belegschaft eintreten soll, so zeigt der Umstand, daß die Antragstellerin diesen Schaden selbst als „wahrscheinlich“ bezeichnet, ebenfalls dessen hypothetischen Charakter.

51.
    Schließlich stellt auch die Tatsache, daß die Durchführung des mit der Firma Centro studi geschlossenen Vertrages bereits vor der Verkündung der Entscheidung begonnen hat, mit der das Hauptsacheverfahren abgeschlossen wird, keinen Umstand dar, der die Dringlichkeit belegt. Falls das Gericht die Klage für begründet hält, hätte die Kommission die Maßnahmen zu erlassen, die für einen angemessenen Schutz der Interessen der Antragstellerin erforderlich sind (Beschlußdes Präsidenten des Gerichts vom 2. Mai 1994 in der Rechtssache T-108/94 R, Candiotte/Rat, Slg. 1994, II-249, Randnr. 27). Die Antragstellerin hat aber keinen Umstand genannt, der es ausschließen könnte, daß ihre Interessen, gegebenenfalls durch Zahlung einer Entschädigung in Verbindung mit einem neuen Ausschreibungsverfahren, gewahrt werden.

52.
    Unter diesen Umständen ist festzustellen, daß die Antragstellerin nicht hinreichend dargetan hat, daß der nicht finanzielle Schaden, den sie geltend macht, sicher oder nicht wiedergutzumachen ist und daß er die unmittelbare Folge der Entscheidungen der Kommission oder des Vollzugs dieser Entscheidungen ist.

53.
    Nach alledem hat die Antragstellerin nicht nachweisen können, daß sie ohne den Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnungen einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden erleiden würde.

54.
    Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist demzufolge zurückzuweisen, ohne daß geprüft zu werden braucht, ob die anderen Voraussetzungen für die Aussetzung des Vollzugs erfüllt sind.

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1.    Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

2.    Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 20. Juli 2000

Der Kanzler

Der Präsident

H. Jung

B. Vesterdorf


1: Verfahrenssprache: Französisch.