Language of document : ECLI:EU:T:2011:392

URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

15. Juli 2011(*)

„Gemeinschaftsmarke – Widerspruchsverfahren – Anmeldung der Gemeinschaftswortmarke ERGO – Ältere Gemeinschaftswortmarke URGO – Relatives Eintragungshindernis – Verwechslungsgefahr – Art. 8 Abs. 1 Buchst. b, der Verordnung (EG) Nr. 40/94 (jetzt Art. 8 Abs. 1 Buchst. b, der Verordnung [EG] Nr. 207/2009)“

In der Rechtssache T‑220/09

Ergo Versicherungsgruppe AG mit Sitz in Düsseldorf (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte V. von Bomhard, A. W. Renck, T. Dolde und J. Pause,

Klägerin,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten durch B. Schmidt als Bevollmächtigte,

Beklagter,

andere Verfahrensbeteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des HABM und Streithelferin im Verfahren vor dem Gericht:

Société de développement et de recherche industrielle mit Sitz in Chenôve (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin K. Dröge,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des HABM vom 20. März 2009 (Sache R‑515/2008‑4) zu einem Widerspruchsverfahren zwischen der Société de développement et de recherche industrielle und der Ergo Versicherungsgruppe AG

erlässt

DAS GERICHT (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Azizi, der Richterin E. Cremona (Berichterstatterin) und des Richters S. Frimodt Nielsen,

Kanzler: E. Coulon,

aufgrund der am 3. Juni 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 21. September 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des HABM,

aufgrund der am 11. September 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

aufgrund des Umstands, dass keiner der Verfahrensbeteiligten binnen einem Monat nach der Mitteilung, dass das schriftliche Verfahren abgeschlossen ist, die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des daher auf Bericht der Berichterstatterin gemäß Art. 135a der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 31. Juli 2003 meldete die Klägerin, die Ergo Versicherungsgruppe AG, gemäß der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) in geänderter Fassung (ersetzt durch die Verordnung [EG] Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke [ABl. L 78, S. 1]) beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) eine Gemeinschaftsmarke an.

2        Bei der angemeldeten Marke handelte es sich um das Wortzeichen ERGO.

3        Die Marke wurde u. a. für folgende Waren der Klassen 3 und 5 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet:

–        Klasse 3: „Wasch- und Bleichmittel; Polier- und Schleifmittel; Seifen; Parfümeriewaren, ätherische Öle, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege, Haarwässer; Zahnputzmittel“;

–        Klasse 5: „Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse; Hygieneartikel für medizinische Zwecke; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, Babykost; Pflaster, Verbandmaterial; Zahnfüllmittel und Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Desinfektionsmittel; Mittel zur Vertilgung von schädlichen Tieren; Fungizide, Herbizide“.

4        Die Anmeldung der Gemeinschaftsmarke wurde im Blatt für Gemeinschaftsmarken Nr. 25/2004 vom 21. Juni 2004 veröffentlicht.

5        Am 21. September 2004 erhob die Holding Urgo Participations (HUP), die ihre Marke während des Verfahrens vor dem HABM auf die Streithelferin, die Société de développement et de recherche industrielle, übertrug, gemäß Art. 42 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 41 der Verordnung Nr. 207/2009) gegen die Anmeldung der Marke für die oben in Randnr. 3 genannten Waren Widerspruch.

6        Der Widerspruch stützte sich auf die am 16. Februar 2000 unter der Nummer 989 863 eingetragene Gemeinschaftswortmarke URGO, die folgende Waren der Klassen 3 und 5 erfasst:

–        Klasse 3: „Seifen; Parfümeriewaren, ätherische Öle, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege, Haarwässer; Zahnputzmittel“;

–        Klasse 5: „Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, Babykost; Pflaster, Verbandmaterial; Zahnfüllmittel und Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Desinfektionsmittel; Mittel zur Vertilgung von schädlichen Tieren; Fungizide, Herbizide“.

7        Als Grund für den Widerspruch wurde Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009) geltend gemacht.

8        Am 25. Januar 2008 gab die Widerspruchsabteilung dem Widerspruch teilweise, nämlich für sämtliche Waren der Klasse 5 und für die Waren „Seifen; Parfümeriewaren, ätherische Öle, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege, Haarwässer; Zahnputzmittel“ der Klasse 3, statt.

9        Am 25. März 2008 legte die Klägerin beim HABM nach den Art. 57 bis 62 der Verordnung Nr. 40/94 (jetzt Art. 58 bis 64 der Verordnung Nr. 207/2009) Beschwerde gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung ein.

10      Mit Entscheidung vom 20. März 2009 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Vierte Beschwerdekammer des HABM die Beschwerde zurück. Die Beschwerdekammer führte zunächst aus, dass sich die maßgebenden Verkehrskreise aus normal aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchern aus sämtlichen Mitgliedstaaten zusammensetzten. Dann stellte sie fest, dass die Waren der Klasse 5 sowie die Waren der Klasse 3, für die die Markenanmeldung zurückgewiesen worden war, identisch seien. Was den Vergleich der Zeichen betrifft, führte die Beschwerdekammer aus, dass in bildlicher Hinsicht eine hochgradige Ähnlichkeit zwischen den einander gegenüberstehenden Zeichen bestehe. Sie stellte nämlich fest, dass es sich um Wortmarken handele, bei denen die drei letzten Buchstaben übereinstimmten und die sich ausschließlich durch den ersten Buchstaben unterschieden, und gelangte zu dem Schluss, dass dieser Unterschied die große bildliche Ähnlichkeit nicht aufwiegen könne, die sich aus der Identität der übrigen Buchstaben ergebe, aus denen die Zeichen bestünden. In klanglicher Hinsicht stellte die Beschwerdekammer fest, dass die beiden Marken aus zwei Silben bestünden, deren Aussprache in Rhythmus und Sprachmelodie gleich sei. Sie verglich die Aussprache der beiden Marken in mehreren europäischen Sprachen miteinander und gelangte zu dem Schluss, dass sie im Englischen praktisch klangliche Identität, im Französischen eine starke klangliche Ähnlichkeit und in verschiedenen anderen europäischen Sprachen eine durchschnittliche klangliche Ähnlichkeit aufwiesen. In begrifflicher Hinsicht stellte die Beschwerdekammer fest, dass die ältere Marke URGO in keiner europäischen Sprache eine Bedeutung besitze, während es sich bei dem Begriff „ergo“ um ein lateinisches Wort mit der Bedeutung „also“ oder „folglich“ handele, das es in bestimmten Sprachen, insbesondere dem Englischen, als abstraktes Wort mit juristischer oder philosophischer Konnotation gebe. Die Beschwerdekammer war der Auffassung, dass dieses Wort in der Alltagssprache selten benutzt werde; es sei somit dem Endverbraucher im Allgemeinen unbekannt und werde von ihm nicht verwendet. Sie zog den Schluss, dass die englischen und deutschen Durchschnittsverbraucher die in Rede stehenden Marken folglich nicht mit einem Begriff in Verbindung brächten. Auf der Grundlage der vorstehenden Erwägungen stellte die Beschwerdekammer fest, dass eine Verwechslungsgefahr zwischen den beiden Marken zumindest für den englischsprachigen Teil des Gebiets der Europäischen Union vorliege.

 Anträge der Verfahrensbeteiligten

11      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem HABM die Kosten aufzuerlegen.

12      Das HABM und die Streithelferin beantragen,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

13      Die Klägerin stützt ihre Klage auf den einzigen Klagegrund eines Verstoßes gegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94.

14      Gemäß dieser Vorschrift ist auf Widerspruch des Inhabers einer älteren Marke die angemeldete Marke von der Eintragung ausgeschlossen, wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit der älteren Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen in dem Gebiet besteht, in dem die ältere Marke Schutz genießt. Die Gefahr von Verwechslungen schließt die Gefahr ein, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.

15      Nach der Rechtsprechung liegt Verwechslungsgefahr dann vor, wenn das Publikum glauben könnte, dass die betreffenden Waren oder Dienstleistungen aus demselben Unternehmen oder aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen. Nach dieser Rechtsprechung ist das Vorliegen von Verwechslungsgefahr umfassend, nach der Wahrnehmung der fraglichen Zeichen und Waren oder Dienstleistungen durch die maßgeblichen Verkehrskreise und unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Wechselbeziehung zwischen der Ähnlichkeit der Zeichen und der Ähnlichkeit der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen, zu beurteilen (Urteile des Gerichts vom 9. Juli 2003, Laboratorios RTB/HABM – Giorgio Beverly Hills [GIORGIO BEVERLY HILLS], T‑162/01, Slg. 2003, II‑2821, Randnrn. 30 bis 33, und vom 13. September 2010, Procter & Gamble/HABM – Prestige Cosmetics [P&G PRESTIGE BEAUTE], T‑366/07, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 49).

16      Wenn sich der Schutz der älteren Marke auf die gesamte Union erstreckt, ist die Wahrnehmung der einander gegenüberstehenden Marken durch den Verbraucher der fraglichen Waren in diesem Gebiet zu berücksichtigen. Jedoch ist eine Gemeinschaftsmarke bereits dann von der Eintragung ausgeschlossen, wenn ein relatives Eintragungshindernis im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 nur in einem Teil der Union vorliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 14. Dezember 2006, Mast-Jägermeister/HABM – Licorera Zacapaneca [VENADO mit Rahmen u. a.], T‑81/03, T‑82/03 und T‑103/03, Slg. 2006, II‑5409, Randnr. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 Zu den maßgeblichen Verkehrskreisen

17      Die Klägerin rügt nicht die Feststellung der Beschwerdekammer, dass es sich bei dem Gebiet, auf das bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr abzustellen sei, um das der Union und bei dem von den Marken angesprochenen Verbraucher um den Durchschnittsverbraucher handele. Sie wirft jedoch der Beschwerdekammer vor, nicht berücksichtigt zu haben, dass auch diese Verbraucher bei den in Rede stehenden Waren eine erhöhte Aufmerksamkeit walten ließen, da diese Bedeutung für ihre Gesundheit, ihr Wohlbefinden und ihr Aussehen hätten.

18      Hierzu ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr auf einen normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der betreffenden Art von Waren abzustellen ist. Es ist auch zu berücksichtigen, dass die Aufmerksamkeit des Durchschnittsverbrauchers je nach der Art der fraglichen Waren oder Dienstleistungen unterschiedlich hoch sein kann (vgl. Urteil des Gerichts vom 13. Februar 2007, Mundipharma/HABM – Altana Pharma [RESPICUR], T‑256/04, Slg. 2007, II‑449, Randnr. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19      Zu den in Rede stehenden Waren der Klasse 3 ist festzustellen, dass es sich um gängige Verbrauchsartikel handelt, die im Allgemeinen einen vergleichsweise geringen Wert haben. Somit kann die Aufmerksamkeit der maßgeblichen Verkehrskreise für diese Waren nicht als höher angesehen werden als diejenige, die diese Verkehrskreise bei anderen gängigen Verbrauchsartikeln walten lassen (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 14. April 2011, TTNB/HABM – March Juan [Tila March], T-433/09, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 23, und Lancôme/HABM, – Focus Magazin Verlag [ACNO FOCUS], T-466/08, Slg. 2011, II‑0000, Randnr. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20      Was die in Rede stehenden Waren der Klasse 5 angeht, ist festzustellen, dass die maßgeblichen Verkehrskreise, wie die Klägerin dargelegt hat, einem Teil von ihnen, wie beispielsweise den pharmazeutischen Erzeugnissen, eine überdurchschnittliche Aufmerksamkeit entgegenbringen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 13. Februar 2008, Sanofi-Aventis/HABM–GD Searle [ATURION], T‑146/06, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung). Jedoch handelt es sich bei einem anderen Teil der in Rede stehenden Waren dieser Klasse um gängige Gebrauchswaren, die ohne Verschreibung verkauft werden und für alle Verbraucher bestimmt sind (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 9. Dezember 2009, Longevity Health Products/HABM – Merck [Kids Vits], T-484/08, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 27, und vom 2. Juni 2010, Procaps/HABM – Biofarma [PROCAPS], T‑35/09, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 29). Somit ist für diesen Teil der in Rede stehenden Waren, für den nicht dargelegt worden ist, dass er unbedeutend sei, nicht von einer erhöhten Aufmerksamkeit der maßgeblichen Verkehrskreise auszugehen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 11. November 2009, REWE‑Zentral/HABM – Aldi Einkauf [Clina], T‑150/08, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 69).

21      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr auf die Verkehrskreise mit der geringsten Aufmerksamkeit abzustellen ist (Urteil des Gerichts vom 8. September 2010, Kido/HABM – Amberes [SCORPIONEXO], T‑152/08, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 40). Außerdem reicht es, um die Beurteilung der Beschwerdekammer in Frage zu stellen, nicht aus, dass eine Klägerin behauptet, dass der Verbraucher in einem bestimmten Bereich Marken besondere Aufmerksamkeit schenkt; sie muss diese Behauptung durch Tatsachenvortrag und Beweismittel untermauern (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 13. April 2005, Gillette/HABM – Wilkinson Sword [RIGHT GUARD XTREME sport], T‑286/03, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 20 und 21), was die Klägerin im vorliegenden Fall nicht getan hat.

22      Sind die Waren oder Dienstleistungen, auf die sich die Anmeldung bezieht, für alle Verbraucher bestimmt, so ist gemäß ständiger Rechtsprechung davon auszugehen, dass das maßgebliche Publikum aus normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchern besteht (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 26. April 2007, Alcon/HABM, C‑412/05 P, Slg. 2007, I-3569, Randnr. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23      Nach alledem kann die Klägerin nicht mit Erfolg einen Fehler der Beschwerdekammer in Bezug auf die Bestimmung des Aufmerksamkeitsgrades der maßgeblichen Verkehrskreise geltend machen.

 Zum Vergleich der in Rede stehenden Waren und Zeichen

24      Zunächst ist festzustellen, dass die Identität der in Rede stehenden Waren nicht bestritten wird. Zwischen den Verfahrensbeteiligten ist lediglich die Ähnlichkeit der Zeichen streitig.

25      Nach der Rechtsprechung sind zwei Marken einander ähnlich, wenn sie aus der Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise hinsichtlich eines oder mehrerer relevanter Aspekte zumindest teilweise übereinstimmen (Urteil des Gerichts vom 26. Februar 2006, Volkswagen/HABM – Nacional Motor [Variant], T‑317/03, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 46).

26      Bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr im Hinblick auf die Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen in Bezug auf Bild, Klang oder Bedeutung ist auf den Gesamteindruck abzustellen, den diese Zeichen hervorrufen, wobei insbesondere ihre unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind. Für die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr kommt es entscheidend darauf an, wie die Marken auf den Durchschnittsverbraucher dieser Waren oder Dienstleistungen wirken. Der Durchschnittsverbraucher nimmt eine Marke regelmäßig als Ganzes wahr und achtet nicht auf die verschiedenen Einzelheiten (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 12. Juni 2007, HABM/Shaker, C‑334/05 P, Slg. 2007, I‑4529, Randnr. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Im vorliegenden Fall sind die zu vergleichenden Zeichen die ältere Gemeinschaftswortmarke URGO und die angemeldete Gemeinschaftswortmarke ERGO. Die fraglichen Marken bestehen jeweils aus einem Wort mit vier Buchstaben, von denen die drei letzten, „r“, „g“ und „o“, identisch und die Anfangsbuchstaben verschieden sind, nämlich „u“ in der älteren Marke und „e“ in der angemeldeten Marke.

28      Was die bildliche Ähnlichkeit betrifft, rügt die Klägerin die Feststellung der Beschwerdekammer, dass zwar nicht zu leugnen sei, dass die maßgeblichen Verkehrskreise die Anfangsbuchstaben der beiden Marken nicht vernachlässigen könnten, dieser Unterschied jedoch nicht geeignet sei, die starke bildliche Ähnlichkeit aufgrund der Identität der übrigen die Marken bildenden Buchstaben aufzuwiegen. Sie macht zunächst geltend, die Beschwerdekammer habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass nach der Rechtsprechung die festgestellten Unterschiede für die Verbraucher wesentlich auffälliger seien, weil die einander gegenüberstehenden Zeichen kurz seien.

29      Hierzu ist festzustellen, dass es zwar zutrifft, dass der Gerichtshof in bestimmten Urteilen entschieden hat, dass ein Unterschied, der nur in einem einzigen Buchstaben besteht, der Feststellung eines hohen Grades an bildlicher Ähnlichkeit zwischen zwei verhältnismäßig kurzen Wortzeichen entgegenstehen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 22. Juni 2004, Ruiz-Picasso u. a./HABM – DaimlerChrysler [PICARO], T‑185/02, Slg. 2004, II‑1739, Randnr. 54, und vom 16. Januar 2008, Inter-Ikea/HABM – Waibel [idea], T‑112/06, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 54); diese Beurteilung, die speziell für die in diesen Urteilen in Rede stehenden Marken vorgenommen wurde, ist jedoch keine Bestätigung einer allgemeinen Regel, die im vorliegenden Fall angewandt werden könnte (Urteil des Gerichts vom 13. September 2010, Inditex/HABM – Marín Díaz de Cerio [OFTEN], T-292/08, Slg. 2010, II‑0000, Randnrn. 79 und 80). Selbst im Rahmen der Beurteilung kurzer Wortzeichen kann nämlich die Übereinstimmung dreier von vier Buchstaben zur Folge haben, dass der sich aus einem einzigen Buchstaben ergebende Unterschied optisch kaum ins Gewicht fällt (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 25. Oktober 2006, Castell del Remei/HABM – Bodegas Roda [ODA], T‑13/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 52). So hat das Gericht entschieden, dass sich durch einen einzigen Buchstaben unterscheidende Wortzeichen sowohl optisch als auch klanglich als sehr ähnlich angesehen werden können (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 13. April 2005, Duarte y Beltrán/HABM – Mirato [INTEA], T‑353/02, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 27 und 28, und OFTEN, Randnr. 81).

30      Im vorliegenden Fall sind, wie die Klägerin geltend macht, die einander gegenüberstehenden Zeichen zwar kurz, da sie nur aus vier Buchstaben bestehen, doch ist festzustellen, dass drei dieser vier Buchstaben identisch sind und in genau derselben Reihenfolge stehen, so dass sich die beiden Zeichen nur in ihrem Anfangsvokal unterscheiden. Unter diesen Umständen kann das Vorliegen eines hohen Grades an bildlicher Ähnlichkeit zwischen den Zeichen in dem von ihnen hervorgerufenen Gesamteindruck nicht in Abrede gestellt werden.

31      Die Klägerin macht ferner geltend, dass der Unterschied zwischen den Zeichen den Verbrauchern besonders auffalle, weil er sich im vorliegenden Fall am Anfang der Zeichen zeige. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Erwägung, dass dem Anfang eines Zeichens in dem von diesem hervorgerufenen Gesamteindruck Bedeutung zukommt, nicht in allen Fällen gelten kann. Außerdem kann sie nicht den Grundsatz entkräften, dass die Prüfung der Ähnlichkeit der Marken den von ihnen hervorgerufenen Gesamteindruck berücksichtigen muss, da der Verbraucher eine Marke normalerweise als Ganzes wahrnimmt und nicht auf ihre verschiedenen Einzelheiten achtet (vgl. Urteil ACNO FOCUS, oben in Randnr. 19 angeführt, Randnr. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung). Somit ist im vorliegenden Fall festzustellen, dass der Unterschied im Anfangsvokal zwischen den beiden Zeichen die starke bildliche Ähnlichkeit aufgrund der Identität der übrigen Buchstaben, aus denen die beiden Marken bestehen, nicht aufzuwiegen vermag.

32      Was die klangliche Ähnlichkeit betrifft, rügt die Klägerin zunächst die Schlussfolgerung der Beschwerdekammer, dass die in Rede stehenden Zeichen im Englischen klanglich beinahe identisch seien. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass beide Marken jeweils aus zwei Silben bestehen, deren Aussprache in Rhythmus und Sprachmelodie übereinstimmt. Somit könnte sich der einzige klangliche Unterschied zwischen den Zeichen möglicherweise aus der Aussprache der unterschiedlichen Anfangsvokale ergeben.

33      Es ist jedoch unstreitig, dass im Englischen der erste Buchstabe des Zeichens ERGO wie der Buchstabe „e“ im Wort „ergonomic“ ausgesprochen werden wird. Der Anfangsbuchstabe des Zeichens URGO, das kein Wort der englischen Sprache ist, wird auf dieselbe Weise ausgesprochen werden wie bei der Aussprache des Wortes „urge“. Nichts deutet nämlich darauf hin, dass der englische Verbraucher das Zeichen URGO anders aussprechen würde. Somit hat die Beschwerdekammer zu Recht festgestellt, dass zwischen den beiden Zeichen im Englischen beinahe klangliche Identität bestehe, da das einzige unterscheidende Element der beiden Marken, nämlich der Anfangsvokal der die beiden Zeichen bildenden Wörter, in diesen Wörtern gleich ausgesprochen wird.

34      Auch die ebenfalls von der Klägerin gerügte Schlussfolgerung der Beschwerdekammer in Bezug auf das Vorliegen einer starken klanglichen Ähnlichkeit zwischen den fraglichen Zeichen im Französischen ist zu bestätigen. Zwar wird in dieser Sprache der Anfangsvokal jeweils unterschiedlich ausgesprochen, doch ist festzustellen, dass sich die beiden Marken aus zwei Silben zusammensetzen, die drei von vier Buchstaben gemeinsam haben, die in derselben Reihenfolge angeordnet sind und bei denen die Betonung auf derselben Stelle liegt, wodurch den betreffenden Wörtern derselbe Rhythmus und dieselbe Sprachmelodie verliehen wird. Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass ein möglicherweise bestehender Unterschied in der Aussprache des Anfangsvokals der fraglichen Zeichen nicht geeignet ist, den Eindruck starker klanglicher Ähnlichkeit zu neutralisieren, den diese Zeichen hervorrufen.

35      Was den begrifflichen Vergleich der in Rede stehenden Zeichen betrifft, ist unstreitig, dass der Begriff „urgo“ in keinem Mitgliedstaat eine Bedeutung hat und dass es sich bei dem Begriff „ergo“ um ein lateinisches Wort handelt, das „also“ oder „folglich“ bedeutet. Die Klägerin rügt dagegen die Feststellung der Beschwerdekammer, dass dem englischen Durchschnittsverbraucher diese Bedeutung des Begriffs „ergo“ nicht bekannt sei.

36      Allerdings beschränkt sich die Klägerin zur Stützung ihres Vorbringens darauf, darzulegen, dass das Wort „ergo“ in zahlreichen Wörterbüchern der englischen Sprache enthalten sei, was für eine weite Verbreitung dieses Wortes in der englischen Sprache spreche. Wie jedoch die Beschwerdekammer zu Recht festgestellt hat, beweist die Tatsache als solche, dass ein Begriff in Wörterbüchern steht, nicht notwendigerweise, dass dieses Wort den maßgeblichen Verkehrskreisen, insbesondere den allgemeinen Verkehrskreisen, bekannt ist. Dies gilt erst recht, wenn sich, wie im vorliegenden Fall, die maßgeblichen Verkehrskreise aus Durchschnittsverbrauchern zusammensetzen, von denen nicht zu erwarten ist, dass sie Latein verstehen, und wenn es sich bei dem fraglichen Wort um ein abstraktes Wort mit einer im Wesentlichen juristischen oder philosophischen Bedeutung handelt, das selten und hauptsächlich in der Schriftsprache verwendet wird.

37      Ferner ist auch festzustellen, dass die Klägerin ihr Vorbringen, wonach das Wort „ergo“ heute ebenso wie andere Wörter lateinischen Ursprungs, wie beispielsweise Villa, Quantum, Maximum und Flora, zum gängigen Vokabular der deutschen und der englischen Sprache gehöre, nicht untermauert. Der von der Klägerin geltend gemachte Umstand, dass das Wort „ergo“ in bestimmten Wörterbüchern aus dem Englischen ins Deutsche und umgekehrt u. a. mit dem Begriff „ergo“ übersetzt wird, ist nämlich nicht zum Beleg dafür geeignet, dass dieser Begriff zum gängigen Sprachschatz der beiden von der Klägerin angeführten Sprachen gehört.

38      Folglich hat die Klägerin die Fehlerhaftigkeit der Schlussfolgerung der Beschwerdekammer, dass die englischen und deutschen Verbraucher die fraglichen Marken nicht mit einem Begriff in Verbindung brächten, nicht nachgewiesen.

39      Jedenfalls ist festzustellen, dass, da die bildliche und klangliche Ähnlichkeit zwischen den beiden Marken für die maßgeblichen Verkehrskreise sehr stark ist, die Gefahr bestünde, dass ein möglicher begrifflicher Unterschied ihrer Aufmerksamkeit entgehen könnte, so dass, selbst wenn ein Teil der maßgeblichen Verkehrskreise in der Lage sein sollte, den Begriffsinhalt der angemeldeten Marke zu erfassen, dies die bildlichen und klanglichen Ähnlichkeiten zwischen den fraglichen Marken nicht neutralisieren könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil Clina, oben in Randnr. 20 angeführt, Randnrn. 53 und 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 Zur Verwechslungsgefahr

40      Die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr impliziert eine gewisse Wechselbeziehung der in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken und der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen. So kann ein geringer Grad der Ähnlichkeit der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und umgekehrt (Urteil des Gerichtshofs vom 29. September 1998, Canon, C‑39/97, Slg. 1998, I‑5507, Randnr. 17, und Urteil VENADO mit Rahmen u. a., oben in Randnr. 16 angeführt, Randnr. 74).

41      Im vorliegenden Fall war die Beschwerdekammer der Auffassung, dass wegen der Identität der Waren sowie des hohen Grades an bildlicher Ähnlichkeit zwischen den Zeichen, ihrer Beinahe-Identität in klanglicher Hinsicht und der für den englischsprachigen Durchschnittsverbraucher fehlenden begrifflichen Bedeutung eine Verwechslungsgefahr zumindest im englischsprachigen Teil der Union vorliege.

42      Aus der vorstehenden Prüfung ergibt sich, dass die Beurteilung der Beschwerdekammer zu bestätigen ist, da die in Rede stehenden Waren identisch sind und die einander gegenüberstehenden Zeichen einen hohen Grad an bildlicher und klanglicher Ähnlichkeit aufweisen, die ein möglicher begrifflicher Unterschied, falls ein solcher bestehen sollte, nicht neutralisieren könnte.

43      Die Argumente der Klägerin können diese Beurteilung nicht in Frage stellen.

44      Das Argument, dem bildlichen Zeichenvergleich komme im vorliegenden Fall bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr besondere Bedeutung zu, weil die betreffenden Waren üblicherweise in Selbstbedienungsgeschäften verkauft würden, wo der Verbraucher sie selbst auswähle und sich dabei hauptsächlich auf das Bild der auf diesen Waren angebrachten Marke verlasse, kann nicht durchdringen, da festgestellt worden ist, dass zwischen den in Rede stehenden Zeichen eine bildliche Ähnlichkeit besteht (siehe oben, Randnrn. 28 bis 31). Zu dem Argument, die maßgeblichen Verbraucher ließen beim Erwerb der fraglichen Waren erhöhte Aufmerksamkeit walten, wodurch die Verwechslungsgefahr verringert werde, genügt es, darauf hinzuweisen, dass dieses Vorbringen bereits in den Randnrn. 17 bis 23 zurückgewiesen worden ist.

45      Was schließlich die von der Klägerin wiederholt angeführte frühere Praxis des HABM betrifft, ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass das HABM verpflichtet ist, seine Befugnisse im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts auszuüben. Zwar muss das HABM im Hinblick auf die Grundsätze der Gleichbehandlung und der ordnungsgemäßen Verwaltung im Rahmen der Prüfung der Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke die zu ähnlichen Anmeldungen ergangenen Entscheidungen berücksichtigen und besonderes Augenmerk auf die Frage richten, ob im gleichen Sinne zu entscheiden ist oder nicht, doch muss die Anwendung dieser Grundsätze mit dem Gebot rechtmäßigen Handelns in Einklang gebracht werden. Im Übrigen muss aus Gründen der Rechtssicherheit und gerade auch der ordnungsgemäßen Verwaltung die Prüfung jeder Anmeldung streng und umfassend sein, um eine ungerechtfertigte Eintragung von Marken zu verhindern (Urteil vom 21. Oktober 2004, HABM/Erpo Möbelwerk, C‑64/02 P, Slg. 2004, I-10031, Randnr. 45). Demgemäß muss diese Prüfung in jedem Einzelfall erfolgen. Denn die Eintragung eines Zeichens als Marke hängt von besonderen, im Rahmen der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls anwendbaren Kriterien ab, anhand deren ermittelt werden soll, ob das fragliche Zeichen nicht unter ein Eintragungshindernis fällt (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 12. Februar 2004, Henkel, C‑218/01, Slg. 2004, I-1725, Randnr. 62).

46      Im vorliegenden Fall hat, wie aus den Randnrn. 24 bis 44 des vorliegenden Urteils hervorgeht, die Beschwerdekammer zu Recht angenommen, dass der angemeldeten Marke das Eintragungshindernis des Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 entgegensteht, so dass die Klägerin sich nicht mit Erfolg auf frühere Entscheidungen des HABM berufen kann, um diese Feststellung zu entkräften.

47      Mithin ist der einzige Klagegrund zurückzuweisen und damit die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

48      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

49      Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen des HABM und der Streithelferin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Ergo Versicherungsgruppe AG trägt die Kosten.

Azizi

Cremona

Frimodt Nielsen

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. Juli 2011.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.